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1. Als die Consuln Cneus Fulvius Centumalus und Publius Sulpicius Galba am funfzehnten März ihr Amt angetreten hatten, ließen sie den auf das Capitol berufenen Senat über die Statsverwaltung, über die Führung des Krieges, über die Provinzen und Heere sich erklären. Den Consuln des vorigen Jahrs Quintus Fulvius und Appius Claudius verlängerte man den Heerbefehl und hieß sie ihre jetzigen Heere behalten. Dabei wurde bestimmt, sie sollten von Capua, welches sie eingeschlossen hielten, nicht abziehen, bis sie es erobert hätten. Diese Sorge beschäftigte damals die Römer am meisten, nicht sowohl aus Erbitterung, ob diese gleich nie gegen einen Stat gerechter war, als weil sie der Meinung waren, so wie diese berühmte und mächtige Stadt durch ihren Abfall mehrere Völker sich nachgezogen habe, so werde auch ihre Wiedereroberung die Stimmung bewirken, sich wieder nach der ehemaligen Regierung umzusehen. Auch den Prätoren des vorigen Jahrs, Marcus Junius in Hetrurien und Publius Sempronius in Gallien wurde der Heerbefehl über die zwei Legionen, die jeder gehabt hatte, verlängert. Auch sollte ihn Marcus Marcellus behalten, um in Sicilien als Proconsul den Rest des Krieges mit seinem jetzigen Heere zu beenden. Hätten seine Truppen Ergänzung nöthig, so möchte er sie aus den Legionen vollzählig machen, welche unter dem Proprätor Publius Cornelius in Sicilien ständen; nur sollte er dazu nicht Einen Mann von denen nehmen, welchen der Senat den Abschied und die Rückkehr ins Vaterland vor Beendigung des Krieges verweigert habe. Dem Cajus Sulpicius, welcher Sicilien erloset hatte, bestimmte man die zwei Legionen, welche Publius Cornelius gehabt 252 habe, und Ergänzungstruppen von dem Heere des Cneus Fulvius, welches voriges Jahr in Apulien so schimpflich zusammengehauen und in die Flucht geschlagen war. Den hierzu gehörigen Soldaten hatte der Senat für ihre Dienstzeit dasselbe Ziel gesetzt, wie denen von Cannä, und zur Erhöhung ihres Schimpfes durften Beide nie in Städten Winterquartiere nehmen, noch sie unter einer Entfernung von zehntausend Schritten, bei irgend einer Stadt anlegen, Dem Lucius Cornelius gab man für Sardinien die zwei Legionen, welche Quintus Mucius befehligt hatte. Die etwa nöthigen Ergänzungstruppen sollten die Consuln ausheben. Dem Titus Otacilius und Marcus Valerius wurden Siciliens und Griechenlands Küste mit den Legionen und Flotten bestimmt, welchen sie schon vorstanden. In Griechenland gebrauchte man funfzig Schiffe und Eine Legion, für Sicilien hundert Schiffe und zwei Legionen. Die Römer führten den Land- und Seekrieg für dieses Jahr mit dreiundzwanzig Legionen.
2. Als es im Anfange des Jahrs über den vom Lucius Marcius eingelaufenen Bericht zum Vortrage kam, so erklärte zwar der Senat die Thaten desselben für preiswürdig, allein die Ehrenstelle, die er sich in der Überschrift gab – er hatte, ohne den Oberbefehl auf Geheiß des Gesamtvolks oder nach einem Gutachten des Senats zu haben, so geschrieben: «Der Proprätor an den Senat» – fanden Viele anstößig. «Es gebe ein böses Beispiel, wenn man die Feldherren von den Heeren wählen lasse: auch gehe dann die feierliche Sitte der durch heilige Vögel genehmigten Wahlen in das Lager und in die Provinzen über, wo sie in der Ferne der Gesetze und Obrigkeiten von der Unbesonnenheit der Soldaten abhingen.» Obgleich Einige dahin stimmten, die Sache im Senate zur Sprache zu bringen, so hielt man doch für besser, diese Berathschlagung bis nach der Abreise der Ritter zu verschieben, welche den Brief vom Marcius überbracht hatten. Man beschloß, in Absicht des Getreides und der Kleidungsstücke für das Heer ihm zu antworten: «Der Senat werde für Beides Sorge tragen.» Allein die 253 Aufschrift: «An den Proprätor Lucius Marcius» sollte wegfallen, damit er nicht gerade das, was man der Berathschlagung vorbehielt, als vorläufig bewilligt ansehen möchte.
Nach Abfertigung der Ritter machten die Consuln diese Sache zum ersten Gegenstande ihres Vortrages, und alle Stimmen vereinigten sich dahin, die Bürgertribunen zu vermögen, daß sie je eher je lieber bei dem Bürgerstande anfragten, wen man als Oberbefehlshaber nach Spanien zu dem Heere schicken solle, welches Cneus Scipio als Oberfeldherr befehligt habe. Man machte dies mit den Tribunen aus, und sie brachten die Sache zum öffentlichen Anschlage. Unterdeß hatte eine Streitigkeit von anderem Inhalte die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Cajus Sempronius Bläsus, der den Cneus Fulvius wegen des in Apulien verlornen Heers vor das Volk beschieden hatte, nahm diesen in seinen Reden sehr heftig mit, deren gewöhnlicher Inhalt dieser war: «Schon mancher Feldherr habe durch Unbesonnenheit und Ungeschicklichkeit sein Heer an den Rand des Verderbens geführt, aber noch keiner, außer Cneus Fulvius, habe seine Legionen, ehe er sie aufgeopfert habe, durch alle Arten von Laster zu Grunde gerichtet. Man könne mit Wahrheit sagen, sie wären schon vorher verloren gewesen, ehe sie einen Feind gesehen hätten, und nicht vom Hannibal, sondern von ihrem Feldherrn zu Überwundenen gemacht. Niemand könne, wenn er zur Stimmenwahl schreite, mit Sicherheit