Titus Livius
Römische Geschichte
Titus Livius

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517 Neun und zwanzigstes Buch.

1. Nach seiner Ankunft in Sicilien brachte Scipio die Freiwilligen in Abtheilungen und Centurien, behielt aber dreihundert von ihnen, die sich durch Jugendblüte und Körperkraft auszeichneten, unbewaffnet um sich, ohne daß sie wußten, zu welchem Zwecke sie ohne Anstellung und Waffen blieben. Darauf hob er aus den sämtlichen dienstfähigen Sicilianern dreihundert der vornehmsten und begütertsten Ritter aus, als sollten sie mit ihm nach Africa übergehen, und machte ihnen den Tag bekannt, auf den sie beritten und gewaffnet in völliger Rüstung sich stellen sollten. Dieser nicht leichte Dienst, so weit von Hause, ließ sie vielen Beschwerden und großen Gefahren zu Lande und zu Wasser entgegensehen, und machte nicht bloß ihnen selbst, sondern auch ihren Ältern und Verwandten das Herz schwer. Als der bestimmte Tag erschien, zeigten sie Waffen und Pferde auf. Da äußerte Scipio, «Es sei ihm wiedergesagt, daß einige Sicilianische Ritter gegen diesen Dienst, als sei er beschwerlich und hart, eine Abneigung hätten. Er wünsche, daß diejenigen, welche so dächten, ihm dies lieber gleich jetzt geständen, als daß sie nachher unter Klagen, nur mit Unlust und ohne Nutzen für den Stat, Soldaten wären. Sie möchten ihre Meinung von sich sagen, er wolle sie, ohne es ihnen übel zu nehmen, anhören.» Da nun Einer von ihnen sich den Muth nahm, zu gestehen: «Er wolle wirklich, wenn ihm von beiden die Wahl gelassen werde, lieber nicht dienen,» so sprach Scipio: «Weil du so offen heraussagst, junger Mann, wie du hierüber denkst, so will ich dir einen Stellvertreter ausmitteln, an den du Waffen und Pferd und die übrigen Erfordernisse des Feldzuges 518 abliefern, ihn gleich von hier mit dir nach Hause nehmen, üben und für seinen Unterricht im Reiten und Fechten sorgen kannst.» Mit Freuden nahm dieser den Vorschlag an, und Scipio übergab ihm Einen von den Dreihunderten, die er ohne Waffen gelassen hatte. Als die Übrigen sahen, daß dieser, ohne den Feldherrn zu beleidigen, seinen Abschied erhalten hatte, so brachte Jeder seine Gründe vor und ließ sich einen Stellvertreter geben. So traten, ohne Kosten für den Stat, statt der Sicilianer dreihundert Römer als Reuter ein. Die Sorge für ihre Unterweisung und Übung hatten die Sicilianer, weil der Feldherr den Befehl ergehen ließ, wer das nicht thäte, sollte selbst dienen. Dies soll ein ausgezeichnetes Reutergeschwader geworden und in vielen Treffen dem State von Nutzen gewesen sein.

Als er dann die Legionen musterte, hob er aus ihnen die Soldaten von den meisten Dienstjahren aus, vorzüglich solche, die unter dem Marcellus gedient hatten: von ihnen versprach er sich nicht allein die beste Zucht, sondern auch, wegen der langen Einschließung von Syracus, im Sturme auf Städte die meiste Erfahrenheit: denn er hatte nichts Kleines, sondern schon jetzt die Eroberung Carthago's im Sinne. Nun vertheilte er sein Heer in die Städte, ließ sich Getreide von den Sicilianischen Staten liefern und sparte das aus Italien mitgebrachte: die alten Schiffe ließ er ausbessern und den Cajus Lälius mit diesen nach Africa auf Beute ausgehen; die neuen brachte er bei Panormus auf den Strand, um sie auf dem Trocknen überwintern zu lassen, weil sie in der Eile aus grünem Holze gezimmert waren. Nach allen Vorkehrungen zum Feldzuge ging er nach Syracus, das nach so großen Stürmen des Krieges noch nicht völlig beruhigt war. Von mehreren gebornen Italern forderten die Griechen die Rückgabe ihres vom Senate ihnen zugesprochenen Eigenthums, das aber diese eben so gewaltthätig, als sie es im Kriege genommen hatten, an sich behielten. Da er es für seine wichtigste Pflicht hielt, das Wort des Stats gültig zu erhalten, so gab er, theils durch allgemeinen Befehl, theils durch ergangenen Rechtsspruch gegen die in der 519 Behauptung ihres Unrechts Hartnäckigen, den Syracusanern das Ihrige wieder. Nicht sie allein wußten ihm dies Verfahren Dank, sondern alle Volker Siciliens, und so viel eifriger unterstützten sie ihn in seinen Anstalten zum Kriege.

Während dieses Sommers brach in Spanien ein heftiger Krieg aus, welchen der Ilerget Indibilis aus keiner andern Veranlassung erregte, als weil bei ihm die Bewunderung des Scipio in eine Verachtung der andern Feldherren übergegangen war. Er bildete sich ein, «Da Hannibal die übrigen Römischen Feldherren erlegt habe, so sei Jener noch der eine Lebende. Darum hätten auch die Römer, als die beiden Scipione in Spanien gefallen wären, keinen Andern schicken können; und sobald sie der Krieg in Italien ernstlicher bedrängt habe, hätten sie ihn auf den Platz gegen den Hannibal abgerufen. Außerdem daß die Römer nur noch dem Namen nach Feldherren in Spanien hätten, sei ja auch das alte Heer von hier abgeführt. Alles sei, wie bei einem ungebildeten Haufen von Neugeworbeuen, in Verwirrung. Nie werde es eine so günstige Gelegenheit zur Befreiung Spaniens wieder geben. Bis dahin sei man entweder den Carthagern, oder den Römern dienstbar gewesen, und nicht den einen, oder den andern wechselsweise, sondern zuweilen beiden zugleich. Von den Römern wären die Carthager vertrieben; von den Spaniern, wenn sie eins wären, könnten nun die Römer vertrieben werden; so daß Spanien, von aller auswärtigen Herrschaft frei, auf ewig zu seinen vaterländischen Sitten und Gebräuchen zurückkehrte.» Durch diese und andere Vorstellungen wiegelte er nicht bloß seine Unterthanen, sondern auch seine Nachbaren, die Ausetaner auf, und noch andere ihm und ihnen nahe wohnenden Völker. In wenig Tagen also stellten sich dreißigtausend Mann zu Fuß, beinahe viertausend zu Pferde im Sedetanischen Gebiete ein, wohin sie beschieden waren.

