Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Diluvium

Diluvium heißt soviel wie Überschwemmung, Wasserflut: weil man die Schwemmlandbildung dieses Erdzeitalters auf die biblische Sintflut zurückführte (diese bedeutete aber höchstwahrscheinlich nicht den Anfang, sondern das Ende des Diluviums). Das Diluvium wird auch Paläolithikum oder Altsteinzeit genannt, weil sein Zeuge der »Steinzeitmensch« war. Man könnte es auch ganz allgemein als Eiszeit bezeichnen. Während im Tertiär über die ganze Erde eine wunderbare Wärme verbreitet war, überziehen sich zu Beginn des Diluviums zunächst die Polarzonen mit Eis, das immer weiter vorrückt und schließlich Nordamerika bei Saint Louis und Cincinnati, Rußland bis Kiew, ganz Skandinavien, die Britischen Inseln, die niederdeutsche Ebene bis zum Harz und zum Riesengebirge bedeckt: überall Vergletscherung und Inlandeis wie heute etwa im nördlichen Grönland. In den Gebieten, die heute warm oder heiß sind, äußerte sich die Eiszeit als Pluvial oder Regenzeit. Die Sahara hatte wahrscheinlich ein gemäßigtes feuchtes Klima und war der schönste und fruchtbarste Teil der Erde; das 80 Mittelmeer war vielleicht ein großes Tal mit Binnenseen. In den eisfreien Gebieten Mitteleuropas – Frankreich und Süddeutschland – herrschte ein ausgesprochen arktisches Klima. Die Landschaft hatte den Charakter der Tundra, in der Fauna dominierten Eisfuchs, Moschusochse, Lemming, Rentier, Schneehuhn, Schneehase. Man hat in diesen Gegenden auch Fallen für das Mammut gefunden, dieses noch heute populäre Tier, das eine Art Urelefant war, gegen die Kälte durch einen zottigen rotbraunen Haarpelz gewappnet. Es war, mit einer Schulterhöhe von viereinhalb Metern, noch um einen Meter höher als die größte unter den Elefantenvarietäten, die heute leben. Außerdem unterschied es sich von diesen durch einen mächtigen Fettbuckel, der ihm, ähnlich wie dies noch jetzt bei den Kamelen der Fall ist, in mageren Zeiten als Nahrungsreservoir diente. Denn die Verpflegungsverhältnisse waren auf der dürren und oft vereisten Steppe sehr unsicher. Ein ständiger Begleiter des Mammuts war das Nashorn, ebenfalls mit einem dicken wolligen Fellkleid und einem Fetthöcker ausgestattet, häufig ein »Nashorn ohne Nashorn«. Weiter südlich lebte der Riesenhirsch mit seinem kolossalen Geweih, dessen Stangenweite vier Meter betrug, das Wildpferd, der Wildochse oder Wisent, der Löwe, der um ein Drittel größer war als der heutige. Viermal drang das Eis vor und wich wieder zurück, es wechselten Glazialzeiten mit Interglazialzeiten: das Diluvium bestand also aus einem siebenteiligen Zyklus und der achte Abschnitt ist unser Alluvium. Es gibt aber auch eine Theorie des »Monoglazialismus«, die das Diluvium als eine einzige große Eiszeit auffaßt und in dieser bloße Klimaschwankungen annimmt. Nach der Ansicht des hervorragenden Glazialmorphologen Albrecht Penck wechseln die Perioden der Eiszeit alle 10 500 Jahre. Andere machen viel höhere Ansätze, indem sie seit dem Beginn der letzten Eiszeit 40 000, ja 200 000 Jahre verflossen sein lassen. Das allgemeine Abschmelzen der 81 Inlandeisdecke, das das Ende dieser Glazialperiode bezeichnete, ist heute schon ziemlich weit vorgeschritten, aber wenn wir bedenken, daß noch immer weite Polargebiete vereist und die derzeitigen Klimazonen aufs schroffste gegeneinander abgegrenzt sind, so müssen wir sagen: Wir leben noch immer in einer Eiszeit. Ob diese sich bereits wieder auf dem Wege zu einer neuen Vergletscherungsperiode oder noch in fortschreitender rückläufiger Bewegung befindet oder wir vielleicht dem Ende der ganzen Eiszeit und einem neuen Erdenfrühling entgegengehen, darüber wissen die Gelehrten soviel wie über die meisten anderen Dinge, nämlich nichts.

Auch die Ursachen der einzelnen Glazialperioden sind trotz mannigfacher Theorien völlig unbekannt. Gegen den Erklärungsversuch Hörbigers könnte man einwenden, daß erstens die diluviale Eiszeit ja schon lange vor dem Mondeinfang begann und daß zweitens nach diesem die Erde immer kälter geworden sein müßte: woher also die Zwischeneiszeiten? Aber hierauf ließe sich vielleicht erwidern, daß schon durch die immer größere Annäherung des Mondes, die dem Einfang vorherging, eine vereisende Wirkung erzeugt worden sein könnte und daß der Wechsel der Glazialperioden eine Art von riesenhaften Gezeiten darstelle. Der Rhythmus von Ebbe und Flut, Systole und Diastole beherrscht ja alles Geschehen vom Größten bis zum Kleinsten.

Vom Menschen aus betrachtet, gliedert sich das Diluvium in die Zeit des homo Heidelbergensis, des Neandertalers und des Cromagnon-Menschen, das Alluvium in Neolithikum oder Jungsteinzeit, Steinkupferzeit, Bronzezeit und Eisenzeit und diese letztere wieder in die Hallstattperiode und die La Tène-Periode; die Eigennamen bezeichnen die Orte, an denen Überbleibsel der einzelnen Rassen und Kulturen zum erstenmal auftauchten. Wir gelangen somit zu folgender Einteilung des Känozoikums, wobei zu bemerken ist, daß alle derartigen 82 Einteilungen fragwürdig sind, zeitlich: weil es zwischen den einzelnen Zeiträumen immer einerseits Löcher und Spielräume, andererseits Übergänge, »amphibische« Perioden gibt; und räumlich: weil verschiedene »Zeiten« sehr oft gleichzeitig verbreitet sind. Aber wenn man überhaupt abteilt, so muß man klar abteilen: Eine Übersicht ist nur so lange ein Hilfsmittel, als sie schematisiert.

Die angesetzten Zahlen sind ganz willkürlich und dienen ebenfalls nur der deutlicheren Synopsis.

                                     Känozoikum
┌────────────────────────────────────────┴─────────────────────────────────────────┐
 Tertiär                              Quartär
5 000 000         ┌──────────────────────┴────────────────────┐
               Diluvium                                    Alluvium
            (Altsteinzeit)                               (Nacheiszeit)
     250 000 Jahre = 1/20 Tertiär                 12 500 Jahre = 1/20 Diluvium
   ┌──────────────┴────────────┐       ┌──────────────────────┴────────────────────┐
 Heidel-   Neandertaler  Cromagnon  Jungstein-  Steinkupferzeit  Bronze     Eisen
bergensis    (Spätpaläolithikum)      zeit     seit 4000 v.Chr. seit 2000  └──┬──┘
                                                            Hallstatt      La Tène
                                                            seit 1000      seit 500

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