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1. Unter dem Consulate des Lucius Cornelius Scipio und Cajus Lälius waren im Senate nächst dem, was die Gottesverehrungen betraf, die Ätoler der erste Gegenstand. Theils betrieben dies ihre Gesandten, weil ihnen nur ein kurzer Waffenstillstand bewilligt war, theils wurden sie hierin von dem damals aus Griechenland nach Rom zurückgekehrten Titus Quinctius unterstützt. Weil nun die Ätoler mehr auf das Mitleiden des Senates bauten, als auf ihre eigne Sache, so sprachen sie in einem flehenden Tone und legten gegen ihre neueren Übelthaten ihre früheren Verdienste in die Schale. Allein im Senate wurden sie von allen Seiten durch die Fragen der Senatoren bestürmt, welche von ihnen, statt sie zur Antwort kommen zu lassen, nur das Geständniß ihrer Schuld erzwangen; und als sie aus dem Rathhause hatten abtreten müssen, kam es über sie unter den Senatoren selbst zu einem heftigen Streite. Der Unwille sprach in ihrer Sache lauter, als das Mitleiden; denn die Väter sahen im Zorne nicht bloß Feinde in ihnen, sondern eine unbezähmte, mit jedem Bunde unverträgliche Menschenart. Nach mehreren Tagen des Streits beschlossen sie endlich, ihnen den Frieden weder zu bewilligen, noch abzuschlagen. Man legte ihnen zwei Bedingungen vor, sich entweder ganz der Verfügung des Senats zu überlassen, oder tausend1,875,000 Gulden. Crev. Talente zu zahlen und Roms Freunde oder Feinde auch für die ihrigen anzusehen. Als sie herauszubringen wünschten, in welchen Stücken sie dem Senate die Verfügung über sich gestatten sollten, erhielten sie keine bestimmte Antwort. So wurden sie unverrichteter Sache entlassen, mit dem 414 Befehle, Rom noch heute, Italien innerhalb funfzehn Tagen zu räumen.
Nun wurden die Standplätze der Consuln in Überlegung genommen. Beide wünschten sich Griechenland. Lälius hatte großen Einfluß im Senate. Wie also der Senat die Consuln aufforderte, über ihre Standplätze entweder zu losen, oder sich zu vergleichen, so äußerte er, ihr Benehmen werde anständiger sein, wenn sie die Sache lieber dem Urtheile des Senats, als dem Lose, überließen. Scipio, der ihm die Antwort gab, er wolle überlegen, was er zu thun habe, sprach darüber ganz allein mit seinem Bruder, und auf dessen Rath, dem Senate Alles dreist zu überlassen, brachte er seinem Amtsgenossen den Bescheid, er sei bereit, es so zu machen, wie er vorgeschlagen habe. Da nun bei einem Antrage, wie dieser, der entweder wirklich neu, oder bei dem hohen Alter ähnlicher Fälle dem Gedächtnisse Aller entfallen war, der Senat in Erwartung eines Streites gespannt war, so erklärte Scipio Africanus: «Wenn die Väter seinem Bruder Lucius Scipio Griechenland zum Standplatze gäben, so wolle er als dessen Unterfeldherr mitgehen.» Dies Wort, mit großem Beifalle vernommen, schlug allen Streit nieder. Man wünschte doch zu erfahren, ob König Antiochus an dem besiegten Hannibal eine kräftigere Hülfe haben werde, als Roms Consul und seine Legionen am Sieger Africanus: und fast einmüthig wurde Griechenland dem Scipio, Italien dem Lälius zuerkannt.
2. Darauf beschied das Los den Prätoren ihre Stellen; dem Lucius Aurunculejus die Gerichtspflege in der Stadt, die über die Fremden dem Cneus Fulvius, dem Lucius Ämilius Regillus die Flotte, dem Publius Junius Brutus die Tusker, dem Marcus Tuccius Apulien und die Bruttier, dem Cajus Atinius Sicilien. Ferner bewilligte man dem Consul, dessen bestimmter Posten Griechenland war, zu dem Heere, welches er vom Manius Acilius in Empfang nehmen würde – es bestand aus zwei Legionen – eine Ergänzung von dreitausend Römern zu Fuß nebst hundert Rittern, und fünftausend Latinern zu Fuß nebst 415 zweihundert Rittern; mit dem Beisatze: Wenn er nach seiner Ankunft auf seinem Posten es vortheilhaft finde, so könne er sein Heer nach Asien übersetzen. Dem andern Consul wurde ein ganz neues Heer bestimmt; zwei Legionen Römer und an Latinischen Bundestruppen funfzehn tausend Mann zu Fuß, sechshundert zu Pferde. Quintus Minucius wurde befehligt, aus Ligurien – denn er hatte geschrieben, daß er das Land in eine Provinz verwandelt und daß Alles, was Ligurier heiße, sich ergeben habe – das Heer in das Gebiet der Bojer hinüberzuführen und dem Proconsul Publius Cornelius zu übergeben. Die aus jenem Striche Landes, um welches er die Bojer gestraft hatte, abgeführten Legionen, welche voriges Jahr in der Stadt geworben waren, wurden nebst funfzehn tausend Mann Latinischer Bundestruppen zu Fuß und sechshundert zu Pferde dem Prätor Marcus Tuccius gegeben, um Apulien und das Bruttierland zu besetzen. Der vorigjährige Prätor Aulus Cornelius, welcher das Bruttierland nebst dem dortigen Heere gehabt hatte, erhielt Befehl, wenn er die Zustimmung des Consuls habe, seine nach Ätolien übergesetzten Legionen dem Manius Acilius zu übergeben, falls dieser dort noch bleiben wolle. Wolle Acilius lieber nach Rom zurückgehen, so solle Aulus Cornelius mit diesem Heere in Ätolien bleiben. Dem Cajus Atinius Labeo wurde aufgetragen, sich seinen Posten in Sicilien nebst dem Heere vom Marcus Ämilius abtreten zu lassen, und wenn er es wünsche, in der Provinz selbst zweitausend Mann zu Fuß und hundert zu Pferde zur Ergänzung auszuheben. Publius Junius Brutus sollte für Tuscien ein neues Heer errichten, eine Legion Römer und zehntausend Mann Latinischer Bundestruppen zu Fuß und vierhundert zu Pferde. Lucius Ämilius, der seinen Posten zur See hatte, sollte sich zwanzig Linienschiffe nebst den Seetruppen vom vorigjährigen Prätor Marcus Junius geben lassen und selbst tausend Mann Seetruppen und zweitausend Mann Fußvolk aufbringen; mit diesen Schiffen und Truppen sollte er nach Asien gehen und vom Cajus Livius die Flotte übernehmen. Den Befehlshabern über beide Spanien 416 und Sardinien wurden mit dem auf ein Jahr verlängerten Oberbefehle dieselben Heere wieder bestimmt. Sicilien und Sardinien wurde für dieses Jahr die doppelte Lieferung des Getreidezehntens auferlegt; das Siculische Getreide sollte sämtlich nach Ätolien zum Heere geliefert werden; das aus Sardinien zum Theile nach Rom, zum Theile nach Ätolien mit dem Siculischen an einerlei Ort der Bestimmung.
