Victor Hugo
Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke. Zweiter Band
Victor Hugo

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Oden und Balladen.

Vorrede.

Die Geschichte freut sich über Michel Ney, der aus einem Küferssohn Marschall von Frankreich, und über Murat, der aus einem Stallknecht König geworden ist. Die Dunkelheit ihres Ausgangspunkts gibt ihnen noch einen besondern Anspruch auf Achtung, und erhöht den Glanz des Ziels, das sie erreicht. Von allen Entwicklungen, die aus dem Schatten zum Lichte führen, ist die verdienstlichste und die schwierigste sicher die: wenn ein geborener Aristokrat und Royalist zum Demokraten wird.

Aus einem Schuppen in einen Palast aufsteigen, ist selten, und, wenn ihr wollt, schön. Aus dem Irrthum zur Wahrheit aufsteigen, ist seltener und schöner. Bei der ersten dieser beiden Erhebungen hat man bei jedem Schritt aufwärts Etwas gewonnen, sein Lebensglück, seinen Einfluß, seinen Reichthum vermehrt. Bei der zweiten Erhebung findet das gerade Gegentheil statt. Bei diesem herben Kampf gegen Vorurtheile, die man mit der Muttermilch eingesogen hat, bei der langsamen und mühevollen Erhebung vom Falschen zum Wahren, die aus dem Leben des einzelnen Menschen und aus der Entwicklung seines Selbstbewußtseins gewissermaßen ein verkleinertes Bild und Symbol des menschlichen Fortschritts überhaupt macht, hat man auf jeder Stufe, die man überschreitet, sein moralisches Wachsthum mit einem materiellen Opfer bezahlen, irgend ein Interesse im Stich lassen, irgend eine Eitelkeit ablegen, auf Güter und Ehren der Welt verzichten, sein Vermögen, seinen Herd, sein Leben aufs Spiel setzen müssen. Hat man diese Arbeit vollbracht, so mag man mit einigem Stolz darauf zurückblicken. Und wenn es wahr ist, daß Murat mit Stolz seine Postillonspeitsche neben seinem Scepter zeigen und sprechen konnte: »damit hab' ich angefangen,« so wird man mit noch begründeterem Stolze und mit besserem Gewissen seine royalistischen Oden aus der Kindheit und Jugend neben den demokratischen Gedichten und Büchern des reifen Mannes zeigen dürfen. Dieser Stolz ist, sollt' ich meinen, erlaubt, zumal wenn man, oben auf der Leiter des Lichts angelangt, die Proscription gefunden hat, und in der Lage ist, diese Vorrede aus dem Exil zu datiren. Jersey, Juli, 1853.

V. H.


1822.

Die erste Auflage dieser Oden (Juni 1822) war von folgenden Betrachtungen eingeleitet:

»Die Veröffentlichung dieses Buchs hat einen doppelten Zweck, einen literarischen und einen politischen. Der letztere ist jedoch nach des Dichters Dafürhalten nur eine Consequenz des ersten. Denn die Geschichte der Menschheit zeigt uns keine Poesie, die nicht von der Höhe monarchischer Ideen und religiöser Glaubensansichten herab ihr Urtheil empfinge.

Man könnte in der Anordnung dieser Oden eine gewisse Eintheilung bemerken; methodisch durchgeführt ist sie nicht. Der Verfasser war der Ansicht, die Bewegungen einer Seele seien nicht minder fruchtbar für die Poesie, als die Revolutionen in einem Reiche.

Das Gebiet der Poesie kennt übrigens keine Grenzen. Hinter der realen Welt lebt eine ideale Welt, die in ihrem vollen Glanze vor das Auge derjenigen tritt, welche sich durch ernstes Nachdenken daran gewöhnt haben, in den Dingen mehr zu sehen, als nur die Dinge. Die schönen Werke der Dichtkunst jeder Gattung, sei es in gebundener oder ungebundener Form, welche der Ruhm unseres Jahrhunderts sind, haben eine früher kaum geahnte Wahrheit enthüllt, daß die Poesie nicht in der Form der Idee, sondern in den Ideen selbst besteht. Die Poesie ist der innerste Kern aller Dinge.«

Es ist dem Dichter heute vielleicht gestattet, diesen wenigen Linien noch einige weitere Bemerkungen über den Gedanken beizufügen, der ihn bei der Composition dieser Oden geleitet hat.

Er ging von der Ueberzeugung aus, jeder Schriftsteller, in welcher Sphäre sein Geist sich bewegen mag, müsse sich zur Hauptaufgabe machen, Gutes zu stiften. Er hoffte, seine ehrenhafte Absicht werde ihm Verzeihung für das Gewagte dieser Versuche auswirken. Und so hat er es denn unternommen, einige der Haupterinnerungen unserer Epoche zu feiern, welche für die künftige Gesellschaft eine große Lehre sein können. Zur Verherrlichung seiner Ereignisse hat er die Form der Ode gewählt, weil dies die Form war, in welcher vor Zeiten die Eingebungen der ersten Dichter den ersten Völkern erschienen sind. Die französische Ode indessen, die man im Allgemeinen der Kälte und Eintönigkeit beschuldigt, schien nicht sehr geeignet zur Darstellung des Rührenden und Schrecklichen, des Düstern und Glänzenden, des Ungeheuren und Wunderbaren, was die letzten 30 Jahre unserer Geschichte bieten. Beim Nachdenken über dieses Hinderniß glaubte der Verfasser dieser Sammlung entdeckt zu haben, daß der Grund dieser Kälte nicht im Wesen der Ode, sondern allein in der Form liege, welche ihr die lyrischen Dichter bis jetzt gegeben haben. Die Ursache dieser Monotonie fand er im Mißbrauch der Apostrophen, der Ausrufungen, der Prosopopöen und anderer gewaltsamer rhetorischer Figuren, mit denen man in der Ode förmlich verschwenderisch umging: Erwärmungsmittel, die allzuhäufig angewandt, erkältend wirken, und statt zu ergreifen, betäuben. So dachte er denn, wenn er die Bewegung der Ode mehr in die Ideen, als in die Worte legte, wenn er überdieß die Composition auf irgend einer, dem Gegenstand entsprechenden Grundidee aufbaute, deren Entwicklung sich in allen ihren Theilen auf die Entwicklung des Ereignisses stützte, das in der Ode so erzählt werden müßte, daß an die Stelle der verbrauchten und falschen Farben, der heidnischen Mythologie, die neuen und wahren Farben der christlichen Theogonie gesetzt würden – unter diesen Bedingungen, dachte er, könnte man der Ode etwas vom Interesse des Drama's geben und sie überdies jene ernste tröstende religiöse Sprache sprechen lassen, deren eine alte Gesellschaft bedarf, die noch ganz taumelnd von den Saturnalien des Atheismus und der Anarchie herkommt.

