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Die Ägypter waren auch ein ausgesprochen episches Volk. Ihre Malerei ist Illustration, Erzählung, Aufzählung, eine Art Atlas. Wenn sie den ganzen Inhalt einer Truhe über dieser postieren, sämtliche Möbel eines Zimmers rechts und links neben diesem aufstellen, damit man über alles gehörig Bescheid erhält, so ist das novellistisch. Deshalb stört es auch in einem ägyptischen Bild gar nicht, wenn fortwährend Text dazwischen steht. Ein Roman des vorigen Jahrhunderts begann mit den Worten: »An einem stürmischen Herbstabend des Jahres 18.. überquerten drei Personen die Hauptstraße des mitteldeutschen Städtchens L...., von denen uns jedoch nur die mittlere im weiteren Verlauf unserer Geschichte beschäftigen wird.« Dies ist, wenn auch etwas ungeschickt, die Technik des Erzählers. Und ganz ebenso machte es der Ägypter in der 263 Malerei: pflückt einer eine Feige, so hängt nur sie am Baum, aber dafür fast so groß wie dieser; frißt eine Ziege von einem Ast, so wächst er ihr entgegen, als ob er allein auf der Welt wäre. Will der Ägypter Trupps von Soldaten oder Opferträgern aufs Bild bringen, so verdoppelt oder vervielfacht er die Konturen, was ebenfalls bloßes Referat ist. Dramatisch hingegen sind die Raumtiefe, die Vedute, Licht und Schatten, die Optik des »Opernguckers«: lauter antiägyptische Vorstellungen.
Die Ägypter sind zu allen Zeiten große Prahlhänse und Plaudertaschen gewesen: Auch darin waren sie echte Epiker. Zwar lautet eine ihrer Weisheitslehren: »Man wird taub gegen den, der viele Worte macht«; doch sie haben sie nicht befolgt. Ja, sie redeten viel, aber, wie schon am Anfang dieses Kapitels hervorgehoben wurde: sie sagten nichts. Beamte, die in den Steinbrüchen große Blöcke schlagen lassen, berichten dies mit den Worten: »so etwas ist seit der Götterzeit nicht passiert«, ein mathematisches Handbuch führt den Titel »Vorschrift, zur Kenntnis aller dunklen Dinge zu gelangen, aller Geheimnisse, welche in den Dingen enthalten sind«, ein Hofsekretär bezeichnet sich als »Herz des Königs, das berechnet, was ist, und zählt, was existiert«; aber einem Oberschatzmeister des letzten Königs der vierten Dynastie war das alles noch zu wenig: er nennt sich den »Leiter von allem, was existiert und was nicht existiert«. Zur Thronbesteigung gratuliert ein Beamter dem König mit den Worten: »Ruhst du dich aus in deinem Palaste, so vernimmst du die Worte aller Länder, denn du hast Millionen Ohren. Dein Auge ist heller als die Sterne des Himmels, du kannst besser sehen als die Sonne. Was einer spricht im fernsten Lande, das fällt in dein Ohr, und wenn ich etwas tue, das verborgen ist, dein Auge erblickt es.« Ein König hat die Absicht, auf einem Wüstenweg einen Brunnen bohren zu lassen, und fragt seine Räte um ihre Ansicht. Er erhält folgende Antwort: »Du gleichst dem Re in allem, was du tust, alles, was dein 264 Herz will, geschieht. Wenn du dir nachts etwas gewünscht hast, so ist es bei Tagesanbruch schon geschehen. Wir erblickten viele deiner Wundertaten, seit du gekrönt wurdest zum Könige beider Länder, und haben nichts gehört und nichts gesehen, das ihnen gleich wäre. Welchen Weg kenntest du nicht? Wer hat ihn vollendet wie du? Und wo wäre ein Ort, den du nicht gesehen hättest? Denn du verwaltetest schon dieses Land und hast regiert, als du noch im Mutterleib warst. Wenn du zum Wasser sprichst: komm auf den Berg, so kommt der Ozean hervor, gleich nachdem du gesprochen hast. Du wirst leben in Ewigkeit, und immer wird man deine Gedanken ausführen und allen deinen Worten gehorchen.« Sie reden noch ungefähr zweimal so lang, und erst dann gehen sie in die Materie ein. Noch Augustus führte die Titulatur: »Der schöne Knabe, lieblich durch Liebenswürdigkeit, der Fürst der Fürsten, auserwählt von Ptah und Nun, dem Vater der Götter, König von Oberägypten und König von Unterägypten, Herr der beiden Länder, Sohn der Sonne, Herr der Diademe, ewig lebend, geliebt von Ptah und Isis.«