2. Auch die Römischen Feldherren, Lucius Lentulus und Lucius Manlius Acidinus, welche ebenfalls ihre Heere vereinigten, um nicht den Krieg, wenn sie ihn im Entstehen vernachlässigten, weiter um sich greifen zu 520 lassen, kamen durch das Ausetanische, wo sie auf feindlichem Boden ihre Truppen mit einer Schonung, wie in Freundeslande, durchführten, zu dem Standorte der Feinde. Dreitausend Schritte weit von dem Lager derselben schlugen sie das ihrige auf. Anfangs suchten sie, aber vergeblich, durch Gesandte sie zu bewegen, von den Waffen abzutreten. Nachher, als die Römischen Futterholer unerwartet von Spanischer Reuterei angegriffen wurden, kam es zwischen den Reutereien, weil die Römer auch von ihrem Posten die ihrige nachrücken ließen, zu einem Treffen, das für beide Theile ganz ohne denkwürdigen Erfolg war.

Am andern Tage bei Sonnenaufgang zeigten sich die Feinde beinahe tausend Schritte weit vom Römischen Lager in gewaffneter und schlagfertiger Linie. In der Mitte standen die Ausetaner; den rechten Flügel hatten die Ilergeten besetzt, minder bekannte Völker Spaniens den linken. Zwischen den Flügeln und ihrem Mitteltreffen hatten sie ziemlich weite Zwischenräume gemacht, um durch diese, wann es Zeit sein würde, die Reuterei hervorbrechen zu lassen. Die Römer, die ihrem Heere die gewöhnliche Stellung gaben, ahmten nur darin den Feinden nach, daß sie zwischen den Legionen ebenfalls der Reuterei offene Wege ließen. Da aber nach des Lentulus Urtheile nur die Partei von der Reuterei Gebrauch machen konnte, welche die ihrige zuerst in die durch jene Zwischenräume geöffnete feindliche Linie einbrechen ließ, so gab er dem Obersten Servius Cornelius den Befehl, auf den in der feindlichen Linie sich öffnenden Wegen die Reuterei hineinsprengen zu lassen. Er selbst verweilte, da der Anfang der Schlacht für sein Fußvolk nicht ganz glücklich war, nur so lange, bis er zur Unterstützung der weichenden zwölften Legion, welche am linken Flügel gegen die Ilergeten aufgestellt war, die dreizehnte Legion vom Hintertreffen vorgeführt hatte; kam dann, sobald das Gefecht hier wieder im Gleichgewichte stand, zum Lucius Manlius, der die Vorderlinie ermunterte und, wo es nöthig war, Verstärkungen nachrücken ließ, und meldete ihm, der linke Flügel sei gedeckt und er habe schon den Servius Cornelius abgehen lassen, der die Feinde mit der einstürmenden Reuterei umströmen solle. Kaum hatte er die Worte gesprochen, als die mitten in die Feinde eingebrochene Römische Reuterei zugleich die Linie des Fußvolks zusammenwarf, und zugleich der Spanischen Reuterei den Weg, mit ihren Pferden einzudringen, versperrte. Die Spanier, die das Gefecht zu Pferde aufgeben mußten, saßen ab, um zu Fuß zu fechten. Sobald die Römischen Feldherren die Zerrüttung in den feindlichen Gliedern, ihre Verlegenheit und Bestürzung, und die Haufen in schwankender Haltung sahen, ermunterten und baten sie ihre Soldaten, auf die Fassungslosen einzugehen und das Treffen nicht wieder herstellen zu lassen. Und diesen so nachdrücklichen Angriff würden die Barbaren nicht ausgehalten haben, wenn nicht Fürst Indibilis selbst mit seinen abgestiegenen Rittern sich der ersten Linie seines Fußvolks vorgebreitet hätte. Hier behauptete sich der Kampf eine ganze Zeitlang mit Heftigkeit. Als endlich auch die, die um den König fochten, der halblebend noch Stand hielt, dann aber mit einem Wurfpfeile am Boden festgeboret ward, von Pfeilen überdeckt hinsanken, da begann auf verschiedenen Punkten die Flucht, und sehr Viele wurden niedergehauen, weil die Reuterei nicht dazukommen konnte, ihre Pferde zu besteigen, und weil die Römer den Geschreckten mit Hitze nachsetzten. Und sie ließen nicht eher ab, bis sie dem Feinde auch das Lager genommen hatten. Dreizehntausend Spanier wurden an dem Tage niedergehauen, beinahe achthundert gefangen genommen. Von den Römern und ihren Bundestruppen fielen etwas über zweihundert, hauptsächlich auf dem linken Flügel. Die zu ihrem Lager hinausgeschlagenen oder dem Treffen entronnen Spanier verliefen sich anfangs in die Dörfer, dann gingen sie; Jeder in seine Stadt, zurück.

