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28

Während der Trauerfeierlichkeit, während der Pastor am geschaufelten Grabe predigte, fühlte Overbury, daß er unablässig angeschaut wurde. Es irritierte ihn, weil es ihn ablenkte; und beinahe ärgerlich hob er den Blick. Da sah er in die wasserblauen Augen des Serjeant Crew, – die freilich alsobald von ihm abirrten. Gut, daß er hier ist, – ich brauche ihn also nachher nicht aufzusuchen! dachte Overbury befriedigt. Den entglittenen Faden der eintönigen Predigt freilich wieder aufzunehmen, wollte ihm nicht recht gelingen. Daß Crew sich unter den Leidtragenden befand, war an sich nicht verwunderlich, da er ja die Leiche im Boote rekognosziert hatte. Etwas beunruhigend für Overbury war nur die Ungewißheit, ob der gefürchtete Hexenfinder von dem, was vorhin sich abgespielt hatte, bereits unterrichtet war oder nicht.

Das blieb ungewiß, auch als Erde auf den hinabgelassenen Sarg fiel und Serjeant Crew wie alle anderen dem Schwager des Toten die Hand schüttelte. Overbury bat, ihn ein Stück Weges begleiten zu dürfen. Sie gingen durch Paternoster Row und bogen in die Cheapside ein, da Crew neben der St. Ethelburga-Kirche in Bishopsgate Street wohnte. Auf dem Weg sprach Crew von der schönen besinnlichen Predigt, vom stolzen Leichengefolge und erkundigte sich teilnahmsvoll nach Oriana's Befinden. Von Janet Williams kein Wort. Und neben ihm herschreitend dachte Overbury: Eigentlich sieht er mit seinem weißen Schnauzbart wie ein freundlicher Gelehrter aus ...

In der Cheapside hatten zu Elisabeths Zeit nur Goldschmiede und Juweliere ihre prunkvollen Läden gehabt: Goldsmith's Row war der alte Name der Straße. Erst seit bald vier Jahren, seit die Pest – die von Reichtum sich nicht bestechen ließ – gar manches Haus verwaist hatte, waren auch Besenbinder und Sattler und Parfümeure und Kerzengießer in diese vornehmste Straße gezogen, so daß arm und reich nebeneinander hausten. Verwahrloste, in Lumpen gekleidete Kinder balgten sich, bettelten Passanten an, warfen Pferdeäpfel den Hofkaleschen nach.

Vor einem der Juwelierläden stand ein Mann, mittelgroß, mit grauem, langem Vollbart. Für einen Earl oder Duke hätte man ihn halten können. Es war der Goldschmied Master John Williams. Als Crew und Overbury herankamen, begrüßte er sie, als hätte er sie seit lange erwartet. Aber auch er sagte kein Wort von seiner Tochter. Nur an seinem eisernen Händedruck, darin Dank und Angst, Hoffnung und Hoffnungslosigkeit sich paarten, erkannte Overbury, daß ihm bekannt war, in welcher furchtbaren Todesgefahr seine Tochter Janet noch immer schwebte. Daß der Gleichmut des Alten erkünstelt war, verriet äußerlich nichts – außer an seinem linken Ohr ein Smaragdohrring, der kaum sichtbar wie ein Libellenflügel vibrierte.

Von ihm aufgefordert, traten Crew und Overbury in seinen Laden. Bis zur Decke hinauf waren die Wände beglänzt und verklärt von Goldgeschimmer und Silbergeflimmer und Kleinodiengefunkel. Die königlichen Schatzhäuser in Thiryns und Knossos mochten wohl so durch berauschenden Goldglanz überwältigt und geblendet haben.

Ließ Serjeant Crew sich blenden und überwältigen? Zum mindesten verstand er, – verstand aber auch, sich's nicht anmerken zu lassen.

»Ich will Ihnen eine Kostbarkeit zeigen, die nur wenige Engländer zu Gesicht bekommen werden!«

»Warum wenige?« fragte Crew. »Soll sie außer Landes ziehn?«

»Freilich, Sir, – nach Madrid. Seine Majestät hat sie bei mir bestellt, um sie dem König von Spanien zu schicken.«

Er zeigte auf einen großen goldenen Tafelaufsatz. Ein herrliches Kunstwerk war es, unschätzbar der Wert. Rings um den die Schale tragenden Fuß sah man entzückende Gestalten aus gestanztem Gold: eine mythische Szene am Schilfufer stellten sie dar –: Psyche kniet vor Pan; Dryaden und Oreaden belauschen, wie Pan tröstend die Hand auf Psyches Scheitel legt.

»Ist das der leidige Satan?«

Überaus vorsichtig belehrte Overbury, der bocksgesichtige, bocksfüßige Pan sei ein heidnischer Gott.

»Also doch Teufelsbrut!« beharrte Crew. »Wie kommen Sie dazu, Master Williams, solch ein Teufelswerk zu machen?«

»Seine Majestät befahl es mir so!«

Serjeant Crew verstummte. Was ging in seinem Gehirn vor? Hatte er endlich begriffen, warum der Juwelier immer wieder Seine Majestät erwähnte? ... Nun, Serjeant Crew war ja kein Unmensch – er konnte auch mitleidig sein, wenn es etwas einbrachte. Aber in Overbury's Gegenwart ließ sich ein Geschäft nicht machen. Und damit der Preis recht hoch steige, mußte vorläufig die Schale der Hoffnung tief hinabgesenkt werden.

»Mir fehlt es augenblicklich an Zeit, Master, – doch heute nachmittag werde ich kommen, mir all die Kostbarkeiten zu betrachten ... Sie wissen doch schon, in welchem Verdacht Ihre Tochter steht?«

»Ich weiß ... O mein Gott, mein Gott! ... Man tut ihr Unrecht ...«

»Schade um das Mädchen! Doch unsereins ist machtlos. Was ins Totenbuch eingetragen ist, darf nicht radiert werden ... Übrigens, was kostet der Ring dort?«

»Nichts, Sir! ... Nehmen Sie ihn! Er gehört Ihnen!«

Mit flatternden Händen drückte der Juwelier den Ring in Crew's Hand. Dann stürzte er vor ihm auf die Knie.

»Erbarmen! ... Mein einziges Kind! ...«

Seine Stimme erstickte. Crew warf ihm den Ring hin.

»Mit Speck fängt man Mäuse: aber nicht mich! Das merken Sie sich, Master! ... Und glauben Sie nicht, daß Seine Majestät aus dem Blutbuch eine Seite ausreißen kann!«

Scheinbar zornig verließ er den Laden. Overbury half dem Juwelier, sich vom Boden zu erheben.

»Er wird heute nachmittag wiederkommen, Master Williams, und wird den Ring annehmen.«

»Bis dahin kann mein Kind gehängt sein wie die sieben anderen! Sofort fahre ich zu Seiner Majestät!«

Overbury brachte es nicht übers Herz, ihm zu sagen, daß der König tags zuvor Whitehall verlassen hatte, um in Waltham Forest auf die Schnepfenjagd zu gehen.


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