3. Ehe die Consuln auf ihre Posten abgingen, ließ man durch die Oberpriester die Sühnung der Schreckzeichen besorgen. Zu Rom hatte ein Wetterschlag den Tempel der Juno Lucina getroffen und den Stirngiebel nebst den Thorflügeln verunstaltet. Zu Puteoli waren an mehreren Stellen Mauer und Stadtthor vom Blitze getroffen, auch zwei Menschen erschlagen. Daß sich zu Nursia bei heiterm Himmel ein Gewitterschauer ergossen und auch hier zwei Freigeborne erschlagen habe, wußte man mit Gewißheit. Die Einwohner von Tusculum berichteten, bei ihnen sei ein Erdregen gefallen, und die von Reate, in ihrem Gebiete habe eine Mauleselinn ein Füllen geworfen. Die Sühnung für alles dieses wurde besorgt, auch das Latinerfest darum noch einmal begangen, weil den Bürgern von Laurentum das ihnen gebührende Opferfleisch nicht gereicht war. Auch wurde dieser frommen Besorgnisse wegen denjenigen Göttern ein Festopfer gebracht, welche von den Zehnherren aus den heiligen Büchern dazu bestimmt wurden. Zehn Jünglinge und zehn Jungfrauen von Stande, welche sämtlich noch Väter und Mutter hatten, wurden zu diesem Gottesdienste gebraucht, und die Zehnherren richteten das Opfer bei Nacht mit noch saugenden Thieren aus. Ehe Publius Cornelius Scipio Africanus abreisete, errichtete er auf dem Capitolinus, der Straße gegenüber, auf der man zum Capitole hinangeht, einen Schwibbogen mit sieben vergoldeten Standbildern und zwei Rossen, und vor dem Schwibbogen zwei marmorne Wasserhälter. In diesen Tagen wurden dreiundvierzig vornehme Ätoler, worunter auch Damocritus und sein Bruder waren, durch zwei vom Manius Acilius mitgeschickte 417 Cohorten nach Rom geliefert und in die Steinbrüche geschickt: die Cohorten ließ der Consul Lucius Cornelius wieder zum Heere zurückgehen. Vom Ptolemäus [Epiphanes] und der Cleopatra, Ägyptens Thronbeherrschern, kamen Gesandte, die den Römern Glück wünschten, daß sie durch den Consul Manius Acilius den König Antiochus aus Griechenland vertrieben hätten, und sie ermunterten mit einem Heere nach Asien überzugehen: «denn nicht bloß in Kleinasien, sondern selbst in Syrien sei «Alles in Bestürzung: Ägyptens Beherrscher seien zu Allem, was der Senat belieben werde, bereit.» Dem königlichen Pare stattete der Senat seine Danksagung ab und befahl, die Gesandten zu beschenken, jeden mit viertausendEtwa 125 Gulden, nach dem Zwanzigguldenfuße. Kupferassen.
4. Als der Consul Lucius Cornelius Alles, was für ihn in Rom zu thun war, abgethan hatte, machte er in einer Volksversammlung bekannt, daß die Soldaten, die er selbst als Ergänzungstruppen geworben habe, auch die; welche im Bruttischen unter dem Proprätor Aulus Cornelius standen, sich sämtlich auf den funfzehnten Julius zu Brundusium einfinden sollten. Ferner ernannte er drei Unterfeldherren, den Sextus Digitius, Lucius Apustius und Cajus Fabricius Luscinus, welche von allen Plätzen der Seeküste die Schiffe nach Brundusium zusammenziehen sollten, und als nun Alles bereit war; zog er im Feldherrnkleide von Rom aus. An fünftausend Freiwillige, so wohl Römer, als Bundesgenossen, welche ihre Dienstjahre schon unter dem Oberbefehle des Publius Africanus zurückgelegt hatten, stellten sich dem Consul bei seinem Abzuge und nahmen Dienste. In den Tagen, in welchen der Consul aufbrach, den elften Julius, an den Apollinarischen Festspielen, verschwand bei heitrem Himmel das Tageslicht, weil der Mond vor die Sonnenscheibe trat. Um diese Zeit ging auch Lucius Ämilius Regillus ab, der den Posten zur See erlöset hatte. Dem Lucius Aurunculejus trug der Senat auf, dreißig Fünfruderer, zwanzig 418 Dreiruderer zu bauen; denn das Gerücht sagte, Antiochus rüste seit dem Seetreffen eine weit größere Flotte.
Als den Ätolern ihre Gesandten den Bescheid von Rom zurückbrachten, daß kein Friede zu hoffen sei, so besetzten sie, ob ihnen gleich die Achäer die ganze dem Peloponnes zugekehrte Seeküste verheert hatten, dennoch mehr der Gefahr, als ihres Schadens, eingedenk, den Berg Corax, um den Römern den Weg zu sperren. Denn sie zweifelten nicht daran, daß sie mit Frühlingsanfang wieder zur Belagerung von Naupactus gehen würden. Also hielt es Acilius, da ihm diese ihre Erwartung bekannt war, für besser, etwas Unerwartetes zu unternehmen und Lamia anzugreifen. Denn theils sei die Stadt schon von Philipp beinahe bis zur Eroberung gebracht, theils könne sie jetzt, eben weil sie dergleichen nicht besorge, unvorbereitet überrascht werden. Nach seinem Aufbruche von Elatea lagerte er sich auf feindlichem Boden zuerst am Strome Sperchius; von hier brach er in der Nacht auf und griff mit frühem Morgen die Mauern im Ringsturme an.
