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Weh, sterben, ohne meinen Köcher
Zu leeren, ohne die Gesetzeschmierer
Und Henker zu durchbohren, zu zermalmen.
In ihren Koth zu treten! ...
André Chénter, Jamben.
»Forttreibt der Wind, der rauhe Scherge,
Die Eichel, die vom Aste fiel.
Als Eiche peitscht er sie am Berge,
Er peitscht im Meere sie als Kiel.
So, Jüngling, peitscht des Schicksals Ruthe
Auch uns. Drum schließ' in tollem Muthe
Dein und der Welt Leid nicht ins Herz.«
Wie? Selbstisch soll ich, fühllos zagen,
Und, taub für meiner Brüder Schrei'n,
Nichts, Nichts in diesen Schreckenstagen
Empfinden, als die eigne Pein?
Verbannter selbst aus freiem Willen
Auf Erden, Thränen sucht zu stillen
Der Dichter, jedem Leid gesellt.
Die Leier hoch als Wehr erhoben
Stürzt er sich in der Völker Toben,
Wie Orpheus in die Unterwelt.
»Der Hölle Schrecken hat beschworen
Für Augenblicke Orpheus ' Ton:
Doch du singst in Verbrecherohren
Die Hymne vom Gewissen, Sohn!
So blendet Stolz dir die Gedanken?
Du trittst als Richter in die Schranken,
Und fehltest in der Kämpfer Reihn?
Censor im Flaum der ersten Jugend,
Laß, eh' du prahlst mit deiner Tugend,
Erst älter deine Unschuld sein.«
Wenn das Verbrechen, ohne Buße,
Zum Python schwillt, und schnaubt wie toll,
Dann zur Grinnys wird die Muse,
Und nach dem Köcher greift Apoll .
Dem Gotte, dem ich mich ergeben,
Vertrau' ich, was mein junges Leben,
Mein reines, auch bedrohen kann.
Still folg' ich meinem Stern beflissen;
Das Segel wird vom Sturm zerrissen,
Doch rettet es den Steuermann.
»Die Menschen taumeln hin zum Schlunde:
Du singst sie nicht zurück vom Grab.
Warum, indeß manch holde Stunde
Dir lächelt, rennst du mit hinab?
Kannst du die Kette deiner Lage
Zerbrechen, ohne daß – o frage
Dich wohl! – das Herz auch Andern bricht?
Geh, spare Deines Lebens Gabe.
Hast du denn keine Mutter, Knabe?
Kennst, Dichter, du die Liebe nicht?«
Was ich geliebt, kann nicht verderben,
Auf schlägt die Flamme, himmelwärts.
Wer lieben kann, der kann auch sterben,
Denn reine Liebe dehnt das Herz.
Der Dichter wird, wo Frevler toben,
Die unterdrückten Dulder loben,
Er preist und wählt der Helden Theil.
Er weiht, den Märtyrern zur Feier,
Den blut'gen Opfern seine Leier,
Und seinen Hals dem Henkerbeil.
»Einst, sagt man, in vergangnen Tagen,
Wo Eins Poet war und Prophet,
Wußt' er der Welt voraus zu sagen,
Was in dem Buch der Sterne steht.
Doch du, was rühmst du dich zu wissen? –
Du lebst wie sie in Finsternissen,
Der Himmel nachtet wolkenschwer.
Zur Leier der Prophet, wo findet
Sich der? Die Muse, stumm, erblindet,
Weiß von der Zukunft längst nichts mehr.«
Kühn trotzt, als ob Gott selbst ihm riefe,
Der Dichter jedem künft'gen Graus:
Indem er in des Abgrunds Tiefe
Hinabstürzt, mißt er selbst sie aus.
Zum Opfer weiß er sich erlesen,
Weiß, daß gesühnt das Glück des Bösen
Nur durch die Unschuld wird vor Gott.
Er fühlt sich sterbend freier, stärker;
Es wird zum Tempel ihm der Kerker,
Zum Dreifuß wird ihm das Schaffot.
»Wärst Du im Land der Abbasiden,
Wo wolkenrein der Himmel glüht,
Geboren, wo in süßem Frieden
Die Aloë und Myrte blüht!
Dort ohne Thränen, ohne Qualen
Sieht der Poet den Morgen strahlen
Und rosenroth des Himmels Trift.
Und heil'ge Tauben bringen süße
Botschaft den Jungfrau'n, Liebesgrüße
In wunderbarer Blumenschrift.«
Ein Andrer mag dem Martyrthume
Vorziehn die würdelose Ruh'!
Mein Herz gehört allein dem Ruhme,
Der fällt dem Glücklichen nicht zu.
Es bebt im Sturm die Halcyone
Und fürchtet für die Wellenkrone,
Auf der sie gern sich schwimmend wiegt!
Indeß der Aar, der Sohn der Stürme,
Die Nebelwänd' und Wolkenthürme
Durchbrechend, in die Sonne fliegt.