Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Die Nachkriegszeit

Hiemit beschließen wir unsere aphoristische Betrachtung des fünften Jahrhunderts und begeben uns ins vierte Jahrhundert. Es ist eine ausgesprochene Nachkriegszeit, obgleich es an Kriegen keineswegs gefehlt hat, und eine Zeit der Nachblüte, obgleich der griechische Genius in manchen Zweigen erst jetzt zu seiner vollen Blüte gelangt ist. Xenophon nennt die Jahrzehnte, die dem großen Ringen folgten, die Periode der akrisia, der Richterlosigkeit, des Chaos. Sparta hatte die Hegemonie errungen, vermochte sie aber, da es eben auch nur eine Polis war, ebensowenig auszuüben wie Athen, sondern nur zu mißbrauchen. In viele Städte wurden spartanische Garnisonen gelegt, mit »Harmosten« an der Spitze, Vögten, die sich ein ähnliches Renommee schufen wie Geßler. Auch wurden überall Oligarchien der Besitzenden errichtet, die nun in ihrem eigenen Interesse die spartanische Oberhoheit stützten. Die Exekutive lag in den Händen der berüchtigten Dekarchien, zehngliedriger Regierungskommissionen, die mit vollendeter Willkür über Leben und Eigentum der Bürger geboten. Es war eine Art weiße Jakobinerherrschaft, die selbst in den besseren aristokratischen Kreisen Mißbilligung erfuhr. Der Mann des Tages war Lysander. Die Maxime: »wenn das Löwenfell versagt, muß man den Fuchspelz umhängen« und »Knaben betrügt man mit Würfeln, Männer mit Eiden«, ob er sie wirklich ausgesprochen oder bloß gedacht hat, charakterisieren ihn jedenfalls zutreffend. Der latente Atheismus und Immoralismus der hellenischen Rasse gelangt bei ihm mit einer Ferozität zum Durchbruch, die etwas Imposantes hat. Er war auch der erste Grieche, der sich als Gott verehren ließ: in Ephesos und auf Samos und wohl auch anderwärts wurden ihm Opfer dargebracht. Das hatte sich nicht einmal Alkibiades unterstanden, aber es war nur logisch: wenn die Götter Menschen sind, sind 893 die Menschen Götter, oder, wie es in einer hippokratischen Schrift heißt: »Alles ist göttlich und alles ist menschlich.«

Am ärgsten waren die Zustände in Athen. Dort führte Kritias an der Spitze der »Dreißig« ein Schreckensregiment, dem mehr Athener zum Opfer gefallen sein sollen als im ganzen Peloponnesischen Krieg. Als Theramenes, der Vertreter der gemäßigten Aristokratie (übrigens ebenfalls ein hartgesottener Bösewicht) sich ihm widersetzte, wurde er ohne Urteil hingerichtet; auch die Ermordung des Alkibiades scheint Kritias angestiftet zu haben. Nun aber zog Thrasybulos an der Spitze der Emigration gegen Athen; Kritias fiel im Straßenkampf, die Herrschaft der Dreißig brach zusammen, Athen wurde, schon ein Jahr nach dem Friedensschluß, wieder Demokratie. Der spartanische König Pausanias hat in vornehmer, vom realpolitischen Standpunkt fast unverständlicher Toleranz der attischen Republik bei der Neuordnung ihrer inneren Verhältnisse völlig freie Hand gelassen und dadurch ihre Wiedererstarkung ermöglicht. Es scheint auch Rivalität gegen den allmächtigen Lysander im Spiel gewesen zu sein, dessen Stellung in der Tat von da an erschüttert war. Er wurde zwar nicht geradezu gestürzt; aber seine selbstsüchtigen und gewalttätigen Intrigen schlugen nicht mehr an. Er fiel 395 gegen die Boioter.


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