Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Egon Friedell

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Charakter der babylonischen Geschichte

Auch die Babylonier waren am stärksten im Handel und allem, was ihn hebt und verfeinert; sie heißen im Alten Testament das »Krämervolk«. Die wahre Blüte ihrer Kultur aber fällt in die vorgeschichtliche Zeit: die sumerische. Aus jenen dunklen Jahrtausenden stammen alle ihre großen lichtvollen Schöpfungen: der Kalender, die Keilschrift, die Astrologie, die Kunst des Wasserbaus und Gewölbebaus, der Siegelzylinder, ihre tiefsinnige, später verwirrte und verflachte Mythologie. Nach der einheimischen Überlieferung zerfällt die Geschichte Babyloniens in die Zeit vor der Flut und nach der Flut. Vor der 294 Flut regierten zehn Urkönige, die den zehn Erzvätern der Bibel entsprechen, alle von ungeheuer langer Lebensdauer; unter dem letzten kam es zur Sintflut, deren Geschichte im Gilgameschepos dem Titelhelden von seinem Stammvater Utnapischti erzählt wird: Der Götterrat hatte eine große Flut beschlossen, um die sündige Menschheit zu verderben; einer der Götter aber, Ea, benachrichtigte seinen Liebling Utnapischti von der drohenden Gefahr und befahl ihm, ein Schiff zu bauen und seine Familie und alle Arten Getier darein zu bergen. Kaum hat Utnapischti den Auftrag ausgeführt, bricht unter Sturm, Donner und Hagel eine so entsetzliche Überschwemmung herein, daß selbst die Götter Furcht bekommen und sich in den Himmel flüchten, wo sie sich ängstlich weinend zusammenkauern. Als endlich das Wasser fällt, bleibt die Arche an einer Gebirgsspitze hängen, und Utnapischti sendet zuerst eine Taube, dann eine Schwalbe nach Land aus, aber beide kehren unverrichteter Dinge zurück, und erst der Rabe kommt nicht wieder. Nun wagt es auch Utnapischti, das Schiff zu verlassen, und bringt den Göttern auf der Bergkuppe ein Dankopfer dar. Das deckt sich fast wörtlich mit dem Bericht der Bibel. Ist dies wiederum eine Erinnerung an die Katastrophe beim letzten Mondeinfang oder handelte es sich bloß um ein großes lokales Elementarereignis? Noah hat damals natürlich noch nicht gelebt, sondern die Erzählung im Ersten Buch Mosis ist einfach übernommen.

Alle orientalische Geschichte hat etwas Monotones. Doch hat dies bei der ägyptischen seinen Grund mehr in der Einförmigkeit der Quellen, die mit einem stereotypen Phrasenschatz die Darstellung sämtlicher Ereignisse bestreiten; es ist im Prinzip dieselbe Tapetentechnik wie auf den Tempelreliefs. Bei den Babyloniern aber handelt es sich wirklich um eine ewige Wiederkunft des Gleichen. Es ist immer dasselbe: Die Leute aus Umma oder Uruk oder sonst einem Stadtstaat brechen in das Nachbarreich ein, metzeln die Einwohner nieder, werfen Feuer 295 in die Tempel und Paläste, zerschlagen die Götterstatuen und rauben die Schätze. Die Kanäle werden verstopft, die Nutztiere weggetrieben, die Obstbäume abgehauen, die Gärten niedergebrannt, die Wiesen zerstampft; nicht selten wird auch noch alles Ackerland durch Salpeter für die Zukunft unfruchtbar gemacht. »Die starke Mauer«, heißt es in einem anschaulichen Königsbericht, »aus spitzem Berggestein getürmt, habe ich wie einen Topf zerschmissen und der Erde gleichgemacht. Die vollen Kornspeicher öffnete ich und ihre Vorräte ohne Zahl ließ ich das Heer aufessen. Die versteckten Weinkeller betrat ich und die Krieger meines Gottes schöpften wie Flußwasser den duftenden Wein.« Die Bevölkerung, soweit sie nicht ausgemordet war, wurde »ausgerissen«: dies war die Bezeichnung für die sehr häufig angewandte Massendeportation, deren bekanntestes Beispiel das babylonische Exil der Juden ist. So sind viele Städte vom Erdboden verschwunden, ohne auch nur Trümmer zurückzulassen, und niemand weiß ihren Ort und Namen. Das luftige Ziegelmaterial, aus dem sie errichtet waren, machte es möglich, sie bis auf den Grund zu zerstören; freilich konnten sie auch ebensoleicht wiederaufgebaut werden.

Die Geschichte Mesopotamiens besteht aus lauter Episoden; von einer Kontinuität wie bei der ägyptischen ist hier niemals die Rede. Ihr einziger politischer Inhalt ist der Kampf des Kernlands der Strommündungen um die Herrschaft über ganz Vorderasien und der Widerstand der Völker und Stämme im Westen und Norden, von denen das eine oder andere bisweilen selber die Hegemonie erringt. Daher wechseln die Hauptstädte und Residenzen viel häufiger als anderwärts. Über das ewige Hin und Her dieser äußeren und inneren Machtstreitigkeiten sind wir vorläufig noch ziemlich dürftig und zweideutig unterrichtet, es ist dies aber kein allzu großes Unglück, denn auch die todsichere Wahrheit wäre vermutlich kaum übermäßig interessant. Immerhin bringt fast jedes Jahr neue Ausgrabungen und 296 Entzifferungen, so daß mit großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, daß die nachfolgenden Seiten, wenn sie vor den Leser treten, bereits veraltet sind. Im übrigen begnügen wir uns mit einigen bezeichnenden Stichproben, um so mehr, als auch die Denkmäler nur solche liefern.


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