3. Als sie nun Mandonius zu einer Versammlung beschieden und sie sich hier über ihr Unglück beklagt hatten, faßten sie unter Schmähungen gegen die Stifter des Krieges den Schluß ab, sich durch Gesandte zur Ablieferung der Waffen und zum Abschlusse einer Übergabe zu 522 erbieten. Ob diese gleich alle Schuld dem Indibilis, als Urheber des Krieges, und den übrigen Großen beilegten, welche meistentheils in der Schlacht gefallen waren, auch die Ablieferung der Waffen und die Übergabe antrugen, so erhielten sie doch zur Antwort: «Die Übergabe werde nur angenommen, wenn sie den Mandonius und die übrigen Aufwiegeler zum Kriege lebendig auslieferten. Wo nicht, so werde man mit beiden Heeren den Ilergeten, Ausetanern und so der Reihe nach den übrigen Völkern ins Land rücken.» Dies war der Bescheid, den die Gesandten bekamen und der Versammlung überbrachten. Da wurden Mandonius und die übrigen Häupter festgenommen und zur Hinrichtung ausgeliefert. Spaniens Völkern gab man den Frieden, befahl ihnen für dieses Jahr den doppelten Sold, Getreide auf sechs Monate und dem Heere Kriegsröcke und Oberkleider zu liefern, und ließ sich von beinahe dreißig Völkerschaften Geisel geben. Da auf diese Art Spaniens Aufwallung zum Kriege ohne große Erschütterung innerhalb weniger Tage zum Ausbruche und zum Ende gekommen war, so wandte sich nun der ganze Schrecken des Angriffs auf Africa.

Cajus Lälius, der in der Nacht bei Hippo Regius landete, führte mit dem frühen Morgen seine Soldaten und Seeleute in Reih und Glied zur Verheerung der Gegend aus. Da hier Alle wie im Frieden in voller Sorglosigkeit lebten, so litten sie desto größeren Verlust; und Eilboten erfüllten Carthago mit der fürchterlichen Nachricht, eine Römische Flotte sei angekommen und Scipio als Oberbefehlshaber: denn seinen Übergang nach Sicilien hatte das Gerücht schon verkündigt. Und weil sie nicht mit Gewißheit erfahren konnten, wie viele Schiffe jene gesehen hätten, noch, wie stark die Mannschaft sei, die im Lande plündere; so dachten sie sich Alles, da die Furcht es vergrößerte, weit schlimmer. Also bemächtigte sich ihrer anfangs Schrecken und Bestürzung; dann aber Betrübniß, «weil das Glück sich so geändert habe, daß eben sie, die sie noch jüngst als Sieger ihr Heer vor Roms Mauern stehen gehabt, und nach Erlegung so vieler feindlichen Heere alle Völker Italiens 523 zur gezwungenen oder willigen Unterwerfung gebracht hätten, jetzt auf der Kehrseite des Kriegsglücks Africa's Verheerungen und Carthago's Einschließung vor Augen haben sollten; sie, zur Ertragung dieser Übel durchaus ohne jene Kraft, welche die Römer gezeigt hätten. Jenen habe der Römische Bürgerstand, habe Latium die Mannschaft dargeboten, die in die Stelle so vieler niedergehauenen Heere immer stärker und zahlreicher nachgewachsen sei. Ihr Bürgerstand bestehe aus unkriegerischen Städtern, aus unkriegerischen Landleuten. Für Bezahlung müßten sie sich Hülfstruppen von den Africanern schaffen, einem Volke, das bei jedem lockenden Lüftchen von Hoffnung wankend und treulos sei. Schon seien die Könige, Syphax nach der Unterredung mit Scipio von ihnen abgewandt, Masinissa durch offenbaren Abfall ihr erbitterter Feind. Nirgend sei noch einige Hoffnung, nirgend einige Hülfe. Mago bewirke weder von Gallien aus die mindeste Bewegung, noch stoße er zum Hannibal; und selbst beim Hannibal sei Ruhm und Kraft schon im Welken.»

4. Von diesen Klagen, zu welchen sie bei der eben angekommenen Nachricht herabsanken, rief sie bald der dringende Schrecken wieder ab zu der Berathschlagung, wie sie den Gefahren des Augenblicks begegnen sollten. Sie beschlossen, Aushebungen in der Stadt und auf dem Lande zu beschleunigen, Africaner durch Abgeschickte in Sold zu nehmen, die Stadt haltbar zu machen, Getreide anzufahren, Geschosse und Waffen zu fertigen, Schiffe auszurüsten und sie nach Hippo der Römischen Flotte entgegengehen zu lassen. Schon waren sie hiermit beschäftigt, als endlich die Nachricht kam, Lälius, nicht Scipio, sei herübergekommen, und nur so viele Truppen, als zu einem Streifzuge auf dem Lande hinreichten; der Hauptsitz des Krieges sei noch in Sicilien. Da schöpften sie wieder freier Athem und ließen Gesandschaften an Syphax und andre Fürsten abgehen, die Verbindungen mit ihnen zu sichern. Auch schickten sie Abgeordnete an Philipp, und ließen ihm zweihundert Talente Silber versprechen, 524 wenn er nach Sicilien oder nach Italien überginge. Und ihren beiden Feldherren in Italien ließen sie sagen, sie müßten durch jede drohende Vorkehrung den Scipio festhalten. An den Mago gingen nicht allein Gesandte ab, sondern auch fünfundzwanzig Linienschiffe, sechstausend Mann Fußvolk, achthundert Reuter, sieben Elephanten und noch eine große Summe Geldes für anzuwerbende Hülfsvölker, um stark genug zu sein, sein Heer näher gegen Rom zu führen und sich mit Hannibal zu vereinigen. So rüstete und beeilte man sich zu Carthago.

