Titus Livius
Römische Geschichte
Titus Livius

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32. Da schickte der Dictator seine Herolde durch die Gassen, ließ die bestürzten Bürger zur Versammlung berufen, und verwies es ihnen, «Daß sie ihren Muth von einem so unbedeutenden Glückswechsel abhängig sein ließen, und nach einem kleinen Verluste, den man selbst nicht durch die Tapferkeit der Feinde, nicht durch die Feigheit des Römischen Heers, sondern durch die Zwietracht der Feldherren erlitten habe, den Vejenter als Feind fürchteten, den sie schon sechsmal bezwungen, und Fidenä, das sie beinahe öfter erobert, als belagert hätten. Noch wären sowohl die Römer, als die Feinde, dieselben, 357 die sie seit so vielen Jahrhunderten gewesen wären: sie hätten noch denselben Muth, dieselbe Körperkraft, dieselben Waffen. Auch er sei noch eben der Dictator Mamercus Ämilius, der einst die Heere der Vejenter und Fidenaten, als sie sogar durch die Falisker verstärkt waren, bei Nomentum geschlagen habe: und der Magister Equitum, Aulus Cornelius, werde in der Schlacht derselbe sein, der im vorigen Kriege als Oberster den König der Vejenter, Lar Tolumnius, im Angesichte beider Heere erlegt habe und mit einer Fürstenbeute zum Tempel des Jupiter Feretrius eingegangen sei. Sie möchten also die Waffen mit dem Bewußtsein ergreifen, daß auf ihrer Seite Triumphe, Beute und Sieg ständen; auf Seiten der Feinde hingegen der Frevel, gegen das Völkerrecht Gesandte gemordet, mitten im Frieden die Anbauer zu Fidenä erschlagen, den Waffenstillstand gebrochen und den siebten unglücklichen Abfall gewagt zu haben. Er sei völlig überzeugt, sobald nur Lager gegen Lager aufgeschlagen stände, so werde theils diesen verworfensten aller Feinde die Freude über den Schimpf des Römischen Heeres bald vergehen, theils das Römische Volk innewerden, wie ungleich mehr der Stat denjenigen verpflichtet sei, die ihn zum drittenmale zum Dictator ernannt, als denen, die seiner zweiten Dictatur, weil sie die Tyrannei ihrer Censur zerstörte, einen Fleck angehängt hätten.»

Nachdem er den Göttern die Gelübde verheißen hatte, rückte er aus und schlug tausend fünfhundert Schritte diesseit Fidenä sein Lager auf, zur Rechten durch die Gebirge, zur Linken durch den Tiberstrom gedeckt. Dem Unterfeldherrn Titus Quinctius Pennus befahl er, die Berge zu besetzen und sich jener verdeckten Höhe zu versichern, die den Feinden im Rücken sei. Als den Tag darauf die Hetrusker, voll Muth über ihren neulichen – ich möchte lieber sagen: glücklichen Angriff, als – erfochtenen Sieg, in Schlachtordnung auftraten, so rückte auch der Dictator, der nur so lange zögerte, bis ihm seine Kundschafter meldeten, Quinctius habe die der Burg von Fidenä nahe gelegene Anhöhe schon erstiegen, zur Schlacht aus, führte 358 die geordnete Linie des Fußvolks in vollem Schritte auf den Feind, und gebot dem Magister Equitum, nicht ohne Wink von ihm sich einzulassen. Er wolle ihm, sobald die Mitwirkung der Reuterei nöthig sei, das Zeichen geben: dann aber möge die Erinnerung an jenen Königskampf, an die dargebrachte Fürstenbeute, an den Romulus und Jupiter Feretrius, seine Thaten leiten. Das Fußvolk schlug sich mit ungestümer Hitze. Von Haß entbrannt schalt der Römer die Fidenaten Bösewichter, die Vejenter Räuber; beide, Frevler am Waffenstillstande, mit der unerhörten Blutschuld erschlagener Gesandten beladene, vom Blute seiner Anbauer bespritzte Mörder, treulose Bundesgenossen, feige Feinde; und ließ in That und Worten seinen ganzen Grimm aus.

33. Er hatte schon durch den ersten Angriff den Feind zusammengeschüttelt, als plötzlich die Thore von Fidenä sich öffneten und ein neues Heer herausstürzte, wie man es bis dahin nie gehört, nie gesehen hatte. Eine große mit Feuer bewaffnete Schar, so lang sie war, von brennenden Fackeln leuchtend, rannte, wie von Begeisterung in Lauf gesetzt, gegen den Feind; und die Erscheinung eines so ungewöhnlichen Kampfes setzte die Römer einen Augenblick in Schrecken. Der Dictator, der den Magister Equitum mit der Reuterei, auch den Quinctius vom Gebirge zu sich entboten hatte, belebte jetzt das Gefecht aufs Neue, eilte in eigner Person auf seinen linken Flügel, der im Schrecken vor den Flammen gewichen war, und den Anblick – mehr einer Feuersbrunst, als einer Schlacht – gewährte; und rief mit lauter Stimme:

«Wollt ihr, durch Rauch besiegt, wie ein Bienenschwarm von eurer Stelle gescheucht, einem wehrlosen Feinde weichen? Warum schlagt ihr nicht mit dem Schwerte diese Feuer aus? Warum schleudert ihr nicht die Fackeln, wenn denn einmal mit Feuer, nicht mit Waffen gestritten werden soll, so viele ihnen jeder entreißen kann, in sie selbst hinein? Auf! des Römernamens, der Tapferkeit eurer Väter und eurer eignen eingedenk, kehret diesen Brand gegen die Stadt der Feinde, 359 und vertilgt Fidenä mit seinen Flammen, da ihr es durch eure Wohlthaten nicht versöhnen konntet. Dies fordern von euch das Blut eurer Gesandten und Anbauer, und euer verwüstetes Land!»

Auf den Zuruf des Dictators setzte sich die ganze Linie in Bewegung: theils fingen sie die ihnen entgegen geworfenen Fackeln auf, Andre entrissen sie dem Feinde mit Gewalt: und nun waren beide Heere mit Feuer bewaffnet. Auch dem Gefechte der Reuterei gab der Magister Equitum eine neue Gestalt. Er befahl ihr, den Pferden die Zügel zu nehmen; und er selbst voran spornte sein entzügeltes Roß mitten in die Feuer: auch die übrigen Pferde stürzten freies Laufs, bloß vom Sporne getrieben, mit ihrem Reuter in den Feind. Der Staub, der mit Rauch gemischt sich erhob, entzog den Augen das Licht, den Kriegern, wie den Rossen; mochte aber den Männern der Anblick schreckhaft sein, die Rosse schreckte er nicht. Wo also die Reuterei durchbrach, da schien Alles vor ihr zusammenzustürzen.

