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Einen gewissen epischen Charakter hat die antike Tragödie nie abgestreift: auch das gehört zu ihrer Unwirklichkeit. Sie spielte sich ursprünglich in der Form ab, daß der Dichter im Zwiegespräch mit dem Chor etwas vortrug. Bekanntlich hat dann Aischylos den zweiten und Sophokles den dritten Schauspieler eingeführt, wodurch die Zahl der Rollen leicht auf ein halbes Dutzend gesteigert werden konnte; bei Euripides sind es meistens acht, aber in den »Phoinissen« sogar elf. Trotzdem blieb es beim reinen Dialog; Dreigespräche kommen fast nie vor. Das war sicher ein Stilprinzip. Man würde überhaupt vielleicht richtiger von Duetten sprechen; denn auch die Deklamation war eine Art Gesang. Der Held des Stückes ist aber eigentlich der Chor, daher auch dieses so oft nach ihm benannt ist; zumindest ist er der geistige Kristallisationspunkt und das, worauf es am meisten ankommt: man sprach von einer neuen Tragödie als dem »neuen Chor«. In ihm ist der Sinn des Dramas, der Sinn des Lebens, beschlossen. Das ist etwas Demokratisches; und in der Tat verkörpert er die vox populi, die an der Hybris der »Geborenen«, die das Personal des alten Mythos bilden, reichlich Kritik übt. Als Mundstück der öffentlichen Meinung ist er weiser, aber auch banaler als die Träger der Handlung. Als Echo, das das Geschehen reflektiert, vertritt er gegenüber dem flächenhaften epischen Vorgang die dritte Dimension, erweitert ihn zum geistigen Raum, verleiht dem linearen Dialog Tiefe. Euripides, der an diese seelische Symbolik des Chors nicht mehr glaubt, nimmt ihn infolgedessen ernst, 830 bezieht ihn in die Handlung, macht ihn zum Confident und ermahnt ihn zur Diskretion. Bei Agathon wird er zum musikalischen Intermezzo. Schließlich wird er überhaupt in die Pausen verlegt, und von diesem Augenblick an hört man nichts mehr von tragischen Dichtern. Es hat sicher noch welche gegeben, aber die Kunstform hatte sich überlebt. Mit dem Chor mußte auch die Tragödie verfallen, denn beide sind identisch.