Dies ist es, was der Verfasser dieses Buchs wenigstens versucht hat, ohne daß er sich übrigens schmeichelt, daß es ihm gelungen sei. Dies ist es aber auch, was er bei der ersten Auflage seiner Sammlung noch nicht sagen konnte, aus Besorgnis, die Darlegung seiner Überzeugungen möchte als Vertheidigung seiner Werke erscheinen. Heute, wo seine Oden die gefährliche Probe der Öffentlichkeit bestanden haben, kann er dem Leser die Idee mittheilen, die ihn zu derselben begeistert hat, und die er zu seiner Freude, wo nicht gebilligt, doch theilweise wenigstens begriffen gesehen hat. Vor Allem aber hat er noch den Wunsch auszusprechen, man möge ihm nicht die Anmaßung zuschreiben, als wollte er Bahn brechen und eine neue Gattung schaffen.

Die so eben ausgesprochenen Gedanken gelten größtentheils und vorzugsweise von den historischen Stoffen, die in dieser Sammlung behandelt sind. Aber der Leser wird auch ohne weitere Hindeutungen finden, daß die übrigen Bemerkungen auf dieselbe literarische Tendenz und ein ähnliches System der Composition hinauslaufen.

Der Verfasser bricht hier diese einleitenden Betrachtungen ab, deren nähere Entwicklung einen ganzen Band erfordern, und der man doch vielleicht keine Aufmerksamkeit schenken würde. Man muß immer sprechen, als würde man gehört, schreiben, als würde man gelesen, und denken, als würde man begriffen.


1842.

Der Dichter dieser Oden bringt hier neue Belege für oder wider das von ihm bereits angedeutete System der lyrischen Composition. Wenn er sie hiemit der Prüfung der Männer von Geschmack übergibt, so geschieht dies nicht ohne den höchsten Grad von Mißtrauen gegen sich selbst. Denn wenn er auch fest an die Theorien glaubt, welche für ihn die Früchte gewissenhafter Studien und anhaltenden Nachdenkens sind, so hat er auf der andern Seite doch sehr wenig Glauben an sein Talent. Er ersucht somit erleuchtete Kritiker, das Urtheil, das sie ohne Zweifel mit guten Gründen gegen seine poetischen Versuche fallen werden, nicht auch auf seine literarischen Doktrinen ausdehnen zu wollen. Ist Aristoteles nicht unschuldig an den Tragödien des Abbé d'Aubignac?

Der Dichter hat übrigens trotz seiner Unberühmtheit bereits den Schmerz gehabt, seine literarischen Principien, die er für untadelhaft hielt, verleumdet oder wenigstens mißdeutet zu sehen. Das ist der Grund, der ihn heute bestimmt, dieser neuen Veröffentlichung durch eine einfache und aufrichtige Erklärung einen gewissen Halt zu geben, eine Erklärung, die ihn vor jedem Verdacht der Ketzerei in dem Streite, der das literarische Publikum in zwei Lager theilt, vollständig sicher stellen soll. Es gibt zur Zeit in der Literatur wie im Staate zwei Parteien und der poetische Krieg scheint mit eben so großer Hartnäckigkeit und Leidenschaft geführt zu werden, wie der sociale Krieg, Die beiden Heere scheinen ungeduldig und mehr darauf aus, sich zu schlagen, als zu unterhandeln. Sie haben sich einmal in den Kopf gesetzt, eine und dieselbe Sprache nicht reden zu wollen. Die einzigen Worte, die sie sprechen, sind: nach innen das Losungswort, nach außen das Kriegsgeschrei. Das ist der Weg nicht, um sich zu verständigen.

Indessen haben sich doch mitten unter den Schreiern der beiden Heere auch einige Stimmen von Gewicht erhoben.

Vermittler haben sich mit verständigen Worten zwischen beide Schlachtlinien gestellt. Sie werden vielleicht die ersten sein, die als Opfer fallen; doch was liegt daran? Ihren Reihen möchte der Verfasser dieses Buchs gerne beigezählt werden, sollte er sich auch dort beschämt fühlen müssen. Er wird, wenn nicht mit derselben Autorität, so doch in demselben guten Glauben seine Ansichten verfechten. Er ist dabei auf die seltsamsten Beschuldigungen, auf die wunderlichsten Anklagen gefaßt. Bei der herrschenden Verwirrung der Geister ist die Gefahr des Sprechens noch größer, als die des Schweigens. Aber wenn es sich darum handelt, zu belehren und belehrt zu werden, so darf man nur nach der Pflicht und nicht nach der Gefahr fragen, er ergibt sich also in sein Schicksal. Ohne Bedenken wird er die gefürchtetsten Fragen in Angriff nehmen; und, wie der kleine Knabe von Theben, wird er sich unterstehen, die Löwenhaut zu schütteln.

