Victor Hugo
Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke. Zweiter Band
Victor Hugo

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Die Taufe des Herzogs von Bordeaux.

Sinite parvulos venire da me! –
– Venerunt reges.

Evangelium.

Neunte Ode.

I.

Die Völker dieser Erde riefen:
»Weh, brach die letzte Zeit schon an?
Irr in der Finsterniß, der tiefen,
Gehn wir auf unbekannter Bahn.
Wohin? – Wer soll den Weg uns weisen,
Uns, die gebeugt ein Arm von Eisen?
Führt uns der Strahl ins Segensland?
Glänzt er zum Fluch uns? uns zum Heile?
Ist es des Himmels Feuersäule?
Weh, oder ist's ein Höllenbrand?

Die Fürsten trennen sich, die Thoren,
Die Heerde fällt vom Hirten ab,
Und vor den Fascen der Prätoren
Zerbricht der Könige goldner Stab.
Altäre sinken, Throne beben,
An beiden Oceanen heben
Hoch ihre Häupter die Partei'n.
Es recken sich ehrgeiz'ge Sklaven
Empor, die, Schlangen gleich, geschlafen,
Die Zwerge wollen Riesen sein.

Weh uns, wir rühmten ohne Zagen
Uns unsrer schweren Missethat,
Der Sünden, wie in alten Tagen
Kein Volk sie je begangen hat.
Aufs Ende deuten alle Zeichen,
Den Frevler wird die Straf' erreichen,
Der Tag der Rache bricht herein.
Was er verdient, das wird er finden;
Nur Eins noch fehlt zu seiner Sünden
Endloser Zahl: die ew'ge Pein!« –

Gott selbst will ihrer mild gedenken,
Die so in ihrem Jammer schrein:
Der Mensch wird müd nicht, ihn zu kränken,
Gott wird nicht müde, zu verzeihn.
Im Sünder weckt er Buß' und Reue,
Stets sühnt er sein Gebot aufs Neue
Für uns, die wir's verletzt mit Hohn,
Er selbst hält fest am Recht, dem herben:
Dem Gott vom Sinai muß sterben
Auf Golgatha der eigne Sohn.

II.

Und wieder soll uns Heil aus einer Wiege blühen!
Glaubt an das Glück, Ihr seht sein Morgenroth ja glühen.
Hat Gott gezüchtigt nicht, die frevelnd ihn gekränkt,
Hat er sie nicht versprengt, die Großen und die Kleinen,
  Und hat er seiner Engel Einen
Uns gnädig nicht, wie einst uns seinen Sohn, geschenkt?

Ihr zweifelt? – Also zagt der Seher, der dem dunkeln
Abgrund im Traum entstieg, und sieht den Tag nun funkeln,
Ihm ist das Nachtgesicht verschwunden noch nicht ganz,
Er fühlt wohl unterm Fuß den Boden, doch ein Schleier
  Ums Aug' ist ihm das ew'ge Feuer:
Der Hölle Glut umhüllt ihm noch des Himmels Glanz!

Laß jeden Zweifel fliehn, o Volk, und jauchz' entgegen
Dem Retter, der vermählt das Scepter und den Degen,
Ja, Glück und Ruhm vereint wird unter ihm erstehn.
Des Unglücks Lehre wird zum weisen Mann ihn machen:
  Denn sechzig Königsahnen wachen,
Sarglose Schatten, die um seine Wiege stehn.

Sein Name stillte schon das Kampfgeschrei, das wilde,
Der Bürger, Stadt und Land deckt er mit seinem Schilde,
In unfern Mauern ruht der Haß, der Aufruhr weicht.
So jagt ein junger Leu vor seiner Königsgrotte
  Mit seinem ersten Schrei die Rotte
Gemeiner Thiere weg, die lauernd sie umschleicht.

III.

Sagt, wer ist das Kind, das eben
Man zur heil'gen Schwelle bringt?
Heil ihm! Alle Pulse beben,
Alle Herzen sind beschwingt.
Kahl ist seine Stirn, die Hände
Beben, lahm noch Fuß und Lende,
Die die Windel ihm umflicht.
Stehen kann es nicht noch gehen,
Kaum beginnt sein Blick zu sehen,
Seine Stimme spricht noch nicht.