Bei dem Lälius, der von einem unbewehrten und ungeschützten Lande eine Menge Beute zusammentrieb, erschien, durch das Gerücht einer Römischen Flotte herbeigerufen, Masinissa mit einer kleinen Anzahl Reuter. Er beschwerte sich über Scipio's Langsamkeit, «daß er nicht schon jetzt mit dem Heere nach Africa herübergekommen sei, während die Carthager noch in Bestürzung wären, und Syphax, außer seiner Behinderung durch Kriege mit den Nachbaren, noch als der Unentschiedener still säße. Lasse man diesem Zeit, seine Angelegenheiten nach Wunsch in Ordnung zu bringen, so werde nie ächtes Wohlwollen gegen Rom seine Schritte leiten. Lälius müsse den Scipio auffordern und antreiben, zu eilen. Er selbst, obgleich aus seinem Reiche vertrieben, werde mit einer nicht unbedeutenden Mannschaft an Fußvolk und Reuterei sich einstellen. Auch Lälius selbst dürfe sich in Africa nicht aufhalten: er glaube, es sei schon von Carthago eine Flotte abgegangen; und sich mit dieser in Abwesenheit des Scipio in ein Gefecht einzulassen, sei bedenklich.»

5. Lälius, der den Masinissa nach dieser Unterredung entließ, segelte am folgenden Tage mit schweren Ladungen von Beute von Hippo ab, und legte bei seiner Rückkunft nach Sicilien dem Scipio die Aufträge des Masinissa vor. Fast in eben diesen Tagen landeten die von Carthago an den Mago abgegangenen Schiffe zwischen dem Lande der Albingauner, eines Ligurischen Volks, und Genua. In dieser Gegend hatte Mago gerade 525 damals seine Flotte stehen: und nach Anhörung der Gesandten, welche ihn so große Truppenmassen, als möglich, aufbringen hießen, hielt er sogleich eine Versammlung der Gallier und Ligurier – denn es befand sich hier aus beiden Völkern eine große Menschenmenge – und sagte ihnen: «Schon er sei ausgesandt, sie in Freiheit zu setzen, und jetzt würden ihm, wie sie selbst sähen, Verstärkungen nachgeschickt: allein wie stark die Anstrengungen, wie groß die Heere sein sollten, mit welchen man diesen Krieg führen wolle, dies hänge von ihnen ab. Zwei Römische Heere ständen, das eine in Gallien, das andre in Hetrurien. Er wisse gewiß, daß sich Spurius Lucretius mit dem Marcus Livius vereinigen werde. Auch sie müßten viele Tausende bewaffnen, um zwei Römischen Feldherren und zwei Heeren widerstehen zu können.» Die Gallier versicherten: «An der höchsten Bereitwilligkeit fehle es ihnen hierzu nicht; allein da sie das eine Römische Heer in ihrem Lande, das andre im benachbarten Hetrurien beinahe vor Augen hätten, so würden ihnen, sobald es bekannt würde, daß sie den Puniern Hülfstruppen gäben, von beiden Seiten jene Heere als Feinde ins Land rücken. Von den Galliern müsse er solche Unterstützungen fordern, die sie ihm in der Stille zufließen lassen könnten. Die Ligurier hingegen hätten, da das Römische Lager von ihrem Lande und ihren Städten weit genug entfernt sei, freie Hand. Diesen könne man es zumuthen, daß sie ihre Dienstfähigen bewaffneten und als kriegführender Theil das Ihrige thäten.» Die Ligurier weigerten sich dessen nicht, nur baten sie sich für die anzustellenden Werbungen die Zeit von zwei Monaten aus. Unterdeß sammelte Mago, der die Gallier hatte nach Hause gehen lassen, heimlich in ihren Dörfern Truppen für Sold; auch lieferten ihm die Gallischen Völker insgeheim Zufuhr aller Art. Marcus Livius führte das Heer von Freiwilligen aus dem Sklavenstande aus Hetrurien nach Gallien hinüber, und nachdem er sich mit dem Lucretius vereinigt hatte, machte er sich darauf gefaßt, wenn sich Mago aus Ligurien 526 näher gegen Rom wenden sollte, ihm entgegen zu gehen; wenn sich aber der Punische Feldherr ruhig auf den Fuß seiner Alpenecke beschränkte, so wollte auch er auf seinem Platze bei Ariminum zum Schutze Italiens stehen bleiben.

6. Da nach der Rückkehr des Cajus Lälius aus Africa nicht bloß die Aufforderungen des Masinissa den Scipio spornten, sondern auch die Soldaten durch den Anblick, daß eine ganze Flotte Beute von Feindes Lande auslud, darauf erpicht wurden, baldmöglichst hinüberzugehen; so trat zwischen die Ausführung des größeren Zwecks ein kleinerer, der, die Stadt Locri wieder zu erobern, welche um die Zeit des Abfalls von Italien eben so auf Punische Seite getreten war. Die Hoffnung, sich auf diese Unternehmung einlassen zu können, leuchtete aus einer Kleinigkeit auf. Im Bruttischen nahm das Ganze mehr den Gang einer Straßenräuberei, als eines ordentlichen Krieges. Die Numider hatten hierin den Ton angegeben, und die Bruttier eben so sehr aus eigner Neigung, als durch ihre Verbindung mit den Puniern, sich in diese Sitte gefügt. Zuletzt machten auch die Römer, als wären sie von dieser Lust am Raube angesteckt, so viel sie vor ihren Feldherren durften, Streifereien in die feindlichen Dörfer. Einige Locrenser, die sich aus der Stadt wagten, waren von ihnen übermannt und nach Rhegium fortgeschleppt. Unter diesen Gefangenen befanden sich auch Zimmerleute, zufällig einige von denen, welche bei den Puniern auf der Burg zu Locri gegen Bezahlung zu arbeiten pflegten. Da sie von den vornehmen Locrensern, welche sich damals, als ihre Gegenpartei Locri dem Hannibal übergab, als Flüchtlinge nach Rhegium begeben hatten, jetzt erkannt wurden, und ihnen auf die nach langer Abwesenheit gewöhnliche Frage: «Wie es zu Hause stehe,» – über Alles Auskunft gegeben hatten; so machten sie diesen Hoffnung, wenn man sie auswechseln und zurückschicken wolle, so wollten sie ihnen die Burg übergeben; sie wohnten da und hätten in allen Stücken das Zutrauen der Carthager. Die Vertriebenen, bei 527 ihrer peinigenden Sehnsucht nach der Vaterstadt, und zugleich brennend vor Begierde nach Rache an ihren Feinden, sobald sie mit jenen über den Plan der Ausführung und die Zeichen eins waren, welche sie aus der Ferne erwarten müßten, hatten sie sogleich losgekauft und zurückgehen lassen; und da sie selbst durch eine Reise zum Scipio nach Syracus, wo er einen Theil ihrer Mitvertriebenen bei sich hatte, dem Consul die Versprechungen der Gefangenen hinterbrachten, so gab er ihnen, weil sich von den Hoffnungen, die sie ihm machten, ein Erfolg versprechen ließ, die Obersten Marcus Sergius und Publius Matienus mit, befahl diesen, von Rhegium dreitausend Mann nach Locri mitzunehmen, und der Proprätor Quintus Pleminius wurde schriftlich angewiesen, die Ausführung zu unterstützen.

