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Sie tröstete sich erst, als beschlossen wurde, daß James zu Schiff vorausfahren, sie aber auf dem Landwege ihm nach London nachfolgen sollte. Das gab ihr die Möglichkeit, sich ihr ältestes Kind, den damals zehn Jahre alten Thronfolger Prinz Henry – oder Prince Hal, wie er meist genannt wurde – zurückzurauben, der ihr bald nach seiner Geburt von James geraubt worden war. Südwärts reisend, traf sie unangemeldet und völlig unerwartet mit großem Gefolge auf dem Schlosse des Earl of Mar ein, von dessen Mutter Anabella der junge Thronfolger erzogen wurde. Die Königin forderte die Auslieferung ihres Sohnes und begann zu toben, als die Schloßherrin sich herausnahm, sie nach dem schriftlichen Befehl des Königs zu fragen. Die steinalte hagere strenge Countess of Mar, Witwe des einstigen Regenten Schottlands, stand mit ausgestreckten Armen schirmend vor dem Knaben – königlicher als eine Königin, beschämte sie durch ihre eisige Kälte die Rasende. Der tolle Auftritt endete damit, daß Königin Anna, die schwanger war, zu Boden stürzte und in Gegenwart ihrer Feinde und ihres Sohnes dort auf den Steinfliesen der alten Burghalle ein totes Kind gebar.
Statt den Embryo zu begraben, ließ sie ihn einbalsamieren und reiste, nach kurzer Erholungsfrist, durch Schottland und durch ganz England mit dem Kindersarg – täglich von Bürgermeistern und Schultheißen, Schulkindern, Studenten und Handwerkern als Fürstin der geeinten drei Reiche – ja sogar Frankreichs – begrüßt und unablässig Tränen über dem kleinen Sarge vergießend, damit alle Welt es sehe und erfahre, vor allem aber James erfahre, wie schmachvoll sie behandelt worden war.
Als sie in London einzog, zog auch die Pest in London ein und warf den ersten Schatten auf das rausch- und tanzbereite neue Stuart-England. Der vor Angst schlotternde Hof sagte alle Festlichkeiten ab; Krönung, Stierkämpfe und Hinrichtungen wurden verschoben. Auf Königin Anna's Bitte, den Earl of Mar und seine Mutter grausam zu strafen, erwiderte der König: »Essex, Howard und Mar verdanken wir, daß uns die Krone Englands zufiel.«
»Wenn ich sie Mar danken soll, so verzichte ich auf Englands Krone!« trotzte die Königin.
Jedoch die neue Krone stand ihrer üppigen Blondheit gut, – so behielt sie sie denn. Und als der Totentanz der Pest von dannen zog, anderen Tänzen, Schmausereien und Maskeraden Platz zu machen, entdeckte sie, daß es auch in England singende Schwäne gab – nicht nur den Sweet Swan of Avon – und auch reichere Wucherer und Geldleiher als im ärmlichen, durch ständige Fehden verarmten Edinburgh. Sie vergeudete und tanzte und fand sich drein, daß Prinz Hal – den sie jetzt ebenso haßte, wie sie ihn vordem überschwenglich geliebt – auch in London, wohin James ihn hatte nachkommen lassen, zunächst noch seine Erzieher behielt. Dann – der Earl of Mar starb bald – wurde Hal in die Hände des Humanisten Adam Newton gegeben, eines berühmten Lateiners und feinen Kopfes, der als Mensch freilich zu gutherzig, schwach und devot war, ein so unbändiges Rassepferd, wie der kleine Thronfolger eines war, an der Kandare zu halten. Allzufrüh entglitten die Zügel. Vater und Mutter, in Anspruch genommen durch läppische Vergnügungen, kümmerten sich nicht um den außerordentlich begabten, seinem Alter weit vorausgeeilten Knaben, fragten nie, wo und wie er seine Mußestunden verbrachte. Das war ja Sache des Lehrers; – dem aber hatte das Kind mit funkelnden Augen solche Fragen ein für allemal untersagt. Wenn The Lord of the Isles – (so lautete der schottische Titel des kleinen Thronfolgers) – gegen Mitternacht eine Kalesche anzuspannen befahl, um aus Whitehall nach London hineinzufahren, stieß er auf keinen Widerspruch. Sein kindliches Ideal wurde sein großer Namensvetter, Shakespeare's Prince Hal, der mit Falstaff, Pistol, Dortchen Lakenreißer gelumpt, dann aber Frankreich erobert hatte; und es fehlte nicht an Schmeichlern, die ihm die Hände küssend versicherten, er habe eine auffallende Ähnlichkeit mit dem Bilde jenes kriegerischen Königs der roten Rose.