Jetzt ließ ein neues Geschrei sich hören, und da sich beide Heere in Verwunderung dorthin wandten, rief der Dictator laut, der Unterfeldherr Quinctius habe mit seinem Kohre den Feind im Rücken angegriffen, und nun hieß er auch die Seinigen mit erneuertem Geschreie so viel rascher vorrücken. Da also zwei Schlachtordnungen, zwei Gefechte von entgegengesetzten Seiten, den umzingelten Hetruskern von vorne und von hinten zusetzten, und der Weg zur Flucht so wenig rückwärts ins Lager möglich war, als zu den Gebirgen hin, von denen herab der neue Feind sich ihnen entgegengeworfen hatte; auch die zügelfreien Rosse die Reuterei über das ganze Feld verbreitet hatten: so stürzte der größte Theil der Vejenter in vollem Laufe der Tiber zu, und die Fidenaten, so viele ihrer übrig waren, suchten ihre Stadt Fidenä zu erreichen, In der Bestürzung führte sie die Flucht mitten in das Gemetzel. Sie wurden an den Ufern niedergehauen; Andre in das Wasser gejagt und von den Strudeln verschlungen; vor Ermattung, Wunden und Bestürzung sanken auch die, 360 welche schwimmen konnten: nur Wenige von so Vielen schwammen hinüber. Der andre Schwarm rannte durch das Lager in die Stadt. Eben dahin führte der Nachdrang die verfolgenden Römer, vorzüglich den Quinctius und die mit ihm so eben vom Gebirge Herabgekommenen; sie waren zum Kampfe die Muntersten von Allen, weil sie erst gegen das Ende der Schlacht eingetroffen waren.

34. So wie sie mit den Feinden gemischt in das Thor gedrungen waren, gewannen sie die Mauer, und gaben den Ihrigen von der Mauer herab das Zeichen, daß die Stadt erobert sei, Kaum wurde dies der Dictator gewahr, – denn auch er war schon in das verlassene feindliche Lager eingerückt – so bewog er seine Soldaten, so gern sie sich hier zum Plündern vertheilt hätten, durch die Hoffnung einer noch größern Beute in der Stadt, ihm an das Thor zu folgen, und sobald er eingelassen war, zog er zur Burg, wohin er die Haufen der Flüchtigen stürzen sah. Das Gemetzel war in der Stadt eben so groß, als in der Schlacht, bis endlich die Feinde die Waffen wegwarfen, nur um ihr Leben baten und sich dem Dictator ergaben. Stadt und Lager wurden geplündert. Am folgenden Tage bekam jeder, vom Ritter hinauf bis zum Hauptmanne, einen Gefangenen, so wie er durch das Los ihm zufiel; und wer sich durch Tapferkeit ausgezeichnet hatte, zwei. Nachdem der Dictator die übrigen im Kreise verkauft hatte, führte er sein siegreiches, mit Beute beladenes Heer im Triumphe in Rom ein, ließ den Magister Equitum sein Amt niederlegen, und dankte gleichfalls ab, so daß er binnen sechzehn Tagen die Regierung im Frieden wieder abgab, die er im Kriege und in der Zeit der Noth übernommen hatte.

Einige Jahrbücher erwähnen auch einer Flotte, die bei Fidenä mit den Vejentern geschlagen habe. Dies ist eben so unglaublich, als es unthunlich war, da der Strom hierzu auch jetzt nicht breit genug ist, und er damals nach alten Zeugnissen weit schmaler war: es müßte denn sein, daß man das Zusammentreffen einiger Schiffe, als man dem Feinde den Übergang über den Strom wehren wollte, wie so leicht geschieht, zu, hoch gepriesen, und darin den 361 ungegründeten Anspruch auf einen zu Wasser erfochtenen Sieg gefunden hat.

35. Das folgende Jahr hatte Kriegstribunen mit consularischer Gewalt; den Aulus Sempronius Atratinus, Lucius Quinctius Cincinnatus, Lucius Furius Medullinus, Lucius Horatius Barbatus. Den Vejentern wurde ein Waffenstillstand aufEs muß hier statt viginti, duodeviginti gelesen werden, wie aus dem Anfange des 58sten Cap. in diesem Buche erhellet. Dort sagt Livius, im Jahre 348 sei der Waffenstillstand abgelaufen gewesen, der jetzt, im J. 330 geschlossen war. Leicht konnten bei der Schreibart ANNORVMIIXX die zwei Striche vor der Zahl XX wegen des ähnlichen voraufgehenden M wegfallen. Auch hat Drakenborch an dieser Stelle eine Lesart, welche dies bestätigt, nämlich: annorum XV, wo in der richtigen Zahl XVIII. durch das folgende IN die drei Striche verdrängt wurden. achtzehn Jahre bewilligt, und den Äquern auf drei Jahre, ob sie gleich auf mehrere Jahre angetragen hatten. Auch in der Stadt machten keine Unruhen eine Störung.

Dem folgenden Jahre gaben weder ein auswärtiger Krieg, noch innere Unruhen eine Auszeichnung, wohl aber die im Kriege verheißenen Spiele eine Feierlichkeit, zu welcher theils die Anstalten der Kriegstribunen, theils der Zusammenfluß der Nachbaren beitrugen. Tribunen mit Consulgewalt waren Appius Claudius Crassus, Spurius Nautius Rutilus, Lucius Sergius Fidenas, Sextus Julius Iulus. Das Schauspiel gewährte den Fremden, außerdem daß sie auf öffentliche Einladung erschienen waren, durch die ArtigkeitIch lese mit Herrn Walch ad ID, quod publico consensu venerant. ihrer Wirthe noch größeres Vergnügen.