Die von Rhegium ausgerückten Truppen, mit Leitern versehen, die nach der angegebenen Höhe der Burg gemacht waren, gaben etwa gegen Mitternacht von der verabredeten Stelle aus, den Verräthern der Burg das Zeichen. Da diese, schon bereit und aufmerkend, eben so zu diesem Zwecke gefertigte Leitern herunterließen und an mehrern Orten zugleich die Hinaufsteigenden in Empfang nahmen, so wurden, ehe sich noch ein Geschrei erhob, die Punischen Wachen – hatten sie doch nichts dergleichen fürchten können – im Schlafe überfallen. Zuerst hörte man diese im Tode winseln; dann ein plötzliches Aufstürzen Mehrerer vom Schlafe und Getümmel, ohne die Veranlassung zu wissen; zuletzt, da die Ersten wieder Andre weckten, die hervorgehende Wahrheit. Schon rief Einer wie der Andre: «Zu den Waffen! die Feinde sind in der Burg! die Wachen werden niedergehauen!» und die Römer, an Zahl bei weitem die Schwächeren, würden übermannt sein, wenn nicht das von denen, die noch nicht in der Burg waren, erhobene Geschrei, bei dem nächtlichen jede Unwichtigkeit vergrößernden Getümmel, die Punier in der Ungewißheit gelassen hätte, von wem es komme. Als wäre die ganze Burg schon voll Feinde, flohen sie im Schrecken, ohne 528 weiteren Kampf auf die andre Burg: denn Locri hat deren zwei von geringer Entfernung. Die Stadt, zwischen den Siegern zum Preise aufgestellt, hatten die Bürger. Aus beiden Schlössern wurden täglich kleine Gefechte geliefert. Befehlshaber der Römischen Besatzung war Quintus Pleminius, der Punischen ein Hamilcar; und beide verstärkten sich durch aus der Nähe hereingezogene Truppen. Zuletzt kam Hannibal selbst: und die Römer würden sich nicht gehalten haben, wäre nicht die Volksmenge zu Locri, aus Erbitterung über die Härte und Raubsucht der Punier, gut Römisch gewesen.

7. Als dem Scipio gemeldet wurde, die Sache bekomme zu Locri mehr Wichtigkeit, und Hannibal selbst sei im Anzuge, so ließ auch er, um nicht die Besatzung selbst aufs Spiel zu setzen, die sich nicht leicht von dort zurückziehen konnte, von Messana aus, welches er seinem Bruder Lucius Scipio zu decken überließ, sobald die Flut der Meerenge die günstige Strömung gab, sich mit seinen Schiffen vom Meere hinübertragen. Und Hannibal, der vom Flusse Butrotus – er fließt nicht weit von der Stadt Locri – den Seinigen voraus hineinsagen ließ, sie möchten mit Tagesanbruch das Gefecht gegen die Römer und Locrenser so nachdrücklich als möglich anfangen, während er selbst bei der allgemeinen Richtung auf jenes Getümmel die unbeachtete Stadt im Rücken angriffe; hatte für sich, als er das Gefecht mit dem Tage eröffnet fand, freilich keine Lust, sich in die Burg einzuschließen, wo er den engen Platz mit seiner Truppenmenge nur gestopft haben würde, hatte aber auch keine Leitern mitgebracht, die Stadtmauer ersteigen zu können. Als er nach Zusammenwerfung des Gepäcks auf Einen Haufen, seine Linie, um die Feinde zu schrecken, nicht weit von den Mauern aufgestellt hatte, umritt er die Stadt, um so lange, bis die Leitern und übrigen Sturmgeräthe fertig würden, zu untersuchen, wo er am vortheilhaftesten angreifen könne. Da aber beim Anrücken gegen die Mauer gerade der nächste Mann bei ihm von einer Armbrust getroffen wurde, so ließ er, abgeschreckt durch ein so mißliches Ungefähr, 529 zum Rückzuge blasen, und legte sein Lager außerhalb Schußweite an.

Die Römische Flotte von Messana fuhr bei Locri an, als noch einige Stunden vom Tage übrig waren. Alle Truppen wurden ausgeschifft und rückten noch vor Sonnenuntergange in die Stadt. Am folgenden Tage eröffneten die Punier von der Burg aus das Gefecht: und Hannibal, der nun die Leitern und alles Übrige zum Sturme fertig hatte, rückte gegen die Mauern an, als plötzlich, da er so etwas am allerwenigsten erwartete, aus einem geöffneten Thore die Römer gegen ihn herausbrachen. Bei diesem Angriffe tödteten sie der Überraschten gegen zweihundert. Mit den Übrigen zog sich Hannibal, der jetzt die Anwesenheit des Consuls merkte, in sein Lager zurück; und nachdem er denen auf der Burg hatte hineinsagen lassen, sie möchten sich selbst berathen, hob er in der Nacht sein Lager auf und zog ab. Die in der Burg steckten die Häuser, worin sie lagen, um den Feind durch diesen Lärm aufzuhalten, in Brand, und holten in fluchtähnlichem Laufe den Zug der Ihrigen noch vor Nacht wieder ein.