5. Die Überraschung erregte, wie gewöhnlich, großen Schrecken und Auflauf. Allein ob man es gleich den so plötzlich bedrohten Einwohnern nicht zugetrauet hatte, so vertheidigten sie doch die Stadt an diesem ersten Tage mit Standhaftigkeit; indem die Männer gegen die schon allenthalben angeschlagenen Sturmleitern in den Kampf gingen, und die Weiber alle Arten von Geschoß und Steinen auf die Mauern brachten. Fast gegen Mittag rief Acilius durch ein Zeichen zum Rückzuge die Seinigen wieder ins Lager, und nachdem sie sich durch Speise und Ruhe erquickt hatten, erklärte er ihnen, ehe er noch den Kriegsrath entließ: «Sie müßten vor Tage in den Waffen und bereit sein: ehe die Stadt nicht erstürmt sei, werde er sie nicht wieder ins Lager führen.» Um eben die Zeit, wie gestern, griff er noch an mehreren Stellen an, und da den Bürgern endlich die Kraft, das Geschoß und, mehr als dies Alles, der Muth ausging, so gewann er die Stadt in wenig Stunden. Nachdem er hier die Beute entweder verkauft oder vertheilt hatte, hielt er Kriegsrath, was nun 419 zu thun sei. Vor Naupactus zu gehen hatte niemand Lust, weil die Ätoler den Bergpaß am Corax besetzt hatten. Um aber den Sommerfeldzug nicht zu versäumen, ferner um nicht die Ätoler durch seine Unthätigkeit einen Frieden genießen zu lassen, den ihnen der Senat abgeschlagen habe, beschloß Acilius, Amphissa anzugreifen. Er ging mit dem Heere von Heraclea über den Öta. Als er sich vor den Mauern gelagert hatte, eröffnete er die Belagerung nicht, wie bei Lamia, mit dem Ringsturme, sondern durch Werke. Der Sturmbock wurde an mehreren Stellen zugleich angebracht; und obgleich die Mauern litten, wandten doch die Belagerten gegen diese Art von Sturmzeug kein Mittel an, und dachten auch auf keines. Sie setzten alle ihre Hoffnung auf ihre Waffen und Tapferkeit, und schreckten durch häufige Ausfälle nicht bloß die Posten der Feinde, sondern selbst die, die mit den Werken und Sturmzeugen beschäftigt waren.
6. Doch hatte Acilius die Mauer schon an vielen Stellen niedergeworfen, als die Nachricht einlief, sein Nachfolger komme mit dem zu Apollonia gelandeten Heere durch Epirus und Thessalien heran. Der Consul kam mit dreizehn tausend Mann zu Fuß und fünfhundert Rittern. Schon war er an der Malieischen Bucht eingetroffen. Da seine nach Hypata Voraufgeschickten auf die Forderung, ihm die Stadt zu übergeben, die Antwort erhielten, man werde ohne den gemeinschaftlichen Beschluß der Ätoler nichts bewilligen, so ließ er, um sich nicht bei der Belagerung von Hypata aufzuhalten, da Amphissa noch nicht erobert sei, seinen Bruder Africanus voraufgehen und zog vor Amphissa. Bei der Ankunft dieser Truppen zogen sich die sämtlichen Einwohner, Bewaffnete und Wehrlose, weil die Stadt großentheils schon von ihren Mauern entblößt war, mit Hinterlassung der Stadt auf ihre unbezwingliche Burg. Der Consul nahm fast sechstausend Schritt davon sein Lager. Hieher kamen zuerst zum Publius Scipio, der, wie ich vorhin sagte, dem Zuge vorangegangen war, und dann auch zum Consul selbst, Gesandte von Athen mit einer Fürbitte für die Ätoler. Vom Africanus 420 bekamen sie eine ganz milde Antwort, weil sich dieser bei seinem Augenmerke auf Asien und auf den König Antiochus nur nach einem Vorwande umsah, vom Ätolischen Kriege mit Ehren abzutreten, und die Athener aufgefordert hatte, nicht bloß den Römern, sondern vielmehr den Ätolern die Stimmung zu geben, daß sie lieber Frieden wünschten als Krieg. Sogleich kam auf Betrieb der Athener von Hypata eine zahlreiche Ätolische Gesandschaft, und eine Unterredung mit dem Africanus, bei dem sie sich zuerst meldeten, bestärkte ihnen wirklich die Hoffnung zum Frieden, indem er sie daran erinnerte, «daß sich an ihn früher in Spanien, später in Africa ganze Stammvölker und Völkerschaften ergeben hätten; und bei allen habe er größere Denkmale der Schonung und Milde, als der kriegerischen Tapferkeit hinterlassen.» Sie hielten den Frieden schon für ausgemacht, als sie in dem Gehöre beim Consul dieselbe Antwort bekamen, mit der sie vom Senate zurückgestoßen waren. Die Ätoler, betroffen durch diese, ihnen jetzt gleichsam neue, Erklärung, – denn sie sahen nun, daß sie weder durch die Gesandten von Athen, noch durch des Africanus gütige Antwort das mindeste gewonnen hatten – sagten bloß, sie wollten dies den Ihrigen berichten.
7. Sie kamen zurück nach Hypata: und hier wußte man keine Auskunft. Tausend Talente aufzubringen war ihnen unmöglich; und ergaben sie sich auf unbedingte Willkühr, wer stand ihnen dann vor persönlicher Mishandlung? Sie hießen also eben die Gesandten noch einmal zum Consul und zum Africanus gehen, mit der Bitte, wenn sie ihnen im Ernste Frieden geben, und ihn nicht, um ihre Hoffnung in ihrem Elende zu täuschen, bloß von ferne zeigen wollten, so möchten sie entweder in der Geldforderung nachlassen, oder die Übergabe nicht auf die Personen ausdehnen. Bei dem Consul wirkten sie keine Abänderung aus, und auch diese Gesandschaft zog unverrichteter Sachen ab. Die Gesandten von Athen folgten ihr, und Echedemus, das Haupt derselben, rief bei den durch so viel Abweisungen gebeugten, in unnützem Gewinsel das 421 Schicksal ihres Volks bejammernden, Ätolern dadurch wieder einige Hoffnung hervor, daß er ihnen rieth, um einen Waffenstillstand von sechs Monaten zu bitten, damit sie Gesandte nach Rom schicken könnten. «Der Aufschub werde zu ihrem gegenwärtigen Leiden, das schon die größte Höhe erreicht habe, keine Zugabe sein: vielmehr sei durch mancherlei Zufälle während der Zwischenzeit für ihr Elend eine Erleichterung möglich.» Auf diesen Vorschlag des Echedemus wandten sich dieselben Gesandten zuerst wieder an den Publius Scipio, erhielten durch ihn vom Consul den Waffenstillstand auf die verlangte Zeit; Manius Acilius hob die Belagerung von Amphissa auf, übergab dem Consul das Heer und trat seinen Posten ab: der Consul ging von Amphissa zurück nach Thessalien, um durch Macedonien und Thracien nach Asien zu ziehen.