vorhersehen, wem er den Oberbefehl, wem er das Heer anvertraue. Wie ganz anders sich Tiberius Sempronius benommen habe? Dem habe man ein Heer von Sklaven gegeben, und in Kurzem habe er durch Zucht und Gebot bewirkt, daß sie Alle ihrer Abkunft, ihres Ursprungs, in der Schlacht vergessen hätten, und der Bundesgenossen Schutz, der Feinde Schrecken geworden wären; Cumä, Beneventum und andre Städte gleichsam aus Hannibals Klauen dem Römischen Volke wiedergewonnen hätten. Cneus Fulvius aber habe einem Heere Römischer Quiriten, edelbürtigen, frei erzogenen Männern Sklavenlaster eingeimpft. So habe er es dahin gebracht, daß sie gegen 254 Bundsgenossen die Trotzigen und Unfriedlichen, gegen den Feind feig und muthlos geworden wären, und nicht nur den Angriff der Punier, sondern auch schon ihr Feldgeschrei nicht hätten aushalten können. Auch sei es, bei Gott! kein Wunder, daß die Soldaten in der Schlacht nicht Stand gehalten hätten, da der Feldherr von Allen zuerst geflohen sei. Er wundre sich mehr darüber, daß doch noch Einige in Linie stehende gefallen wären, als daß sie nicht Alle den Cneus Fulvius in seiner Bestürzung und Flucht begleitet hätten. Ein Cajus Flaminius, Lucius Paullus, Lucius Postumius, die Scipione Cneus und Publius, hätten lieber in der Schlacht fallen, als ihre umzingelten Heere im Stiche lassen wollen: nur Cneus Fulvius sei beinahe als der alleinige Bote von seinem vertilgten Heere zu Rom angekommen. Es sei unerhört, daß das Heer von Cannä wegen seiner Flucht aus der Schlacht, nach Sicilien abgeführt sei, um dort nicht eher entlassen zu werden, bis der Feind Italien geräumt habe; daß man dasselbe neulich gegen die Legionen des Cneus Fulvius erkannt habe; wenn dem Cneus Fulvius seine Flucht aus dem durch seine Unbesonnenheit gelieferten Treffen ungestraft hinginge; wenn er in den Schenken und liederlichen Winkeln, wo er seine Jugend verlebt habe, auch sein Alter zubringen sollte; und die Soldaten, die weiter nichts verbrochen hätten, als daß sie ihres Feldherrn Ebenbild gewesen wären, so gut als in die Verbannung verwiesen, in einem schimpflichen Dienste ständen. So ungleich sei zu Rom die Freiheit zwischen Reichen und Armen, zwischen denen in Ämtern und den Unbeamteten vertheilt.»
3. Der Beklagte schob die Schuld von sich auf die Soldaten. «Da er sie auf ihre trotzige Forderung, zu schlagen, aber nicht an dem Tage, da sie es gewollt – denn da sei es schon zu spät gewesen – sondern am folgenden ins Treffen geführt und in Hinsicht auf Zeit und Ort dem Feinde gleichgestellt habe, hätten sie entweder dem großen Namen oder der Tapferkeit des Feindes untergelegen. Da sie alle unaufhaltsam geflohen wären; sei auch er vom 255 Gedränge fortgerissen, wie Varro in der Cannensischen Schlacht, wie so mancher andre Feldherr. Wie er aber durch sein alleiniges Standhalten, wenn nicht etwa sein Tod künftige Niederlagen habe abwenden sollen, dem State habe nützen können? Ihm habe es kein Mangel an Lebensmitteln gethan, kein unvorsichtiger Zug auf eine nachtheilige Stelle, kein Überfall aus einem Hinterhalte auf unerkundetem Wege: durch offenen Angriff, mit Waffen, in der Schlacht sei er besiegt. Er habe so wenig den Muth der Seinigen, als der Feinde, in seiner Gewalt gehabt: Kühnheit oder Bangigkeit gebe Jedem sein eigner Sinn.»
Er wurde zweimal angeklagt, und der Kläger trug auf Geldstrafe an. Als aber im dritten Termine von den aufgestellten Zeugen, außerdem daß ihm eine Menge von Vorwürfen zur Last fiel, sehr viele eidlich aussagten, der Prätor habe zu dieser Flucht und Muthlosigkeit das erste Beispiel gegeben, und da die von ihm im Stiche gelassenen Soldaten geglaubt hätten, die Furcht ihres Feldherrn müsse nicht ungegründet sein, so hätten auch sie die Flucht genommen: so wurde die Erbitterung so groß, daß die ganze Versammlung rief, man müsse sein bürgerliches Dasein in Anspruch nehmen. Hierüber kam es zu einem neuen Streite. Denn da der Tribun zweimal auf Geldstrafe angetragen hatte, und nun zum drittenmale sagte, er komme gegen des Beklagten bürgerliches Dasein ein, so nahm Fulvius die Tribunen in Ansprache. Und diese erklärten, sie würden ihrem Amtsgenossen nicht hinderlich sein, wie es ihm nach alter Sitte zustehe, entweder Kraft der Gesetze oder des Herkommens, so lange auf Strafe anzutragen, bis er gegen ihn als Privatmann entweder einen Spruch auf Geldstrafe oder gegen dessen bürgerliches Dasein bewirkt habe. Da sagte Sempronius, er klage gegen den Cneus Fulvius auf Hochverrath und erbat sich hierzu vom Stadtprätor Cajus Calpurnius einen Volkstag. Jetzt versuchte der Beklagte einen andern Weg der Hülfe, ob er es möglich machen könnte, seinen Bruder, Quintus Fulvius zum gerichtlichen Beistande zu haben, dessen Thatenruhm bei 256 der zu hoffenden baldigen Eroberung Capua's in voller Blüte stand. Da Fulvius in einem um die Rettung seines Bruders kläglich flehenden Briefe um diese Erlaubniß angehalten, die Väter aber geantwortet hatten, seine Entfernung von Capua werde einen nachtheiligen Einfluß auf das Ganze haben, so ging Cneus Fulvius gegen die Zeit des Gerichtstages in die Verbannung nach Tarquinii: und der Bürgerstand erklärte, die Verbannung sei ihm von Rechtswegen zuerkannt.