Den Spielen folgten aufrührische Reden der Bürgertribunen, in denen sie dem Bürgerstande Vorwürfe machten, daß er, staunend vor Bewunderung derer, die er hasse, sich selbst in ewiger Sklaverei festhalte, und nicht nur zu muthlos sei, sich die Hoffnung zu seinem Antheile am Consulate zu erlauben, sondern sogar bei der Wahl der Kriegstribunen, die doch Adlichen und Bürgerlichen gleich offen stände, so wenig seiner selbst, als der Seinigen, eingedenk sei. Man möge es sich also nicht befremden lassen, wenn niemand auf Vortheile des 362 Bürgerstandes antrüge. Mühe und Gefahren wende man nur an zu erwartende Vortheile und Ehre. Wenn denen, die Großes wagten, auch große Preise ausgesetzt würden, so würden sich die Menschen auf Alles einlassen. Daß aber irgend jemand von den Bürgertribunen mit seiner großen Gefahr und ohne allen Nutzen sich blindlings in Streitigkeiten stürzen solle, bei denen er sicher darauf rechnen könne, daß ihn die Väter, gegen die er sie zu führen habe, mit einem unversöhnlichen Kriege verfolgen würden, indeß er bei dem Bürgerstande, für welchen er gekämpft habe, um nichts geehrter sein werde; das stehe weder zu hoffen, noch zu verlangen. Zu großem Muthe werde man nur durch große Ehre gespornt. Kein Bürgerlicher werde sich für verächtlich halten, wenn sie selbst sich nicht länger verachten ließen. Man müsse doch endlich einmal mit Einem oder dem Andern den Versuch machen, ob auch wohl ein Bürgerlicher einem hohen Ehrenamte gewachsen sei, oder ob man es für etwas Unerhörtes und Wundervolles anzusehen habe, wenn einmal ein geborner Bürgerlicher als tüchtiger und verdienstvoller Mann aufträte. Mit der größten Anstrengung habe man das Recht errungen, zu Kriegstribunen mit Consulgewalt auch Bürgerliche wählen zu dürfen. Da hatten dann im Frieden und Kriege bewährte Männer darum angehalten. Weil sie aber in den ersten Jahren gehohnneckt, abgewiesen und den Vätern zum Gelächter preisgegeben wären, so hätten sie endlich aufgehört, ihre Stirn der Verhöhnung darzubieten. Auch sähen sie nicht ein, warum nicht das Gesetz selbst abgeschafft werde, nach welchem man zu Etwas berechtigt sei, wovon man nie Gebrauch mache: denn einer ungerechten Ausschließung würden sie sich weniger zu schämen haben, als wenn sie wegen eigner Unwürdigkeit übergangen würden.»

36. Der Beifall, den die Reden dieses Inhalts fanden, vermochte diesen und jenen, sich zum Kriegstribunate zu melden; und der Eine versprach, in seinem Amte diese, der Andre, andre Vortheile des Bürgerstandes betreiben zu wollen. Sie machten Hoffnung zur Vertheilung der 363 Statsländereien, zur Ausführung auf neue Pflanzungen, zu einer den Landbesitzern aufzulegenden Abgabe, von welcher den Kriegern ein Sold gereicht werden könne. Die Kriegstribunen aber ersahen die Zeit, während sich die Einwohner auf das Land begeben hatten, durch geheime Einladungen den Senat auf einen bestimmten Tag herein zu berufen, und den Senatsschluß ausfertigen zu lassen, bei dem die Bürgertribunen nicht zugegen waren, man solle auf die eingelaufene Nachricht von einem verheerenden Einfalle der Volsker in das Gebiet der Herniker, die Kriegstribunen hingehen lassen., um die Sache zu untersuchen, und auf dem nächsten Wahltage Consuln wählen. Bei ihrer Abreise überließen sie die Regierung der Stadt dem Appius Claudius, dem Sohne des Decemvirs, einem thätigen jungen Manne, dem der Haß gegen die Bürgertribunen schon von der Wiege her eingeflößt war. So wurde es den Bürgertribunen gleich unmöglich gemacht, sich mit jenen Abwesenden, die den Senatsschluß zu Stande gebracht hatten, als mit dem Appius, da die Sache schon abgethan war, in einen Streit einzulassen.

37. Es wurden Consuln gewählt; Cajus Sempronius Atratinus und Quintus Fabius Vibulanus. Ich finde in diesem Jahre eine Begebenheit des Auslandes gemeldet, die aber merkwürdig ist. Vulturnum, eine Stadt der Hetrusker, das jetzige Capua, soll von den Samniten erobert, und nach deren Heerführer Capys, oder, wie es wahrscheinlicher ist, von ihren Feldebenen, Capua genannt sein. Sie eroberten es aber, nachdem sie die Hetrusker durch Kriege gezwungen hatten, sie in den Mitbesitz ihrer Stadt und ihres Landes aufzunehmen; und dann erschlugen die neuen Anbauer die alten Einwohner in einem nächtlichen Überfalle, als diese nach einem Festtage vom Schlafe und Genusse übermannet lagen.

Gleich darauf traten am dreizehnten December die genannten Consuln ihr Amt an. Schon brachten nicht bloß die deshalb Abgeschickten, die Nachricht, daß ein Volskischer Krieg bevorstehe, sondern auch Gesandte von den Latinern und Hernikern meldeten: «Die Volsker hätten 364 noch nie bei der Wahl ihrer Feldherren und bei der Aushebung eines Heeres so viele Sorgfalt bewiesen. Durchgängig höre man sie im Unwillen sich äußern, daß sie entweder auf ewig den Waffen und Kriegen entsagen und das Joch auf sich nehmen, oder denen, mit denen sie um die Oberherrschaft stritten, an Tapferkeit, Ausdauer und Mannszucht es gleichthun wollten.»

Diese Nachrichten waren gegründet: theils aber machten sie auf die Väter nicht den nöthigen Eindruck; theils verfuhr Cajus Sempronius, dem das Los diesen Krieg beschied, in allen Stücken unbesonnen und nachlässig, und in seinen Gedanken Anführer des siegreichen Volks gegen Besiegte, – gleich als gäbe es in der Welt nichts zuverlässigeres, als das Glück, – vertraute er auf dieses; so daß sich im Volskischen Heere mehr Römische Ordnung, als im Römischen, fand. Also gab sich auch das Glück, wie mehrmals, der Tapferkeit zur Begleiterinn. Gleich im ersten Treffen, welches Sempronius ohne Vorsicht und Überlegung lieferte, ging das Gefecht an, ohne daß er seine Linie durch einen Rückhalt gedeckt, noch die Reuterei am rechten Platze aufgepflanzt hatte. Schon das Schlachtgeschrei gab zu erkennen, wohin der Sieg sich neigen würde. Von den Feinden wurde es weit munterer und allgemeiner erhoben. Von den Römern mistönig, ungleich, und einigemal schläfrig erneuertDaß Livius nicht geschrieben haben könne: Clamor – incerto clamore prodidit pavorem, darüber sind alle Critiker einverstanden. Weil Drakenborch das von Sigonius vorgeschlagene incerto tenore noch am erträglichsten findet, so bin ich ihm in der Übersetzung gefolgt. Daß diese beiden Worte incerto clamore, wie H.  Walch vermuthet, aus X. 36. nach IV. 37. als Glosse verpflanzt sein sollten, ist mir unwahrscheinlich., sprach es schon durch seine schwankende Haltung die Verzagtheit ihres Innern aus, So viel muthvoller drangen die Feinde ein, drängten sie mit ihren Schilden, ließen ihnen die Schwerter vor den Augen blinken; indeß auf der andern Seite den um sich her sehenden die Helme wankten, und sie selbst, vor Verlegenheit unstät, sich der Menge anschlossen. Wo die Fahnen noch Stand hielten, wurden sie von den Vorderlinien verlassen, Andre in die Haufen der Ihrigen zurückgezogen. 365 Noch war so wenig Flucht, als Sieg, entschieden: doch deckte sich der Römer mehr, als daß er focht. Der Volsker hingegen brach ein, drängte die Linie, und sah mehr Feinde fallen, als fliehen.

