Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Das Lateinische

Das Lateinische ist der Dialekt der Stadt Rom, der schon früh zur Gemeinsprache der Landschaft Latium geworden ist. Über seine Aussprache sind wir ebenso unsicher unterrichtet 755 wie über die des Griechischen. Zweifellos wurde t vor i als t ausgesprochen, während unsere Gepflogenheit, es als z zu sprechen, aus dem Italienischen stammt, und auch c vor e und i war nicht z, sondern k, was sowohl aus der griechischen Schreibung lateinischer Eigennamen hervorgeht (Κικέρων, nicht Ζιζέρων) wie aus der Tatsache, daß umgekehrt griechisches k im Lateinischen stets, auch vor hellen Vokalen, mit c wiedergegeben wird, und drittens aus der Form, in der lateinische Lehnwörter im Deutschen gebildet wurden (Kiste aus cista, Keller aus cellarium): andernfalls nämlich müßte aus Cäsar im Griechischen Zaisar geworden sein, nicht Kaisar, und dementsprechend das deutsche Wort für die höchste weltliche Würde »Zaiser« lauten. Aber die »Zizeroaussprache« ist doch so eingelebt, daß sie sich wohl kaum mehr verdrängen lassen wird, und man dürfte sich nur schwer dazu entschließen, von nun an »sokial«, »Nattion« und »keterum kenseo« zu sagen. Übrigens sprechen die Italiener, die den alten Römern doch viel näher stehen, mindestens ebenso falsch aus, indem sie »Tschitschero« sagen. Daß jetzt auf den Gymnasien die »Kikeroaussprache« verlangt wird, ist eine pure Oberlehrerschikane, denn im Leben kann sie der Schüler ja doch nicht brauchen.

Das Lateinische war ursprünglich viel reicher, sowohl an Diphthongen wie an Endungen und Formen: So besaß es zum Beispiel noch als siebenten Fall den Lokativ sowie den Dual, von dem nur noch, gleich Hünensteinen aus grauer Vorzeit, die beiden Wörter duo und ambo Kunde geben. Den griechischen Optativ vertritt der Konjunktiv, den Aorist das Perfekt, das Medium ist auf die wenigen sogenannten Neutropassiva zusammengeschrumpft. Für derlei Luxusformen hatte der sachliche, haushälterische Römer offenbar wenig übrig. Charakteristisch ist überhaupt die Armut an näheren Bestimmungen: das Fehlen des Artikels beim Substantiv, des Personalpronomens beim Verbum, der Mangel an schattierenden Partikeln. 756 Die Römer haben auch hier eine politische, juristische und militärische Leistung vollbracht: im Lateinischen herrscht, im Gegensatz zur Anarchie der griechischen Dialektspaltung, Einheit, in seinen Perioden soldatische Subordination, scharfe Abgrenzung der Kompetenzen, die Rationalität eines Gesetzbuchs: in seinem streng formierten Gleichklang hallt der Schritt des Legionärs. Es hat die Nüchternheit und Kargheit, aber auch die Wucht und Klarheit eines Rohbaus. Subtilitate vincimur, sagte Quintilian, valeamus pondere!; selbst diese kurze Mahnung läßt sich vollkommen kongenial nicht ins Deutsche übertragen. Bis zum heutigen Tage können alle Völker der Erde, wenn sie etwas mit der letzten Konzision, Präzision und Prägnanz sagen wollen (auch diese drei Wörter sind unübersetzbar), es nur lateinisch sagen. Für alles andere als Dünnschliff, Schärfe und Schwergewicht eignet sich das Lateinische gar nicht: Es ist eine Sprache für Devisen und Donnerworte, Invektiven und Paragraphen, Kommandos und Grabschriften.


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