8. Als Scipio die Burg von den Feinden verlassen und das Lager leer sah, berief er die Locrenser zur Versammlung, machte ihnen wegen ihres Abfalls die bittersten Vorwürfe, belegte die Urheber mit der Todesstrafe, und überließ ihre Güter für die den Römern bewiesene vorzügliche Treue den Häuptern der Gegenpartei. «Den Locrensern,» sagte er, «als Stat betrachtet, gebe er so wenig etwas, als er ihnen nehme. Sie möchten Gesandte nach Rom schicken: ihr Schicksal werde künftig so sein, wie es der Senat gerecht fände. Das aber wisse er gewiß, daß sie, so schlecht sie sich auch um den Römischen Stat verdient gemacht hätten, doch unter den zürnenden Römern sich besser stehen würden, als unter den Carthagern, als Freunden.» Er ließ den Legaten Quintus Pleminius und das Kohr, welches die Burg erobert hatte, zur Bedeckung der Stadt zurück, und ging selbst mit den Truppen, mit welchen er gekommen war, nach Messana über.

530 Die Bürger von Locri waren nach ihrem Abfalle von Rom mit solcher Härte und Grausamkeit von den Carthagern behandelt, daß sie ein mäßiges Unrecht nicht allein gleichmüthig, sondern beinahe mit einer Art von Behagen erdulden konnten. Aber freilich thaten es Pleminius dem Befehlshaber Hamilcar und die Römischen Besatzungstruppen den Punischen an Frevelthaten und Raubsucht so weit zuvor, daß sie mit ihnen nicht in den Waffen, sondern in Lastern zu wetteifern schienen. Nichts von Allem, was dem Hülflosen das Übergewicht des Mächtigeren verhaßt machen kann, ließen weder der Anführer, noch die Soldaten, gegen die Bewohner unausgeübt: sie begingen gegen deren Personen, gegen ihre Kinder und Weiber unerhörte Mishandlungen. Und ihre Habsucht enthielt sich nicht einmal der Beraubung des Heiligen: sie vergriffen sich nicht allein an den übrigen Tempeln, sondern auch an den Schätzen der Proserpina, an welche sich noch nie eine Hand gewagt hatte, außer daß sie vom Pyrrhus geplündert sein sollten, der aber nicht ohne schwer zu büßen, die Beute seines Tempelraubes zurücklieferte. So wie also ehemals die königliche Flotte, durch Schiffbruch zertrümmert, nichts unversehrt ans Land brachte, als das heilige Geld der Göttinn, das sie geladen hatte; so ließ auch jetzt dasselbe Geld alle mit der Schuld dieses Tempelraubes Behafteten von einem andern Unglücke, von einer Raserei befallen, und hetzte sie, Führer gegen Führer, Soldaten gegen Soldaten in feindlicher Wuth auf einander.

9. Den Oberbefehl hatte Pleminius: von den Soldaten standen die, die er selbst von Rhegium mitgenommen hatte, unter ihm; die übrigen unter ihren Obersten. Einem Soldaten des Pleminius, der mit einem geraubten silbernen Becher aus einem Bürgerhause gelaufen kam, und den der Eigenthümer mit den Seinigen verfolgte, begegneten zufällig die Obersten Sergius und Matienus. Da ihm auf der Obersten Befehl der Becher abgenommen wurde, so kam es darüber zwischen den Soldaten des Pleminius und der Tribunen zum Zanken, Schreien und 531 endlich zum Gefechte, in welchem der Zulauf und der Lärmen immer größer wurde, so wie Jeder, seiner Partei willkommen, sich anschloß. Da die Soldaten des Pleminius als die Besiegten mit Geschrei und Erbitterung bei ihm zusammenliefen, Blut und Wunden aufzeigten, und ihm die Schmähungen wiedersagten, die man in dem Gezänke gegen ihn selbst ausgestoßen habe, so rannte er in vollem Zorne zum Hause hinaus, hieß die Obersten vorfordern und den Lictor sie entkleiden und peitschen. Weil es mehrere Zeit kostete, ihnen die Kleidung abzureißen, – denn sie widersetzten sich und riefen ihre Soldaten zur Hülfe auf – so stürzten diese, keck auf ihren eben erfochtenen Sieg, schleunig von allen Seiten herbei, nicht anders als riefe man sie zu den Waffen gegen den Feind zusammen. Kaum aber sahen sie ihre Obersten in Person durch Ruthenhiebe mishandeln, ja da fielen sie, zu einer noch weit zügelloseren Wuth entglühend, ohne Rücksicht, ich will nicht sagen auf seinen hohen Stand, sondern selbst auf alle Menschlichkeit, über den Unterfeldherrn her, nachdem sie zuerst seine Lictoren auf das schändlichste zugerichtet hatten. Dann behandelten sie ihn selbst, da sie ihn von seinen Leuten abgeschnitten und in ihrer Mitte hatten, auf das schmählichste, verstümmelten ihm Nase und Ohren und ließen ihn fast verblutet liegen.

Als Scipio, der auf die hievon zu Messana geschehene Anzeige wenige Tage nachher zu Locri auf einem Sechsruderer ankam, die Sache des Pleminius und der Obersten untersucht hatte, sprach er den Pleminius frei, ließ ihn hier den Oberbefehl behalten, erklärte aber die Tribunen für schuldig, ließ sie in Fesseln legen, um sie nach Rom an den Senat zu schicken, und ging nach Messana und von da nach Syracus zurück. Pleminius, der vor Zorn seiner selbst nicht mächtig sich einbildete, Scipio habe die ihm zugefügte Mishandlung übersehen und zu leicht genommen, und diesen Streit könne niemand würdigen, außer, wer die schreckliche Behandlung als leidender Theil gefühlt habe, ließ die Tribunen herbeischleppen, unter allen Martern, die nur einem Menschen 532 angethan werden können, sie hinrichten, und durch ihre Bestrafung im Leben noch nicht befriedigt, ihre Leichname unbeerdigt hinwerfen. Mit gleicher Grausamkeit verfuhr er gegen diejenigen Großen zu Locri, von denen er hörte, daß sie die Reise zum Publius Scipio gemacht hätten, sich über ihre Mishandlung zu beklagen; und hatte er die Bundsgenossen vorher aus Muthwillen und Raubsucht seine Unthaten fühlen lassen, so übte er diese jetzt aus Rache vielfach aus, und brachte nicht allein sich selbst in Schande und Haß, sondern auch seinen Feldherrn.