Um nun gleich von vorn herein dieser unparteiischen Erörterung, in der er mehr Aufklärung sucht, als mitzutheilen hat, einige Würde zu geben, so erklärt er, daß er alle die hergebrachten Kunstwörter, welche sich die Parteien gegenseitig wie hohle Bälle zuwerfen, diese Zeichen, die nichts bezeichnen, diese Ausdrücke ohne allen Ausdruck, daß er all die vagen Worte verwirft, mit denen ein Jeder den Begriff verbindet, der seinem Haß oder seinen Vorurtheilen zusagt und welche als Gründe denjenigen dienen müssen, die überhaupt keine Gründe haben. In der Frage über die » klassische « und die » romantische Schule « gesteht er seine vollständige Unwissenheit. Nach der Meinung einer geistreichen Frau, die zuerst in Frankreich das Wort » romantische Literatur « ausgesprochen hat, würde diese Unterscheidung sich auf die beiden Hauptweltalter beziehen: dasjenige, welches der Stiftung des Christenthums vorangegangen und dasjenige, welches ihr nachgefolgt ist.De l'Allemagne Würde man diese Erklärung buchstäblich verstehen, so wäre das » verlorene Paradies « eine klassische Dichtung, und die Henriade wäre ein romantisches Werk, doch scheinen diese beiden von Frau von Staël eingeführten Worte heutzutage in diesem Sinne nicht genommen zu werden.

Wie in allen Stücken, so existirt auch in der Literatur nur das Gute und das Schlechte, das Schöne und das Häßliche, das Wahre und das Falsche. Nun ist aber – ohne hier Vergleichungen aufstellen zu wollen, welche nähere Erläuterungen und Beschränkungen erfordern würden – das Schöne– im weitesten Sinne des Worts – bei Shakspeare ganz eben so klassisch (wenn klassisch so viel ist als werth, studirt zu werden), als das Schöne bei Racine; und das Falsche bei Voltaire ist ganz eben so romantisch (wenn romantisch so viel ist wie schlecht), als das Falsche bei Calderon . Das sind natürliche Wahrheiten, die eher Pleonasmen als Axiomen gleichen. Allein man muß oft sehr tief herabsteigen, um den Eigensinn zu überzeugen und die Böswilligkeit außer Fassung zu bringen.

Man wird hier vielleicht die Einwendung machen: die beiden Parteilosungsworte haben ja ohnedies seit einiger Zeit die Bedeutung verändert und gewisse Kritiker seien übereingekommen, von nun an den Ehrennamen klassisch jedem geistigen Erzeugnis zu ertheilen, das in eine der unserigen vorangegangene Epoche fällt, während sie für romantisch speciell nur diejenige Literatur erklären, welche mit dem neunzehnten Jahrhundert heranwächst und sich entfaltet. Ehe wir nun untersuchen, in wie fern diese Literatur unserem Jahrhundert eigenthümlich ist, entsteht die Frage, wodurch sie diese exceptionelle Bezeichnung verdient oder sich zugezogen haben kann. Jede Literatur nimmt anerkanntermaßen mehr oder weniger scharf das Gepräge des Himmels, der Sitten und der Geschichte des Volkes an, dessen Lebensäußerung sie ist. Es gibt daher eben so viele verschiedene Literaturen, als es verschiedene Gesellschaften gibt. David, Homer, Virgil, Tasso, Milton und Corneille, Männer, deren jeder Einzelne eine Poesie und eine Nation repräsentirt, haben nichts mit einander gemein, als das Genie. Jeder von ihnen hat in seinem Lande und zu seiner Zeit den öffentlichen Gedanken ausgesprochen und befruchtet. Jeder von ihnen hat für seine sociale Sphäre eine Welt von Ideen und Empfindungen geschaffen, wie sie der Bewegung und der Ausdehnung dieser Sphäre entsprach. Warum soll man also unter einer vagen Gesammtbezeichnung Schöpfungen zusammen fassen, die zwar alle von einer Seele, der Wahrheit, belebt, aber in ihren Formen, Elementen und Gattungscharakteren dennoch sich unähnlich und oft im Widerspruch mit einander sind? Wie kommt man ferner zu gleicher Zeit zu dem auffallenden Widerspruch, einer andern Literatur – wiederum ein unvollkommener Ausdruck für eine noch nicht vollendete Epoche – die Ehre oder den Schimpf einer ebenso vagen, als exclusiven Bezeichnung anzuthun, die sie von den ihr vorangegangenen Literaturen abscheidet? – Als könnte sie gar nicht gewogen werden, außer in der andern Schale der Wage. Als könnte sie nur auf der Rückseite des Buchs geschrieben fein. Warum nennt ihr sie romantisch? Habt ihr in ihr etwa deutliche und innige Beziehungen zu der romantischen oder romanischen Sprache entdeckt? Nun dann erklärt euch, prüfen wir den Werth dieser Behauptung. Beweist zuerst, daß sie begründet ist. Ihr werdet dann immer noch zu beweisen haben, daß sie nicht bedeutungslos ist.

Man hütet sich heut zu Tage wohl, sich in dieser Beziehung in eine Discussion einzulassen, bei der nichts als ein ridiculusmus herauskommen könnte. Man will das Wort romantisch in einem vagen phantastischen Halbdunkel lassen, das den Schauer, den es einflößt, noch verdoppelt. Auch lassen sich wirklich alle Bannstrahlen, die gegen berühmte Schriftsteller und Dichter der Gegenwart geschleudert worden sind und werden, auf folgende Argumentation zurückführen: – »Wir verdammen die Literatur des neunzehnten Jahrhunderts, weil sie romantisch ist.« – Und warum ist sie romantisch? – »Weil sie die Literatur des neunzehnten Jahrhunderts ist.« –

Man wagt es hier nach reiflicher Ueberlegung zu behaupten, daß die Logik eines solchen Räsonnements denn doch nicht absolut unwiderleglich erscheint.

Verlassen wir diesen Wortstreit, der nur für oberflächliche Köpfe Interesse haben kann, deren lächerliches Geschäft er ist. Lassen wir ruhig Rhetoren und Pädagogen in ernster Procession Wasser in das leere Faß tragen. Wünschen wir all den armen, luftschnappenden Sisiphussen, die ohne Ruh und Rast ihren Stein den Hügel hinauf rollen, guten langen Athem.

                  Palus inamabilis unda
Alligat, et novies Styx interfusa coërcet.

