Victor Hugo
Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke. Zweiter Band
Victor Hugo

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Die Orientalen.

Vorrede.

Der Verfasser dieser Sammlung gehört nicht zu Denjenigen, welche der Kritik das Recht einräumen, den Dichter über seine Phantasie zu inquiriren, und ihn zu fragen: warum er diesen Stoff gewählt, diese Farbe genommen, von diesem Baum gepflückt, aus dieser Quelle geschöpft habe. Ist das Werk gut oder schlecht? Weiter reicht die Herrschaft der Kritik nicht. Sie hat die angewandten Farben weder zu loben noch zu tadeln, sondern nur die Art und Weise, wie sie angewandt sind. Sieht man von einem etwas höhern Standpunkt aus die Dinge an, so gibt es in der Poesie weder gute noch schlechte Stoffe, sondern bloß gute und schlechte Dichter. Alles ist Stoff, Alles ist Lehen der Kunst, Alles hat Bürgerrecht in der Poesie. Streiten wir uns nicht über die Gründe, die uns bewogen haben, diesen Stoff lieber, als jeden andern zu wählen, sei er nun traurig oder heiter, schauerlich oder lieblich, hell oder düster, seltsam oder einfach. Untersuchen wir, wie ihr gearbeitet habt, nicht, worin und warum .

Darüber hinaus hat die Kritik kein Recht, Fragen zu stellen, der Dichter keine Rechenschaft zu geben. Die Kunst kann nur Gängelbänder, Handschellen und Mundknebel machen. Er sagt Dir: Geh! und läßt Dich den großen Garten der Poesie durchwandern, in dem es keine verbotene Frucht gibt. Raum und Zeit gehören dem Dichter, der Dichter mag gehen, wohin er will, und thun, was ihm gefällt: das ist sein Gesetz. Mag er glauben an Gott oder an Götter, an Pluto oder Satan, an Canidia oder Morgana, oder an Nichts; mag er am Styx sein Fährgeld bezahlen, oder den Hexensabbath mitmachen; in Prosa schreiben oder in Versen: in Marmor meißeln oder in Bronce gießen; in diesem Jahrhundert oder in diesem Klima Fuß fassen; mag er aus dem Süden stammen oder aus dem Norden, aus dem Westen oder aus dem Osten; sei er antik oder modern; sei seine Muse eine Muse oder eine Fee; mag sie die Colocasia tragen oder ein Panzerhemd anlegen, – Alles ist gut. Der Dichter ist frei. Stellen wir uns auf seinen Standpunkt und schauen wir uns von diesem aus um.

Der Verfasser verficht diese Ideen nachdrücklich, so klar sie an sich sein mögen, da eine Anzahl Aristarche sie noch nicht als solche anerkennen wollen. Er selbst hat, so unbedeutend auch der Platz sein mag, den er in der Literatur der Gegenwart einnimmt, mehr als einmal sich diesen Anklagen der Kritik ausgesetzt gesehen. Es ist ihm oft begegnet, daß man, anstatt ihm einfach zu sagen: Ihr Buch ist schlecht! ihn gefragt hat: Warum haben Sie dieses Buch geschrieben? Warum diesen Stoff gewählt? Sehen Sie nicht, daß die Grundidee entsetzlich grotesk, absurd (was liegt daran?), und daß der Gegenstand die Grenzen der Kunstüberspringt? Das ist nicht schön, das ist nicht anmuthig. Warum behandeln Sie nicht Gegenstände, die uns gefallen, uns erheitern? Was haben Sie doch für sonderbare Launen? u. dgl. Darauf hat der Dichter immer die entschiedene Antwort gegeben: seine Launen seien seine Launen; worin die Grenzen der Kunst bestehen, sei ihm unbekannt; von einer genauen Geographie der Welt des Geistes wisse er Nichts; er habe bis jetzt noch keine Reisekarte der Kunst gesehen, mit Bezeichnung der Grenzen des Möglichen und des Unmöglichen in Roth und Blau; kurz, er habe das gemacht, weil er es gemacht habe. 401

Wenn ihn also heute Jemand fragt: Wozu diese »Orientalen«? Was ihm den Gedanken eingegeben, sich einen ganzen Band durch im Orient zu ergehen? was dieses unnütze, reinpoetische Buch, hineingeworfen in die ernsten Beschäftigungen des Publikums, an der Schwelle einer Kammersitzung, bedeuten solle? Wo seine Opportunität sei? Wie denn der Orient da herein passe? – so wird er antworten: das wisse er nicht, es sei eben eine Idee, die ihn ergriffen, und zwar in ziemlich lächerlicher Weise ergriffen habe, letzten Sommer, als er die Sonne untergehen sah.

