Victor Hugo
Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke. Zweiter Band
Victor Hugo

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XXXIV.

An Louis Bonlanger.

Mazeppa.

Awai! – Awai!

Byron, Mazeppa.

I.

Und als Mazeppa, laut aufschreiend, unter Thränen,
Die Lenden, Arm und Fuß, die blutigwunden Sehnen,
  All seine Glieder fest
Gebunden sah auf's Roß durch der Barbaren Mühen,
Das Rauch und Funkenstaub aus seinen Lüftern sprühen
  Und seinen Hufen läßt;

Als rings umstrickt er sich der Schlange gleich gewunden,
Und durch ohnmächt'ge Wuth ergötzt, die ihn umstunden,
  Der Henker rohe Brut
Und als er endlich matt sank auf des Hengstes Rippen,
Schweißtropfen auf der Stirn, mit Schaum bedeckt die Lippen,
  Und in den Augen Blut; –

Da ward ein Schrei gehört, und jäh im Sonnenbrande
Rast athemlos der Hengst, im aufgewühlten Sande
  Dahin mit seiner Last,
Er jagt den Staub empor, der ihn verhüllt den Blicken,
Der schwarzen Wolke gleich, durch welche Blitze zücken,
  Er eilt mit Windeshast.

Sie fliegen hin durch Thal und Ebne gleich den Stürmen,
Wie Wetterwolken, die im Hochgebirg sich thürmen.
  Wie Feuerbälle fliehn;
Bald nur ein schwarzer Punkt sind sie im seinen Raume,
Bald nur ein lust'ges Nichts, verflogen gleich dem Schaume,
  Am Meeresufer hin.

Sie fliegen. Endlos dehnt das Sandmeer, ohne Küste,
Sich aus, sie stürzen sich ins weite Grab der Wüste,
  Verschwindend alle Zwei.
Sie fliegen ruhelos, und Thürme, Dörfer, Städte
Und Bäum' umgaukeln sie, der Berge schwarze Kette, –
  Sie fliehn vorbei, vorbei.

Und wenn der Arme, dem die Glieder fast zerschellen,
Sich rührt, dann scheint das Thier sich wild emporzuschnellen,
  Das jäher Schreck ergreift;
Und durch der Wüste Sand hinjagt es ungehalten,
Die weit vor ihm sich dehnt mit ihren staub'gen Falten,
  Gleich einem Mantel, bunt gestreift.

Vor'm Auge flimmert's ihm und grelle Farben brennen,
Die Bäume sieht er fliehn, er sieht die Wolken rennen,
  Ein alter Thurm steigt auf,
Dort auf den Bergen scheint ein lichter Strahl zu tagen,
Er sieht's ... Dort wiehern laut Roßheerden, und sie jagen
  Ihm nach in raschem Lauf.

Der Himmel – schon beginnt die Abendluft zu hauchen –
Mit seinem Wolkenmeer, in das sich Wolken tauchen,
  Gleich Bergen aufgehäuft,
Mit seiner Sonne, die sich senkt zum Wellenbade, –
Er dreht sich über ihm gleich einem Riesenrade
  Von Marmor, goldgestreift.

Sein irres Auge stammt, und seine Haare schleppen
Sich nach, es hängt sein Haupt, es färbt den Sand der Steppen,
  Den Dornbusch, der ihn reißt,
Sein rothes Blut; es preßt ihm die geschwollnen Glieder
Der Strick, der Schlange gleich, die zornig hin und wieder
  Sich windet, krümmt und beißt.

Das Pferd, vom Sattel frei und Zaum, es rennt ins Weite,
Es trieft Mazeppa 's Blut herab an seiner Seite,
  In Fetzen fällt sein Fleisch.
Den heißen Stuten mit den wild empörten Mähnen
Folgt schwarzer Raben Schwarm, die schon entseelt ihn wähnen
  Und frech umflattern mit Gekreisch;

Und mit den Raben kommt die finstre Schaar der Wälder
Horneulen, Weihen, die umziehn die blut'gen Felder
  Der Schlacht, der Adler Schwarm,
Beinbrecher, Schuhu's und Aasgeier, jene fahlen,
Die bohren in das Fleisch den Hals, den rothen, kahlen,
  Wie einen nackten Arm.

