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Der erste Käfig, an welchen James seine Gäste heranführte, war der Ruthven's. Kein Löwengebrüll empfing die über die Schwelle Tretenden. Das letzte Stadium der Auszehrung malte sich auf den eingefallenen Wangen des Jünglings, der im vorderen Zimmer in einem Armsessel mehr lag als saß und den brennenden Fieberblick verstört auf die vornehmen Besucher geheftet hielt. Verwundert murmelte Joinville:
»Ist das ein Löwe? ... Viel eher hätte ich ihn für ein Lamm gehalten!«
»Lassen Sie sich nicht täuschen, weil er ein Lammfell trägt!« versetzte James. »Solche Lämmer haben grausame Krallen und Reißzähne!«
Pembroke, Arundel und David Moray ertrugen es nicht, sie schlichen auf den Gang hinaus. Lenox, obgleich ebenso empört über die Herzensroheit des Königs, bemerkte schüchtern und beinah flehend:
»Oh, mein Lord, es ist ja ein Sterbender ...«
Schroff wollte James ihm das Mitleid verweisen, wurde aber abgelenkt durch eine Frage Joinville's, der sich nach der Schuld Ruthven's erkundigte. Es stellte sich heraus, daß den Franzosen nichts von der sogenannten Gowrie-Verschwörung bekannt war; wenigstens behaupteten sie das. An die – ein Jahrzehnt zurückliegenden – aufregenden Geschehnisse wurde das schottische Volk, und neuerdings auch das englische, alljährlich durch einen von James anberaumten Volksfeiertag erinnert; – und erinnert wurde auch der liebe Gott: denn wie Lerchen stiegen aus allen Kirchen am 12. August Gebete empor, Danksagungen für des Königs mirakulöse Errettung aus Mörderhänden. In Paris dagegen war das geheimnisvolle blutige Ereignis längst vergessen ( – versicherte Joinville, dem es ein teuflischer Spaß war, die offiziösen Lügen aus dem Munde des Nächstbeteiligten zu vernehmen).
Während James sich eben anschickte, die Geschichte der Verschwörung – so wie er sie seit dem Mordtage immer dargestellt hatte – den Franzosen vorzutragen, trat Prinz Hal ins Zimmer. Er war mit d'Epinoy über Waffen redend ein wenig hinter dem Kometenschweif zurückgeblieben und hatte, herankommend, im Korridor den finsteren Gesichtern Pembroke's und Moray's abgelesen, daß Ungehöriges geschah. Pembroke, von ihm gefragt, hatte rückhaltlos Auskunft erteilt ...
Über die Schwelle tretend sagte Hal zu James:
»Verzeihen Sie, mein Vater, wenn ich den Mut habe, Sie zu unterbrechen.«
»Sei nicht zu mutig, Hal! ... Was willst du?«
»Man hat mich gelehrt, Respekt vor dem Tod zu haben ...«
»Auch vor deinem Vater, Hal!«
»Gewiß. Ich bin jung und verstehe vieles nicht, was Euer Gnaden tut.«
»Das glaube ich dir aufs Wort, Hal.«
»Ich verstehe nicht, wie ein Ankläger eine Anklagerede halten kann, wenn der Angeklagte sich zu verteidigen gehindert ist, weil ihm die Zunge ausgeschnitten wurde.«
»Wer schnitt sie ihm aus?«
»Der Tod, mein Vater. Sehn Sie denn nicht, daß er im Sterben liegt? Sie aber berichten vom furchtbaren Tod seiner Brüder ... Muß das hier in seiner Gegenwart geschehen?«
»Du hast noch ein warmes Herz, Hal, – begreiflich, wo du so jung bist. Ich tadle es nicht, – da du aber König werden sollst, rate ich dir, dein Herz auf Eis zu legen. Und nun genug! Dixi!«