Er wird nur bedauern, daß das Buch nicht besser ausgefallen ist.

Und dann, warum sollte es nicht mit einer Literatur im Ganzen, und im Besondern mit dem Werk eines Dichters sich verhalten, wie mit jenen schönen alten Städten in Spanien zum Beispiel, in denen man Alles findet: frische Orangen-Alleen am Ufer eines Flusses; weite, offene, sonnige Plätze für große Feste; enge, gewundene, oft dunkle Gassen, in denen sich tausend Häuser jeder Form und jeden Alters an einander reihen, hohe, niedere, schwarze, weiße, bemalte, mit Sculptur geschmückte; ein Labyrinth von hart an einander stoßenden Gebäuden, Alles durcheinander, Paläste, Gasthäuser, Klöster, Kasernen, alle verschieden, alle ihre Bestimmung in ihrer Bauart an der Stirne tragend; Marktplätze voll Menschen und Geräusch; Kirchhöfe, auf denen die Lebendigen schweigen, wie die Todten; hier das Theater mit seinem Rauschgold, seinen Trompetenstößen, seinem Flitterstaat; dort der alte permanente Galgen, dessen Stein verwittert, dessen Eisen verrostet ist, mit einem Skelett, das im Winde knackt; – dort in der Mitte der große gothische Dom mit seinen sägeförmig ausgezackten hohen Spitzen, dem großen Glockenthurm, den fünf Portalen, mit Basreliefs verziert, mit seinen durchbrochenen Friesen, die einer Halskrause gleichen; seinen soliden Spitzbogen, die dem Auge so zerbrechlich erscheinen; und dann, seine tiefen Gewölbe, einen Wald von Pfeilern mit bizarren Kapitälern, seine beleuchteten Katafakeln, seine Myriaden von Heiligen und Reliquienkästchen, seine garbenförmigen Säulen, seine Rosetten, seine Ogiven, seine vergitterten Betstühle, die aussehen wie ein Käfig mit Fenstern, seinen Hochaltar mit tausend Kerzen; – ein wunderbares Gebäude, imposant durch seine Masse, sehenswerth in seinen Einzelnheiten, schön auf zwei Meilen und schön auf zwei Schritte weit; – und endlich, am andern Ende der Stadt, unter Palmen und Sykomoren verborgen, die orientalische Moschee mit Kuppeln von Zinn und Kupfer, mit bemalten Thüren, gefirnißten Wänden, mit Beleuchtung von oben, mit ihren schlanken Arkaden, ihren Becken, die Tag und Nacht rauchen, ihren Koransprüchen über jeder Thüre, ihren blendenden Heiligthümern, ihrer Mosaik am Boden und Mosaik an den Mauern; – weit ausgebreitet vor der Sonne wie eine große, duftige Blume.

Allerdings wird der Verfasser dieses Buchs nie ein Ganzes von Werken hervorbringen, auf das man die Vergleichung, die er hier gewagt, anwenden könnte. Ohne jedoch zu hoffen, daß man in dem, was er bisher gebaut hat, auch nur den rohen Umriß der Gebäude, die er eben bezeichnet, finden werde, sei es der gothische Dom, oder das Theater oder selbst der häßliche Galgen, – wenn man ihn fragen würde, was er hier habe bauen wollen, er würde antworten: – die Moschee.

