Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Der Tag eines Atheners

Obgleich, wie bereits im vorigen Kapitel hervorgehoben wurde, die romantische Vorstellung vom Hellenen, der nur der Schönheit und dem Augenblicksgenuß lebte, unzutreffend ist, so muß doch andrerseits zugegeben werden, daß seit Perikles tatsächlich ein müßiggängerischer Großstadtmob gezüchtet wurde und daß man im Altertum überhaupt viel weniger arbeitete als heutzutage. Es handelte sich, wie noch heute vielfach im Süden, mehr um Gelegenheitsarbeit, und an vielen Tagen tat man überhaupt nichts. Ein solcher Athener erhob sich zumeist, auch wenn er verkatert war, ziemlich früh vom Lager. Angezogen war er schnell, auch sein Frühstück, ein paar Bissen Brot in Wein getaucht, erforderte nicht viel Zeit. Dann steckte er ein paar Scheidemünzen zu sich, und zwar wörtlich zu sich, nämlich in den Mund (denn seine Backentasche war seine Geldbörse) und begab sich in die Öffentlichkeit: auf die Ratsversammlung, zur Gerichtsverhandlung, ins Gymnasion, auf den Exerzierplatz, zu einem Vortrag, und nirgends beschränkte er sich auf die Rolle des stummen Publikums, denn er war gewohnt, in alles hineinzureden. Dann inspizierte er sein Geschäft, wenn er eines besaß, was wohl auch mehr oder weniger auf Geschwätz herausgekommen sein dürfte, und schließlich schlenderte er zum Hafen, wo es natürlich am meisten zu sehen gab. Der Grieche hatte für dieses Herumlungern einen eigenen Fachausdruck: er nannte es »agorazein« und verstand darunter nicht etwa bloß, wie die wörtliche Übersetzung lauten würde, »auf dem Markt verkehren«, sondern eine aromatische Mischung aus Klatsch und Messebesuch, Kannegießerei und Sportgerede, Buffonerie und Philosophie. Bei schlechtem Wetter wurde dieses Treiben, das man auch geradezu als »weinloses Symposion« bezeichnete, in die Läden und Buden verlegt: zum 820 Salbenhändler, zum Barbier, zum Schuster, in die Bildhauerwerkstatt, im Winter mit Vorliebe in die Schmiede, wo es warm war. Die Frage des Essens spielte dabei eine untergeordnete Rolle: die fliegenden Wursthändler, ein paar vom Verkäufer schnell abgebratene Fische, eine Handvoll Feigen genügten dem Gaumenbedürfnis. Wenn aber Isokrates behauptet, früher, nämlich in der guten alten Zeit des Perikles, habe nicht einmal ein besserer Sklave Schenken besucht, so ist das Schönfärberei; auch wurde dort Würfel gespielt und mit Grisetten, den »Flötenspielerinnen«, pokuliert. Aber im allgemeinen gehörte erst der Abend den Zechfreuden. Nach einem einfachen Mahl, der rituellen Handwaschung und dem Trankopfer begann ein kommentmäßiges Kneipen, das dem der Couleurstudenten nicht unähnlich war. Daß aber das Trinken durchaus nicht die Hauptsache war, weiß jedermann aus Platos Symposion, obgleich dieses natürlich eine dichterische Konzentration ist und ein ungefähr ebenso ähnliches Bild der Wirklichkeit bietet wie Wallensteins Lager. Daß man sich mit Rätseln, Zoten, Zitaten und dergleichen Ödigkeiten unterhielt, ist erst spätere Verfallserscheinung. An das Symposion schloß sich öfters der Komos: ein nächtlicher Umzug mit Wein und Gesang, Erotik und allerlei Unfug; einem solchen dürften die Köpfe der Hermen vor der sizilischen Expedition zum Opfer gefallen sein. Auch die Sitte des Komos wurde von den Studenten übernommen, doch verrohte sie in der Neuzeit so sehr, daß nicht nur wüste Prügelei, sondern auch geräuschvolles Wasserabschlagen (und zwar mit Vorliebe vor der Tür der Angebeteten) zu ihrem Zeremoniell gehörte. Auch fehlten im Altertum die Zusammenstöße mit den Nachtwächtern, denn die Straßenpolizei stellte bei Sonnenuntergang ihre Tätigkeit ein.


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