Victor Hugo
Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke. Zweiter Band
Victor Hugo

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Die schwarze Bande.

Ein namenloser, frommer Wandrer unter den
Ruinen meines Vaterlandes ... Ich betete.

Ch. Nodier.

Dritte Ode.

»O Mauern, Wälle, Zinnen, Erker,
Zugbrücken, leuchtend überm Thal
Vornehme Schlösser, niedre Kerker,
Konvente, Klöster, reich an Zahl;
Ihr modernden Gewölb', ihr alten
Festsäle, wo Bankette schallten,
Und fromme Hymnen klangen mit;
Ihr Kirchen, wo in frommem Minnen
Einst unsre Mutter lag, ihr Zinnen,
Auf denen unser Urahn stritt!

Ihr Schlösser, unsrem Königsstamme
Treueigen! Die der Glaube stützt,
Ihr Tempel, die die Oriflamme,
Paläste, die das Kreuz beschützt!
Ihr Liebeshöfe! Siegesbogen,
Vom Schimmer unsres Ruhms umzogen!
Kapellen, Klöster, einsam, klein,
Gewaltig, – immer dicht verschleiert,
Ihr Burgen, die die Sage feiert,
Ihr Mauern, lauter Licht und Schein!

Ihr Monumente aus den Tagen,
Wo unser Volk ein Kind noch war,
Ruinen ihr, um die wir klagen,
Ihr schwebt in stündlicher Gefahr!
Provence, Armorica, an Trümmern
So reich, die täglich matter schimmern,
Wo einst des Ritters Waffe hing,
Zerfallne Thürme, Burgen, Dome,
Du heil'ges Bett von einem Strome,
Der, ach, schon lang versiegen ging!

Der Helden Lebewohl erschallen
Hör' ich in alter Schlösser Ruh.
Oft in zerstörten Tempelhallen
Blitzt mir ein Strahl vom Himmel zu.
Ich suche gern der Helden Spuren,
Wo glänzend sie vorüberfuhren,
Die Kraft, die Throne baut' und brach.
Wo ist nun all ihr Glanz und Schimmer?
Du altes Echo dieser Trümmer,
Hallst du noch ihre Stimme nach?

Oft, träumerisch, mit stolzer Miene
Hat meine Muse umgethan
Die Schärpe sich der Paladine,
Oft schnallte sie den Panzer an,
Sie trug ein rost'ges Schwert in Händen,
Die Beute, die von morschen Wänden
Sie nahm, aus moderndem Versteck.
Ja, selbst ein Roß hat sie bestiegen,
Sie wollt' in alle Weite fliegen
Und goldne Sporen trug sie keck.

Ich liebt' ein Schloß mit wald'gen Gängen,
In stiller Einsamkeit versteckt,
Ein Thor mit Epheuüberhängen,
Durch Thürme rechts und links gedeckt.
Gut war ich selbst den schwarzen Schwärmen,
Die nächtlich um die Dächer lärmen,
Den heisern Dohlen und den Kräh'n,
Die, krächzend ihre Kirchhofweisen,
Um Zinnen in gewundnen Kreisen
Und Thürme sich gespenstisch dreh'n.

Kirchthürme, wo im Abendscheine
Die Ranke bebt beim Glockenlaut,
Die Stufen zu dem heil'gen Steine,
Wo müd der Wandrer sich erbaut,
Die Kirche, ihre Gräber hütend.
Wie Tauben, über Eiern brütend,
Sie liebt' ich all, die Burg zumal,
Die stolz zur Festung sich erweitet,
Und ihre Arme mächtig breitet
Wie Geierflügel übers Thal.

Den Wachtthurm liebt' ich, der vom Tone
Des Horns, der Glocke bebt nicht mehr,
Den Saal, in welchem die Barone
Zusammenkamen ohne Wehr,
Die Fensterscheiben all, die matten
Und farbigen, die düstern Schatten
Der Gruft, wo in der Eisentracht
Die Helden unterm Schutt von Thürmen
Still schlafen, taub den Wetterstürmen,
Gleich wie am Abend vor der Schlacht.

Jetzt bergen tief in den Kaskaden,
Von dichtem Strauchwerk überdeckt,
Die schlanken Säulen der Arkaden
Die Stirne, wie vor Scham versteckt.
Granitne Trümmer, grüne Rasen,
Worauf verirrte Ziegen grasen,
Ein morscher Thurm, ehrwürd'ger Rest,
Die Heimath kühner Abenteuer...
Der Adler horstet im Gemäuer,
Die Schwalbe baut daran ihr Nest.

Gleich diesem Wandervogel fliegen
Mag gern der Dichter, frisch und wach.
Er geht mit Lust auf seinen Zügen
Den Trümmern und dem Frühling nach.
Ihm lächelt mit vertrauten Mienen
Das Ritterthum aus den Ruinen,
Von Helden spricht der Hauch des Winds,
Die hier einst ihre Wohnung hatten.
Und sind es heute Nichts als Schatten,
Die Schatten doch von Riesen sind's!