Da sprach Africanus zu seinem Bruder: «Der Weg, den du einschlägst, Lucius Scipio, hat auch meine Zustimmung: er hängt aber ganz von Philipps Gesinnung ab. Ist er unserm State treu, so wird er Durchweg, Zufuhr und Alles, was einem Heere auf weitem Marsche Nahrung reicht und forthilft, uns gewähren. Läßt er uns im Stiche, so hast du auf dem Wege durch Thracien nirgends einige Sicherheit. Laß uns also vorher des Königs Stimmung erforschen. Am besten erfahren wir sie, wenn der, der an ihn abgeschickt wird, ihn in seinem Thun als den Unvorbereiteten überraschet.»Tiberius Sempronius Gracchus, damals bei weitem einer der muntersten jungen Männer, den sie zu diesem Geschäfte ausersahen, kam mit untergelegten Pferden in fast unglaublicher Geschwindigkeit von Amphissa – hier sandten sie ihn ab – am dritten Tage zu Pella an. Der König war auf einem Gastgebote und hatte im Weine ziemlich viel gethan: gerade diese Abspannung des Geistes beseitigte allen Verdacht, daß er neue Verhältnisse suche. Für heute wurde der Fremde gütig aufgenommen, und Tages darauf sah er reichliche Vorräthe für das Heer in Bereitschaft, über die Ströme Brücken geschlagen, die Heerstraßen an schwierigen Stellen 422 gangbar gemacht. Mit dieser Anzeige ging er eben so schnell, wie auf der Hinreise, zurück und begegnete dem Consul bei Thaumaci. Auf dem Zuge von hier nach Macedonien von der Freude über die ihm zugesicherte und erhöhete Erwartung geleitet, fand das Heer bei seiner Ankunft Alles zu seiner Unterstützung bereit. Der König nahm sich bei dem Empfange der Römer als königlicher Wirth und schloß sich an ihren Zug. Er zeigte viele Gewandheit und Leutseligkeit, die ihm bei dem Africanus zur Empfehlung gereichten, einem Manne, der bei seiner hohen Auszeichnung im Übrigen auch kein Feind der Geselligkeit war, wenn sie nicht in Üppigkeit überging. So kamen sie weiter, nicht bloß durch Macedonien, sondern auch durch Thracien bis an den Hellespont, unter Philipps Geleite und überall getroffenen Voranstalten.
8. Nach dem Seetreffen bei Corycus war Antiochus, der zu seinen Rüstungen zu Lande und zu Wasser den ganzen Winter frei gehabt hatte, hauptsächlich darauf bedacht gewesen, seine Flotte wieder herzustellen, damit ihm der Besitz des Meeres nicht ganz genommen würde. Ihm entging die Bemerkung nicht, daß ihn die Römer selbst in Abwesenheit der Rhodischen Flotte besiegt hatten. Nähme nun auch diese am Kampfe Theil, – und die Rhodier würden sich gewiß eine abermalige Verspätung nicht zu Schulden kommen lassen – so habe er, um der feindlichen Flotte in der Bemannung und Größe gleich zu kommen, eine Menge Schiffe nöthig. Also hatte er nicht allein den Hannibal nach Syrien geschickt, die Schiffe der Phönicier zu holen, sondern auch dem Polyxenidas aufgetragen, da er so wenig Glück gehabt habe, nun um so viel eifriger sowohl die noch übrigen Schiffe auszubessern, als auch neue auszurüsten. Er selbst überwinterte in Phrygien, wo er Hülfsvölker von allen Seiten zusammenzog: auch hatte er Gallogräcien beschickt, dessen Einwohner in jenen Zeiten kriegerischer waren, weil sie, ihrem Stammvolke noch nicht entartet, immer noch den Gallischen Muth beibehielten. Seinen Sohn Seleucus hatte er mit einem Heere in Äolis zurückgelassen, um die Seestädte zu behaupten, 423 welche auf der einen Seite, von Pergamus aus, Eumenes, auf der andern, von Phocäa und Erythrä, die Römer zum Abfalle aufforderten. Die Römische Flotte überwinterte, wie ich vorhin gesagt habe, bei Canä. Fast in der Mitte des Winters kam König Eumenes hier an, mit zweitausend Mann zu Fuß und hundert Reutern. Da er versicherte, es lasse sich auf dem feindlichen Gebiete in der Gegend von Thyatira viele Beute machen, so bewogen seine Vorstellungen den Livius, ihm fünftausend Mann mitzugeben. Sie brachten von diesem Zuge in wenig Tagen ansehnliche Beute mit.
9. Unterdeß kam es zu Phocäa, wo Einige das Volk für den Antiochus zu gewinnen suchten, zu einem Aufstande. Die überwinternde Flotte wurde drückend; drückend war die Auflage, weil sie fünfhundert Bürgerkleider und fünfhundert Westen liefern mußten; drückend endlich der Getreidemangel, um dessentwillen auch sowohl die Flotte, als die Besatzung der Römer die Stadt verließ. Nun aber hatte die Partei, welche die Bürger in den Volksversammlungen auf des Antiochus Seite zog, niemand zu fürchten. Der Senat und die Vornehmen stimmten für die Beharrlichkeit im Römischen Bunde: allein die Verführer zum Abfalle hatten bei dem Haufen das Übergewicht.