Halten wir uns statt der Worte an die Sachen: denn der frivole Hader der Romantiker und der Classiker ist im Grunde nur die Parodie einer wichtigen Diskussion, die in diesem Augenblicke denkende Köpfe und ernste Seelen beschäftigt. Gehen wir von der Batrachomyomachie zur Iliasüber. Hier können sich die Gegner doch zu verständigen hoffen, denn sie sind sich ebenbürtig. Zwischen Ratten und Fröschen besteht eine absolute Unverträglichkeit, während zwischen Achill und Hektor das innige Wechselverhältniß des Adels und der Größe stattfindet.

Offenbar arbeitet eine große, tiefe Bewegung im Inneren der Literatur dieses Jahrhunderts. Es gibt ausgezeichnete Männer, die darüber erstaunt sind, und doch ist an der ganzen Sache lediglich nichts erstaunlicher, als eben ihre Ueberraschung. In der That, wenn nach einer politischen Revolution, welche die Gesellschaft in all ihren Gipfeln und in all ihren Wurzeln erschüttert, welche an jeden Ruhm und an jede Ehrlosigkeit die Hand gelegt, welche Alles gespalten und Alles mit einander vermischt hatte, so sehr, daß sie das Blutgerüst im Schatten des Lagerzeltes aufschlug und das Beil unter den Schutz des Schwertes stellte; wenn, sage ich, nach einer so furchtbaren Aufregung, die keine Falte des menschlichen Herzens unbewegt, nichts in der menschlichen Ordnung der Dinge an seiner Stelle gelassen hat; wenn nach einem so wunderbaren Ereigniß im Geist und Charakter eines Volkes keine Aenderung zu Tage träte, hätte man nicht eben dann alle Ursache zu staunen, und zu staunen ohne Maß und Ziel? ... Hier tritt uns ein scheinbarer und von Männern von Talent und Ansehen mit achtungswerther Ueberzeugung entwickelter Einwurf entgegen: gerade deßwegen, sagen sie, weil diese literarische Revolution das Resultat unserer politischen Revolution ist, beklagen wir ihren Triumph, verdammen wir ihre Werke.Der Uebersetzer erlaubt sich Diejenigen, welche sich für diese hier etwas einseitig aufgefaßte Epoche der französischen Literaturgeschichte interessiren, auf die reichhaltigen Beiträge in der Einleitung und im prosaischen Theil seines verdeutschten Beranger (2. Aufl. Stuttgart, Frankh. Bd. I.) zu verweisen. D. Uebers.

Diese Folgerung scheint mir nicht richtig. Die Literatur der Gegenwart kann theilweise das Resultat der Revolution sein, ohne daß sie deßhalb der Ausdruck derselben wäre. Die Gesellschaft, aus der die Revolution hervorgegangen war, hatte ihre Literatur, häßlich und abgeschmackt wie sie selbst. Diese Literatur und diese Gesellschaft sind zusammen gestorben und werden nicht wieder aufleben. In den Institutionen kehrt in jeder Beziehung die Ordnung zurück; sie kehrt auch im Reich der Wissenschaften zurück. Die Religion heiligt die Freiheit: wir haben Bürger. Der Glaube reinigt die Phantasie: wir haben Dichter. Ueberall kehrt die Wahrheit zurück, in den Sitten, in den Gesetzen, in den Künsten. Die neue Literatur ist wahr, mag sie das Resultat der Revolution sein, was liegt daran? Ist die Ernte darum weniger schön, weil sie auf einem Vulkan gereift ist? Welche Beziehung findet ihr zwischen der Lava, die euer Haus verzehrt hat, und dem Getreidekorn, das euch ernährt?

Die größten Dichter der Welt sind nach großen öffentlichen Calamitäten gekommen. Ohne der heiligen Sänger zu gedenken, deren Begeisterung immer von vergangenem oder künftigem Unglück ausgeht, so sehen wir Homer erscheinen nach dem Fall von Troja und den Katastrophen von Argos; Virgil nach der Zeit des Triumvirats. In den Kampf zwischen die Guelfen und Ghibellinen hineingeworfen, war Dante erst Verbannter gewesen, ehe er Dichter wurde. Milton träumte seinen Satan neben Cromwell . Die Ermordung Heinrichs IV. ging dem Corneille voran. Racine, Molière, Boileau hatten noch an den Stürmen der Fronde Theil genommen. Nach der französischen Revolution erhebt sich Chateaubriand, und das Verhältnis ist gewahrt.

Wir brauchen uns über diese merkwürdige Verkettung zwischen den großen Epochen der Politik und den schönen Epochen der Literatur nicht zu verwundern. In dem düstern ehrfurchtgebietenden Gang der Ereignisse, durch welche die höhere Macht sich den Mächten hienieden kund gibt, in der ewigen Einheit ihrer Ursache, in dem feierlichen Einklang ihrer Wirkungen liegt etwas, was die Seele tief erschüttert. Was es Edles und Unsterbliches im Menschen gibt, das erwacht plötzlich beim Klang aller dieser wunderbaren Stimmen, welche Gott verkündigen. Lange hört der Geist der Völker in andächtigem Schweigen von Katastrophe zu Katastrophe das geheimnißvolle Wort widerhallen, welches Zeugniß gibt in der Finsterniß.

Admonet et magna testatur voce per umbras.

Einige auserwählte Seelen erbauen und stärken sich an diesem Wort. Donnert es nicht mehr in die Ereignisse hinein, so blitzt es doch aus der Begeisterung hervor, die es erweckt. Denn dies ist der Weg, wie himmlische Lehren sich durch Gesänge fortpflanzen. Das ist die Sendung des Genies. Seine Auserwählten sind die Wächter, die der Herr auf die Thürme zu Jerusalem gestellet hat, und die nicht schweigen sollen, weder bei Tag noch bei Nacht.

Die gegenwärtige Literatur, wie sie Chateaubriand, die Staël und Lamennais geschaffen haben, gehört also der Revolution nicht an. Wie die sophistischen und zügellosen Schriften von Voltaire, Diderot und Helvetius der anticipirte Ausdruck der socialen Neuerungen waren, welche auf dem abgelebten Boden des letzten Jahrhunderts sich entwickelten, ebenso ist die Literatur der Gegenwart, die man, auf der einen Seite mit so viel Instinkt, auf der andern mit so wenig Scharfsinn angreift, der zum voraus schon gegebene Ausdruck der religiösen und monarchischen Gesellschaft, die ohne Zweifel aus dem Schutt von so viel alten Trümmern und so viel neuen Ruinen hervorgehen wird. Man muß es immer und immer wieder sagen: es ist nicht das Bedürfniß nach Neuigkeiten, das die Geister quält, sondern das Bedürfniß nach Wahrheit, und dieses ist unermeßlich.