38. Schon wichen sie auf allen Punkten und vergeblich schalt und ermunterte der Consul Sempronius: Befehl und Hoheit galten nichts mehr: und bald würden sie dem Feinde den Rücken gekehrt haben, wenn nicht Sextus Tempanius, ein Rittmeister, durch seine Geistesgegenwart die sinkende Sache gestützt hätte. Laut schrie er: «Wer von den Rittern das Ganze gerettet wissen wolle, solle absitzen:» und da die Ritter aller Schwadronen, als auf des Consuls Gebot, gehorchten, rief er: «Wenn wir nicht, als Cohorte hinterDie Reuterei wurde in Turmen getheilt, das Fußvolk in Cohorten. Indem er also seine Ritter eine Cohorte nennt, bezeichnet er sie dadurch als Fußvolk. Daß sie aber eigentlich Ritter sind, beweiset der kleine Ritterschild parma. Denn daß man hier statt des unnützen armata lieber parmata lesen müsse, ist die richtige Meinung von Schel, Gronov und Drakenborch, welche im Anfange des folgenden Capitels bestätigt wird. Ritterschilden, den Anfall der Feinde aufhalten, so ist es um Roms Oberherrschaft gethan. Folget statt der Fahne meiner Lanze! Zeiget Römern und Volskern, daß es mit euch zu Pferde keine Reuterei, und zu Fuß kein Fußvolk aufnehmen könne.» Als sie mit Geschrei seinem Zurufe Beifall gaben, schritt er mit hoch erhobener Lanze voran. Wohin sie sich wandten, bahnten sie sich den Weg mit Gewalt: mit vorgehaltenen Ritterschilden stürzten sie dahin, wo sie die Ihrigen am meisten leiden sahen. Allenthalben, wo sie vordrangen, wurde die Schlacht wieder hergestellt, und hätten so Wenige Alles zugleich bereichen können, so würden unstreitig die Feinde die Flucht genommen haben.

39. Schon konnte man sie nirgend mehr aufhalten, als der Volskische Feldherr seinen Leuten den Befehl gab, sie sollten die neue feindliche Cohorte mit den Ritterschilden durchlassen, damit sie, mit Ungestüm vordringend, von den Ihrigen abgeschnitten würde. So wie dies geschah, waren die Ritter abgeschnitten. Sie selbst konnten auf demselben Wege, auf dem sie durchgebrochen waren, sich 366 nicht wieder durchschlagen, weil da, wo sie sich Bahn gemacht hatten, die Feinde sich am dichtesten häuften: und der Consul und das Römische Fußvolk, als sie die, die, eben noch des ganzen Heeres Schutz gewesen waren, nirgends mehr erblickten, wagten sich in jede Gefahr, um so viele tapfere Männer nicht als Abgeschnittene vom Feinde übermannen zu lassen. Die Volsker, nach entgegengesetzten Seiten fechtend, hielten hier den Consul und das Fußvolk auf, und gegenüber bestürmten sie den Tempanius und seine Ritter, welche nach vergeblich wiederholten Versuchen, sich zu den Ihrigen durchzuschlagen, eine Anhöhe besetzten und im Kreise fechtend jeden Verlust am Feinde rächeten. Und vor Nacht hörte dies Gefecht nicht auf.

Auch der Consul hielt, ohne irgendwo mit dem Treffen nachzulassen, so lange man noch einigermaßen Tageslicht hatte, den Feind beschäftigt. Die Nacht trennte die Streitenden in völliger Ungewißheit, und wegen Unbekanntschaft mit dem Ausgange der Schlacht gerieth in beiden Lagern Alles in solche Bestürzung, daß beide Heere, mit Hinterlassung der Verwundeten und eines großen Theils ihres Gepäcks, sich als Besiegte auf die nächsten Gebirge zurückzogen. Indeß blieb der Hügel bis nach Mitternacht umringt. Als hier bei den Belagerern die Nachricht einlief, daß ihr Lager verlassen sei, hielten auch sie die Ihrigen für die Besiegten, und flohen, wohin Jeden der Schrecken im Dunkeln führte. Aus Furcht vor einer List hielt Tempanius die Seinigen bis zum Tage beisammen. Als er darauf mit einigen Wenigen auf Kundschaft ausging und durch Nachfrage bei den feindlichen Verwundeten erfuhr, daß die Volsker ihr Lager verlassen hätten, rief er voll Freude die Seinigen vom Hügel und rückte in das Römische Lager. Wie er aber auch hier Alles öde und verlassen, und denselben kläglichen Anblick, wie bei den Feinden, fand; zog er, – ohne die Rückkehr der Feinde, die ihres Irrthums gewahr werden konnten, abzuwarten, und mit so vielen Verwundeten, als er mitnehmen konnte, – weil er nicht wußte, in welche Gegend sich der Consul gewandt habe, auf den nächsten Wegen zur Stadt.

367 40. Hier war der Ruf von der unglücklichen Schlacht und dem verlassenen Lager schon erschollen; und vor allen hatte man die Ritter beklagt, eben so sehr als Verlust für den Stat, als in den Familien. Und der Consul Fabius, der die Stadt selbst besorgt machte, hielt sich mit einem Posten vor den Thoren auf; als die Ritter, – die man in der Ferne, noch ungewiß, wer sie sein möchten, nicht ohne Schrecken sah, – sobald sie erkannt wurden, die Besorgniß in eine so große Freude verwandelten, daß ein Jubelgeschrei von Glückwünschen über die Rückkehr der geretteten siegreichen Ritter die Stadt durchdrang. Aus den kurz zuvor noch traurenden Häusern, welche die Ihrigen als verloren aufgegeben hatten, rannte man auf die Gassen; und zitternd liefen die Mütter und Gattinnen, in der Entzückung des Anstandes vergessend, dem Zuge entgegen, und jede flog, vor Entzücken kaum noch ihrer Glieder und Sinne mächtig, auf die Ihrigen zu.