4. Indessen hatte sich die ganze Stärke des Krieges gegen Capua gewandt, ob es gleich ernstlicher eingeschlossen, als bestürmt wurde: und die Sklaven und geringen Leute konnten eben so wenig die Hungersnoth länger tragen, als durch so enge Posten an den Hannibal Boten senden. Da fand sich ein Numider, der mit einem Briefe durchzukommen versprach, und da er, um Wort zu halten, bei Nacht mitten durch das Römische Lager ging, bei den Campanern den Muth weckte, so lange sie noch einige Kräfte hätten, auf allen Seiten einen Ausfall zu versuchen. Auch liefen bei dem wiederholten Kampfe die Gefechte mit der Reuterei für sie meistens glücklich ab; nur zu Fuß waren sie die Geschlagenen. Indeß die Freude, zu siegen, war bei weitem nicht so groß, als der Verdruß, auf irgend einer Seite von einem belagerten und fast schon bezwungenen Feinde besiegt zu werden. Endlich fand man ein Mittel, den Abgang an Kraft durch Kunst zu ersetzen. Man hob aus allen Legionen die durch Munterkeit und leichteren Körperbau raschesten Jünglinge aus, und gab ihnen kürzere Rundschilde, als die Ritter hatten und jedem sieben Wurfspieße von vier Fuß Länge, vorne mit Eisen beschlagen, wie es die Lanzen der leichten Truppen haben. Von diesen nahm jeder Ritter einen zu sich aufs Pferd und gewöhnte ihn, hinter ihm aufzusitzen und auf ein Zeichen schnell abzuspringen. Als sie durch die tägliche Übung so weit gekommen zu sein schienen, dies mit der gehörigen Fertigkeit thun zu können, so rückte man auf dem zwischen dem Lager und der Stadtmauer befindlichen Felde 257 gegen die aufgestellte Campanische Reuterei vor. Als man zum Pfeilschusse kam, sprangen auf das Zeichen die Leichtbewaffneten ab; und nun drang plötzlich aus der Reuterei eine Linie zu Fuß auf die feindlichen Ritter ein und schleuderte mit Eindruck Spieße über Spieße auf sie ab. Da diese allenthalben in Menge auf Roß und Mann geworfen wurden, so verwundeten sie viele: doch war es eigentlich das Neue und Unerwartete des Auftritts, was ihnen den meisten Schrecken einjagte; und da nun auf die bestürzten Feinde die Reuterei einhieb, so verbreitete diese Flucht und Gemetzel unter ihnen bis an die Thore. Von nun an hatten die Römer auch an Reuterei die Überlegenheit. Es wurde festgesetzt, in den Legionen solche Absitzer beizubehalten. Diese Mischung der Reuterei mit Fußvolk war, der Angabe nach, das Werk des Hauptmanns Quintus Navius, der davon bei seinem Feldherrn alle Ehre hatte.
5. Bei dieser Lage der Dinge vor Capua sah sich Hannibal von seinen Entwürfen, die Burg von Tarent zu gewinnen und Capua zu retten, nach zwei entgegengesetzten Seiten gezogen: doch behielt die Rücksicht auf Capua die Oberhand, weil er sah, daß die Aufmerksamkeit der sämtlichen Bundesgenossen und Feinde auf diese Stadt gerichtet war, deren Abfall von den Römern in beiden Fällen des Ausgangs als Belehrung gelten werde. Nachdem er also einen großen Theil des Gepäcks und alle schweren Rüstungen im Bruttischen zurückgelassen hatte, eilte er mit Fußvolk und Reuterei, so passend er sie zur Beschleunigung des Zuges auswählen konnte, nach Campanien: doch folgten ihm auf seinem so schnellen Marsche dreiunddreißig Elephanten. In einem versteckten Thale hinter dem in Capua's Nähe ragenden Gebirge Tifata setzte er sich. Nach Eroberung des Kastells Galatia, wo er gleich bei seiner Ankunft die Besatzung im Sturme hinauswarf, wandte er sich gegen die Belagerer Capua's. Weil er nach Capua die Bestellung hatte voraufgehen lassen, daß sie um eben die Zeit, wo er das Römische Lager angreifen würde, zum Ausfalle fertig zu allen 258 Thoren herausstürzen möchten, so setzte er bei den Römern Alles in Schrecken. Denn auf der einen Seite griff er selbst an, auf der andern brachen die sämtlichen Campaner, Fußvolk und Reuterei, und mit ihnen die Punische Besatzung unter Bostar und Hanno aus der Stadt. Die Römer, um nicht in einer solchen Verlegenheit durch ein Zusammenströmen auf Einen Punkt irgend eine Stelle ohne Vertheidigung zu lassen, vertheilten ihre Truppen so. Appius Claudius trat den Campanern entgegen, Fulvius dem Hannibal. Cajus Nero, der Proprätor, nahm mit den Rittern der sechsten Legion seinen Stand auf der Straße nach Suessula, Cajus Fulvius Flaccus, der Legat, dem Strome Vulturnus gegenüber. Das Treffen begann nicht allein mit dem gewöhnlichen Geschreie und Lärmen, sondern außer dem Getöse der Männer, Rosse und Waffen, erhob auch die Menge von Campanern, welche wehrlos auf den Mauern aufgepflanzt stand, unter einem Geklapper mit ehernen Becken, wie man es in nächtlicher Stille bei einer Mondfinsterniß ertönen lässet, ein solches Geschrei, daß es die Aufmerksamkeit der Heere vom Gefechte abzog. Die Campaner hielt Appius ohne Mühe von seinem Walle ab: allein den Fulvius bedrängte von der andern Seite ein wirksamerer Feind, Hannibal mit seinen Puniern. Hier wich die sechste Legion von ihrer Stelle, nach deren Vertreibung eine Cohorte Spanier mit drei Elephanten bis an den Wall vordrang: und schon hatte sie die Linie der Römer in der Mitte gesprengt und schwebte selbst zwischen Hoffnung und Furcht, ob sie bis ins Lager durchbrechen oder von den Ihrigen abgeschnitten würde. Als Fulvius die Legion in Bestürzung, das Lager in Gefahr sah, rief er dem Quintus Navius und mehreren der vornehmsten Hauptleute zu, sie möchten die feindliche schon am Walle fechtende Cohorte angreifen: die Sache stehe zur mißlichsten Entscheidung: entweder müsse man die Feinde durchlassen; und dann würden sie mit leichterer Mühe, als sie die dichte Linie gesprengt hätten, in das Lager einbrechen, oder man müsse sie am Walle 259 zusammenhauen. Und dies werde so großen Kampf nicht kosten. «Der Haufe sei klein, und noch dazu von den Seinigen abgeschnitten; und wenn die Linie, die jetzt bei der Bestürzung der Römer unterbrochen scheine, sich von beiden Seiten gegen den Feind wende, so könne sie von vorne und von hinten die in die Mitte Genommenen einschließen.» Auf dies Wort des Feldherrn riß Navius dem Fähnriche von der zweiten Rotte des ersten Gliedes die Fahne aus der Hand und trug sie unter der Drohung den Feinden entgegen, sie mitten unter sie zu werfen, wenn nicht sogleich jeder Soldat ihm folgte und seinen Theil des Gefechts auf sich nähme. Der Mann war von mächtigem Körperbaue; die Waffen standen ihm schön ; und die emporgehaltene Fahne zog die Aufmerksamkeit von Freund und Feind auf dieses Schauspiel. Freilich schossen die Spanier, als er sich jetzt ihren Fahnen näherte, von allen Seiten ihre Wurfpfeile auf ihn und fast ihre ganze Linie richtete sich gegen den Einen: allein weder die Menge von Feinden, noch ein Hagel von Geschossen vermochte den Andrang dieses Mannes aufzuhalten.
