Victor Hugo
Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke. Zweiter Band
Victor Hugo

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Meine Kindheit.

Siehe, das ist Alles vergangen ... meine Kindheit ist nicht mehr, sie ist so zu sagen gestorben, wenn ich auch noch lebe.

Augustinus, Bekenntnisse.

Neunte Ode.

I.

Als Kind schon träumt' ich oft von kriegerischer Ehre;
Ich wäre jetzt Soldat, wenn ich nicht Dichter wäre,
Stets schloß ich in mein Herz die Krieger liebend ein,
Oft schien auf ihrem Grab, floß ihnen meine Zähre,
Mir die Cypresse mehr als Lorbeer werth zu sein.

Auf einer Trommel hat mein Wiegenkorb gelegen,
Aus einem Helm empfing ich einst der Taufe Segen.
Ein Krieger hat in mir den Kriegergeist geweckt,
Mit einem Banner, arg zerfetzt im Kugelregen,
  Hat meine Wieg' er zugedeckt.

Wo Waffen blitzen, wo sich Lagerzelte dehnen,
Die Wagen Staub umwogt, da zog mich hin mein Sehnen,
Und auf Lafetten schlief ich manchmal Nächte lang.
Den Rossen war ich hold mit fliegend stolzen Mähnen,
Dem blanken Bügel und dem hellen Sporenklang.

Die Festungsthürme liebt' ich hoch auf steilen Bahnen,
Der Führer blankes Schwert, die ihre Truppen mahnen,
Vorposten, einsam, fern, zerstreut am Waldsaum hin,
Der alten Krieger Schaar, die mit zerrissnen Fahnen
  In die erstürmten Städte ziehn.

Ich sah mit neid'schem Aug' auf flüchtige Husaren,
Im goldgestickten Wams sah ich dahin sie fahren.
Sah die Uhlanen mit dem Helmbusch, glänzend hell,
Dragoner, deren Helm ein Busch von schwarzen Haaren
Und reiche Zierde schmückt vom bunten Tigerfell.

»Ha,« rief ich, »muß ich so ruhmlos im Dunkel grollen,
Soll ich mein junges Blut, fest klebend an den Schollen,
Hier sehn verglühn, und dort winkt Ruhm mir oder Tod? –
Ha, über blankes Erz wie prächtig wird es rollen,
  Das heiße Blut so purpurroth!«

Krieg wollt' ich sehn, den Krieg mit seinen wilden Schrecken,
Wie auf der Ebne, die noch Morgennebel decken,
Der Rosse Wiehern und der Männer Ruf erschallt,
Zwei Lager mit Geschrei zugleich die Flügel recken,
Wie donnernd ungestüm ein Heer aufs andre prallt.

Und Trommelwirbel hört' ich, rollende Geschütze,
Der Wagen Schmettern, Dampf und Rauch und grelle Blitze,
Sah die Schwadronen jäh sich stoßen, rasend wild
Aufflammen, und empört von grimmer Kampfeshitze
  Mit Leichen decken das Gefild.

II.

Mit unsern Heeren, die stolz durch Europa zogen,
Hab' ich, ein kleines Kind, die Länder all durchflogen.
Wenn er beredten Munds oft, ohne Rast und Ruh',
Erzählte, was so jung er schon erlebt, gewogen
Dem Knaben hörten gern die alten Männer zu.

Zehn Völker sah' und mehr ich schon im Knabenkleide,
Sie staunten bang uns an, man that mir Nichts zu Leide,
Als könnt' ich, wehrlos selbst, wohl ihnen Schutz verleihn.
Und sprach von Frankreich ich mit stolzer Siegerfreude,
  Dann sahn die Fremden ängstlich drein.

Die Insel sah ich, reich an Trümmer und Ruinen,
Auf welcher später Er nach seinem Sturz erschienen,Die Insel Elba, wo man eine Masse vulkanischer Spuren findet.
Ich sah den Mont-Cenis, den Aar auf hoher Fluh,
Von seinem Gipfel hört' ich donnern die Lawinen,
Sein altes Gletschereis kracht' unter'm Kinderschuh.

Zur Etsch, zum Arno kam ich von dem Strand der Rhone
Des Westens Babylon, mit der zerbrochnen Krone,
Rom sah ich, lebend noch selbst in des Grabes Bann,
Die Konigin der Welt auf einem Trümmerthrone,
  Mit Purpurfetzen angethan.

Ich sah Turin, Florenz, die ewig heitre, schöne,
Neapels Golf, ein Meer der hellsten Farbentöne,
Und drüber den Vesuv, den Flammenbaldachin: –
So in die Blumen wirft, daß er das Fest verhöhne,
Des Kriegers Eifersucht den blut'gen Helmbusch hin.

Und Spanien nahm mich auf, das der Erobrer beugte,
Bergara sah' ich, das stets wilde Stürme zeugte,
Mir schien der Escurial ein Grab, wo Alles schlief.
Vorm großen Aquadukt, dreifach gewölbt, verneigte
  Andächtig sich der Knabe tief.Die berühmte römische Wasserleitung von Segovia mit den bewunderten drei Arkadenreihen von Granit, die über einanderliegen.

In öden Städten sah ich mit geheimem Schauer
Von Lagerfeuern schwarz die Wand der morschen Mauer,
Auf Kirchenschwellen scharrt' und schlug des Rosses Huf.
In Klostergängen scholl, wie ein Geschrei der Trauer,
Vom Echo wiederholt der Krieger lust'ger Ruf.

III.

Als von der weiten Fahrt ich heimgekehrt, versunken
In Träumen wandelt' ich, das Haupt von lichten Funken
Umschwirrt, ein Träumer war und blieb ich alle Zeit,
Als hätt' ich unterwegs am Zauberborn getrunken
  Vom Quell, der ew'gen Rausch verleiht.

Mir zeigte Spanien all die Klöster und Bastillen,
Dein gothisch Münster sah ich sich vor mir enthüllen,
Burgos, ich sah dein Dach, Irun, das hölzern ragt,
Vittoria's Thurm und dich, Valladolid, die stillen
Paläste, wo im Hof der Rost an Ketten nagt.

Mir wogten in der Brust all die Erinnerungen;
Mit leiser Stimme hab' ich vor mich hin gesungen,
Und meine Mutter, die oft träumend sah mich gehn,
Sprach lächelnd, eine Thrän' im Auge: »Mit dem Jungen
  Spricht eine Fee, die wir nicht sehn!«

1823.


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