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Durch verträumte Alleen eilen nun Hal und Frances. Um unbelauscht mit ihm reden zu können, hat sie den Hottentottenknaben nach Whitehall vorausgeschickt. Vom Schrei eines Käuzchens, vom hohlen Glockenklang eines Unkenrufes wird hie und da die Parkeinsamkeit unterbrochen. Irgendwo in der Ferne heult ein Hund. Schwarz und blendendweiß kontrastieren die Baumschatten und das laubdurchsickernde Mondlicht sowie das Antlitz und die beim Schreiten hin und her pendelnden Rabenlocken der Lady Essex. Sie hat zutraulich den Prinzen unter den Arm gefaßt.
»Fürchtet dein Freund mich so wenig?«
»Er war nicht bei Sinnen ... Das Schreckensgeheimnis, Frances! Schnell! – sei gut ...! Ich sterbe vor Angst!«
»Schnickschnack, daran stirbt man nicht ... Sir Thomas ist unklug, mich nicht zu fürchten ...«
»Ich fürchte dich, Frances.«
»Recht so, liebes Närrchen: Göttinnen soll man fürchten und lieben! ... Als ich vorhin auf der Bank saß, trug mir der Wind einige Worte zu ... Was du von der großen und kleinen Flasche sprachst, war für ihn unverständlich; – ich aber verstand es.«
»Was ist mit Harpy geschehn? Jetzt sind wir doch allein, – jetzt sage heraus, was es ist!«
»Trägst du das Fläschchen bei dir?«
»Du bist doch eine Schlange, Frances! ...«
»Ja, meine Schwestern nennen mich die Schlangenkönigin ... Aber Königin kann ich nun nicht mehr werden ...«
»Macht dir's solch eine Freude, meine Peinigung zu verlängern?«
»Im Kloster stahlst du mir die kleine Flasche – ich lag im Bett aus Rosenholz – entsinnst du dich? – ich nannte dich ›Mäuschen‹ und lachte unbändig.«
»Du wolltest das Gift trinken, Frances, – darum nahm ich es dir weg.«
»Ich wollte das Gift trinken, weil du ein Grämling warst und mich verschmähtest ... Jetzt will ich die Flasche zurück haben. Gib sie mir, Hal.«
»Nein, ich behalte sie.«
»Dann behalte ich für mich, was ich weiß.«
»Na gut also: vielleicht werde ich dir die Flasche geben – vielleicht – wenn du es endlich gesagt hast.«
»Es wird dich niederschmettern, armer Hal ... Ich fürchte, ich fürchte: deine Braut ist ein schönes falsches Mädchen.«
»Was willst du damit sagen?«
»Daß sie männertoll ist.«
»Welch eine abgrundtiefe Lüge! Kein Schwan ist so blank!«
»Wenn eine Schwänin zwei Schwänen treu ist, so ist sie keinem von beiden treu.«
»Zwei Schwänen? Welchen zwei Schwänen? ...«
»Sie hat doch einen Gatten.«
»Nicht mehr! Längst nicht mehr! Er heiratet eine andere in Italien ...!«
»Er soll jetzt in England sein ... Schlucke die Galle hinunter, Hal, –: Lady Arbella ist verschwunden.«
»Verschwunden?«
»Seit heute früh ... Warst du nicht dabei, als Moll Cutpurse, die Schleichhändlerin, nach ihr fragte? ... Mit ihr fuhr sie davon in einer prächtigen Karosse ... Meine Mutter sah es.«
»Sie fuhr davon in einer Karosse?«
»In einem vierspännigen Wagen. Moll Cutpurse besitzt solch einen Wagen nicht: soviel bringt Diebstahl nicht ein.«
»Allmächtiger Himmel! Wohin fuhr sie?«
»In eine Rattenfalle ... Ich fürchte, ihr wird übel mitgespielt.«
»Willst du mich wahnsinnig machen, Frances? ... Woher weißt du es?«
»Das Hottentottenknäbchen meiner Mutter hat den Kutscher ausgefragt und hat von ihm alles erfahren.«
»Wo ist der kleine Neger? ... Rufe ihn her!«
»Ich habe ihn vorausgeschickt, – er ist längst in Whitehall.«
»Was hat er erfahren?«
»Zwei Diener setzten sich zu deiner Braut in die Kutsche.«
»Nicht Moll Cutpurse?«
»Nein. Zwei vermummte Diener. Sie warfen deiner Braut ein getränktes Tuch über den Kopf, so daß sie betäubt wurde und nicht um Hilfe rufen konnte. Und die Karosse sauste davon.«
»Wohin?«
»Hal! mein süßer Hal! blicke doch um dich! Siehst du denn nichts mehr mit deinen erschreckten Eulenaugen? Hast du keine Erinnerung mehr? Weißt du nicht mehr, was wir unter dieser Apollostatue trieben?«
»Wohin fuhr die Karosse?«
»Gleich, gleich sollst du es hören ... Wie oft lagen wir im Lauschewinkel hier und kosten und herzten uns liebeschauernd ... Du warst ein kußlüsterner Junge, Hal! Ach und wie vertraute ich dir in meinem Kindersinn! ... Ja, damals warst du mir nicht spinnefeind, hochedler Lord!«
»Wohin fuhr die Karosse?«
»In ein Schloß. Den Namen hat das Knäbchen vergessen, – so wie du vergessen hast – – –«
»Und dann? Was dann?«
»Dann beginnt das Unheimliche, Hal. Sollen wir es dem Knäbchen glauben?«
»Was?«
»In einen stockfinsteren Raum wird deine Braut gebracht. Die Wirkung der Betäubung wird schwächer. Dennoch sind ihre Sinne noch benommen, wenn sie die Augen aufschlägt. Dumpf bewußt ist sie sich, daß brandschwarze Finsternis sie umgibt. Da vernimmt sie traumhaft die Stimme ihres Gatten William Seymour. Er steht neben ihr, unsichtbar in der Dunkelheit, und redet von alter toter Liebe ...«
»Du weißt artig zu lügen, Frances!«
»Frage das Knäbchen, wenn du mir nicht glaubst.«
»Weiter! Erzähle weiter! lüge weiter!«
»Plötzlich erstrahlt der Raum von hellem Kerzenschimmer. Wer zu nachtwandeln pflegt wie deine Braut, ist ja absonderliche Träume gewohnt. In einer Schloßkapelle befindet sie sich an der Seite ihres Gatten. Beide knien vor einem Altar. Ein Pastor hält eine Traurede. Lady Arbella wundert sich nicht, benommen wie sie ist; sie vermeint zu träumen. Doch jählings erwacht sie aus der Betäubung, begreift, kreischt verzweifelt auf, schlägt wie eine Wahnsinnige um sich. Pagen stürzen hinzu, halten sie fest. Und der Pastor beendet die Traurede.«
»Das hast du erfunden, du teuflischer Schadenfroh!«
»Ich nicht, mein Liebling. Vielleicht erfand es das Knäbchen. Doch wie soll ich es herschaffen, damit du es ausfragst? Da mußt du schon Lady Arbella selber fragen.«
»Kam sie zurück?«
»Ob sie schon zurück ist von der Ausfahrt? ... Mein Gott, vielleicht war es nur eine Spazierfahrt mit ihrer Freundin Moll. Laß es uns hoffen. Und falls sie noch nicht zurück ist, wollen wir ihre Rückkunft erwarten. Komm, wische deine Augen, Hal. Ich bleibe bei dir, ich verlasse dich nicht, mein Liebling, in deiner Angst.«