Die Bürgertribunen, die den Marcus Postumius und Titus Quinctius vor Gericht gefordert hatten, weil durch ihre Schuld das Treiben bei VejiSiehe oben Cap. 31. so schlecht abgelaufen war, glaubten bei Gelegenheit des neuen Hasses, der auf den Consul Sempronius fiel, auch gegen jene die üble Stimmung erneuern zu können. Sie beriefen eine Versammlung, und da sie sich mit Geschrei darüber ausgelassen hatten, daß bei Veji das allgemeine Beste von den Feldherren aufgeopfert sei, daß nachher im Volskerlande, weil jene ungestraft geblieben wären, der Consul eben so sein Heer aufgeopfert, so tapfere Ritter zum Gemetzel preisgegeben und sein Lager schimpflich verlassen habe; so ließ Cajus Julius, einer von den Tribunen, den Ritter Sextus Tempanius vorfordern und sprach in Gegenwart der Beklagten:

«Sextus Tempanius, ich befrage dich, ob sich der Consul Sempronius deiner Meinung nach zur rechten Zeit in eine Schlacht eingelassen, sein Heer durch einen Rückhalt verstärkt, oder irgend eine Pflicht eines tüchtigen 368 Consuls erfüllt habe. Ferner, hast du nicht, als das Römische Fußvolk geschlagen war, aus eignem Entschlusse die Reuterei absitzen lassen und das Gefecht wieder hergestellt? Als du darauf von unserer Linie abgeschnitten warest, kam dir und den Rittern der Consul entweder selbst zu Hülfe, oder schickte er dir eine Unterstützung? Sahest du den Tag darauf von irgend jemand einigen Beistand, oder drangest du mit deiner Cohorte aus eigner Tapferkeit in euer Lager? Fandet ihr da einen Consul, oder ein Heer im Lager, oder Alles preisgegeben? die verwundeten Soldaten verlassen? Hierüber hast du, deiner Tapferkeit und Treue gemäß, auf welche allein das allgemeine Beste in dieser Schlacht sich stützte, dich heute zu erklären. Endlich noch darüber, wo Cajus Sempronius, wo unsre Legionen sein mögen; ob du verlassen seist, oder den Consul und das Heer verlassen habest. Endlich, ob wir die Besiegten oder die Sieger sind.»

41. Hierauf antwortete Tempanius, wie man erzählt, in einer schmucklosen Rede, doch im festen Tone des Kriegers, ohne Prunk mit eignem Verdienste, ohne Wohlgefallen an Beschuldigungen eines Dritten: «Wie viele Einsichten im Kriegswesen Cajus Sempronius besitze, dies Urtheil über seinen Feldherrn sei nicht die Sache eines Soldaten, sondern damals des Römischen Volks gewesen, als es ihn am Wahltage zum Consul ausersehen habe. Also möchten sie ihn nicht über Entwürfe eines Feldherrn, über Geschicklichkeiten eines Consuls befragen, deren Würdigung selbst einen großen Geist, einen Mann von Kopf, erfordere. Er könne nur erzählen, was er gesehen habe. Er habe aber gesehen, ehe er vom Heere abgeschnitten sei, wie der Consul im Vordertreffen gefochten, Muth eingesprochen und unter den Fahnen der Römer und Pfeilen der Feinde gewaltet habe. Nachher habe er selbst die Seinigen aus dem Gesichte verloren. Aus dem Getümmel aber und dem Geschreie habe er abgenommen, daß das Gefecht bis in die Nacht fortgesetzt sei; er glaube aber, daß man vor der Menge von Feinden zu dem Hügel, den er selbst besetzt gehabt, nicht habe 369 durchdringen können. Wo das Heer sei, wisse er nicht; er vermuthe aber, so wie er selbst sich und die Seinigen durch den begünstigenden Platz geschützt habe, so werde auch der Consul zur Deckung des Heeres sein Lager in sicherern Gegenden genommen haben. Auch glaube er nicht, daß es bei den Volskern besser stehe, als bei den Römern. Zufall und Nacht hätten lauter Irrungen auf beiden Seiten herbeigeführt.» Dann soll er auf seine Bitte, sie möchten ihn, von Beschwerden und Wunden ermüdet, nicht länger aufhalten, unter großen Lobsprüchen seiner Bescheidenheit eben so sehr, als seiner Tapferkeit, entlassen sein.

Während dies vorging, war der Consul schon auf der Lavicanischen Heerstraße beim Tempel der Göttinn Ruhe. Dahin schickte man Wagen und mehrere Lastthiere von der Stadt aus, welche das von Wunden und nächtlichem Wege angegriffene Heer aufnahmen. Bald darauf zog auch der Consul in die Stadt, der nicht so angelegentlich die Schuld von sich abwälzte, als den Tempanius mit verdienten Lobsprüchen erhob.

Den über die verlorne Schlacht traurenden und auf die Feldherren erzürnten Bürgern wurde Marcus Postumius, der bei Veji Kriegstribun an Consuls Statt gewesen war, als Beklagter preisgestellt und zu einer Strafe von zehntausend Ass von schwerem SchroteZu 310 Gulden. Späterhin wurde der Ass auf die Hälfte des Werths herabgesetzt, oder genau zu reden, nur halb so schwer ausgeprägt. Darum heißt er in jenen Zeiten noch der schwere, oder von schwerem Schrote. verdammt. Seinen Amtsgenossen Titus Quinctius sprachen alle Bezirke frei, weil er theils im Volskerlande als Consul unter dem Oberbefehle des Dictators Postumius Tubertus, theils bei Fidenä als Unterfeldherr des andern Dictators Mamercus Ämilius sich brav gehalten hatte, und die ganze Schuld jenes Unglücks seinem schon verurtheilten Amtsgenossen aufbürdete. Man sagt, es sei ihm das Andenken des ehrwürdigen Cincinnatus, seines Vaters, zu statten gekommen, auch der seinem Ende so nahe Quinctius Capitolinus, der die Bürger flehentlich bat, sie möchten ihn, da 370 er noch so wenige Zeit zu leben habe, keine so traurige Nachricht an den Cincinnatus mitnehmen lassen.