Er verhehlt sich nicht, um dies beiläufig zu bemerken, daß viele Kritiker es kühn, ja unsinnig finden werden, für Frankreich eine Literatur zu wünschen, die man mit einer mittelalterlichen Stadt vergleichen könnte. Das sei eine der tollsten Einbildungen, auf die man gerathen könne. Das heiße geradezu der Unordnung, der Weitschweifigkeit, der Bizarrerie, dem schlechten Geschmack das Wort reden. Besser eine schöne, korrekte Nudität, große, – wie man sagt, – ganz einfache Mauern, mit einigen nüchternen Verzierungen, von gutem Geschmack : einige Oven und Voluten, ein Bronce-Bouquet für die Karnieße, eine marmorne Wolke mit Engelsköpfen für die Decke, eine Flamme von Stein für die Friese, und dann wieder Oven und Voluten! Das Schloß von Versailles, der Platz Ludwigs XV., die Straße Rivoli: das ist's. Sprecht mir von einer nach der Schnur gezogenen, schönen Literatur!

Die andern Völker sagen: Homer, Dante, Shakespeare. Wir sagen: Boileau!

Doch weiter!

Bedenkt man dies, – wenn es anders die Mühe verlohnt, darüber nachzudenken, – so wird man vielleicht die Phantasie weniger seltsam finden, welche diese Orientalen hervorgebracht hat. Man beschäftigt sich heutzutage, – dieser Fortschritt ist die Wirkung von tausend verschiedenen Ursachen, – man beschäftigt sich viel mehr als je mit dem Orient. Die orientalischen Studien haben noch nie solche Fortschritte gemacht. Im Zeitalter Ludwig's XIV. war man Hellenist, gegenwärtig ist man Orientalist. Das ist ein Schritt vorwärts. Nie haben so viele Kräfte auf einmal den großen Schacht von Asien durchwühlt. Wir haben gegenwärtig in jedem der Idiome des Orients einen Gelehrten eingebürgert, von China bis nach Aegypten.

Aus allem diesem geht hervor, daß der Orient, sei es als Gemälde, sei es als Idee, für den Verstand, wie für die Phantasie ein Gegenstand allgemeiner Vorliebe geworden ist, von der auch der Verfasser dieses Buchs, vielleicht ohne sein Wissen, sich hat hinreißen lassen. Die orientalischen Farben haben, wie von selbst, alle seine Gedanken, alle seine Träume durchdrungen, und diese seine Träume und seine Gedanken sind nach einander, fast ohne es zu wollen, hebräisch, türkisch, griechisch, persisch, arabisch, spanisch geworden: – Spanien gehört noch zum Orient. Spanien ist halb afrikanisch, Afrika ist halb asiatisch.

Er ließ diese Poesie, die nun einmal über ihn kam, gewähren. Ob gut, ob schlecht, – er nahm sie hin und war glücklich darüber. Er hat ohnedies von jeher eine lebhafte Sympathie als Dichter – man erlaube ihm einen Augenblick sich diesen Titel anzumaßen! – für die orientalische Welt gehabt. Er glaubte dort aus der Ferne hohe Poesie herüber schimmern zu sehen. Sie ist eine Quelle, an der er schon lange seinen Durst zu löschen gewünscht hatte. In der That, dort ist Alles groß, reich, fruchtbar, wie im Mittelalter, diesem zweiten Meer der Poesie. Und, – da er einmal Veranlassung hat, es zu sagen, warum sollte er es nicht thun? – ihm scheint es, als habe man bisher viel zu sehr die neue Zeit im Zeitalter Ludwig's XIV. und das Alterthum in Rom und Hellas gesehen: würde man nicht höher herab und weiter sehen, wenn man die neue Aera im Mittelalter und das Alterthum im Orient studirte?

Uebrigens ist nicht nur für die Literatur, sondern auch für die Politik der Orient vielleicht in Kurzem berufen, eine große Rolle im Occident zu spielen. Schon durch die merkwürdigen Kämpfe der Griechen waren die Augen aller Völker wieder nach dieser Seite hin gekehrt. Das europäische Gleichgewicht ist auf dem Punkt zusammen zu brechen. Der wurmstichige und verwitterte Status quo kracht von Constantinopel her. Der ganze Continent neigt sich nach dem Orient hin.