6. Auch der Legat Marcus Atilius zwang den Fähnrich der ersten Rotte im zweiten Gliede eben dieser Legion, mit seiner Fahne auf die Spanische Cohorte einzugehen. Eben so vertheidigten auch die dem Lager vorgesetzten Legaten Lucius Porcius Licinus und Titus Popilius den Wall mit Muth und erlegten die Elephanten beim Übergange auf dem Walle selbst. Allein der Graben, durch diese Körper gestopft, gewährte den Feinden den Durchgang, als führte ein Damm oder eine Brücke hinüber: und auf dieser mit todten Elephanten überdeckten Stelle erhob sich ein fürchterliches Gemetzel.
Auf der innern Seite des Lagers waren die Campaner und die Punische Besatzung schon geschlagen; man focht selbst unter dem Thore von Capua, welches nach Vulturnum führt; und es waren nicht sowohl die Bewaffneten, welche den Römern das Eindringen wehrten, als das mit großen und kleinen Wurfgerüsten besetzte Thor, welches die Feinde durch Geschosse fern hielt. Auch that 260 dem Andrange der Römer die Wunde ihres Feldherrn Appius Claudius Einhalt, welchem an der Spitze der Seinigen, denen er Muth einsprach, die Brust oben unter der linken Schulterhöhle von einem Gallischen Wurfspieße getroffen ward. Dennoch wurde eine große Menge Feinde vor dem Thore niedergehauen, und die übrigen in voller Bestürzung in die Stadt getrieben. Als Hannibal die Niederlage der Spanischen Cohorte, und das feindliche Lager mit der höchsten Tapferkeit vertheidigt sah, so fing er an, mit Aufgebung des Angriffs, seine Fahnen zurückzuziehen, und sein Fußvolk zu schwenken, dem er im Rücken die Reuterei vorbreitete, damit es der Feind nicht verfolgen könnte.
Die Legionen brannten vor Eifer, dem Feinde nachzusetzen, allein Flaccus ließ zum Rückzuge blasen: er glaubte, beide Zwecke hinlänglich erreicht zu haben, sowohl die Campaner zu belehren, wie wenig ihnen Hannibal helfen könne, als den Hannibal selbst dies fühlen zu lassen. Die Berichte der Geschichtschreiber über diese Schlacht sagen, Hannibal habe an diesem Tage achttausend Mann verloren, die Campaner dreitausend; dem Carthagern habe man funfzehn Fahnen genommen, den Campanern achtzehn. Bei Andern habe ich gefunden, daß die Schlacht keinesweges von solcher Bedeutung, und die Verwirrung größer gewesen sei, als der Kampf, indem die Numider und Spanier unvermuthet mit den Elephanten in das Römische Lager eingebrochen wären, und die mitten durch das Lager fortschreitenden Elephanten unter großem Getöse den Umsturz der Gezelte und die Flucht der von ihren Halftern sich losreißenden Packpferde veranlasset hätten: diese Verwirrung sei durch Hannibals List noch größer geworden, weil er durch Leute, welche der Lateinischen Sprache kundig waren – und er hatte deren mehrere – im Namen der Consuln ausrufen ließ, die Soldaten sollten sich, da das Lager verloren sei, auf das nahe Gebirge retten; doch sei die List bald entdeckt und zum großen Verluste für die Feinde vereitelt; die Elephanten habe man mit Feuer aus dem 261 Lager gescheucht. Diese Schlacht, wie sie auch angefangen und geendet sein mag, war vor der Übergabe von Capua die letzte. Medixtuticus – so heißt bei den Campanern die höchste Obrigkeit – war in diesem Jahre Sappius Lesius, ein Mensch von niedriger Abkunft und dürftigen Umständen. Seine Mutter soll einst bei einem Sühnopfer, das sie zur Abwendung eines ihrer Familie drohenden Schreckzeichens im Namen dieses Unmündigen brachte, auf die Erklärung des Opferschauers, die erste Regierungsstelle zu Capua werde an diesen Knaben kommen, weil sie sich zu dieser Hoffnung durchaus nicht berechtigt sah, geantwortet haben: «Da muß es doch deiner Aussage nach sehr schlecht um Capua stehen, wenn hier die höchste Ehrenstelle an meinen Sohn kommen soll.» Und gerade dieser mit der Wahrheit getriebene Scherz ging gleichwohl in Wahrheit über. Denn als unter dem Drucke der Hungersnoth und des Krieges und bei völliger Verzweiflung an Allem diejenigen, welche vermöge ihrer Geburt auf Ehrenstellen hoffen durften, sich ihnen entzogen, so verschaffte sich durch seine Klagen, daß die Vornehmen Capua preisgäben und verriethen, die höchste obrigkeitliche Würde Lesius, der Niedrigste aller Campaner.
7. Als Hannibal sah, daß er die Feinde weder zu einem neuen Treffen herauslocken, noch durch ihr Lager nach Capua durchbrechen könne, so beschloß er, um sich nicht selbst von den neuen Consuln die Zufuhr abschneiden zu lassen, von seinem vergeblichen Versuche abzustehen und sein Lager von Capua zurückzuziehen. Unter einer Menge von Anschlägen, wohin er sich nun wenden solle, fühlte er in sich den Drang, auf den Hauptsitz des Krieges, auf Rom selbst, zu gehen; eine stets gewünschte Unternehmung, deren günstigen Zeitpunkt nach der Schlacht bei Cannä versäumt zu haben, theils mancher Andere rügte, theils Hannibal selbst nicht geradezu läugnete. «Sollte man daran verzweifeln müssen, durch Überraschung und im Getümmel wenigstens einen Theil der Stadt zu erobern? Auch würden ja, sobald Rom in Gefahr sei, entweder beide Römische 262 Feldherren, oder doch Einer von ihnen, Capua liegen lassen: und hätten sie ihre Truppen getheilt, so würden beide, nun so viel schwächer, entweder ihm oder den Campanern Gelegenheit geben, ihr Glück zu machen.» Die einzige Sorge drückte ihn, daß sich die Campaner, so wie er abgezogen wäre, ergeben möchten, Da vermochte er durch Geschenke einen zu jedem Wagstücke entschlossenen Numider, mit einem Briefe als Überläufer ins Römische Lager, und auf der andern Seite heimlich nach Capua zu gehen. Der Brief war voll von Ermunterungen. «Sein Abzug, der ihnen zur Rettung gereichen werde, solle die Römischen Feldherren und Heere vom Sturme auf Capua zur Vertheidigung Roms herüberziehen. Sie möchten den Muth nicht sinken lassen. Durch Ausdauer auf einige Tage würden sie der ganzen Belagerung ein Ende machen.» Dann befahl er, die Schiffe, die er auf dem Flusse Vulturnus wegnehmen ließ, bei der Schanze zusammen zu bringen, welche er schon früher, sich zu decken, aufgeworfen hatte. Als er hörte, man habe so viele beisammen, daß das Heer in Einer Nacht übersetzen könne, ging er mit den Legionen, die sich mit zehntägiger Kost versehen hatten, in der Nacht bis an den Fluß und noch vor Tage hinüber.