10. Schon nahete die Zeit der Wahlversammlungen, als ein zu Rom eingelaufener Brief des Consuls Publius Licinius meldete: «Er und sein Heer werde von einer schweren Krankheit heimgesucht: auch würde er nicht haben bestehen können, wenn nicht dies Übel eben so arg, oder noch heftiger, bei den Feinden ausgebrochen sei. Weil er also selbst zum Wahltage nicht kommen könne, so wolle er, wenn es den Vätern so gefällig sei, den Quintus Cäcilius Metellus zur Haltung des Wahltages zum Dictator ernennen. Man thue am besten, wenn man das Heer des Quintus Cäcilius entlasse: denn Einmal könne man jetzt von diesen Truppen keinen Gebrauch machen, da Hannibal sein Heer schon in die Winterquartiere zurückgezogen habe; und zum Andern wüthe die Krankheit in jenem Lager so heftig, daß er glaube, es werde von Allen, wenn man sie nicht früh genug aus einander gehen lasse, nicht Einer übrig bleiben.» Die Väter gaben dem Consul Vollmacht, hierin so zu verfahren, wie er es bei dem State und bei seinem Gewissen verantworten wolle.

Unerwartet sah sich jetzt die Bürgerschaft in Beziehung auf die Götter durch eine neue Sorge beunruhigt; weil sich in den Sibyllinischen Büchern, die man wegen des in diesem Jahre häufigen Steinregens nachgeschlagen hatte, der Spruch fand: «Wenn einmal ein auswärtiger Feind den Krieg in das Land Italien tragen sollte, so könne man ihn aus Italien vertreiben und besiegen, wenn man die Idäische Mutter von Pessinus nach Rom 533 bringen ließe.» Dieser von den Zehnherren des Gottesdienstes aufgefundene Spruch machte so viel größeren Eindruck auf die Väter, weil auch die Gesandten, welche das Geschenk nach Delphi gebracht hatten, berichteten, der Pythische Apollo habe ihnen nicht nur zum Opfer Segen verliehen, sondern ihnen sei auch vom Orakel die Prophezeihung gegeben: Das Römische Volk habe einen weit größeren Sieg zu erwarten, als den, von dessen Beute sie jetzt dies Geschenk brachten. Zur Summe dieser Hoffnungen rechneten sie auch Scipio's die Beendigung dieses Krieges gleichsam vorempfindenden Sinn, insofern er Africa zu seinem Wirkungsplatze verlangt habe. Um also des durch die Bücher des Schicksals, durch Ahnungen und Orakelsprüche sich ankündigenden Sieges so viel eher theilhaftig zu werden, dachten sie auf Mittel, die Göttinn nach Rom herüberzubringen.

11. Noch hatten die Römer in Asien keine verbündeten Staten. Allein in Erwägung dessen, daß sie auch ehemals bei einer im Volke herrschenden Seuche, aus Griechenland, mit dem sie noch in gar keiner Verbindung gestanden, den Äsculap geholt hatten; daß zu einer Freundschaft mit dem Könige Attalus, bei ihrem gemeinschaftlichen Kriege gegen Philipp, der Anfang schon gemacht sei, und daß er für das Römische Volk alles Mögliche thun werde, ernannten sie zu Abgeordneten an ihn den Marcus Valerius Lävinus, der zweimal Consul und in Griechenland Feldherr gewesen war, den Marcus Cäcilius Metellus, der schon die Prätur, den Servius Sulpicius Galba, der das Ädilenamt, und zwei, welche die Schatzmeisterstelle bekleidet hatten, den Cneus Tremellius Flaccus und Marcus Valerius Falto. Damit ihre Ankunft in jenen Gegenden, wo sie den Namen Roms in Achtung setzen sollten, der Würde des Römischen Volks entspräche, bestimmte man ihnen fünf Fünfruderer. Die nach Asien reisenden Gesandten landeten auf diesem Wege zu einem Gange nach Delphi, besuchten das Orakel und fragten an: Was für Hoffnung es ihnen und dem Römischen Volke zu Ausrichtung des Geschäftes mache, zu dem f 534 sie aus ihrer Heimat abgeschickt waren. Sie sollen zur Antwort bekommen haben: «Durch den König Attalus würden sie dessen, was sie beabsichtigten, gewährt werden. Wenn sie die Göttinn nach Rom gebracht hätten, möchten sie dafür sorgen, daß Roms rechtschaffenster Mann sie gastlich in Empfang nehme.» Sie langten zu Pergamus bei dem Könige an. Der König begleitete die sehr artig aufgenommenen Gesandten nach Pessinus in Phrygien, und übergab ihnen den heiligen Stein, der nach der Bewohner Aussage die Mutter der Götter war, zur Abführung nach Rom. Die Gesandten schickten den Marcus Valerius Falto mit der Nachricht voraus, die Göttinn werde gebracht, und man habe den rechtschaffensten Mann des States auszumitteln, welcher sie der Vorschrift gemäß gastlich in Empfang nehmen müsse.