Waren die Rhodier im vorigen Sommer saumselig gewesen, so sandten sie darum so viel früher, schon um die Frühlingsgleiche, denselben Pausistratus als Oberbefehlshaber einer Flotte von sechsunddreißig Schiffen. Schon steuerte Livius von Canä mit dreißig Schiffen und sieben vom Könige Eumenes ihm zugeführten Vierruderern dem Hellesponte zu, um zur Überfahrt des Heeres, das, wie er vermuthete, zu Lande kommen mußte, alles Nöthige in Stand zu setzen. Er ließ die Flotte zuerst in dem sogenannten Hafen der Achäer landen. Von hier ging er nach Ilium hinauf, brachte der Minerva ein Opfer und gab den Gesandschaften aus der Nahe, von Eläus, von Dardanum und Rhöteum, welche ihre Städte in Römischen Schutz gaben, geneigtes Gehör. Von hier segelte er zum Eingange des Hellesponts, ließ zehn Schiffe als 424 Posten gegen Abydus zurück und ging mit der übrigen Flotte nach Europa über, um Sestus zu belagern. Schon wollten seine Bewaffneten die Mauern angreifen, als ihnen zuerst die begeisterte Priesterschar der Galler in feierlicher Amtstracht vor das Thor entgegenkam. Ihrer Angabe nach kamen sie auf Befehl der Göttermutter, als Diener der Göttinn für ihre Mauern und ihre Stadt bei den Römern um Schonung zu bitten; und Keinem von ihnen that man Leides: ihnen folgte gleich der Zug des gesamten Senats mit den Obrigkeiten, um die Stadt zu übergeben. Von hier fuhr die Flotte nach Abydus hinüber. Hier erfolgte in den zum Versuche angestellten Unterredungen keine friedliche Antwort, und die Römer machten sich zum Angriffe fertig.
10. Während dieser Unternehmungen am Hellesponte sann der königliche Admiral Polyxenidas – – er war nämlich aus Rhodus vertrieben, hatte gehört, daß die Flotte seiner Landsleute von Rhodus ausgelaufen sei, und daß Pausistratus, ihr Befehlshaber, in einer öffentlichen Rede mit Übermuth und Verachtung von ihm gesprochen habe, und hatte sich deswegen vorzüglich gegen ihn zu einem Wettkampfe in der Feindschaft entschlossen – – Tag und Nacht auf weiter nichts, als wie er jene hochklingenden Reden durch Thaten widerlegen möchte. Er schickte jemand an ihn, den jener ebenfalls kannte, und ließ ihm sagen: «Er wolle dem Pausistratus und seinem Vaterlande, wenn sie es ihm erlaubten, einen großen Dienst thun, und dann könne Pausistratus ihn wieder in sein Vaterland einführen.» Als Pausistratus voll Verwunderung fragte, wie das irgend möglich werden könne, so verlangte jener von ihm sein Wort darauf, die Sache entweder gemeinschaftlich zu betreiben, oder sie mit Stillschweigen zuzudecken; und er gab es ihm. Da eröffnete ihm der Unterhändler, «Polyxenidas wolle ihm entweder die königliche Flotte ganz, oder doch größtentheils, überliefern. Zur Belohnung für eine so verdienstliche That bedinge er sich weiter nichts, als die Rückkehr in sein Vaterland.» Die Wichtigkeit der Sache machte, daß 425 Pausistratus weder dem Vorschlage trauete, noch ihn abwies. Er segelte nach Samisch-Asien, und nahm hier seinen Stand, um den Antrag prüfen zu können. Eilboten gingen ab und zu; doch gab Pausistratus nicht eher Glauben, bis Polyxenidas vor den Augen seines Boten mit eigner Hand niederschrieb, «Er werde, was er versprochen habe, erfüllen» und den Brief mit seinem aufgedrückten Siegel abgehen ließ. Durch dieses Unterpfand, meinte er, habe sich der Verräther an ihn verkauft: denn ein Mensch, der so wie jener, unter einem Könige lebe, werde sich nicht dazu verstehen, Beweise von seiner eignen Hand gegen sich selbst auszustellen. Nun wurde der Plan des scheinbaren Verraths verabredet. Polyxenidas versprach: «Er wolle jede Zurüstung unterlassen; die Flotte weder mit Rudern noch Seesoldaten gehörig besetzen; einige Schiffe unter dem Vorwande der Ausbesserung auf das Ufer bringen, andere auf die benachbarten Seehafen vertheilen. Vor dem Hafen von Ephesus sollten nur wenige Schiffe See halten, die er, wenn es zum Ausrücken käme, zum Kampfe aufstellen werde.»
Kaum hatte Pausistratus gehört, daß Polyxenidas auf seiner Flotte den Nachlässigen machen wolle, so war er es selbst von diesem Augenblicke an wirklich. Einen Theil seiner Schiffe schickte er nach Halicarnassus, um Zufuhr zu holen; einen andern nach der Stadt Samusad urbem misit]. – Hinter diesen drei Worten denke ich mir, nach Creviers Vorschlage, die drei, ipse Panormi substitit, als ausgefallen. Die Nothwendigkeit dieser oder einer ähnlichen Ergänzung wird von Drakenb. und Andern anerkannt.; er selbst blieb zu Panormus stehen, um auf das Zeichen des Verräthers zum Angriffe bereit zu sein. Polyxenidas erhöhete die Täuschung durch Scheinhandlungen. Er ließ einige Schiffe auf das Ufer bringen, und gleich als ob er noch andre nachholen wollte, ließ er den Holm in Stand setzen: die Ruderer ließ er aus den Winterquartieren nicht nach Ephesus kommen, sondern in aller Stille sich zu Magnesia sammeln.
11. Es traf sich so, daß einer von des Antiochus 426 Soldaten, der in eigenen Angelegenheiten nach Samus gekommen war, als Kundschafter ergriffen und nach Panormus vor den Befehlshaber gebracht wurde. Als ihn dieser fragte, womit man sich zu Ephesus beschäftige, entdeckte der Mensch, ich weiß nicht, ob aus Furcht, oder weil er es mit seinen Landsleuten nicht redlich meinte, ihm Alles: «die Flotte stehe gerüstet und segelfertig im Hafen, alle Ruderknechte habe man nach MagnesiaMagnesiam ad Sipylum]. – Die beiden Worte ad Sipylum fallen nach den Bemerkungen der Kritiker weg, weil hier nicht Magnesia am Sipylus gemeint sein kann, sondern das näher bei Ephesus gelegene Magnesia ad Maeandrum, welches Livius mehrmals schlechtweg Magnesia nennt. geschickt; nur sehr wenig Schiffe seien auf das Ufer gebracht, und der Holm werde bedachet: nie habe man die Anstalten zur See eifriger betrieben.» Doch einem von Irrwahn und leerer Hoffnung eingenommenen Kopfe galt diese Aussage nicht für Wahrheit.