Dieses Bedürfniß nach Wahrheit zu befriedigen, ist die Absicht der meisten hervorragenden Schriftsteller unserer Zeit. Der Geschmack, – die Autorität in der Literatur, – hat ihnen die Lehre gegeben: daß ihre Werke wahr ihrem Inhalt nach, wahr aber auch in der Form sein müssen. Und in dieser Beziehung haben sie die Poesie einen Schritt vorwärts gebracht. Die Schriftsteller anderer Völker und anderer Zeiten, selbst die bewundernswürdigen Dichter des »großen Jahrhunderts« haben in der Ausführung nur zu oft das Princip der Wahrheit vergessen, von dem sie bei der Composition ausgegangen waren. In ihren schönsten Partien begegnet man häufig Einzelheiten, die sich auf Sitten, Religionen oder Epochen beziehen, die dem Stoffe selbst nur zu fremd sind. Die Uhr, die, zur großen Erheiterung Voltaire's, dem Shakespeare 'schen Brutus die Stunde zeigt, in welcher er Cäsar tödten soll, diese Uhr, die demnach lange vor den Uhrmachern existirt hat, – wir finden sie wieder mitten in einer glänzenden Schilderung der mythologischen Götter, wo Boileau sie dem Saturn in die Hand gibt. Die Kanone, womit Calderon die Soldaten des Heraclius und Milton die Erzengel der Finsterniß ausrüstet, wird in der » Ode auf Namur « abgefeuert durch » zehntausend starke Alciden,« welche dadurch » die Wälle in die Höhe springen « lassen. In der That, wenn der Gesetzgeber auf dem Parnaß die Alciden Kanonen schießen läßt, so kann der Satan Miltons diese anachronistische Kriegführung mit Fug und Recht für ehrlichen Krieg erklären. Wenn in einem noch etwas barbarischen Zeitalter der Literatur ein Pater Lemoyne, – der Verfasser eines Gedichts auf den heiligen Ludwig , – die sicilische Vesper durch die Hörner der schwarzen Eumeniden anblasen läßt, so zeigt uns dafür ein aufgeklärtes Jahrhundert den Odendichter J. B. Rousseau, wie er (in seiner Ode an den Grafen de Luc, deren lyrische Bewegung sehr bemerkenswerth ist) einen treuen Propheten bis zu den Göttern sendet, um das Schicksal zu befragen . Und wenn wir die Nereiden sehr lächerlich finden, mit welchen Camoëns die Gefährten de Gama's umlagert, so wünschte man in dem berühmten » Rheinübergang « von BoileauUnbefangene werden leicht begreifen, warum wir hier so häufig den Namen Boileau's nennen. Fehler gegen den Geschmack, bei einem Mann von so geläutertem Geschmack, haben etwas Auffallendes, Ueberraschendes, sind aber eben deßhalb nur um so lehrreicher. Der Mangel an Wahrheit muß etwas der Poesie sehr Feindseliges sein, da er selbst Boileau's Verse verunstaltet. Uebelwollende Kritiker, welche vielleicht Mangel an Respekt vor einem großen Namen in jenen Anführungen erblicken, sollen wissen, daß Niemand in der Hochachtung für diesen ausgezeichneten Geist weiter geht, als der Verfasser dieses Buchs. Boileau theilt sich mit unserem Racine in das, in seiner Art einzige Verdienst, die französische Sprache festgestellt zu haben, – was allein hinreichen würde, – zu beweisen, daß auch er einen schöpferischen Genius besaß. ebenfalls andere Dinge zu sehen, als »schüchterne Najaden,« die fliehen vor Louis, von Gottes Gnaden König von Frankreich und Navarra, gefolgt von seinen Feldmarschällen und Armeen.