42. Der Bürgerstand ernannte den Sextus Tempanius, Aulus Sellius, Sextus Antistius und Spurius Icilius, welche auch von den Rittern, dem Wunsche des Tempanius gemäß, zu ihren HauptleutenDie Ritter, welche eigentlich unter Decurionen (Rittmeistern) standen, hatten nur in der vorigen Schlacht, wo sie als Fußvolk dienten, Centurionen oder Hauptleute nöthig gehabt. gewählt waren, zu Bürgertribunen. Weil der Haß gegen den Sempronius auch den Namen der Consuln anstößig machte, so verordnete der Senat, daß Kriegstribunen mit consularischer Macht gewählt werden sollten. Man wählte den Lucius Manlius Capitolinus, Quintus Antonius Merenda, Lucius Papirius Mugillanus.

Gleich im Anfange des Jahrs bestimmte der Bürgertribun Lucius Hortensius dem vorjährigen Consul Cajus Sempronius einen Gerichtstag. Da ihn nun vier seiner Amtsgenossen im Angesichte des Römischen Volkes baten, er möchte ihren unschuldigen Feldherrn, an dem man außer seinem Glücke nichts tadeln könne, nicht verfolgen, so wurde Hortensius unwillig, weil er glaubte, man wolle bloß seine Beharrlichkeit prüfen, und der Beklagte verlasse sich nicht so sehr auf die Fürbitten der Tribunen, die nur zum Scheine vorgebracht würden, als auf ihren Beistand. Also wandte er sich bald an ihn selbst und fragte ihn: «Wo jener adliche Hochsinn, wo der auf Schuldlosigkeit sich stützende und vertraunvolle Muth geblieben sei. Der Consular habe sich in den Schatten der tribunicischen Hülfe verkrochen.» Bald richtete er seine Fragen so an seine Amtsgenossen: «Wie aber, wenn ich nun mit meiner Klage gegen ihn fortfahre, was werdet ihr dann thun? etwa dem Volke sein Recht entreißen und die tribunicische Gewalt umstoßen?» Als jene erwiederten: «Dem Römischen Volke stehe über den Sempronius, wie über Alle, die höchste Gewalt zu, und sie wollten und könnten des Volkes Urtheil nicht aufheben: wenn aber ihre Bitten für ihren Feldherrn, der ihnen 371 Vaterstelle verträte, nichts vermöchten, dann würden sie mit ihm sich in die Hülle der Trauer werfen:» so sprach Hortensius: «Nein! seine Tribunen soll das Römische Volk nicht in Trauerkleidern sehen. Hat es Cajus Sempronius bei seiner Feldherrnstelle dahin bringen können, seinen Kriegern so lieb zu werden, so habe ich weiter keine Sache an ihn.» Und die vier Tribunen ernteten von ihrer kindlichen Gesinnung bei Bürgerlichen und Vätern keinen größern Beifall, als Hortensius von seinem auf gerechte Verwendung so versöhnlichen Herzen.

43. Gegen die Äquer, welche den zweifelhaften Sieg der Volsker als den ihrigen benutzt hatten, war das Glück nicht länger nachsichtig. Deswegen fiel auch im nächsten Jahre, in welchem Numerius Fabius Vibulanus und Titus Quinctius Capitolinus, des Capitolinus Sohn, Consuln waren, unter der Anführung des Fabius, dem das Los diesen Krieg bestimmte, nichts Merkwürdiges vor. Denn da sich die Äquer in trippelnder Linie kaum gezeigt hatten, ließen sie sich, ohne daß der Sieg dem Consul große Ehre machte, schimpflich in die Flucht schlagen. Deswegen wurde ihm auch der Triumph verweigert. Weil er indeß den Schimpf der Sempronianischen Niederlage gemildert hatte, gestattete man ihm, im kleinen Triumphe zu Pferde in die Stadt einzuziehen.

So wie der Krieg mit minderem Kampfe, als man besorgt hatte, geendigt war, so kam auf die Ruhe in der Stadt unerwartet ein Schwall von Zwistigkeiten zwischen Bürgern und Vätern zum Ausbruche, welchen die zu verdoppelnde Zahl der Quästorn veranlaßte. Da die Väter dem von den Consuln gethanen Antrage, daß außer den beiden Stadtquästorn noch zwei für die Kriegsgeschäfte der Consuln dasein müßten, ihren ganzen Beifall gegeben hatten, so machten die Bürgertribunen den Consuln die Sache in der Absicht streitig, daß ein Theil der Quästoren – denn bisher hatte man nur Adliche dazu genommen – aus dem Bürgerstande angesetzt werden möchte. Anfangs widersetzten sich dieser Forderung Consuln und Väter aus allen Kräften; und als nachher ihre nachgiebige 372 Einwilligung, – daß man eben so bei den Quästorn dem Volke freie Wahl lassen solle, wie es sie bisher bei Ernennung der Tribunen mit consularischer Gewalt geübt habe, – nicht den gewünschten Erfolg hatte, gaben sie den die Vermehrung der Quästorn betreffenden Vorschlag ganz auf. Sogleich machten die Tribunen die aufgegebene Sache zu der ihrigen, und es folgte ein ruhestörender Antrag nach dem andern, wozu auch der über die Landvertheilungen gehörte. Da nun der Senat dieser Gährungen wegen lieber Consuln, als Kriegstribunen gewählt wissen wollte, die Tribunen aber durch ihre Einsagen keinen Senatsschluß zu Stande kommen ließen, so ging die Verwaltung des Stats von den Consuln auf eine Zwischenregierung über, und auch das nicht ohne großen Streit, weil die Tribunen die dazu nöthige Zusammenkunft der Patricier untersagten.

Da der größere Theil des folgenden Jahres unter neuen Bürgertribunen und mehreren Zwischenregierungen bei fortgesetzten Streitigkeiten verflossen war, – indem die Tribunen bald den Patriciern verboten, zur Aufstellung eines Zwischenkönigs zusammenzutreten; bald durch ihre Einsage den Senatsschluß hinderten, den der Zwischenkönig zur Ansetzung einer Consulnwahl bewirken wollte: – so betheuerte endlich der zuletzt aufgestellte Zwischenkönig, Lucius Papirius Mugillanus, unter Vorwürfen, die er bald den Vätern, bald den Bürgertribunen machte: «Von Menschen verlassen und aufgegeben, erhalte sich der Stat, weil sich statt ihrer die Vorsehung und Fürsorge der Götter seiner annähmen, bloß durch den Waffenstillstand mit den Vejentern und durch die Unentschlossenheit der Äquer. Wie aber, wenn von dorther Waffengetöse erschallen sollte? ob sie dann willens wären, den Stat ohne patricische Obrigkeit überfallen zu lassen? kein Heer zu haben? keinen Feldherrn zur Aushebung eines Heers? ob sie etwa den Krieg von außen durch innern Krieg abzuwehren dächten? Wenn dies Alles zusammenträfe, so würde kaum die Allmacht der Götter verhindern können, daß der Römische Stat nicht darunter erliege. Warum sie nicht lieber, indem sie beide von ihren 373 höchsten Forderungen zurückträten, in der Mitte zur Knüpfung der Eintracht sich begegnen wollten? die Väter, indem sie zugäben, daß statt der Consuln Kriegstribunen gewählt würden; die Bürgertribunen, wenn sie nichts dagegen einwendeten, daß das Volk die vier Quästorn gemeinschaftlich aus Bürgerlichen und Adlichen durch freie Stimmenwahl ernennen dürfe.»

