Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Die Kyniker

Auch die Kyniker galten als Sokratiker: Antisthenes war der Schüler des Sokrates, Diogenes der Schüler des Antisthenes, der, wie Aristipp alles auf die Lust, ebenso einseitig alles auf die Bedürfnislosigkeit, das μηδένος δεῖσϑαι, stellte. Sogleich machte er aus seiner Philosophie eine Theatercharge: er ging stets im Tribon, dem abgeschabten Mantel, mit dem, wie bereits erwähnt, die Spartaner posierten, und wo möglich noch in einem zerrissenen, so daß Sokrates sagte: »aus diesen Löchern guckt deine Eitelkeit heraus«, dazu trug er den Ranzen, in dem er seine geringen Habseligkeiten mit sich führte, und, als Symbol der Heimatlosigkeit, den Stab: wohl niemand, der heute einen Bettelmönch in seiner Kutte oder einen Wanderburschen mit seinen Attributen erblickt, denkt daran, daß dies Einführungen des Antisthenes sind. Außerdem sind die Kyniker die Erfinder der Diatribe, die man etwa als »Volkspredigt« und, wenn sie als Literaturprodukt auftritt, als »Plauderei« bezeichnen kann: sie erörtert, in klar und kunstlos aneinandergereihten Hauptsätzen, ihr Thema an Hand rhetorischer Fragen und fingierter Einwürfe, populärer Beispiele und Gleichnisse, schlagender Witze und Wortspiele und einprägsamer Sittensprüche und Bonmots, dabei immer sozialkritisch und polemisch und im Stile des σπουδαιογέλοιον, der Mischung aus Scherz und Ernst: die Reden des Krates aus Theben zum Beispiel, eines Schülers des Diogenes, der, weil er mit seinen Moralpauken in die Häuser drang, der »Türenstürmer« hieß, waren richtige Kapuzinaden. Was nun Diogenes anlangt, so hatte auch dieser einen possenhaften Zug, der sich jedoch in seinem Nachruhm über Gebühr vorgedrängt hat, denn er war daneben auch ein wirklicher Weiser. Man nannte ihn Σωκράτης μαινόμενος, einen übergeschnappten Sokrates, was aber ungerecht war, denn er hatte in seiner lachenden 932 Menschendurchleuchtung und Verachtung aller Konventionen viel echt Sokratisches und, vom Philisterstandpunkt aus betrachtet, war auch schon Sokrates übergeschnappt. Als man ihn fragte, was das Schönste auf der Welt sei, antwortete er: »die freimütige Rede«, und als er, durch Seeräuber in die Sklaverei geraten, zum Verkauf ausgestellt wurde, erklärte er auf die Frage, zu welcher Arbeit er zu brauchen sei, er verstehe sich darauf, Menschen zu beherrschen: beides hätte auch Sokrates sagen können; und wenn er am hellichten Tage mit der Laterne nach Menschen suchte, so oblag Sokrates im Grunde der gleichen Tätigkeit, nur nicht in so drastischer Form. Wenn er in Korinth in einer Tonne lebte und aus einem Holzbecher trank, den er aber fortwarf, als er einen Knaben mit der hohlen Hand schöpfen sah, so hat er in diesen und ähnlichen Requisitenscherzen vor sich selber Theater gespielt, ähnlich wie Tolstoj mit dem Bauerntum seiner letzten Lebensjahre. Später, in Athen, hat er diese Nuancen aufgegeben. Er stand über dem kynischen Zeremoniell: über die Kleidung der athenischen Stutzer sagte er: »Das ist ein Schwindel« und über Tribon: »Das ist ein anderer Schwindel.« Von seiner Beziehung zu der elegantesten Kokotte des Jahrhunderts haben wir schon gehört, er war aber auch sonst kein Puritaner. Als er einmal, in einem Restaurant ausführlich frühstückend, den vorbeigehenden Demosthenes hereinrief, der aber aus Gründen der Wohlanständigkeit ablehnte, sagte er: »Du brauchst dich nicht zu schämen, dein Herr kommt alle Tage herein«, womit er den Demos meinte. Im übrigen lebte er vom geistreichen Pump. Bisweilen bettelte er Statuen an und sagte, er übe sich im Nichtsbekommen; aber viel stolzer und aufrichtiger als der moderne Bohémien, der nur ein entarteter Bürger ist, nahm er nicht Scheindarlehen auf, sondern »forderte zurück«. Alles in allem war seine Lebensform einfach die urhellenische Antibanausie nur lustig outriert und zeitgemäß proletarisiert. Sein Spitzname kyon, der auf die ganze Schule 933 übergegangen ist, soll offenbar an die Schamlosigkeit und Bissigkeit, das Schnorren und Straßenleben des Hundes erinnern; er selbst nannte sich mit einem von ihm geschaffenen Wort kosmopolites, Weltbürger. Gegen die weltberühmte Geschichte von seiner Begegnung mit Alexander hat man eingewendet, daß er sich damals nicht mehr in Korinth aufhielt, aber das könnte eine ganz gewöhnliche Verwechslung sein oder auch eine absichtliche Zusammenziehung, um Alexander mit dem Faß zusammenzubringen, und er wird den Philosophen eben in Athen besucht haben; hingegen war er damals noch keineswegs der Große und die Pointe der Situation ist offenbar vorverlegt: daß übrigens Diogenes eine Vorahnung des Kommenden hatte, zeigt sein Ausspruch, man möge ihn im Grabe auf den Bauch legen, da ja doch bald alles umgestürzt werden würde. Auf jeden Fall liegt in der Gegenüberstellung des Helden, der sich die ganze Welt unterwirft, und des Weisen, der die ganze Welt unter sich erblickt, eine tiefe Symbolik, und sie äußert sich auch in der Legende, daß die beiden Weltüberwinder an demselben Tag gestorben seien.


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