Sie kommen all herbei, sich kreuzend in den Lüften,
Von ihren Nestern her auf Eichen und in Klüften,
  Vom alten Thurm und Haus.
Er liegt im Blut, er hört sie krächzen nicht noch stoßen,
Er fragt erstaunt, betäubt: »Wer breitet dort den großen.
  Den schwarzen Fächer aus?«

Es kommt die Nacht, sie hat den Sternenmantel heute
Nicht umgethan, und noch umfliegt die schwarze Meute
  Des Armen blutge Spur.
Er sieht sie zwischen sich hinjagen und dem Himmel,
Tann sinkt sein Aug', er hört vom nächtlichen Gewimmel
  Verworrne Laute nur.

Drei Tage rennt er fort und ohne je zu rasten,
Jagt über Ströme hin, bedeckt mit Eiseslasten,
  Durch Steppen, Wald und Sand,
Da stürzt er, – mächtig schrein die Vögel, krächzen, rufen,
Am Steine, den das Roß zerschlägt mit Eisenhufen,
  Erlischt der Funken Brand.

Da liegt er, elend, nackt, machtlos, wie er auch wüthe,
Bluttriefend, röther als des Ahorns Purpurblüthe,
  Wenn nun der Lenz erscheint,
Der Vögel Wolke hält und kreist ihm über'm Nacken,
Manch scharfer Schnabel brennt, ihm aus dem Kopf zu hacken
  Die Augen, roth geweint.

Nun, den Verdammten hier, mit schmerzverzerrter Miene,
Den Leichnam, athmend kaum, – das Volk der Ukraïne
  Wählt einst zum Fürsten ihn.
Einst wird er Tausende erschlagen, unbegraben
Zur Speise werden sie den Geiern und den Raben,
  Die jetzt ums Haupt ihm ziehn.

Aus seinem blut'gen Loos wächst seine wilde Größe,
Und mit dem Hetmanns-Pelz einst deckt er seine Blöße,
  Und strahlt, ein goldner Stern.
Und zieht er stolz vorbei, mit frohen Siegesweisen
Wird dann das Hirtenvolk, gebückt zur Erde, preisen
  Den Helden und den Herrn.

II.

So, wenn ein Sterblicher des Gottes Näh' empfunden,
Und sieht auf's Feuerroß des Genius sich gebunden, –
  Er ringt umsonst und regt,
Der Arme, sich! Das Roß, es rast hinan die Stufen
Zum Thor der Wirklichkeit, das mit den Eisenhufen
  Es kühn in Trümmer schlägt.

Durch Meer und Wüsten trägt ihn fort sein Flammenflügel,
Weg über Bergeshöhn und graue Wolkenhügel,
  Ins kalte Reich der Nacht,
Unsaubre Geister weckt es im Vorüberfahren,
Die sich um Mann und Roß in wilden Rotten schaaren,
  Zudringlich, ungeschlacht.

Er jagt im Flug durch's Reich der Träume, bricht die Schranken
Der Endlichkeit, und trinkt am Urquell der Gedanken,
  Am ew'gen Geisterstrom.
Ob sternenhell die Nacht, ob Wolken schwarz sich häufen,
Des Rosses Mähne strahlt hell gleich Kometenschweifen,
  Und flammt am Himmelsdom.

Er schaut den Ring Saturn's und Herschel's sechs Planeten,
Den Eispol, welchen Nachts des Nordlichts Flammen röthen.
  Doch was er immer konnt'
Erschau'n im Flug, wohin ihn trägt des Rosses Feuer,
Es thut vor seinem Blick sich immer auf ein neuer
  Und neuer Horizont.

Wer weiß es, außer euch, ihr Engel und Dämonen,
Was er erduldet, wie der Blitz ihm ohne Schonen
  Im Auge Qual erregt,
Wie Funken glühend heiß ihm an die Stirne springen,
Wie das Gezücht der Nacht mit eisig kalten Schwingen
  Ins Angesicht ihn schlägt?

Und voll Entsetzen schreit er auf, der bleiche Reiter,
Er trägt's nicht mehr, – das Roß fliegt unerbittlich weiter
  In zügellosem Lauf;
Scharrt's nicht ein Grab ihm auf mit jedem seiner Schritte? –
Ha, dort das Ziel! – Er fliegt, er stürzt im tollen Ritte,
  Und steht als König auf.

Mai, 1828.


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