Ehrt diese Trümmer, o Franzosen!
Gott liebt ein Kind, das, fromm und zart,
Auch in der Zeit, wo Stürme tosen,
Getreu der Väter Erbschaft wahrt!
Wie einen Ruhm, der uns entfallen,
Zählt jeden Stein in Trümmerhallen!
Neu rauschen soll, was längst verfloß!
Frankreich soll Gallien wieder haben,
Das Heute der Erinnrung Gaben,
Der junge Fürst sein altes Schloß!«

II.

Schweigt, Saiten, still! Verstumm', o Leier des Poeten!
Ruhmvolle Trümmerwelt, erfülle dein Geschick!
Kein Freundesauge folgt dem Staub, dem windverwehten,
  Lang nach mit stummem Schmerz im Blick.
Sinkt hin, ihr Trümmer, ihr, die Zeugen alter Zeiten,
  Wollt ihr noch länger sie begleiten,
  Die heut'ge liebelose Welt?
Stürzt ein, Ruinen! Als verlorne Posten wachtet
Vor einem Lager ihr zu lang schon, das, umnachtet,
  Der ew'ge Schlaf gefesselt hält.

Ja, rascher muß noch gehn die Zeit! Will sie sich sperren?
Wie? Sahn wir unter uns Heroen nicht erstehn,
Die Könige mit Wuth aus ihren Gräbern zerren,
  An Leichen Henkerdienst versehn?
Ha, welch ein Stolz für uns! Die alten Bücher melden
  Aus Rom und Sparta Nichts von solch erhabnen Helden,
  Die so Gewaltiges vollbracht!
Grabsteine, Kirchen, Staub zermalmen und verstreuen –
Wie groß! – Sie schleudern Bann und Acht, die Herrn, die neuen,
  Selbst in des Grabes heil'ge Nacht!

Wer ist der Gott, der sie zu solchen Heldenstücken
Begeistert? – Hocherfreut, daß sie entdeckt das Nichts,
Vielleicht nur wollten sie die Gräber leer erblicken,
  Leer wie ihr Himmel, baar des Lichts.
Hohn bieten wollten sie vielleicht dem Todesschrecken,
  Um einen edlen Baum zu strecken,
  Griff man ihn an der Wurzel an? –
Noch Hekatomben gab's zu schlachten für die Schergen,
Man übte Muth und Kraft inzwischen noch an Särgen,
  Und machte sich an Wiegen dann ...

Es ist bekannt, daß zur Zeit unserer Revolution die Entweihung der königlichen Gräber den königsmörderischen Attentaten vorausging, deren gehässigstes vielleicht das war, das man langsam und gewissermaßen zum Vergnügen an einem Kinde verübte.

So mögen sie denn nahn, die so zum Krieg sich stählen,
Die Helden allzumal, gewöhnt an Mord und Raub!
Sie finden Feinde hier, wie sie sie gern sich wählen:
  Ruinen, Trümmer, Schutt und Staub.
Durch offne Thore tritt man, ohne sich zu schlagen,
  Mit leeren Thürmen kann man's wagen,
  Man siegt, weil nicht Ein Feind erscheint.
Nur hüte sich die Schaar, daß nicht die alten Braven
Erwachen, die im Schutt zerstörter Mauern schlafen,
  Sie sprachen: »Ha, ein fremder Feind!«

Einsam, den andern fremd, will dies Jahrhundert ragen!
Brecht diese Mauern ab, noch heute fest wie Erz.
Wozu die Reste noch aus längst vergangnen Tagen,
  Vergangen auch für unser Herz?
Das Erbe dieses Ruhms bedarf ganz andrer Wächter,
  Und für die flüchtigen Geschlechter
  Von heut ist's eine Last und Pein.
Es hält und hemmt sie nur in ihrem kühnen Schwunge:
Nach der vergangnen Zeit was fragen wir? – Die junge,
  Die künft'ge kümmert uns allein.

Ihr rühmt die alte Zeit, schwerfällig, dumpf und düster? –
Wir haben Rechte, wo für sie es Pflicht nur gab.
Auch wir sind tugendhaft. Wir morden unsre Priester,
  Und schlachten unsre Kön'ge ab.
Alt- Frankreichs Ehre fiel dem neuen Wahn zum Raube,
  Der Hoffnung Bruder flieht, der Glaube,
  Ein Volk, das so viel Böses thut.
Die Tugend wird verdrängt und muß dem Laster weichen,
Verschüttet ist ihr Pfad, wie unter Dorngesträuchen
  Verlassner Tempel Schwelle ruht.

Erinnerungen nehmt dem Land nur, auch die letzten,
Bald ist die Majestät des Alters abgethan.
Der Heimath reißt vom Leib den Purpur, den zerfetzten,
  Und spottet der Entblößten dann! –
O heil'ge Mutter, stets sei solche Schuld uns ferne:
  Wir rühmen die erloschnen Sterne,
  Und singen alten Ruhm und Preis.
Denn unsre Muse, jung und muthig, mag auch rütteln
Die Anarchie am Thron, wird nie ihr Banner schütteln,
  Vom Staub der edlen Vorzeit weiß!

1823.


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