8. Als Fulvius Flaccus, noch ehe es so weit kam, dem Senate nach Rom schrieb, daß man dies zu erwarten habe – er wußte es durch Überläufer; – so machte die Nachricht auf die Bürger nach der Verschiedenheit der Sinnesarten verschiedenen Eindruck. In dem bei so dringender Noth sogleich berufenen Senate wollte Publius Cornelius, mit dem Zunamen Asina, alle Feldherren und Heere aus ganz Italien, ohne weiter an Capua oder sonst etwas zu denken, zum Schutze der Stadt zurückgerufen wissen. Fabius Maximus erklärte es für eine Schande, von Capua abzuziehen und sich durch jeden Wink, jede Drohung Hannibals schrecken und herumführen zu lassen. «Er, der als Sieger bei Cannä dennoch den Muth nicht gehabt habe, auf Rom zu gehen, solle jetzt, von Capua zurückgeschlagen, sich der Hoffnung überlassen, 263 Meister von Rom zu werden? Nicht zur Belagerung Roms, sondern Capua von der Belagerung zu befreien, mache er sich auf den Weg. Rom würden, außer dem Heere, welches in der Stadt stehe, Jupiter, der Zeuge der von Hannibal gebrochenen Verträge, und die übrigen Götter vertheidigen.» Über diese einander widersprechenden Stimmen behielt die Stimme des Publius Valerius Flaccus auf dem Mittelwege die Oberhand. Mit Rücksicht auf Beides rieth er, den vor Capua stehenden Feldherren zu schreiben: «Sie wüßten selbst, wie es mit der Besatzung der Stadt aussehe, wie stark dagegen die unter Hannibal anrückenden Truppen seien, eben so, wie groß das zur Einschließung Capua's erforderliche Heer sein müsse. Wenn zugleich einer von den Feldherren und ein Theil des Heers unter der Bedingung nach Rom kommen könne, daß von dem dort zurückbleibenden Feldherrn und Heere Capua gehörig eingeschlossen gehalten werde, so möchten sie Beide, Claudius und Fulvius, sich darüber vergleichen, wer von ihnen die Belagerung von Capua behalten, und wer zum Entsatze der Vaterstadt nach Rom kommen müsse.» Als dieser Senatsschluß vor Capua ankam, so führte der Proconsul Quintus Fulvius, der unter diesen Umständen, weil sein Amtsgenoß noch nicht von der Wunde genesen war, nach Rom gehen mußte, an funfzehntausend Mann zu Fuß und tausend zu Pferde, lauter erlesene Leute aus drei Heeren, über den Vulturnus. Von hier ließ er, weil er schon gewiß war, daß Hannibal auf der Latinischen Heerstraße weiter gehen werde, in den auf der Appischen Straße und in deren Nähe liegenden Freistädten, in Setia, Cora, Lanuvium, zum voraus ansagen, sie sollten sich in den Städten auf Vorräthe schicken, aus den abgelegenen Dörfern sie an die Heerstraße liefern und in die Städte Mannschaften zusammenziehen, damit jede Stadt den Schutz ihres ganzen Innern in ihrer Gewalt habe.
9. Am Tage seines Überganges über den Vulturnus bezog Hannibal in der Nähe des Flusses ein Lager. Am folgenden kam er vor Cales vorbei in das Sidicinische. 264 Hier brachte er einen Tag unter Plünderungen hin und zog durch die Gebiete von Suessa, Alifä und Casinum auf der Latinischen Straße: bei Casinum stand er zwei Tage und ließ rund umher plündern. Von da kam er vor Interamna und Aquinum vorbei in das Gebiet von Fregellä an den Fluß Liris, wo er, um ihn im Marsche aufzuhalten, von den Fregellanern die Brücke abgeworfen fand. Eben so hatte der Strom Vultumus den Fulvius aufgehalten, der zum Übersetzen seines Heers, weil Hannibal die Schiffe verbrannt hatte, bei dem großen Mangel an Zimmerholz, kaum die nöthigen Flößen bauen konnte. Allein als das Heer auf diesen hinübergeschafft war, kam Fulvius rasch auf dem übrigen Wege vorwärts, weil nicht bloß in den Städten, sondern auch an der Heerstraße Lebensmittel in Menge ausgestellt waren, und die Soldaten voll Munterkeit Einer den Andern aufforderten, er müsse durch den Gedanken, daß dieser Gang der Vertheidigung der Vaterstadt gelte, seine Schritte verdoppeln. Nach Rom brachte ein Bote aus Fregellä, der Tag und Nacht den Weg gemacht hatte, die schreckendsten Nachrichten. Aber noch lärmender, als seine Meldung, hatte das Hin- und Herlaufen der Menschen, die zu dem, was sie hörten, noch Unwahrheiten hinzusetzten, die ganze Stadt in Aufruhr gebracht. Nicht bloß aus den Privathäusern hörte man das Geheul der Weiber, sondern auch die Frauen von Stande, die auf die Gasse hinausströmten, liefen von allen Seiten in die Tempel, fegten mit gelösetem Hare die Altäre, streckten auf den Knieen liegend die Hände zum Himmel und zu den Göttern empor, und fleheten, sie möchten die Stadt Rom aus der Hand der Feinde erretten und die Römischen Mütter mit ihren Kleinen vor Mishandlung schützen. Der Senat stellte sich den Obrigkeiten auf dem Markte, für jeden Fall einer Anfrage. Die Einen nahmen Befehle in Empfang und begaben sich Jeder auf den Posten der Geschäfte: die Andern erboten sich zu Allem, wo ihre Dienste nöthig sein könnten. Truppen wurden auf der Burg, auf dem Capitole, auf den Mauern. um die Stadt her, auch auf dem 265 Albanischen Berge und der Äsulanischen Burg aufgestellt. Unter diesem Getümmel lief die Nachricht ein, der Proconsul Quintus Fulvius habe sich mit seinem Heere von Capua aufgemacht: und damit sein Heerbefehl durch seinen Eintritt in die Stadt nicht an Gültigkeit verlöre, wurde ein Senatsschluß abgefaßt, daß Quintus Fulvius im Oberbefehle den Consuln gleichstehen solle. Hannibal, nachdem er das Gebiet von Fregellä der abgebrochenen Brücken wegen noch feindseliger verheert hatte, kam durch das Gebiet von Frusino, Ferentinum und Anagnia in die Gegend von Lavici. Von da ging er durch den Algidus auf Tusculum, und da ihn die Stadt nicht einließ, zog er unterhalb Tusculum rechts nach Gabii herunter. Als er von hier sein Heer in den Pupinischen Bezirk hinabgezogen hatte, schlug er achttausend Schritte von Rom sein Lager auf. Je näher der Feind heranrückte, je mehr Flüchtende ließ er, da die Numider den Vortrab machten, niederhauen, und je mehr Gefangene machte er von jedem Stande und Alter.