Als Polyxenidas, in Allem gehörig vorbereitet, die Ruderknechte bei Nacht von Magnesia einberufen, die auf das Ufer gebrachten Schiffe eiligst ins Meer gelassen und den Tag nicht sowohl auf seine Vorkehrungen verwandt hatte, als weil man das Absegeln der Flotte nicht bemerken sollte; so lief er nach Sonnenuntergang mit siebzig Deckschiffen aus und erreichte bei widrigem Winde den Hafen Pygela noch vor Tage. Hier lag er in eben der Absicht bei Tage still, und setzte in der Nacht auf die nächste Küste von Samisch-Asien über. Von hier ließ er einen Seeräuberhauptmann Nicander mit fünf Deckschiffen nach Palinurus segeln und von dort seine Truppen auf dem nächsten Wege durch die Felder gegen Panormus den Feinden in den Rücken führen: er selbst steuerte unterdeß mit getheilter Flotte, um den Eingang zum Hafen von zwei Seiten besetzen zu können, auf Panormus. Pausistratus, anfangs nicht ohne Bestürzung – er hatte sich dessen ja nicht versehen – gab sich als alter Krieger bald seine Fassung wieder, und weil er glaubte, die Feinde besser auf der Landseite als zur See abhalten zu können, 427 führte er seine Truppen in zwei Zügen den Vorgebirgen zu, welche durch ihre gegen das Meer vortretenden Krümmungen den Hafen bilden, weil er von dort herab den Feind, der auf zwei Seiten unter den Schuß kam, leicht abzutreiben hoffte. Da ihm aber Nicander, der sich von der Landseite zeigte, diesen Vorsatz vereitelte, so befahl er mit schneller Abänderung seines Plans, eine allgemeine Einschiffung. Dies gab nun unter den Soldaten, wie unter den Seeleuten, eine gewaltige Verwirrung, nicht anders als flüchteten sie auf ihre Schiffe, weil sie sich zugleich zu Wasser und zu Lande umringt sahen. Pausistratus, der nur darin einen Weg zur Rettung fand, wenn er den Ausgang aus dem Hafen erzwingen und sich auf die offene See durchschlagen könnte, befahl seinen übrigen Truppen, sobald er sie eingeschifft sah, ihm zu folgen: er selbst voran eilte mit seinem durch die Ruder fortgeschnellten Schiffe der Mündung des Hafens zu. Schon fuhr er zur Öffnung hinaus, als sein Schiff Polyxenidas mit drei Fünfruderern umstellte. Es wurde durch Schnabelstöße überwältigt, seine Vertheidiger fielen mit Pfeilen überdeckt und unter ihnen nach tapfrem Widerstande auch Pausistratus. Die übrigen Schiffe wurden theils vor, theils in dem Hafen erobert, einige schon vom Nicander genommen, während sie an der Küste lichteten. Nur fünf Rhodische Schiffe entkamen mit zwei Coischen, und machten sich durch das Schreckmittel der lodernden Flamme einen Weg mitten durch die dicht gedrängten Schiffe. Denn zwei Stangen, die vom Vordertheile herüberhingen, trugen in eisernen Töpfen ein großes flammendes Feuer ihnen voran. Da die Dreiruderer von Erythrä nicht weit von Samos die Rhodischen Schiffe, denen sie zu Hülfe kommen sollten, schon auf der Flucht fanden, so nahmen sie ihren Lauf rückwärts zu den Römern am Hellesponte. Um diese Zeit eroberte Seleucus Phocäa durch Verrath, da ihm die Wache ein Thor öffnete, und Cyme nebst andern Städten eben dieser Küste trat aus Furcht zu ihm über.
12. Abydus hatte, während dies in Äolis vorging, schon mehrere Tage die Belagerung ausgehalten, weil eine 428 königliche Besatzung die Mauern vertheidigte: jetzt aber waren alle Kräfte erschöpft, und selbst mit Bewilligung des Befehlshabers der Besatzung, Philotas, unterhandelte die Stadtobrigkeit mit dem Livius über die Bedingungen der Übergabe. Das Einzige hielt die Sache noch auf, daß man nicht ganz darüber einverstanden war, ob die königlichen Truppen mit oder ohne Waffen abziehen sollten. Da aber während dieser Unterhandlungen die Nachricht von der Niederlage der Rhodier einlief, so mußte Livius die Eroberung aus den Händen geben. Denn aus Besorgniß, Polyxenidas möge, durch diesen wichtigen Erfolg muthig gemacht, die bei Canä stehende Flotte überfallen, gab er sogleich die Belagerung von Abydus und seinen Posten am Hellesponte auf, und ließ die Schiffe, die bei Canä auf dem Ufer standen, ins Meer. Auch kam Eumenes nach Eläa. Livius ging mit seiner ganzen Flotte, die er noch mit zwei Dreiruderern von Mytilene verstärkt hatte, nach Phocäa. Als er hörte, die Stadt habe eine starke königliche Besatzung und Seleucus in ihrer Nähe ein Lager, verheerte er die Küste, brachte geschwind seinen meist aus Menschen bestehenden Raub zu Schiffe, wartete nur noch, bis Eumenes mit seiner Flotte nachkam und nahm dann seinen Lauf auf Samos.
Bei den Rhodiern erregte die erste Nachricht von ihrer Niederlage zugleich große Bestürzung und Trauer. Außer der Einbuße an Schiffen und Leuten hatten sie die Blüte und den Kern ihrer Mannschaft verloren, weil Viele vom Adel, außer andern Gründen, auch dem Namen des Pausistratus gefolgt waren, der unter seinen Bürgern mit Recht im größten Ansehen stand. Dann aber ging ihre Trauer in Erbitterung über, weil sie nur überlistet waren, und noch dazu von einem gebornen Rhodier. Sogleich sandten sie zehn Schiffe ab, und wenige Tage darauf zehn andre, sämtlich unter dem Oberbefehle des Eudamus, an dem sie sich, stand er gleich in andern kriegerischen Verdiensten dem Pausistratus weit nach, eben weil er weniger Unternehmungsgeist besaß, einen so viel behutsameren Anführer versprachen. Die Römer und König Eumenes 429 hielten zuerst mit ihrer Flotte an der Küste von Erythrä an: hier weilten sie Eine Nacht und erreichten am folgenden Tage Corycus, das Vorgebirge im Gebiete von Teos. Da sie von hier auf die nächste Küste von Samisch-Asien übersetzen wollten, überließen sie die Flotte, ohne Sonnenaufgang abzuwarten, woraus die Schiffer hätten abnehmen können, was für einen Himmel sie haben würden, der ungewissen Witterung. Mitten auf ihrer Fahrt setzte sich der Nordost in Nordwind um, und sie trieben auf einem zu Wogen aufgethürmten Meere.