44. Der tribunicische Wahltag ging voran. Zu Kriegstribunen mit Consulgewalt wurden lauter Patricier gewählt; Lucius Quinctius Cincinnatus zum drittenmale, Lucius Furius Medullinus zum zweitenmale, Marcus Manlius, Aulus Sempronius Atratinus. Als unter dem Vorsitze dieses Tribuns bei der Quästornwahl unter mehrern Bürgerlichen auch der Sohn des Bürgertribuns Antistius, und der Bruder eines andern Bürgertribuns, des Sextus Pompilius, sich meldeten, so konnten doch diese so wenig durch ihr Amt, als durch ihre Empfehlung die Leute abhalten, diejenigen ihres Adels wegen vorzuziehen, in deren Vätern und Großvätern sie Consuln gesehen hatten.

Die Bürgertribunen sämtlich geriethen in Wuth; vor allen Pompilius und Antistius, aufgebracht über die Zurücksetzung der Ihrigen. «Ob das nicht unbegreiflich sei,» sagten sie. «Weder ihre Wohlthaten, noch die Kränkungen von den Vätern, noch endlich die Neugier, von ihrem Rechte einmal Gebrauch zu machen, – da ihnen doch jetzo frei stehe, was vormals nicht erlaubt gewesen sei; – hätten die Bürger vermögen können, einen einzigen Bürgerlichen, wenn denn auch nicht zum Kriegstribun, wenigstens doch zum Quästor zu machen. Fruchtlos waren die Bitten gewesen, des Vaters für seinen Sohn, des Bruders für seinen Bruder, zweier Bürgertribunen von heiligem, zum Schutze der Freiheit gestiftetem, Amte. «Sicher stecke ein Betrug dahinter, und Aulus Sempronius sei bei der Wahl mehr listig als ehrlich zu Werke gegangen. Seine Widerrechtlichkeit sei es, – so klagten sie, – welche die Ihrigen von dem Ehrenamte zurückgestoßen habe.» Da sie nun gegen ihn selbst, den seine Unschuld und sein jetziges Amt deckten, ihren Angriff 374 nicht richten konnten, so wandten sie ihren Zorn gegen den Cajus Sempronius, den Vaterbrudersohn des AulusDa beide, sowohl C. Sempronius als Aulus, den Zunamen Atratinus haben, so ist es mir unwahrscheinlich, daß Livius hier, wo es nicht gleichgültig ist, den Letztern durch den Namen Atratinus ohne weiteres Merkmal unterscheiden sollte. Da aber in vielen Handschriften der Name Atratinus an dieser Stelle in Atracinius und Attracinus verlängert wird, auch das A. als Vorname wegen des ersten A in Atratinus so leicht wegfallen konnte, so lese ich A. Atratini: und ohnehin liest man in vielen Ausgaben: A. Sempronii statt Atratini. Atratinus, und ließen ihn wegen des im Volskerkriege erlittenen Schimpfes vor Gericht fordern, wozu ihr Amtsgenoß, Marcus Canulejus die Hand bot. Unmittelbar darauf brachten eben diese Tribunen im Senate die Landvertheilungen zur Sprache, einen Vorschlag, dem sich Cajus Sempronius immer sehr heftig widersetzt hatte; weil sie sehr richtig vermutheten, er werde entweder, wenn er diese Sache fallen ließe, den Vätern als Beklagter weniger werth sein, oder, wenn er dabei beharrete, sich gerade gegen die Zeit seines Verhörs bei den Bürgern verhaßt machen. Er wollte lieber dem Hasse, den er vor Augen sah, sich preisgeben, und seiner eignen Sache schaden, als die des Stats im Stiche lassen, und blieb bei seiner Erklärung: «Man müsse die Schenkung nicht zu Stande kommen lassen, von der nur die drei Tribunen den Dank ernten würden. Und selbst hierin sei es nicht auf Ländereien für den Bürgerstand, sondern auf Haß gegen ihn abgesehen. Theils wollte er selbst diesen Sturm mit festem Muthe über sich ergehen lassen; theils müsse weder er, als Mitbürger, noch irgend ein Andrer, dem Senate so wichtig sein, daß man, um eines Einzigen zu schonen, ein Statsübel zulasse.» Da er, als der Tag erschien, mit eben so wenig gebeugtem Muthe seine Sache führte, und die Väter vergebens Alles aufgeboten hatten, den Bürgerstand zu besänftigen, so verdammte man ihn zu einer Strafe von funfzehn tausend Ass467 Gulden Conv.M..

In eben dem Jahre mußte sich eine Vestalinn, Postumia, gegen die Anklage der Unkeuschheit verantworten, 375 die auch mit Unrecht beschuldigt war, allein durch ihr zu nettes Äußeres und ein muntreres Wesen, als einer Jungfrau anständig ist, dem Argwohne Gelegenheit gab. Es wurde ihr ein zweiter Gerichtstag zugestanden, und als sie freigesprochen war, empfahl ihr der Hohepriester im Namen seines Gesamtamtes, der Lustigkeit sich zu entäußern und sich lieber ehrwürdig, als geschmackvoll zu kleiden.

Auch wurde in diesem Jahre die Stadt Cumä, welche damals den Griechen gehörte, von den Campanern erobert. Das folgende Jahr hatte Kriegstribunen mit consularischer Gewalt; den Agrippa Menenius Lanatus, Publius Lucretius Tricipitinus, Spurius Nautius Rutilus.

45. Das günstige Geschick des Römischen Volkes gab diesem Jahre seine Merkwürdigkeit mehr durch eine große Gefahr, als durch ein großes Unglück. Die Sklaven verschworen sich, die Stadt in verschiedenen Gegenden in Brand zu stecken, und während das Volk allenthalben mit Rettung der Häuser beschäftigt sei, bewaffnet die Burg und das Capitol zu erobern. Der verruchte Anschlag wurde vom Jupiter abgewandt: auf die Anzeige Zweier wurden die Schuldigen ergriffen und litten ihre Strafe. Von den Anzeigern bekam jeder zehntausend Ass schweres Erzes aus der Schatzkammer gezahlt, welche damals für Reichthum galten300 Gulden Conv.M., und die Freiheit zur Belohnung.