10. In diesem Getümmel zog Fulvius Flaccus, der mit seinem Heere zum Capenischen Thore in Rom eingerückt war, mitten durch die Stadt über die Straße Carinä nach den Esquilien. Von da rückte er wieder aus und schlug zwischen dem Esquilinischen und Collinischen Thore sein Lager auf. Dorthin besorgten ihm die Bürgerädilen die Lebensmittel. Die Consuln und der Senat kamen in das Lager, und hier hielten sie Statsrath. Es wurde ausgemacht, die Consuln sollten in der Gegend des Collinischen und Esquilinischen Thors ein Lager aufstellen; der Stadtprätor Cajus Calpurnius solle das Capitol und die Burg unter Aufsicht haben, und der Senat versammelt auf dem Markte bleiben, falls man bei dem Drange der Umstände einer Anfrage bedürfe, Unterdeß rückte Hannibal mit seinem Lager an den Fluß Anio, dreitausend Schritte von der Stadt. Als er hier seinen Stand genommen hatte, ritt er selbt mit zweitausend Reutern vom Collinischen Thore bis an den Tempel des Hercules heran, und nahm so nahe als möglich im Auf- und 266 Abreiten die Mauern und die Lage der Stadt in Augenschein. Daß er dies so dreist und ungestört thun könne, sah Flaccus als einen Schimpf an und schickte seine Reuterei gegen ihn mit dem Befehle, die feindliche Reuterei abzutreiben und auf ihr Lager zurück zu bringen. Als das Treffen angegangen war, befahlen die Consuln den Numidischen Überläufern, deren damals an tausend zweihundert auf dem Aventinus standen, mitten durch die Stadt nach den Esquilien hinüber zu gehen, weil sie zu Gefechten zwischen Thälern, Gartenhäusern und Gräbern oder lauter Hohlwegen diese Truppen für die paßlichsten hielten. Leute, welche von der Burg und vom Capitole aus diese Numider zu Pferde an der Publicischen Höhe hinuntersprengen sahen, fingen an zu schreien, der Aventinus sei erobert. Und dieser Zufall erregte ein so allgemeines Umhertummeln und Flüchten, daß die ganze Volksmenge in der Angst zu den Thoren hinausgestürzt sein würde, hätte nicht vor der Stadt ein Punisches Lager gestanden: so aber flohen sie in ihre Häuser und auf die Dächer, und warfen auf ihre eigenen in den Straßen zerstreuten Leute, die sie für Feinde hielten, mit Steinen und Pfeilen. Auch war es nicht möglich, den Lärm zu stillen und den Irrthum aufzudecken, weil die Straßen vom Gewühle der Landleute und Heerden gestopft waren, die der plötzliche Schrecken in die Stadt zusammengetrieben hatte. Das Gefecht fiel für die Reuterei glücklich aus; die Feinde wurden zurückgetrieben. Weil indeß hin und wieder so mancher ohne Grund veranlaßte Auflauf gestillt werden mußte, so beschloß man, allen gewesenen Dictatoren, Consuln und Censorn, bis der Feind von den Mauern abgezogen sein würde, die Macht des Heerbefehls beizulegen. Und noch mancher blinde Lärm, der während des Restes vom Tage und in der folgenden Nacht entstand, wurde gestillet.
11. Den Tag darauf rückte Hannibal nach seinem Übergange über den Anio mit allen Truppen zur Schlacht aus; und Flaccus und die Consuln lehnten das Gefecht nicht ab. Als von beiden Seiten die Heere zu einem Kampfe 267 aufgestellt standen, in welchem der Preis des Siegers die Stadt Rom sein sollte, setzte ein gewaltiger Platzregen mit Hagel gemischt beide Linien so in Verwirrung, daß sie sich kaum mit den geretteten Waffen ins Lager zurückziehen konnten und den Feind ihre geringste Sorge sein ließen. Ein gleicher Gewittersturm schied auch am folgenden Tage die auf demselben Platze aufgestellten Linien. Sobald sie sich in ihr Lager zurückgezogen hatten, trat das heiterste Wetter und Windstille ein. Dies nahmen die Punier für einen höheren Wink, und man will vom Hannibal die Äußerung gehört haben: «Roms sich zu bemächtigen, fehle es ihm bald an Sinn, bald an Glück.» Auch sanken seine Hoffnungen durch einen zwiefachen Zufall, von denen der eine unbedeutend, der andre wichtig war. Der wichtige: er hörte, man habe, während er selbst mit einem Heere an den Mauern der Stadt Rom stand, Truppen in Reihe und Glied als Verstärkung nach Spanien abgehen lassen. Der unbedeutende: er erfuhr von einem Gefangenen, daß in diesen Tagen gerade das Feld, auf dem er mit seinem Lager stand, verkauft sei, ohne darum im mindesten am Preise zu verlieren. Dies nun, daß sich zu demselbigen Boden, den er als seine Eroberung besitze und inne habe, zu Rom ein Käufer gefunden habe, schien ihm ein so hoher Übermuth, eine solche Beschimpfung, daß er sogleich einen Ausrufer kommen ließ, der die damals am Römischen Markte stehenden Wechslerbuden käuflich ausbieten mußte. Aus diesen Gründen zog er sein Lager bis an den Fluß Tutia zurück, sechstausend Schritte von der Stadt. Von da ging er weiter zum Haine der Feronia, einem damals durch seinen Reichthum berühmten Heiligthume. Die Capenaten waren die altenCapenates aliqui.] – Dies aliqui verbessert Hr. Walch in antiqui: so wie bald nachher religione inducti in intacti. Anwohner, welche ihm dadurch, daß sie die Erstlinge ihrer Früchte und andre Geschenke nach Vermögen darbrachten, einen reichen Schmuck an Gold und Silber verschafft hatten. Aller dieser Geschenke wurde das Heiligthum damals beraubt. Von 268 Erz in Stücken fand man nach Hannibals Abzuge, weil es die Soldaten, ohne die Sünde zu scheuen, umhergeworfen hatten, große Haufen. Cölius berichtet, Hannibal sei dorthin auf seinem Hingange nach Rom von Eretum aus seitwärts gezogen, und läßt ihn von Reate, von Cutiliä und Amiternum ausgehen. Aus Campanien sei er nach Samnium, dann ins Pelignerland gekommen; sei bei der Stadt Sulmo vorbei ins Marrucinische übergegangen, von da durch das Albenser Gebiet ins Marserland, und dann nach Arniternum und zu dem Flecken Foruli gekommen. Die Ungewißheit rührt nicht daher, daß sich etwa die Spuren eines so großen Heeres binnen so kurzer ZeitCölius lebte etwa nur 80 Jahre nachher, zu den Zeiten der Gracchen. in dem Andenken verwischt hätten, denn daß er diesen Weg gezogen sei, ist ausgemacht: nur darüber ist man uneins, ob er auf diesem Wege zur Stadt gekommen, oder von der Stadt nach Campanien zurückgegangen sei.