Quintus Cäcilius Metellus wurde vom Consul im Bruttierlande für den Wahltag zum Dictator ernannt, und sein Heer entlassen: sein Magister Equitum war Lucius Veturius Philo. Die Wahlversammlungen wurden vom Dictator gehalten. Consuln wurden Marcus Cornelius Cethegus und Publius Sempronius Tuditanus, dieser in seiner Abwesenheit, da sein jetziger Standort Griechenland war. Darauf wurden zu Prätoren gewählt Tiberius Claudius Nero, Marcus Marcius Ralla, Lucius Scribonius Libo, Marcus Pomponius Matho. Nach vollendeter Wahl legte der Dictator sein Amt nieder. Die Römischen Spiele wurden dreimal, die Bürgerlichen siebenmal gegeben. Curulädilen waren die beiden Cornelius Lentulus, der eine mit Vornamen Cneus, der andre Lucius. Lucius, der seinen Standort in Spanien hatte, wurde abwesend gewählt, und bekleidete dies Amt abwesend. Bürgerädilen waren Tiberius Claudius Asellus. und Marcus Junius Pennus. In diesem Jahre weihete Marcus Marcellus den Tempel der Tapferkeit am Capenischen Thore, den sein Vater im ersten Consulate bei Clastidium in Gallien vor siebzehn Jahren gelobet hatte. Auch starb in diesem Jahre der Eigenpriester des Mars, Marcus Ämilius Regillus.

535 12. Die Angelegenheiten in Griechenland hatte man in diesen zwei Jahren aus der Acht gelassen. Also hatte Philipp die von den Römern, ihrem einzigen Zuversicht gewährenden Beistande, verlassenen Ätoler genöthigt, unter ihm beliebigen Bedingungen den Frieden zu suchen und abzuschließen. Hätte er nicht aus allen Kräften geeilet, dies zu Stande zu bringen, so würde ihm bei dem Kriege mit den Ätolern ein Angriff vom Proconsul Publius Sempronius zu viel geworden sein, da dieser mit zehntausend Mann zu Fuß, tausend zu Pferde und fünfunddreißig Kriegsschiffen, einer zur Unterstützung der Bundesgenossen gewiß nicht unwirksamen Macht, hieher geschickt wurde, dem Sulpicius im Oberbefehle zu folgen. Kaum war der Friede geschlossen, so erhielt der König Nachricht, die Römer wären zu Dyrrhachium angekommen, hätten die Parthiner und andre benachbarte Völker durch die Hoffnung einer neuen Regierung zum Aufstande vermocht, und bestürmten Dimallum. Dahin hatten sich die Römer gewandt, statt den Ätolern, an welche sie geschickt waren, zu helfen; aus Verdruß, daß diese ohne ihr Gutachten, dem Vertrage zuwider, mit dem Könige Frieden geschlossen hatten. Sobald Philipp dies erfuhr, eilte er, um jeder bedeutendern Bewegung unter den benachbarten größern und kleinern Völkerschaften zuvorzukommen, in starken Märschen nach Apollonia, wohin sich Sempronius zurückgezogen hatte, weil er seinen Unterfeldherrn Lätorius, theils um sich durch nähere Ansicht zu belehren, theils, wo möglich, den Frieden wieder umzustoßen, mit einem Theile des Heers und funfzehn Schiffen nach Ätolien hatte abgehen lassen. Philipp verheerte das Gebiet der Apolloniaten, und bot durch Annäherung seiner Truppen an die Stadt dem Römischen Feldherrn ein Treffen an. Da er diesen sich ruhig auf die Vertheidigung der Mauern beschränken sah, sich selbst zu einem Sturme auf die Stadt nicht stark genug hielt, und mit den Römern eben so, wie mit den Ätolern, wo möglich, Frieden, wo nicht, doch Waffenstillstand zu schließen wünschte, so zog er sich, ohne durch neuen 536 Kampf die Erbitterung weiter zu reizen, in sein Reich zurück. Um eben diese Zeit schickten die Epiroten, des langen Krieges überdrüssig, nachdem sie zuvor die Römer über ihre Gesinnungen ausgeforscht hatten, mit dem Vorschlage zu einem gemeinschaftlichen Frieden an Philipp Gesandte, die ihn versicherten, der Friede werde, wie sie gewiß wüßten, zu Stande kommen, wenn er den Schritt zu einer Unterredung mit dem Römischen Feldherrn Publius Sempronius thun wolle. Da der König selbst nicht abgeneigt war, so gab er ohne Schwierigkeit seine Einwilligung, nach Epirus hinüberzugehen. In Epirus liegt eine Stadt Phönice. Hier besprach sich der König vorher mit dem Aeropus Dardas und Philippus, den Prätoren der Epiroten, und dann kam er mit dem Publius Sempronius zusammen. Auch Amynander, König der Athamanen, war bei der Unterredung zugegen, und andre obrigkeitliche Personen aus Epirus und Acarnanien. Zuerst nahm der Prätor Philipp das Wort, und ersuchte den König und den Römischen Feldherrn zugleich, dem Kriege ein Ende zu machen und diese Bitte der Epiroten zu genehmigen. Publius Sempronius stellte folgende Friedensbedingungen auf, daß die Parthiner, ferner Dimallum, Bargulum und Eugenium den Römern gehören sollten, Atintania solle an Macedonien fallen, wenn der König durch eine nach Rom zu schickende Gesandschaft vom Senate die Zustimmung erhielte. Als der Friede auf diese Bedingungen zu Stande kam, traten auf Seiten des Königs der Bithynische König Prusias, die Achäer, Böotier, Thessalier, Acarnanen und Epiroten dem Vertrage bei; auf Seiten der Römer der Stat von Ilium, König Attalus, Pleuratus, der Lacedämonische Zwingherr Nabis, die Staten Elis, Messene, Athen. Diese Punkte wurden aufgesetzt und untersiegelt, und auf zwei Monate Waffenstillstand gemacht, indeß die Gesandten nach Rom gehen sollten, um den Frieden auf diese Bedingungen vom Gesamtvolke bestätigen zu lassen. Und alle Bezirke genehmigten ihn, weil sie, bei dem Übergange des Krieges nach Africa, sich für jetzt aller andern 537 Kriege entledigen wollten. Nach dem Friedensschlusse ging Publius Sempronius nach Rom ab, sein Consulat anzutreten.


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