Nun fingen die Äquer an, sich wieder zum Kriege zu rüsten, und man erfuhr in Rom aus sichern Quellen, daß die Lavicaner, als neue Feinde, mit jenen alten gemeinschaftliche Sache machten. Der Angriffe von den Äquern war man schon so gewohnt, als gehörten sie zum Jahreswechsel. Nach Lavici aber wurden Gesandte geschickt, und weil aus der zweideutigen Antwort, welche diese zurückbrachten, sich ergab, daß sie sich zwar jetzt noch nicht zum Kriege anschickten, daß aber auch der Friede nicht von Bestand sein werde, so gab man den Tusculanern den Auftrag, auf jede neue Bewegung zu Lavici aufmerksam zu seyn.

376 Kaum hatten die consularischen Kriegstribunen des folgenden Jahrs ihr Amt angetreten, – diese waren Lucius Sergius Fidenas, Marcus Papirius Mugillanus, Cajus Servilius, ein Sohn des Priscus, der als Dictator Fidenä erobert hatte, – so fanden sich bei ihnen Gesandte von Tusculum ein. Sie meldeten, die Lavicaner hätten die Waffen ergriffen, und, nachdem sie, mit dem Heere der Äquer in Verbindung, das Tusculanische verheert hätten, sich auf dem Algidus gelagert. Nun wurde den Lavicanern der Krieg angekündigt: als aber der Senat beschloß, daß zwei von den Tribunen zu Felde ziehen, und Einer die Angelegenheiten Roms besorgen sollte, so erhob sich zwischen diesen Tribunen ein unerwarteter Streit. Jeder hielt sich für den würdigern Feldherrn, und suchte der Stadtpflege, als einem undankbaren und unrühmlichen Geschäfte, auszuweichen. Als die Väter dem unanständigen Streite zwischen Amtsgenossen mit Befremdung zusahen, so sprach Quintus Servilius: «Weil ihr denn so wenig für diesen Stand, als für das allgemeine Beste einige Achtung fühlt, so soll das väterliche Ansehen den nichtswürdigen Streit entscheiden. Mein Sohn soll, ohne zu losen, die Stadt behalten. Mögen die, die auf die Führung des Krieges gesteuert sind, sie mit mehr Überlegung und Eintracht verwalten, als sie danach ringen!»

46. Man fand für gut, die Werbung nicht auf das ganze Volk ohne Unterschied auszudehnen: das Los mußte zehn Bezirke bestimmen, und die aus diesen aufgezeichneten Dienstfähigen wurden von den zwei Tribunen in den Krieg geführt. Den Streit, der unter ihnen schon in der Stadt begann, entflammte dieselbe Lust zu befehlen, im Lager noch weit heftiger. In keinem Stücke waren sie eins; Jeder verfocht seine Meinung; nur seine Anschläge, nur seine Befehle sollten gültig sein: er verachtete den Andern und wurde wieder von ihm verachtet; bis endlich auf die Rüge der Unterfeldherren ein Vergleich bewirkt wurde, daß Jeder einen Tag um den andern den Oberbefehl haben sollte. Als man dies in Rom erfuhr, soll Quintus Servilius, durch Alter und Erfahrung belehrt, die 377 unsterblichen Götter gebeten haben, sie möchten diesen Zwist der Tribunen dem State nicht noch nachtheiliger werden lassen, als jener bei Veji gewesen sei; und, gleich als sei ein bevorstehendes Unglück außer Zweifel, soll er bei seinem Sohne darauf gedrungen haben, Truppen zu werben und auf Bewaffnung zu denken. Und seine Prophezeihung wurde erfüllt. Denn unter der Anführung des Lucius Sergius, der an diesem Tage den Oberbefehl hatte, wurden die Römer in einer nachtheiligen Stellung, dicht unter dem feindlichen Lager, – wohin sie die thörichte Hoffnung, es zu erobern, gelockt hatte, weil sich der Feind in verstellter Furcht bis an seinen Wall zurückzog, – in einem plötzlichen Angriffe der Äquer durch das rücklings abhängige Thal zurückgeworfen, und in diesem, mehr einem Zusammensturze als einer Flucht ähnlichen Gewühle eine Menge zertreten und niedergehauen. Auch ihr Lager, das sie an diesem Tage mit Mühe behaupteten, verloren sie am folgenden, als es großentheils schon vom Feinde umschlossen war, durch eine schimpfliche Flucht aus dem Hinterthore. Die Anführer und Unterfeldherren und der die Fahnen deckende Kern des Heers flüchteten nach Tusculum. Die Andern, die zerstreut im Lande umherschweiften, eilten auf mancherlei Wegen mit der Nachricht von einer größern Niederlage, als sie wirklich erlitten hatten, nach Rom.

Man gerieth hier weniger in Verlegenheit, weil der Erfolg gerade der war, den man befürchtet hatte, und vom Kriegstribun die Vorkehrungen, an die man in der Noth sich halten konnte, schon getroffen waren. Nachdem er ferner durch die Unterobrigkeiten den Auflauf in der Stadt gestillt hatte, wurden auf seinen Befehl eilends Kundschafter ausgeschickt, welche mit der Nachricht zurückkamen, das Heer sei mit seinen Feldherren zu Tusculum, und der Feind mit seinem Lager nicht weiter gerückt. Was ihnen aber am meisten Muth machte, war dies, daß vermöge eines Senatsschlusses Quintus Servilius Priscus zum Dictator ernannt wurde, ein Mann, dessen Seherblick in Statssachen die Bürger zwar schon in manchen früheren 378 Stürmen kennen gelernt hatten, vorzüglich aber jetzt durch den Ausgang dieses Krieges, weil er allein von dem Zwiste der Tribunen, noch von dem schlechten Erfolge, sich nichts Gutes versah. Nachdem er den Kriegstribun, von dem er selbst zum Dictator ernannt war, seinen Sohn, zum Magister Equitum erklärt hatte; – dies berichten Einige: denn Andre schreiben, Servilius Ahala sei in diesem Jahre Magister Equitum gewesen – rückte er mit dem neuen Heere zum Kriege aus, zog die zu Tusculum befindlichen an sich und schlug zweitausend Schritte vom Feinde sein Lager auf.


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