Wir werden große Dinge sehen. Die alte asiatische Barbarei ist vielleicht nicht so arm an bedeutenden Männern, wie unsere Civilisation glauben möchte. Man erinnere sich nur, daß sie es ist, die den einzigen Koloß hervorgebracht hat, den dieses Jahrhundert dem Bonaparte gegenüber zu stellen vermöchte, wenn es zu Bonaparteüberhaupt ein Pendant gäbe, diesen Mann von Genie, freilich von türkisch-tartarischem Genie, diesen Ali Pascha, der sich zu Napoleon verhält, wie der Tiger zum Löwen, der Geier zum Adler.

Januar, 1829.

Vierzehnte Auflage.

Dieses Buch hat den einzigen Erfolg gehabt, den der Verfasser in diesem Augenblick der literarischen Krisis und Revolution erstreben konnte: lebhafte Opposition auf der einen Seite, und vielleicht einige Zustimmung, einige Sympathie auf der andern.

Man konnte manchmal in Versuchung kommen, jene mehr gesammelten, oder gleichgültigeren Epochen sich zurückzuwünschen, die weder Kämpfe noch Stürme erregten um die friedliche Arbeit des Dichters, die ihn anhörten, ohne ihn zu unterbrechen, und kein Geschrei in seine Gesänge mischten. Allein die Dinge gehen so nicht mehr. Mögen sie sein, wie sie sind.

Jede Unbequemlichkeit bringt auch ihre Vortheile mit sich. Wer die Freiheit der Kunst will, muß auch die Freiheit der Kritik wollen, und Kämpfe sind immer gut. Malo periculosam libertatem.(Ich ziehe die Freiheit vor, so gefährlich sie sein mag.)

Der Verfasser wird seiner Gewohnheit treu bleiben und sich hüten, hier auf die Kritiken zu antworten, deren Gegenstand sein Buch gewesen ist. Nicht als ob nicht mehrere dieser Kritiken der Beachtung und Beantwortung werth wären. Aber der Verfasser hatte immer einen Widerwillen gegen Vertheidigungsreden und Apologien. Und dann ist es Sache der Zeit, Kritiken zu bestätigen oder zu widerlegen.

Dennoch muß er bedauern, daß einige seiner Censoren, wenn auch in gutem Glauben, sich eine falsche Idee von ihm gebildet haben, und ihn unmanierlicherweise fast wie eine Hypothese behandelt haben, indem sie ihn a priori construirten, wie eine Abstraktion, ihn aus allen möglichen Stücken zusammensetzten, dergestalt, daß er, der Poet, der Mann der Phantasie und der Laune, aber auch der Mann der Ueberzeugung und der ehrliche Mann, unter ihrer Feder eine Art Vernunftwesen geworden ist, und zwar eines der seltsamsten Art, das in einer Hand ein System hat, wornach es seine Bücher verfaßt, und in der andern eine Taktik, womit es sie vertheidigt. Einige sind noch weiter, nämlich von seinen Schriften zu seiner Person übergegangen, haben ihm Eigendünkel, Selbstüberschätzung, Stolz und was weiß ich Alles vorgeworfen, und aus ihm eine Art jungen Ludwig XIV. gemacht, der in Stiefel und Sporen und mit der Reitpeitsche in der Hand in die ernsthaftesten Berathungen hineintritt.

Er darf versichern, daß die, die ihn so beurtheilen, ihn falsch beurtheilen.

Er selbst macht sich keinerlei Illusionen über sich selbst. Er weiß sehr gut, daß das Bischen Lärm, der sich um seine Bücher erhebt, nicht seine Bücher machen, sondern einfach die wichtigen Fragen der Sprache und Literatur, die man bei dieser Gelegenheit zu besprechen für passend erachtet. Der Lärm kommt von Außen, nicht von Innen. Meine Bücher sind die Veranlassung, nicht die Ursache. Die Leute, welche sich mit diesen ernsten Fragen der Kunst oder Poesie beschäftigen, haben, wie es scheint, seine Bücher zur Arena gewählt, um ihren Kampf auszufechten. Es ist dabei Nichts, was sie ihrem eigenen Verdienst verdanken. Das kann ihnen höchstens eine vorübergehende Wichtigkeit verleihen, und das will schon viel sagen. Das gewöhnlichste Terrain gewinnt eine gewisse Berühmtheit dadurch, daß es ein Schlachtfeld wird. Austerliz und Marengo sind große Namen und kleine Dörfer.

Februar, 1829.


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