12. Übrigens war Hannibals Beharrlichkeit, die Stadt Capua zu retten, keinesweges so groß, als die der Römer, ihr mit der Belagerung zuzusetzen. Denn aus Lucanien eilte er in das Bruttische, dann aber an die Meerenge und nach Rhegium so schnellen Laufs, daß er hier beinahe durch seine plötzliche Ankunft die Sorglosen überrascht hätte. Der Stadt Capua, war sie gleich diese Tage über eben so ernstlich belagert, wurde dennoch die Ankunft des Flaccus fühlbar; und man wunderte sich, daß Hannibal nicht zugleich zurückgekommen sei. Dann erfuhren sie durch mündliche Mittheilungen, daß sie die Verlassenen und Preisgegebenen waren, und daß die Punier alle Hoffnung, Capua zu behaupten, aufgegeben hatten. Hierzu kam noch der Aufruf des Proconsuls, der vermöge eines Senatsschlusses angeschlagen und den Feinden bekannt wurde: «Jeder Campanische Bürger, der bis zu einem bestimmten Tage überginge, solle frei von Strafe sein.» Doch erfolgte nicht ein einziger Übergang, weil die Furcht sie stärker, als die Treue, zusammenhielt, da für die 269 schweren Vergehungen bei ihrem Abfalle keine Verzeihung zu erwarten stand. So wie sich aber niemand entschloß, für sich allein zum Feinde überzugehen, so berieth man sich auch nicht zur gemeinschaftlichen Rettung. Der Adel hatte sich dem State entzogen und konnte nicht in den Senat zusammengerufen werden; und im höchsten Amte stand ein Mensch, der nicht etwa durch dieses seine Ehre erhöhete, sondern der durch seine Unwürdigkeit das Amt, das er bekleidete, um alle Macht und Gerechtsame brachte. Schon ließ sich weder auf dem Markte, noch sonst auf einem öffentlichen Platze, irgend einer der Vornehmen sehen: zu Hause eingeschlossen sahen sie dem Falle ihrer Vaterstadt und ihrem eignen Untergange mit jedem Tage entgegen. Alle Sorge für das Ganze lag auf dem Bostar und Hanno, den Befehlshabern der Punischen Besatzung, denen ihre eigne Gefahr, nicht die ihrer Bundesgenossen, zu schaffen machte. Diese beklagten sich über den Hannibal in einem Briefe an ihn selbst, nicht bloß in einem freimüthigen, sondern in einem vorwerfenden Tone: «Nicht Capua allein habe er den Feinden in die Hände geliefert, sondern auch sie und ihre Besatzung allen Martern preisgegeben. Er sei ins Bruttierland davongegangen, als wolle er sich abwenden, um nicht Capua vor seinen Augen erobern zu sehen. Aber bei Gott! die Römer hätten sich nicht einmal durch den Sturm auf die Stadt Rom von der Einschließung Capua's abziehen lassen: mit so viel größerer Standhaftigkeit sei der Römer – Feind, als der Punier – Freund. Wenn er nach Capua zurückginge und den ganzen Kriegsschauplatz hieher verlegte, so würden sie sowohl, als die Campaner zum Ausfalle bereit sein. Nicht zu einem Kriege mit den Rheginern oder Tarentinern wären sie über die Alpen gegangen. Wo die Römischen Legionen ständen, da müsse auch das Heer der Carthager sein. So habe man bei Cannä, so am Trasimenus Thaten gethan, dadurch, daß man sich einander genähert, Lager gegen Lager aufgeschlagen und dem Glücke sich geboten habe.» Den also lautenden Brief gab man einigen Numidern mit, die 270 für den ausgelobten Preis ihre Dienste schon angeboten hatten. Da diese als Überläufer zum Flaccus ins Lager gekommen waren, um sich, sobald sie ihre Zeit ersähen, davon zu machen, und beider Hungersnoth, die schon so lange in Capua anhielt, jedermann die Veranlassung zu ihrem Übergange glaublich fand, so kam unvermuthet eine Weibsperson aus Capua ins Lager, die Hure eines der Überläufer, und zeigte dem Römischen Feldherrn an, der Übergang der Numider sei ein listiger Plan; sie hätten einen Brief an den Hannibal bei sich, und sie sei bereit, es dem Einen von ihnen, der ihr die Sache entdeckt habe, auf den Kopf zuzusagen. Als er vorgeführt wurde, gab er sich anfangs mit vieler Haltung den Schein, als sei die Person ihm unbekannt: allein nach und nach durch die Wahrheit überführt, und als er sah, daß die Folter bestellt und herbeigeholt wurde, gestand er. Der Brief kam zum Vorscheine, und außerdem erfuhr man durch seine Aussage, was bis jetzt verheimlicht geblieben war, daß auch andre Numider unter dem Scheine von Überläufern im Römischen Lager herumgingen. Ihrer wurden über siebzig ergriffen, mit den neuen Überläufern gestäupt und mit abgehauenen Händen nach Capua zurückgeschickt. Der Anblick einer so schrecklichen Strafe brach den Campanern den Muth.