Bei den Menschen groß vor Allen,
Doch kein König ist es hier .
Mensch nur in des Tempels Hallen
Ist es, Asch' und Staub, wie wir.
Unsern Retter, unsre Sonne,
Den uns Gott gesandt zur Wonne,
Stellt Er heut uns Allen gleich.
Denn die Könige aus Erden,
Die wie Götter sich geberden,
Sind ein Nichts in Gottes Reich.

Mag der Menschen Knie sich biegen
Vor dem Hochmuth ohne Reu',
Doch ins Joch des Lamms sich schmiegen
Muß der königliche Leu.
Gott, der Vater, über Sternen
Thronend, läßt aus goldnen Fernen
Nieder auf das Kind sich heut.
Erst ein schwaches Erdenwesen,
Durch den heil'gen Geist genesen
Reift es für die Ewigkeit.

Auch Maria will es schirmen,
Und die Sel'ge, rein und klar,
Führt zum Tempel mit zwei Thürmen
Ihrer Himmelsjungfrau'n Schaar.
Alle Heil'gen, alle Frommen
Von den fernsten Sonnen kommen,
Bringen ihm ihr Angebind,
Und die Liebe will es grüßen,
Und der Glaube setzt zu Füßen
Und die Hoffnung sich dem Kind.

IV.

O Jordan, weißt du noch, was jüngst dein Ufer schaute,
Das unterjochte, das ein Pilger überthaute
Mit heißer Thränenflut, gestützt auf seinen Stab?
Andächtig saß er, gleich den Helden alter Zeiten,
  Die einst vom Heidenjoch befreiten
Den heil'gen Täuferstrom und des Erlösers Grab.

Er sah, ein Christ, mit Schmerz geknechtet und vernichtet
Frankreich, Altar, Gesetz und Thron durch's Schwert gerichtet,
Frech war das Laster, vor der Tugend spie man aus.
Kreuzfahrer ward er selbst, und wo ein Gott gelitten,
  Da weint' er fromm, bei Salems Hütten,
Er selbst verbannt, um sein verbanntes Königshaus.

Mit Jordan wasser füllt' er seine Kürbisflasche,
Und kam zu uns zurück mit seiner Pilgertasche.
Er wußte nicht, welch Glück, indem er heimgeeilt,
Dem Königskind und sich zugleich er gab zu kosten,
  Daß, ein Tobias, er vom Osten
Den Götterbalsam mit gebracht, der Blinde heilt.

Sei stolz, Prophetenflut! – Ihr Völker, schaut die Wellen
Des heil'gen Stromes, die bei unsrem Tauffest quellen!
Des Himmels Segen träuft auf dieses Kindes Haupt:
Denn es empfängt die Flut, die Gott einst selbst empfangen,
  Dies Wasser gibt der Welt, der bangen,
Den Muth, daß sie aufs Neu an einen Retter glaubt.

Wie einst dem Chlodwig gab Dir kund sich Gottes Gnade,
Drum hüte treu, o Fürst, des Ew'gen Bundeslade,
An Reinheit sei Dein Herz der weißen Lilie gleich.
Doch sei darauf nicht stolz, nicht stolz auf Deine Krone:
Denn Gott verleiht dem Königssohne
Das Kreuz des Fischers und dazu des Armen Teich!

V.

Das Kind, wenn über sich es sieht den Heiland leuchten,
Weiß Nichts vom Märtyrer, und lacht das Kreuz nur an.
Noch Eine Taufe wird die Stirne Dir befeuchten,
  Nicht glatt ist stets die Königsbahn.
Ein Tag wird kommen, Kind, wo lastend aus dem Herzen
  Das Volk Dir liegt mit seinen Schmerzen,
  Du weinst und trägst daran Dein Theil,
Wenn einst aufs Haupt das Oel Dir fließt aus Bischofshänden,
  Das durch die Taube Gott den Herrn der Erde senden
  Gewollt, – den Fürsten nicht zum Heil!

Drum, Christ und König, sei dem Heiland gleich, und lerne
Von ihm die Größe, die nur schöpft aus eigner Kraft,
Ein Scepter wird zur Last dem Könige, der gerne
  Daraus sich eine Stütze schafft.
Ein rechter König muß auf seinem Haupt vereinen,
  Was glänzt und strahlt! Wenn früh auch seinen
  Triumphen Halt der Tod gebeut:
Er sieht, wie einst Bayard, ein Kreuz in seinem Degen,
  Und statt der ird'schen lacht dem Sterbenden entgegen
  Die himmlische Unsterblichkeit!


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