Victor Hugo
Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke. Zweiter Band
Victor Hugo

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XXVI.

Die zerhackte Schlange.

Im Uebrigen haben die Weisen gesagt: Man soll sein
Herz nicht an vergängliche Dinge hängen.

Saadi, Gulistan.

Ich wache Tag und Nacht, die Thräne rinnt herab
  Vom flammenden Gesichte,
Seit ihr Gazellenaug' Albaÿde im Grab
  Geschlossen, ach, das lichte.

Sie lächelte so süß, sie hatte fünfzehn Jahr'
  Und liebte ihren Dichter.
Kreuzt' auf der nackten Brust die Arme sie, so war
  Ein Engel sie, ein lichter.

Einst ging ich träumend hin, wo sich am Meeresstrand
  Zwei Vorgebirge strecken,
Da sah ich eine Schlang' am Weg im Ufersand,
  Grüngelb, mit schwarzen Flecken.

In zwanzig Stücke war zerhackt der arme Wurm,
  Bespült von Meereswogen,
Vom Blute rosig war der Schaum, der mit dem Sturm
  Der Schlange zugeflogen.

Die Stücke krochen hin und wanden sich im Schlamm,
  Die blutig purpurrothen,
Und röther färbte noch den scharfgezahnten Kamm
  Das Blut der lebend todten.

Es krümmten sich, um sich zu finden auf dem Grund
  Die Stücke, wund, zersplittert.
Sie suchten, suchten sich, als wie ein Mund dem Mund
  Zum Kuß entgegenzittert.

Und wie ich traurig, stumm, in Träumen mich verlor,
  Da sahn, wie trübe Lichter,
Zwei Augen aus dem Haupt, dem zahnigen, empor,
  Die Schlange sprach: »O Dichter!«

»Beklage Dich! – Dein Schmerz drückt tiefer Dich hinab,
  Mit schwererem Gewichte,
Seit ihr Gazellenaug' Albaÿde im Grab
  Geschlossen, ach, das lichte.

Dein junges Leben auch ist nun zerstückt, zerlegt,
  Grausam verstümmelt schwanken
Um Eines nur, ein Bild, das die Erinnerung hegt,
  Die zuckenden Gedanken.

Dein hoher Feuergeist, der wie die Schwalbe, leicht
  Und rasch, in edlem Ringen
Die Erde streift' und dann die Sternenwelt erreicht'
  Aus weitgedehnten Schwingen,

Stirbt, wie ich selbst, und bringt, zerstückt, erschöpft, benetzt
  Von salzig trüben Fluten,
Nicht seine Glieder mehr zusammen, die zerfetzt
  Sich winden und verbluten.«

November, 1828.


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