Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Feudalismus und Bolschewismus

Unter der sechsten Dynastie (rund 2600 bis 2400) vollzieht sich der Übergang zum Feudalismus. Ihr Begründer ist König Teti; einer ihrer letzten Herrscher war Phiops der Zweite, der mit sechs Jahren den Thron bestieg und hundert Jahre alt wurde: sollte diese Angabe stimmen, so wäre dies die weitaus längste Regierungszeit, die ein Potentat jemals erreicht hat. Die Nomarchen oder Gaufürsten, ursprünglich einfache Bezirksgouverneure, die jederzeit versetzt oder abgesetzt werden konnten, machen sich zu kleinen Provinzsouveränen. Sie führen den Titel »Leiter des Landes« und »Erster unter dem König«, die Belehnung des ältesten Sohnes wird feststehende Regel und macht ihre Würde erblich, sie haben ihr eigenes Schatzhaus, Archiv, Deichamt, Gericht, Militär, sie zählen die Jahre nach ihrer Regierung, lassen bei ihrer Seele schwören und sich (was für das ägyptische Gefühl das entscheidendste ist) in ihrer Heimat begraben. Indes darf man dabei doch niemals an unseren Feudalismus denken: einen wirklichen Adel, ein, wenn man so sagen darf, heraldisches Weltgefühl hat es unter den Ägyptern niemals gegeben, Begriffe wie Pedigree, Mesalliance, Majorat und dergleichen sind ihnen stets fremd geblieben, nie ist in den Grabinschriften von Abstammung, Familiengeschichte oder erlauchten Ahnen die Rede. Die ägyptischen Großen waren Magnaten, aber keine Aristokraten. Daß sich schon überall der Verfall ankündigt, lehrt eine Schrift, die wahrscheinlich aus der Feudalzeit stammt: »Das Land wird wenig und seine Leiter werden viel. Das Feld wird kahl und seine Abgaben werden hoch. Das Korn wird gering und das Steuermaß wird groß, und man mißt so, daß es überläuft. Alle Leute sagen: es gibt nichts mehr!«

Die siebente Dynastie bestand nach Manetho aus siebzig Herrschern, die siebzig Tage regierten: Hinter diesem Spiel mit der Zahl Sieben verbirgt sich wahrscheinlich eine furchtbare Katastrophe. Auch die achte Dynastie kann nur ein kurzes 205 Interregnum von ein paar Jahrzehnten gewesen sein, vielleicht eine Adelsoligarchie. Dann erschien ein neues Königsgeschlecht, die neunte und zehnte Dynastie aus Herakleopolis (am Südeingang zum Faijum), das 150 bis 300 Jahre regiert hat. Möglicherweise war es eine Militärdiktatur, jedenfalls trat das soldatische Element mehr hervor: Die Herakleopoliten umgaben sich mit einer ständigen Leibwache, in der auch viele Fremde: Libyer, Semiten, Nubier dienten, einer Art Schweizergarde. Daß die neue Dynastie nicht friedlich auf den Thron gelangte, zeigt der Zustand der alten Gräber: die Kartuschen der früheren Könige sind ausgekratzt, ihre Särge geöffnet, ihre Standbilder demoliert. Indem man so ihren Namen, ihre Porträts, ihre Mumien aus der Welt schaffte, vollzog man nach ägyptischer Anschauung erst die eigentliche Vernichtung ihrer Persönlichkeit und damit den schlimmsten Akt der Feindseligkeit, eine Art Todesurteil nach dem Tode. Dies weist auf eine ungeheure Revolution, vielleicht eine längere Episode bolschewistischen Charakters. Die Schilderung in einer zum Teil erhaltenen Schrift Mahnworte eines Propheten sieht ganz danach aus: »Es ist doch so: der Nil flutet, und doch pflügt man nicht für ihn; ein jeder sagt: wir wissen ja nicht, was im Land geschieht. Es ist doch so: die Vornehmen sind voll Klagen und die Geringen voll Freude; Gold und Lapislazuli, Silber und Malachit, Karneol und Bronze sind um den Hals der Sklavinnen gehängt. Es ist doch so: das Lachen ist zugrunde gegangen und man übt es nicht mehr; Trauer zieht durch das Land, vermischt mit Wehklagen. Groß und klein sagt: ich wünschte, ich wäre tot; die kleinen Kinder sagen: hätte man mich doch nicht ins Leben gerufen. Es ist doch so: man nährt sich von Kräutern und trinkt Wasser, man raubt die Abfälle; der Kleider, der Wohlgerüche, des Öls ist man entblößt. Sehet, die Amtszimmer werden geöffnet und ihre Listen fortgenommen, kein Amt ist mehr an seiner richtigen Stelle; sie sind wie eine aufgescheuchte Herde ohne Hirten. Sehet, der Reiche schläft 206 durstig; wer ihn sonst um seine Neigen bat, trinkt jetzt starkes Bier. Sehet, die früher Kleider besaßen, sind jetzt in Lumpen; wer niemals für sich webte, besitzt feines Linnen. Sehet, wer nie etwas vom Harfenspiel verstand, besitzt jetzt eine Harfe; vor dem man nie sang, der preist jetzt die Göttin der Musik. Sehet, die keine Kiste hatte, besitzt jetzt eine Truhe; die ihr Gesicht im Wasser besah, besitzt jetzt einen Spiegel. Das Land dreht sich um wie eine Töpferscheibe.«


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