Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Die Elegie

Um etwa dieselbe Zeit dichtete Mimnermos aus Kolophon in Kleinasien. In wehmütigen Liebesliedern besang er die schöne Lydierin Nanno, die den alternden Dichter mit ihrer Flöte begleitete; in unablässigen Variationen kreisen sie um den einen Gedanken, daß mit der Jugend auch die Freude vorbei sei: »Was sind Leben und Glück, wenn die goldene Liebe dahinfloh!« Nur kurze Zeit währt die Blüte, dann erwartet uns früher Tod oder welkes Greisenalter voll Gebrechen und vergeblicher Sehnsucht: »von den Knaben verschmäht, von den Mädchen geflohen: soviel Schweres verhängt über das Alter der Gott«. Damit ist Mimnermos der Schöpfer der Elegie geworden. Ihre Form ist das Distichon, das aus einem daktylischen Hexameter und einem daktylischen Pentameter besteht: »Im Hexameter 717 steigt des Springquells flüssige Säule, im Pentameter drauf fällt sie melodisch herab.« Die Elegie hatte aber im Altertum durchaus nicht immer »elegischen« Inhalt: sie war auch Schlachtlied und Kneipgesang, Spottvers und Götteranrufung, politische und philosophische Paränese und überhaupt das Gefäß für alle möglichen Arten von Gedanken und Stimmungen, Erwägungen und Empfindungen. Sogar die »Hermen«: Meilensteine, von einer menschlichen Büste gekrönt, trugen auf der Vorderseite in Hexametern die Angabe der Ortschaften, zu denen die Straße führte, auf der Rückseite eine Lebensweisheit in Elegieform.


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