Derlei Nationen ließen sich ins Unendliche verlängern; aber es scheint nutzlos, noch weitere zu geben. Wenn solche Versündigungen an der Wahrheit selbst bei unsern besten Schriftstellern häufig vorkommen, so muß man sich hüten, ihnen ein Verbrechen daraus zu machen. Ohne Zweifel hätten sie sich darauf beschränken können, die reinen Formen der griechischen Gottheiten zu studiren, ohne ihnen ihre heidnischen Attribute abzuborgen. Als man in Rom einen Jupiter Olympius in einen Sankt Peter verwandeln wollte, begann man doch wenigstens damit, dem Gebieter des Donners den Adler unter seinen Füßen wegzunehmen. Betrachtet man aber die unermeßlichen Verdienste, welche sich unsere ersten großen Dichter um Sprache und Literatur erworben haben, so beugt man sich gerne vor ihrem Genius und fühlt nicht die Kraft in sich, ihnen Geschmacklosigkeit vorzuwerfen. Es ist dies gewiß ein höchst bedauerlicher Mangel gewesen, weil er in Frankreich ein falsches Genre, das scholastische Genre, eingeführt hat, das sich zum klassischen ebenso verhält, wie Aberglauben und Fanatismus zur Religion, und das heutzutage nur noch durch die ehrenwerthe Autorität berühmter Meister, bei denen es unglücklicher Weise Vorbilder findet, den Triumph der wahren Poesie aufhalten kann. Wir haben oben einige, unter sich ganz gleiche, Beispiele von diesem falschen Geschmack mitgetheilt, die wir bei den entgegengesetztesten Schriftstellern zugleich gesammelt haben, bei Solchen, die von den Scholastikern Klassiker genannt, und bei Solchen, die von ihnen unter die Romantiker gerechnet werden. Wir glauben dadurch gezeigt zu haben, daß wenn Calderon aus allzu großer Unwissenheit hat sündigen können, Boileau durch allzu große Gelehrsamkeit zu Fall kommen konnte, und daß man beim Studium der Schriften Boileau's die Sprachregeln des KritikersBetonen wir diesen Punkt ganz besonders, um schwerhörigen Leuten jeden Vorwand zu Mißverständnissen zu nehmen. Wenn es nützlich und bisweilen notwendig ist, gewisse abgerissene Sprachwendungen aufzufrischen, alte Ausdrücke wieder hervorzusuchen, und vielleicht auch den Versuch zu machen, der Schönheit unserer Versbildung durch die Fülle des Versmaßes und die Reinheit des Reims wieder aufzuhelfen, so kann man doch nicht oft genug wiederholen, daß hier der Geist der Vervollkommnung sich Halt gebieten muß. Jede Neuerung, die der Natur unserer Prosodie und dem Geist der Sprache zuwider ist, muß als ein Attentat auf die ersten Principien des Geschmacks bezeichnet werden.
Nach einer so offenen Erklärung wird es ohne Zweifel gestattet sein, den Hyperkritikern hier zu bemerken, daß das wahre Talent mit Recht die Regel als die Grenze betrachtet, die es nie überschreiten darf, nicht aber als den Pfad, auf dem es immer fortgehen muß. Sie führt den Gedanken fortwährend zu seinem einzigen Mittelpunkt, dem Schönen, zurück, aber sie engt ihn nicht ein. Die Regeln sind in der Literatur, was die Gesetze in der Moral: sie können nicht Alles voraussehen. Man wird Niemand als tugendhaft achten, weil er in seinem Verhalten sich auf die Beobachtung des Gesetzbuchs beschränkt hat. Man wird Niemand als großen Dichter ehren, der sich damit begnügt, nach den Regeln zu schreiben. Die Sittlichkeit ist kein Resultat der Gesetze, sondern der Religion und der Tugend. Die Literatur lebt nicht von dem Geschmack allein, sie muß durch die Poesie belebt und durch den Genius befruchtet werden.
gewissenhaft befolgen, vor der Nachahmung der falschen Farben aber, deren sich der Dichter zuweilen bedient, sich sorgfältig hüten muß.

Bemerken wir auch das noch im Vorbeigehen: wenn die Literatur des großen Jahrhunderts des großen Ludwig das Christenthum angerufen hätte, anstatt die heidnischen Götter anzubeten; wenn diese Dichter den Dichtern der ältesten Zeit geglichen hätten, wenn sie Priester gewesen wären, welche ihre Religion, ihre Heimath und deren Größe besungen haben, den sophistischen Doktrinen des letzten Jahrhunderts wäre der Triumph ungleich schwerer geworden, vielleicht unmöglich. Bei den ersten Angriffen der Neuerer hätten Religion und Moral in das Heiligthum der Literatur, in den Schutz so vieler großen Männer sich geflüchtet. Der Geschmack der Nation, der daran gewöhnt ist, die Ideen der Religion und der Poesie nicht zu trennen, hätte jeden Versuch irreligiöser Poesie zurückgestoßen, und diese Monstrosität als eine ebenso wohl literarische als sociale Tempelschändung gebrandmarkt.

Wer kann berechnen, wohin die Philosophie gelangt wäre, wenn die Sache Gottes, durch die Tugend vergeblich vertheidigt, einen Fürsprecher an dem Genius gefunden hätte? ... Aber Frankreich hat dieses Glück nicht gehabt: seine nationalen Dichter waren fast lauter heidnische Dichter, und unsere Literatur war vielmehr der Ausdruck einer idololatrischen und demokratischen Gesellschaft, als einer christlichen und monarchischen. Auch kamen die Philosophen in weniger als einem Jahrhundert dahin, eine Religion, die in den Geistern nicht war, auch aus den Herzen zu vertreiben.

Das Unheil, das die Sophisten angerichtet, wieder gut zu machen, dies ist die Hauptaufgabe, die sich ein Dichter heutigen Tages stellen muß. Er muß wie eine Feuersäule vor den Völkern hergehen und ihnen den Weg zeigen. Er muß sie zurückführen zu den großen Grundsätzen der Ordnung, der Sittlichkeit und der Ehre, und damit sein Einfluß ihnen angenehm sei, müssen alle Fibern des menschlichen Herzens unter seinen Fingern zittern wie die Saiten einer Leier. Er wird nie der Wiederhall irgend eines Wortes sein, es sei denn das Wort Gottes, er wird sich immer an das erinnern, was seine Vorgänger nur zu oft vergessen haben, daß auch er eine Religion und ein Vaterland hat. Seine Gesänge werden nicht müde werden, die Heldenthaten und die Unglücksfälle seines Landes, den strengen Ernst und die heiligen Entzückungen seines Kultus zu feiern, damit seine Vorfahren und seine Zeitgenossen einigen Gewinn von seinem Genie und von seinem Herzen haben, und damit in der Zukunft andere Völker nicht von ihm sagen mögen: »Der sang in einem barbarischen Lande.«

In qua scribebat, barbara terra fuit. Februar 1824.


1826

Von Anfang an glaubte der Verfasser dieser lyrischen Dichtungen die verschiedenen Arten derselben durch eine scharf gezogene Eintheilung von einander trennen zu müssen.

Auch jetzt noch begreift er unter dem Titel: Oden jede rein religiöse Eingebung, jede rein antike Studie, jede Bearbeitung eines gleichzeitigen Ereignisses oder persönlicher Eindrücke. Die Dichtungen, die er Balladen betitelt, sind ganz andern Charakters. Es sind Skizzen einer launenhaften Gattung:

Gemälde, Träume, Scenen, Erzählungen, abergläubische Legenden und Volkssagen. Er machte mit diesen Dichtungen den Versuch, eine Idee von dem zu geben, was die Gedichte der ersten Troubadours des Mittelalters sein mochten, jener christlichen Rhapsoden, die nichts auf der Welt besaßen, als ihr Schwert und ihre Laute, von Schloß zu Schloß wanderten und die Gastfreundschaft mit ihren Gesängen vergalten.