13. Polyxenidas, der von Ephesus in der Voraussetzung auslief, die Feinde würden nach Samos gehen, um sich mit der Rhodischen Flotte zu vereinigen, nahm seinen Stand zuerst vor MyonnesusMyonnesus, ein Vorgebirge zwischen Teos und der Insel Samos. ; von da ging er nach der Insel, Namens Macris, über, um wo möglich auf die vom Zuge der vorübersegelnden Flotte abstreifenden Schiffe, oder gelegentlich auf das Hintertreffen einen Angriff zu thun. Als er die Flotte vom Sturme zerstreuet sah, fand er hierin anfangs eine Aufforderung zum Angriffe; da aber gleich nachher der Wind heftiger wurde und höhere Wogen wälzte, so setzte er, weil er sah, er könne nicht an die Feinde kommen, nach der Insel Äthalia über, um von hier am folgenden Tage die vom hohen Meere auf Samos Zusteuernden anzugreifen. Mit dem ersten Dunkel erreichte nur ein kleiner Theil der Römischen Flotte an der Küste von Samisch-Asien einen verödeten Hafen; die übrige Flotte lief nur dann erst in diesen Hafen ein, als sie die ganze Nacht über auf hoher See Sturm gehabt hatte. Auf die Anzeige der Landleute, daß die feindliche Flotte bei Äthalia stehe, wurde hier Kriegsrath gehalten, ob man sogleich eine Schlacht liefern, oder die Rhodische Flotte noch erwarten solle. Die Schlacht wurde – so wollte es die Mehrheit der Stimmen – verschoben, und man setzte wieder nach Corycus über, woher man gekommen war. Auch Polyxenidas, der seinen Stand vergebens genommen hatte, ging nach Ephesus zurück. Nun segelten 430 die Römischen Schiffe über das von den Feinden geräumte Meer nach Samos. Wenig Tage nachher fand sich hier auch die Rhodische Flotte ein; und um zu zeigen, daß man nur auf diese gewartet habe, segelte man sogleich auf Ephesus, um entweder ein Seetreffen zu liefern, oder dem Feinde, falls er den Kampf verweigern sollte, das Geständniß der Muthlosigkeit abzunöthigen, was auf die Stimmung in den Städten von großer Wirkung sein mußte. Der Mündung des Hafens gegenüber standen sie mit allen ihren die Stirn bietenden Schiffen in Schlachtordnung. Als niemand gegen sie herauskam, theilten sie die Flotte, ließen den einen Theil am Eingange des Hafens in See vor Anker stehen, und den andern Truppen an das Land setzen. Als diese schon eine ansehnliche Beute aus der weit umher geplünderten Gegend wegführten, brach der Macedonier Andronicus, der zu Ephesus in Besatzung lag, so wie sie den Mauern näher kamen, gegen sie heraus, nahm ihnen einen großen Theil der Beute ab und trieb sie zurück zum Meere und an die Schiffe. Am folgenden Tage nahmen die Römer, nachdem sie etwa auf halbem Wege einen Hinterhalt aufgestellet hatten, ihren Zug gerade gegen die Stadt, um den Macedonier aus den Mauern herauszulocken; weil aber gerade diese Vermuthung den Feind von jedem Ausfalle abschreckte, kehrten sie zu ihren Schiffen zurück; und weil sich der Feind so wenig zu Lande als zu Wasser einzulassen wagte, nahm die Flotte ihren Lauf wieder nach Samos, wo sie hergekommen war. Hier ließ der Prätor zwei Dreiruderer von den Italischen Bundesschiffen und eben so viele Rhodische unter dem Rhodischen Befehlshaber Epicrates abgehen, um die Cephallenische Meerenge zu bewachen. Ein Lacedämonier, Hybrystas, mit einer Mannschaft von Cephallene machte sie durch seine Seeräubereien unsicher, und schon war aller Zufuhr für Italien das Meer gesperrt.
14. Im Piräeus traf Epicrates den neuen Befehlshaber zur See, den Lucius Ämilius Regillus. Als dieser die Niederlage der Rhodier erfuhr, nahm er, weil er selbst nur zwei Fünfruderer bei sich hatte, den Epicrates mit den vier Schiffen mit sich nach Asien zurück. Auch folgten ihm mehrere offene Schiffe der Athener. Er ging auf dem Ägeer Meere nach ChiusAegeo mari traiecit]. – Ich nehme mit Duker an, daß hinter traiecit das Wort Chium ausgefallen sei. Auch Crevier will es einschieben, setzt es aber, nicht so wahrscheinlich, vor das Wort traiecit. Vermuthlich veranlaßte die Ähnlichkeit der Silbe cit mit der gleich folgenden chi die Auslassung. über. Hieher kam auch von Samos noch in später Nacht der Rhodier Timasicrates mit zwei Vierruderern; wurde dem Ämilius vorgestellt und berichtete, er sei geschickt, diese Meeresgegend zu decken, weil die königlichen Schiffe durch ihre Streifzüge, vom Hellesponte und von Abydus aus, sie für Ladungsschiffe unsicher machten. Als Ämilius von Chius nach Samus überfuhr, nahmen zwei vom Livius ihm entgegengeschickte Rhodische Vierruderer und König Eumenes mit zwei Fünfruderern ihn in Empfang. Nach seiner Ankunft auf Samus übernahm Ämilius die Flotte vom Livius, und nach gehöriger Ausrichtung des gewöhnlichen Opfers berief er einen Kriegsrath. Hier sagte Cajus Livius – denn er wurde um seine Stimme zuerst befragt: «Niemand könne einem Andern einen treueren Rath geben, als der, der ihm das zu thun riethe, was er selbst, wenn er an dessen Stelle stände, gethan haben würde. Sein Vorsatz sei gewesen, mit der ganzen Flotte vor Ephesus zu gehen, Lastschiffe mit Kiesladungen mitzunehmen und sie in der Mündung des Hafens zu versenken. Diese Sperre erfordere so viel weniger Anstalten, weil der Eingang zum Hafen gleich einem Flusse lang und schmal sei und seichte Stellen habe. So würde er den Feinden die Verbindung mit dem Meere genommen und ihnen die Flotte unnütz gemacht haben.»