13. Der Zusammenlauf des Volks vor dem Rathhause zwang den Lesius, den Senat zu berufen; und man drohte den Vornehmen, die schon lange aus den öffentlichen Berathschlagungen wegblieben, geradezu, wenn sie nicht in den Senat kämen, wolle man Haus bei Haus zu ihnen kommen und sie alle mit Gewalt auf die Straße schleppen. Die Furcht vor einer solchen Behandlung versammelte den Senat um sein Oberhaupt sehr zahlreich. Als hier die Übrigen darauf antrugen, Gesandte an die Römischen Feldherren abgehen zu lassen, und Vibius Virrius, der an dem Abfalle von den Römern Schuld war, um seine Meinung befragt wurde, sagte er: «Diejenigen, welche von Gesandten, von Frieden und Übergabe sprächen, bedächten weder, was sie selbst gethan haben würden, wenn sie die Römer in ihrer Gewalt gehabt hätten, noch was jetzt ihr 271 eignes Schicksal sein müsse. Meint ihr etwa – fuhr er fort – die Übergabe werde von eben der Art sein, wie jene einst, als wir, um uns Schutz gegen die Samniten zu erkaufen, uns und alles Unsrige den Römern übergaben? Habt ihr schon vergessen, in welchem Zeitpunkte, in welcher Lage der Römer wir von ihnen abfielen? vergessen, wie wir bei unserm Abfalle ihre Besatzung, die wir entlassen konnten, unter Martern, und Rom zu höhnen, hinrichteten? wie oft, wie ergrimmt wir auf sie in der Belagerung Ausfälle thaten, ihr Lager bestürmten? den Hannibal zu ihrer Vertilgung riefen? ihn noch neulichst von hier zum Sturme auf Rom entsandten? Nun erinnert euch auf der andern Seite, wie erbittert sie sich gegen uns benahmen, um hiernach selbst bestimmen zu können, was ihr zu hoffen habet. Als ein wildfremder Feind in Italien stand, dieser Feind ein Hannibal war und überall die Flamme des Krieges loderte, schickten sie, ohne auf sonst irgend etwas, ohne selbst auf den Hannibal zu achten, beide Consuln mit zwei consularischen Heeren zum Angriffe auf Capua. Schon ins zweite Jahr martern sie uns Umpfählte und Eingeschlossene durch Hunger, ob sie gleich so gut wie wir die äußersten Gefahren, die drückendsten Beschwerden zu erdulden hatten, da sie oft an ihren Wällen und Graben zusammengehauen sind, zuletzt noch beinahe ihr Lager verloren hätten. Ich will dies nicht weiter verfolgen: bei Belagerung einer feindlichen Stadt Beschwerden und Gefahren auf sich nehmen, ist etwas Altes und Gewöhnliches. Aber das ist doch wohl der Beweis von einem Grimme und Hasse bis zur Vertilgung? Hannibal bestürmt mit einem mächtigen Heere Fußvolk und Reuterei ihr Lager und erobert es zum Theile: sie lassen sich durch keine Größe der Gefahr in der Belagerung stören. Er geht über den Vulturnus, brennt Alles im Calenischen nieder: das höchste Elend ihrer Bundesgenossen ruft sie nicht ab. Er läßt sein Heer ohne Schonung auf Rom selbst gehen: auch dieses heranziehenden Gewitters achten sie nicht. Er geht über den Anio, nimmt 272 dreitausend Schritte von der Stadt sein Lager, rückt zuletzt an die Mauern selbst und an die Thore. Er drohet, ihnen Rom nehmen zu wollen, wenn sie Capua nicht lassen: sie lassen es nicht. Wilde Thiere, wenn sie noch so blind und voll Wuth heranstürzen, lassen sich auf die ihren Lieblingen zu leistende Hülfe dadurch ableiten, daß man seinen Gang geradezu gegen ihre Lagerstellen und Jungen richtet. Die Römer vermochte weder ihr umlagertes Rom, noch Weib und Kind, deren Klaggeschrei wir fast von hieraus hörten, weder Altar noch Herd, nicht die Verunreinigung und Entweihung ihrer Göttertempel und der Gräber ihrer Väter von Capua abzuziehen: so groß ist ihre Gier nach einem Strafgerichte über uns, so groß ihr Durst, in unserm Blute zu schwelgen. Und vielleicht thun sie daran nicht Unrecht: auch wir würden dasselbe gethan haben, wenn wir das Glück gehabt hätten. Da dies nicht der Götter Wille gewesen ist, so kann ich, weil ich mich des Todes nicht einmal weigern darf, doch den Martern und Beschimpfungen, auf die der Feind sich freuet, noch als freier Mann, als Herr meiner selbst, durch einen nicht bloß ehrenvollen, sondern auch gelinden Tod entfliehen. Ich will keinen Appius Claudius, keinen Quintus Fulvius in seinem übermüthigen Siege sich brüsten sehen, mich nicht als Schauspiel des Triumphes gebunden durch die Stadt Rom schleppen lassen, um hinterher im Kerker, oder an den Pfahl gebunden mit zerstäuptem Rücken meinen Hals unter ein Römisches Beil zu strecken; nicht sehen, wie meine Vaterstadt zerstört und in Brand gesteckt wird und die Campanischen Frauen und Jungfrauen und edelbürtigen Knaben zur Entehrung fortgeschleppt werden. Alba, woher sie selbst stammten, haben sie von Grund aus zerstört, um sogar das Andenken ihres Stammorts, ihres Ursprungs zu vertilgen: und ich sollte glauben, daß sie Capua's schonen würden, auf welches sie noch erbitterter sind, als auf Carthago? Für diejenigen also, welche von euch gesonnen sind, dem Schicksale zuvor auszuweichen, ehe sie von so vielen und so kränkenden Auftritten Zeugen werden; soll heute bei mir 273 eine besetzte Tafel bereit stehen. Haben wir uns satt gegessen und getrunken, dann soll derselbe Becher, den man mir reichen wird, herumgehen. Dieser Trunk wird unsern Körper vor aller Marter, den Geist vor allem Hohne, und Auge und Ohr vor dem Anblicke und der Anhörung aller Kränkungen und Entehrungen, welche Besiegten bevorstehen, bewahren. Es werden Leute bestellt sein, welche unsre entseelten Körper auf einen großen im Vorhofe meines Hauses angezündeten Scheiterhaufen werfen sollen. Dies ist der einzige ehrenvolle und freie Weg zum Tode. Selbst die Feinde sollen unsre Festigkeit bewundern, und Hannibal es fühlen, daß die von ihm im Stiche gelassenen und preisgegebenen Bundesgenossen Männer waren.»