Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Alexander und das Schicksal

Um sich den Rücken zu decken, mußte Alexander zunächst einen schwierigen und aufreibenden Feldzug gegen die aufständischen Thraker unternehmen, in dem er bewies, daß er seinem Vater in der Kunst des besonnenen und energischen Manövrierens und der geschickten und umsichtigen Geländeausnutzung vollkommen ebenbürtig war. Bei der asiatischen Expedition hatte er mit einer beträchtlichen numerischen Überlegenheit 917 der Perser zu rechnen, woran niemand anders schuld war als die Griechen, zu deren Pazifizierung er die Hälfte seiner makedonischen Truppen zurücklassen mußte. Seine Reiterei belief sich auf etwa fünftausend, sein Fußvolk auf dreißigtausend, nach den höchsten Angaben auf reichlich vierzigtausend Mann. Nach Alexanders Sieg am Granikos beabsichtigte Memnon aus Rhodos, der offenbar der fähigste Kopf im persischen Generalstab war, die kleinasiatischen Gebiete zu verwüsten, um Alexander durch Proviantmangel in den Seekrieg zu drängen, der für ihn wegen des nicht bloß zahlenmäßigen Übergewichts der phoinikischen und kyprischen Marine des Großkönigs wenig aussichtsreich war; gleichzeitig verhandelte Memnon, vom persischen Gold unterstützt, mit den Hellenen wegen einer allgemeinen Insurrektion. Aber die Satrapen widersetzten sich diesem Plan, teils um ihre Ländereien zu schonen, teils aus Animosität gegen den griechischen Kollegen, und bald darauf wurde Memnon von einer Krankheit dahingerafft. Alexander setzte seinen Vormarsch unbehindert fort, aber vor der Schlacht bei Issos befand er sich in einer ungeheuer gefährlichen Situation: hätte sie mit seiner Niederlage, ja auch nur als Remispartie geendet, so wäre er (da er die Flotte aufgelöst hatte, um sie nicht überlegenen Angriffen preiszugeben) von seinen rückwärtigen Verbindungen völlig abgeschnitten gewesen. Nach Issos hat er dann seine Basis sehr gründlich gesichert, indem er Phönizien und Ägypten eroberte, dabei aber den Feind zwei volle Jahre sich selbst überließ, was wiederum sehr riskant war. Es war beide Male ein Vabanquespiel und beidemal das richtige Spiel, nämlich das glückliche. Auch bei Gaugamela stand die Sache auf der Schneide: Die Makedonen wurden zunächst auf beiden Flügeln umfaßt. Alexander siegte aber trotzdem mit seinem rechten Flügel, während der linke unter Parmenion ins Hintertreffen geriet; in die hierdurch entstandene Lücke drangen die Perser, die aber den Vorteil nicht zu 918 nutzen wußten, und inzwischen hatte Alexander auch das Zentrum zersprengt, wo sich der König mit seinen Elitetruppen: dem Gardekorps und dem Kontingent der griechischen Söldner befand. Den furchtbaren Sichelwagen schickte Alexander Bogenreiter entgegen, die die Lenker herunterschossen; seitdem hört man nie mehr etwas von dieser Waffe. Ganz romantisch schrecklich muß auch in der Schlacht am Hydaspes der Kampf gegen ein anderes völlig ungewohntes Kriegsmittel gewesen sein, die Elefanten des Inderkönigs Poros, die die Feinde zertrampelten, mit dem Rüssel in die Luft warfen, mit den Hauern zerrissen.

Wir können nun in groben Umrissen verfolgen, wie Alexander allmählich über seinen Vater hinauswuchs. Weder Aristoteles, der bei aller Weite der Bildung doch immer Hellene blieb, noch Parmenion, der bloß »großmakedonisch« zu denken vermochte, waren imstande, seinen weltumspannenden Konzeptionen zu folgen. Nach der Schlacht bei Issos erschienen Abgesandte des Großkönigs vor Tyros, die die Abtretung der Länder westlich des Euphrat anboten. Parmenion soll zur Annahme geraten haben, und Alexanders Antwort, auch er täte es, wenn er Parmenion wäre, faßt den ganzen Gegensatz zusammen. Nach Gaugamela wirft er die ganze Ideologie vom »panhellenischen Rachekrieg« beiseite und läßt sich zum König von Asien ausrufen, zugleich aber opfert er Marduk, dem Verleiher der Weltherrschaft, und bekundet damit, daß ihm das Perserreich nicht genügt. In der Tat dringt er, nachdem er dieses siegreich durchzogen, in das Pendschab vor, und als er vom Gangesland erfährt, will er auch dieses durchqueren, um zum Okeanos zu gelangen, das heißt nach antiken Begriffen: Er will die Erde erobern. Hier aber leisteten ihm seine erschöpften Truppen Widerstand und er mußte umkehren: Er wäre aber sicher bei längerem Leben auf die Sache zurückgekommen. Bei seinem Tode war er gerade im Begriff, Arabien zu umschiffen. Ferner 919 beabsichtigte er, den gesamten Westen zu unterwerfen, und plante zunächst, in der richtigen Erkenntnis, daß der Angelpunkt einer solchen Expedition Karthago sei, einen Feldzug längs der Nordküste Afrikas, den eine tausendschiffige Riesenflotte unterstützen sollte. Wie in einer Fata Morgana ist kurz vor seinem Hinscheiden das erstrebte Wegziel vorweggenommen: Alle Völker des Westens, Libyer, Karthager, Kelten, Iberer, schickten huldigende Gesandtschaften, auch die Römer. Sein Reich wäre aber viel größer gewesen als das ihrige, denn über den Euphrat sind sie nie dauernd hinausgelangt und gar Seeunternehmungen wie die indische lagen ihnen vollkommen fern. Und was hätte eigentlich Alexander daran hindern sollen, Amerika zu entdecken? Gerade um die Zeit, als er starb, gelangte Pytheas aus Massilia von Gades aus längs den Küsten Spaniens und Frankreichs nach Britannien, den Shetlandinseln und Thule, das wahrscheinlich Island ist. Das Reich Alexanders wäre vielleicht eine nova Atlantis geworden: von Westindien bis Ostindien! Denn es war einer der einzigartigen und völlig unantiken Züge an ihm, daß er bereits in Meeren dachte. Betrachten wir es aber von einer andern Seite, so war sein früher Tod vielleicht wiederum eine jener geheimnisvollen Stillstellungen der Weltgeschichte, deren Sinn wir nur ahnen können. Die Konzeption Alexanders war: Babel der Nabel der Erde, der Persische Golf mit einem zweiten und noch gewaltigeren Alexandria das Weltemporium. Das Alexanderreich wäre das Ende Europas gewesen.


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