Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Tägliches Leben am Euphrat

Die freigelegten Königsgräber von Ur (man nimmt an, daß sie aus der Zeit zwischen 3500 und 3000 stammen) haben enthüllt, daß es zu jener Zeit eine mondäne und vielleicht sogar schon dekadente Zivilisation gegeben hat. Es fanden sich unter anderm: eine Kollektion sorgfältig gearbeiteter Damenperücken von so groteskem Umfang, wie er nur wieder zur Zeit des absterbenden Rokoko erreicht wurde; ein Paar faustgroße halbmondförmige Goldohrringe; Herzmuscheln mit weißer, roter, schwarzer und grüner Schminke sowie ein Satz kleiner Toilettegeräte: eine Haarspange, ein Zahnstocher, ein Ohrlöffel, alles aus Gold; das Silbermodell eines Bootes mit Rudern, fünf Sitzen und einem Gestell für das Sonnensegel; eine Harfe mit rotweißblauem Mosaik, Inkrustation aus Muscheln und Lapislazuli und einem prachtvollen Stierkopf aus schwerem getriebenem Gold. Aus akkadischer Zeit haben sich sogar Spielsachen erhalten: Klappern, Tonschäfchen und dergleichen, und 334 gerührt betrachten die Besucher des Louvre einen vorzüglich modellierten Igel auf einem Fahrgestell, mit dem sich vor dreieinhalb Jahrtausenden ein kleiner Elamit vergnügte. Mit Verwunderung vernimmt man, daß die Bewohner Sinears auch schon konvex geschliffenen Bergkristall für Brenngläser und Vergrößerungslinsen gegen Kurzsichtigkeit und Weitsichtigkeit benützten. Auch an asphaltierte Straßen und Naphthabeleuchtung werden die wenigsten denken, wenn sie sich das alte Mesopotamien vorstellen.

Die Kosmetik stand bei den Babyloniern kaum auf einer niedrigeren Stufe als bei den Ägyptern. Das Einfetten des Körpers war schon durch das Klima geboten. »Die Babylonier«, berichtet Herodot, »salben sich den ganzen Körper.« Zur Löhnung des Soldaten und Arbeiters gehörte regelmäßig auch eine Ration Salbstoff. Sogar die Türen waren mit wohlriechendem Öl bestrichen. Man benutzte Essenzen aller Art zur Pflege des Barts und der Haare, zum Händewaschen und zur Parfümierung der Räume mit Räuchergefäßen, die selbst im Garten nicht fehlten. Besonders geschätzt waren der Duft der Rose und Lilie, Zeder und Zypresse. Im Gegensatz zu den Ägyptern dachten sich die Babylonier einen schönen Mann muskulös, beleibt und bebärtet; aber daß man dabei auch sehr vornehm aussehen konnte, bezeugen sowohl Hammurapi wie der Gott Schamasch auf der Gesetzesstele. Überhaupt erschien ihnen nur der reife Mann beachtenswert: Während die ägyptischen Porträts bestrebt sind, ewige Jugend vorzutäuschen, waren im Zweistromland Jünglinge niemals Gegenstand der bildenden Kunst, und auch Frauen nur höchst selten, so daß wir uns von der Beschaffenheit des weiblichen Schönheitsideals keinen rechten Begriff machen können. Es wird sich wohl dem Typ der Odaliske genähert haben. Ischtar ist eine sehr sinnliche Person, die alle Männer, mit denen sie sich einläßt, zugrunde richtet: deshalb bekommt sie auch von Gilgamesch, der ihr alle ihre 335 Opfer vorrechnet, einen Korb; auch die Legende von der früh geknickten Jugendblüte des Tammuz hat einen für die Göttin wenig schmeichelhaften Sinn. Kurtisanen spielten eine große Rolle; sie durften keinen Schleier tragen, während die andern Frauen (doch ist das nicht ganz sicher) verhüllt gingen. Die Beziehung der Geschlechter scheint eine rein sexuelle gewesen zu sein, dabei ohne das geistreiche Raffinement der späteren Bewohner Vorderasiens.

Auf die Kleidung wurde große Sorgfalt verwendet. Die Prunkgewänder des Königs und seiner Magnaten waren mit den herrlichsten Stickereien, ja oft mit ganzen Gobelins geschmückt, die kultische und mythologische Szenen darstellten. Die Kopfbedeckung der Vornehmen war eine hohe Kegelmütze, von der ein langes Band in den Rücken fiel. Bunte Gürtel und Fransen, Borten und Quasten, bisweilen auch silberne Glocken machten die Tracht noch reicher. An den Füßen trug man Sandalen, Schnabelschuhe oder Schnürstiefeletten aus feinem weichem Leder. Auch die Männer trugen kostbare Ohrringe, Armbänder und Fußspangen. Der Bart war streng rechteckig zugeschnitten und in imposante Wellen gebrannt, das lange blauschwarze Haar sorgfältig gekräuselt, der Schnurrbart, soweit er nicht der Mode zum Opfer gefallen war, martialisch gezwirbelt. Schon damals liebten es Gelehrte, rasiert zu gehen, wie es sich auch in andern Bartzeitaltern, zum Beispiel an den Humanisten des sechzehnten Jahrhunderts, beobachten läßt. Die Kossäer trugen Zöpfe. Dies taten auch die Frauen mit Vorliebe; aber durchaus nicht immer. Oft begnügten sie sich mit einem symmetrisch ondulierten Lockenkopf, und im neubabylonischen Reich trugen sie das Haar in die Stirn gekämmt nach Art der Ponyfrisur der siebziger Jahre. Bei Festen und Aufzügen, Empfängen und Gelagen vermählte sich die laute Pracht der grellen Gewänder und Gesichter, goldenen Turmhüte und Tiaren, blinkenden Glanzstoffe und Schauwaffen mit 336 dem schwülen Getöse der Flöten und Lyren, Zimbeln und Pauken und dem dumpfen Dampf der schweren Wohlgerüche zu einem pittoresken Gesamtkunstwerk.


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