15. Dieser Meinung gab niemand Beifall. König Eumenes warf die Fragen auf: «Wie nun? wenn sie also durch Versenkung der Schiffe den Paß zum Meere geschlossen hätten, ob sie dann mit ihrer eignen freien Flotte dort abziehen sollten, um ihre Verbündeten zu schützen und den Feind in Schrecken zu setzen? oder ob 432 sie auch dann noch mit der ganzen Flotte den Hafen belagert halten sollten? Denn wenn sie weggingen, wer dann daran zweifeln könne, daß die Feinde die versenkten Lasten herausziehen und den Hafen mit geringeren Anstalten wieder öffnen würden, als womit man ihn jetzt verschütte. Müsse man aber auch dann noch dort bleiben, wozu es dann helfe, den Hafen zu verstopfen? Im Gegentheile würden Jene im Genusse des sichersten Hafens und der wohlhabendsten Stadt, in welcher ihnen Asien Alles liefere, ruhige Sommerquartiere haben; und die Römer, auf offenem Meere den Fluten und Stürmen ausgesetzt, an Allem Mangel leidend, auf ihrem beständigen Posten stehen; ja sie selbst würden hier mehr die Festgebundenen und gehindert sein, irgend etwas zu unternehmen, was doch gethan werden müsse, als die Feinde eingeschlossen halten.»Eudamus, der Oberbefehlshaber der Rhodischen Flotte, äußerte mehr sein Misfallen an jener Meinung, als daß er selbst eine Unternehmung in Vorschlag gebracht hätte. Der Rhodier Epicrates stimmte so: «Für jetzt müsse man mit Verzichtleistung auf Ephesus einen Theil der Flotte nach Lycien gehen lassen und Patara, die Hauptstadt des Landes, für den Bund gewinnen. Dies werde zweierlei große Vortheile gewähren. Einmal würden die Rhodier, wenn sie mit dem festen Lande ihrer Insel gegenüber in Frieden wären, alle ihre Kräfte auf die Sorge für den einzigen Krieg mit dem Antiochus wenden können: zum Andern werde es der Flotte, welche er jetzt in Lycien ausrüsten lasse, unmöglich gemacht, zur Vereinigung mit dem Polyxenidas auszulaufen.» Diese Meinung machte vorzüglichen Eindruck. Doch beschloß man, Regillus solle, um die Feinde in Schrecken zu setzen, mit der ganzen Flotte vor den Hafen von Ephesus gehen.
16. Cajus Livius aber wurde mit zwei Römischen Fünf- und vier Rhodischen Vierruderern und zwei offenen Smyrnäer Schiffen nach Lycien geschickt, mit dem Befehle, vorher bei den Rhodiern einzulaufen und mit ihnen gemeinschaftlich zu Rathe zu gehen. Die Städte, 433 bei welchen er vorfuhr, Miletus, Myndus, Halicarnassus, CousHalicarnassus, Cnidus, Cous]. – Die Reihe der hier genannten Städte geht von Norden nach Süden bis Rhodus; folglich muß Cous eher genannt werden, als Cnidus; sonst wären die Römer, als sie, von Cnidus aus, der Insel Rhodus schon näher waren, weiter westwärts zurück nach Cos oder Cous gesegelt, und dann, um nach Rhodus zu kommen, wieder vor Cnidus vorbeigegangen. Da ohnehin diese Worte, die in allen Msc. fehlen, nur aus dem einzigen Mainzer Codex aufgenommen sind, so hat man bei der Versetzung nur diese Eine Stimme gegen sich., Cnidus, leisteten mit Eifer seinen Forderungen Genüge. Als er nach Rhodus kam, setzte er den Bürgern den Zweck seiner Sendung aus einander und nahm sie zugleich in Rath. Mit ihrer Aller Zustimmung, und nachdem er in die Flotte, die er schon hatte, noch drei Vierruderer aufgenommen, schiffte er nach Patara. Anfangs trieb die Römer ein günstiger Wind gerade gegen die Stadt, und sie versprachen sich von dem überraschenden Schrecken einige Wirkung. Als aber bei dem sich umsetzenden Winde das Meer in Fluten von ungewisser Richtung wogte, so gelang es ihnen freilich durch Rudern, das Land zu erreichen; allein in der Nähe der Stadt war der Standort nicht sicher, und vor der Mündungante hostium portus.] – Ich übersetze nach Drakenborch: ante ostium portus, und bald nachher statt Phoenicunta mit Jak. Gronov, Crevier und Drakenborch Phellum. des Hafens konnte die Flotte bei dem Toben des Meeres und bei einbrechender Nacht nicht in See bleiben. Sie fuhren also an den Stadtmauern vorbei und liefen in den nicht ganz zweitausend Schritte entfernten Hafen Phellus, der den Schiffen vor der Gewalt des Meers Sicherheit gewährte; allein hohe Klippen ragten über ihm, welche die Bürger, mit den Truppen der königlichen Besatzung in Vereinigung, sogleich besetzten. Gegen diese schickte Livius, so nachtheilig auch die Gegend und so schwer hier das Aussteigen war, die Hülfstruppen von Issa und die Leichtbewaffneten von Smyrna. Anfangs, so lange das Treffen, bloß mit Geschoß und durch leichten Ansprung auf eine kleine Schar, mehr eingeleitet als wirklich geliefert wurde, hielten diese den Kampf aus. Als aber von der Stadt immer mehrere herbeiströmten und schon die 434 ganze Volksmenge herausstürzte, wurde Livius besorgt, seine Hülfstruppen möchten umringt werden, ja selbst seine Schiffe vom Lande aus zu fürchten haben. Also führte er nicht bloß seine Truppen, sondern auch die Schiffsoldaten, einen Schwarm von Ruderknechten, alle mit Waffen, wie sie jeder haben konnte, ins Treffen. Auch jetzt war der Kampf noch zweifelhaft, und in diesem regellosen Gefechte fielen nicht allein mehrere Soldaten, sondern auch LuciusLegat des Lucius Scipio. S. Cap. 4. Apustius. Zuletzt wurden doch die Lycier völlig geschlagen und in die Stadt getrieben, und die Römer kehrten mit einem blutigen Siege zu ihren Schiffen zurück. Von hier segelten sie in die Bucht von Telmissus, die mit der einen Seite Carien, mit der andern Lycien berührt, und ließen, ohne den Anschlag auf Patara weiter zu verfolgen, die Rhodier nach Hause gehen. Livius fuhr an der Küste Asiens vorbei nach Griechenland hinüber, um die Scipione zu sprechen, welche damals in Thessalien standen und dann nach Italien überzugehen.