Wenn der Ausdruck nicht zu anmaßend klänge, so würde der Dichter, um seine Gedanken zu ergänzen, sagen: er habe in die Oden mehr von seiner Seele, in die Balladen mehr von seiner Phantasie hinein gelegt.

Im Uebrigen legt er auf diese Classifikationen nicht mehr Werth als sie verdienen. Viele Leute, deren Ansicht Gewicht hat, haben behauptet, seine Oden seien gar keine Oden. Gut. Viele Anderen werden ohne Zweifel, und zwar mit ebenso viel Grund behaupten: seine Balladen seien gar keine Balladen. Auch gut. Gebe man ihnen irgend welchen andern Titel, wie er auch lauten mag, der Verfasser unterschreibt ihn zum voraus.

Bei dieser Gelegenheit wird derselbe, jedoch mit gänzlicher Beiseitlassung seiner eigenen so unvollkommenen und unvollständigen Werke, so kühn sein, einige gewagte Bemerkungen zu machen.

Man hört jeden Tag, wenn von literarischen Erzeugnissen die Rede ist, von der Würde dieser Gattung, von den conventionellen Regeln jener, von den Grenzen dieser, von den Licenzen jener Gattung sprechen: die Tragödie verbietet, was der Roman erlaubt; das Lied duldet, was die Ode untersagt u. s. w. Der Verfasser hat das Unglück, von alle dem nichts zu verstehen; er sucht darin Sachen und findet nur Worte; ihm scheint das, was wirklich schön und wahr ist, überall schön und wahr zu sein; was in einem Roman dramatisch ist, ist auch auf der Bühne dramatisch, was in einem Couplet lyrisch ist, wird auch in einer Strophe lyrisch sein; und endlich und immer wird es nur eine richtige Unterscheidung bei geistigen Erzeugnissen geben, und die ist: gut oder schlecht. Der Gedanke ist ein jungfräulicher fruchtbarer Boden, dessen Erzeugnisse frei wachsen wollen, so zu sagen aufs Gerathewohl, ohne sich einreihen und in den Rabatten in gerader Linie aufstellen zu lassen, wie die Blumen in einem klassischen Garten von Lenôtre oder wie die Blumen der Sprache in einem Compendium der Rhetorik.

Man darf indeß nicht glauben, diese Freiheit führe zur Unordnung; gerade das Gegentheil. Entwickeln wir unsere Idee. Man vergleiche einen Augenblick den königlichen Garten von Versailles, schön geebnet, schön beschnitten, schön gekehrt, schön zugestutzt, schön mit Sand bestreut, voll von kleinen Kaskaden, kleinen Bassins, kleinen Bosquets, von Tritonen aus Bronze, welche höchst ceremoniell auf Oceanen sich tummeln, die man um schweres Geld aus der Seine gepumpt hat, von marmornen Faunen, welche Dryaden den Hof machen, die allegorisch eingeschlossen sind in einer Menge konischer Taxus-, cylindrischer Lorbeer-, sphärischer Orangen-, elliptischer Myrthen und anderer Bäume, deren natürliche Gestalt, ohne Zweifel, weil sie zu trivial erschien, durch die Scheere des Gärtners graziös corrigirt wurde; man vergleiche diesen vielgerühmten Garten mit einem Urwald der neuen Welt, mit seinen Riesenbäumen, seinen hohen Gräsern, seiner unergründlichen Vegetation, mit seinen tausendfarbigen Vögeln, seinen weiten Laubhallen, wo Schatten und Licht nur auf grünem Grunde spielen, mit seinen wilden Harmonien, seinen großen Flüssen, welche ganze Blumeninseln mit sich führen und seinen unermeßlichen Katarakten, auf welchen sich Regenbögen wiegen. – Wir fragen nicht: wo ist die Pracht? wo ist die Größe? wo ist die Schönheit? sondern einfach: wo ist die Ordnung? wo ist die Unordnung? – Dort eingezwängte oder von ihrem Lauf abgelenkte Gewässer, die nur, um still zu stehen, aus versteinerten Göttern hervorspringen; Bäume aus ihrem natürlichen Boden verpflanzt, ihrem Klima entrissen, selbst ihrer natürlichen Gestalt, ihrer Früchte beraubt und gezwungen, sich der grotesken Laune der Scheere und der Schnur zu unterwerfen; kurz, überall die natürliche Ordnung durchbrochen, verkehrt, umgestürzt, zerstört. Hier dagegen gehorcht Alles einem unwandelbaren Gesetze; ein Gott scheint in Allem zu leben. Die Wassertropfen folgen ihrem Gefäll und bilden Flüsse, die zu Meeren werden; die verschiedenen Samen wählen sich ihren Boden und erzeugen einen Wald. Jede Pflanze, jede Staude, jeder Baum keimt in seiner Jahrszeit, wächst an seinem Ort, trägt seine Frucht und stirbt zu seiner Zeit. Selbst das Unkraut ist hier schön. Wir fragen noch einmal: Wo ist die Ordnung?

Wählet jetzt, entweder die Meisterwerke der Gartenkunst, oder das Werk der Natur, das conventionell Schöne oder das, was ohne Regel schön ist, ein Stück künstliche Literatur oder originale Poesie.

Man wird uns einwenden: der jungfräuliche Wald verberge in seiner prachtvollen Einsamkeit tausend gefährliche Thiere, während die schlammigen Bassins des französischen Gartens höchstens einige einfältige Thiere bergen. Das ist gewiß ein Unglück; aber Eins ins Andere gerechnet, so wollen wir doch lieber ein Krokodil als eine Kröte. Die Barbarei Shakespeare's ziehen wir der Abgeschmacktheit Campistrons vor.

