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Das Jahr 612 brachte in Vorderasien eine große Umwälzung. Dort waren zwei neue Völker erstarkt: die Chaldäer, die unter Nabopolassar das »neubabylonische« Reich gründeten, und die Meder, die unter ihrem König Kyaxares im Süden des Kaspischen Meeres hausten. Sie zogen vereint gegen Ninive und 432 zerstörten es. Vorderasien wurde zwischen ihnen geteilt: Kyaxares erhielt alles Land nördlich des Gebiets der beiden Ströme von Elam bis Kleinasien, Nabopolassar Mesopotamien und Syrien. Ninive erstand nicht wieder: als Xenophon zwei Jahrhunderte später den Boden der Stadt betrat, deren Glanz und Reichtum einst sprichwörtlich war, ahnte er nicht, wo er stand. Nun machte aber der Pharao Necho, der Sohn Psammetichs des Ersten, seine Ansprüche auf das assyrische Erbe geltend: Er fiel im Jahr 608 in Palästina ein und siegte über König Josia von Juda, der, ohne die chaldäische Verstärkung abzuwarten, sich ihm entgegenstellte, in der Schlacht bei Megiddo. Josia fiel; Necho eroberte ganz Syrien. Drei Jahre später aber wurde er bei Karkemisch am oberen Euphrat von Nebukadnezar, dem Sohn Nabopolassars, geschlagen, der ihn durch Syrien verfolgte, aber wegen des plötzlichen Todes seines Vaters umkehren mußte. Nebukadnezar, der hervorragendste unter den Chaldäerfürsten, hat während seiner dreiundvierzigjährigen Regierung (605 bis 562) Babel großartig umgebaut und befestigt: nicht nur durch ungeheure asphaltierte Erdwälle, sondern auch durch die berühmte »medische Mauer«, ein Wasserstauwerk zwischen Euphrat und Tigris, das, eine Art »holländisches« Verteidigungssystem, im Kriegsfall das ganze Oberland in einen Sumpf zu verwandeln vermochte und in der Tat später von den Persern erst nach sieben Jahren genommen werden konnte; auch die »Gärten der Semiramis«, die als das zweite der sieben Weltwunder galten, waren sein Werk: sie waren aber nicht wirklich »hängend«, sondern hießen nur so, weil sie, auf übereinandergetürmten Terrassen angelegt, in der Luft zu schweben schienen. Aber auch Necho war kein unbedeutender Herrscher. Er baute Kriegsflotten im Mittelmeer und im Roten Meer und ließ durch Phoiniker Afrika umsegeln: Sie brauchten dazu drei Jahre und bedienten sich, vom Golf von Suez ausgehend und über Gibraltar zurückkehrend, der umgekehrten Route, die zwei 433 Jahrtausende später die Portugiesen einschlugen. Es äußerte sich hier wiederum ein neues, gänzlich unägyptisches Weltgefühl: die Liebe zu den Abenteuern der See und eine edle Neugierde und Schaulust, die fast griechisch anmutet. Herodot sagt hierüber: »Und sie erzählen, was ich nicht glauben kann, vielleicht aber glaubt es wer andrer, daß sie bei der Fahrt um Libyen die Sonne zur Rechten gehabt hätten.« Was ihm an dem Bericht dubios erschien, ist für uns gerade der Beweis seiner Wahrheit. Aber die große Entdeckung war noch nicht fällig. Die Bedeutung einer wissenschaftlichen Erfahrung wird nicht bloß durch ihren Gehalt und Umfang, sondern auch durch den historischen Moment bestimmt, in dem sie auftritt. War dieser nicht der »fruchtbare Moment«, so verläuft sie im Sande und muß zu passenderer Zeit wiederholt werden. »Zu früh« ist bisweilen ein ebensolches Wort des Unsegens wie »zu spät«.
Zwanzig Jahre nach der Schlacht bei Karkemisch, 585, drohte eine neue große Krise: Lydien, die Vormacht Kleinasiens, und Medien standen sich am Halys zur Entscheidungsschlacht gegenüber. Durch eine Sonnenfinsternis erschreckt, die Thales, der »Vater der griechischen Philosophie«, vorhergesagt haben soll, nahmen sie die Vermittlung Nebukadnezars an: der Halys wurde als Grenze festgesetzt. Aber schon hatte sich eine neue Wolke erhoben, die gefährlichste von allen. Sie kam aus dem fernen Südosten. Dort, im Hochland von Iran, hatte der große Kyros die Perser zu einem starken Kriegsvolk geeint, dem in rascher Folge alle vorderasiatischen Großreiche erlagen: 550 das medische, 546 das lydische, 539 das babylonische.