Sehr wichtig ist es, festzustellen, daß in der Literatur wie in der Politik die Ordnung sich wunderbar gut mit der Freiheit verträgt, ja die Ordnung ist das Resultat der Freiheit; übrigens muß man sich wohl hüten, Ordnung und Regelmäßigkeit mit einander zu verwechseln. Die Regelmäßigkeit bezieht sich nur auf die äußere Form; die Ordnung geht aus dem Wesen der Dinge selbst hervor, aus der verständigen Anordnung der inneren Elemente eines Gegenstandes. Die Regelmäßigkeit ist eine materielle und rein menschliche Combination; die Ordnung ist so zu sagen göttlich. Diese beiden ihrem Wesen nach so verschiedenen Eigenschaften kommen häufig eine ohne die andere vor. Ein gothisches Münster zeigt in seiner naiven Unregelmäßigkeit eine bewundernswürdige Ordnung; unsere modernen französischen Gebäude, auf welche man die griechische oder römische Architektur so linkisch angewandt hat, stellen nur eine regelmäßige Unordnung dar. Ein gewöhnlicher Mensch wird immer ein regelmäßiges Werk zu Stande bringen können; nur große Geister verstehen es, eine Composition zu ordnen. Der Schöpfer, der von seiner Höhe herabsieht, ordnet; der Nachahmer, der genau zusieht, regelt: der Erstere verfährt nach dem Gesetz seiner Natur, der Letztere nach den Vorschriften seiner Schule. Die Kunst ist für den Einen eine Inspiration, für den Andern ist sie nur eine Kenntniß. Um mit zwei Worten Alles zu sagen und ohne zu widersprechen, wenn man nach dieser Bemerkung die beiden Literaturen, die sogenannte klassische und romantische, beurtheilt: die Regelmäßigkeit ist der Geschmack der Mittelmäßigkeit, die Ordnung ist der Geschmack des Genies.

Es versteht sich von selbst, daß die Freiheit nie in Anarchie ausarten darf, daß die Originalität unter allen Umständen nicht der Incorrektheit zum Vorwand dienen darf. Gerade je kühner die Conception eines literarischen Werkes ist, desto tadelloser muß die Ausführung sein. Wenn du auf andere Art, als die Andern, Recht haben willst, mußt du zehnmal mehr Recht haben, als sie. Je mehr man die Rhetorik verachtet, desto besser steht es Einem an, die Grammatik in Ehren zu halten. Man darf den Aristoteles nur entthronen, wenn man den Vaugelas zur Herrschaft bringen will. Man muß Boileau's »Art poëtique« achten, wenn nicht ihrer Principien, so doch ihres Styls wegen. Ein Schriftsteller, dem die Nachwelt nicht ganz gleichgültig ist, wird unablässig bemüht sein, seine Sprache zu reinigen, ohne den eigenthümlichen Charakter zu verwischen, durch welchen seine Ausdrucksweise die Individualität seines Geistes offenbart. Im Uebrigen ist Neuerungssucht nur eine traurige Hülfsquelle für die Impotenz. Sprachfehler bilden niemals einen Gedanken, und der Styl ist wie ein Krystall: seine Reinheit macht seinen Glanz aus.

Der Verfasser dieser Sammlung wird vielleicht an einem andern Ort des Weiteren ausführen, was er hier nur angedeutet hat. Es sei ihm schließlich nur noch die Bemerkung erlaubt, daß der Geist der Nachahmung, durch Andere als das Heil der Schulen empfohlen, ihm immer als eine Kunst-Kalamität erschienen ist. Und er würde die Nachahmung, welche sich den sogenannten romantischen Schriftstellern an die Fersen heftet, eben so streng verurtheilen, wie diejenige, welche sich den sogenannten Klassikern anhängt. Wer einen romantischen Dichter nachahmt, wird nothwendiger Weise klassisch, eben weil er nachahmt.Diese Worte sind hier in der halbverstandenen, nicht genau definirten Bedeutung genommen, die man ihnen im gewöhnlichen Leben beilegt. Ihr mögt ein Echo Racine's oder ein Reflex Shakespeare's sein, immer seid ihr eben ein Echo und ein Reflex. Wenn ihr es auch dahin bringt, einen Mann von Genie genau zu kopiren, seine Originalität wird euch immer fehlen, nämlich sein Genie. Bewundern wir die großen Meister. Ahmen wir sie nicht nach. Machen wir es anders, als sie. Glückt es uns, um so besser. Mißglückt der Versuch, was liegt daran?

Es gibt Gewässer, welche, wenn ihr eine Blume, eine Frucht, einen Vogel hineintaucht, euch dieselben nach einiger Zeit mit einer dicken Steinkruste umkleidet zurückgeben, unter der man allerdings ihre ursprüngliche Form noch erräth; aber der Duft, der Wohlgeschmack, das Leben ist verschwunden. Die pedantischen Lehren, die scholastischen Vorurtheile, das ansteckende Gift der Routine, die Nachahmungssucht bringen dieselbe Wirkung hervor. Wenn ihr eure natürlichen Anlagen darein hüllet, wird eure Phantasie, euer Gedanke sich daraus nicht wieder hervor arbeiten. Was ihr noch daraus hervorzieht, wird vielleicht noch einen Anschein von Geist, Talent, Genie haben, aber es wird versteinert sein.

Dürfte man den Schriftstellern glauben, die sich rühmen, Klassiker zu sein, so würde sich Jeder von der Bahn des Wahren und des Schönen verirren, der nicht sklavisch den Fußstapfen seiner Vorgänger folgt. Irrthum über Irrthum! Diese Schriftsteller verwechseln die Bahn zur Kunst mit der Kunst; sie nehmen das Geleise für den Weg.

Der Dichter soll nur Ein Muster haben, die Natur, er braucht nur einen Führer, die Wahrheit. Er soll nicht mit dem schreiben, was schon geschrieben ist, sondern mit seiner Seele und mit seinem Herzen. Von allen Büchern, die den Menschen durch die Hände gehen, braucht er nur zwei zu studiren: den Homer und die Bibel. Diese beiden ehrwürdigen Bücher nämlich sind die Allerersten, ihrer Entstehungszeit und ihrem Werthe nach, sie sind fast ebenso alt, wie die Welt, sie sind selbst zwei Welten für den Gedanken. Man findet in ihnen, so zu sagen, die ganze Schöpfung wieder, unter einem doppelten Gesichtspunkt betrachtet, im Homer durch das Genie des Menschen, in der Bibel durch den Geist Gottes.

Oktober, 1826.


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