Und James setzte in schlechtem schottischem Französisch seinen Bericht über die Gowrie-Verschwörung fort. Er bemühte sich, es so darzustellen, als wäre in Ruthven Castle ein Mordanschlag – dem er »mit Gottes Beistand wie durch ein Wunder« entging – von den Brüdern Geoffrey's unternommen worden. Er gab, fast bedauernd, zu, daß die Ruthvens auffallend schöne, wohlerzogene, in Italien herangebildete junge Menschen gewesen seien; – um so unverzeihlicher sei es, daß sie sich vom Teufel anstiften ließen, die Meuchelhand gegen ihren angestammten Herrscher zu erheben. Sie wollten, erklärte James, ihren Vater William Ruthven, Earl of Gowrie, an ihm rächen, weil er ihn als Hochverräter hatte hinrichten lassen ... (Viel verschwieg James und eines vor allem: daß nämlich Geoffrey's zweitältester Bruder Alexander Ruthven von der Königin Anna geliebt wurde, und daß bereits das Blut eines ihrer früheren Liebhaber, des schönen Earl of Moray, zum Himmel schrie, als Alexander – wenige Tage nachdem seine Liebschaft mit der Königin Anna entdeckt worden war – sterben mußte ... Ob auch sein Blut zum Himmel schrie, – wer besaß das feine Gehör, das zu erhorchen? Und wer konnte sagen, mit welchen Gesichtern die Engel droben die Dankgebete für des Königs Errettung aufnahmen jeden 12. August?)
Er habe sich – berichtete James – in einem Walde auf der Jagd befunden, als John und Alexander heransprengten und ihn nach Ruthven Castle einluden. Dort angelangt, ließ er seine Begleiter Erskine, Harris und Ramsay im Burghof und begab sich ins erste Stockwerk, von den freundlich plaudernden Schloßherren in ein abgelegenes Zimmer geleitet. Ohne daß er es bemerkte, verriegelten sie die Tür und begannen sofort dringlich, zudringlich, ja anmaßend ihn um die Rückerstattung ihrer, nach der Hinrichtung William Ruthvens beschlagnahmten, Güter zu bitten. Als er es ablehnte, zog John Ruthven den Degen und hätte ihn durchbohrt, wäre es ihm nicht gelungen, den Stoß mit dem Ellenbogen zu parieren. Mehrere Minuten lang rang er mit dem Mörder, bis sein Zetergeschrei im Burghof gehört wurde ... »Mais l'autre frère? II regardait, l'épée à la main?« fragte boshaft, doch mit einer Unschuldsmiene, Joinville.
»Quant à ça, il n'y a q'une explication: Dieu est le Défenseur des rois. C'est ce que j'apelle le Mystère de la Royauté.«
Dagegen ließ sich nichts sagen; und auch Joinville sagte nichts, obgleich ihm bekannt war, daß in Schottland kein vernünftiger Mensch an die Schuld der Ruthvens glaubte ...
James fuhr fort: Sein Gefolge stürmte die große Freitreppe hinauf. Die Tür war verschlossen. Doch Ramsay drang durch ein Nebenzimmer in die Mordkammer ein und erdolchte die beiden Meuchler. Die Leichen wurden nach Edinburgh gebracht, zum Hochgericht geschleift, an den Galgen gehängt und dann gevierteilt. Getötet wurden sogar die Namen Gowrie und Ruthven, ausgemerzt aus dem Gedächtnis der Menschen. Ließ sich die Mitschuld der jüngeren Brüder Patrick und Geoffrey zwar nicht beweisen, so war doch wahrscheinlich, daß sie vom Komplott Kenntnis hatten; – auf ihre Festnahme wurden daher hohe Preise gesetzt. Jedoch erst, als James in London gekrönt worden war, gelang es, ihrer habhaft zu werden und sie in den Tower zu sperren. Patrick, der gefährlichere der beiden, bestach einen Wärter und entwich ...
Der Bericht erlosch wie eine ausgebrannte Öllampe. All die Zeit hatte Geoffrey Ruthven sich schmerzdurchzuckt, wie ein getretener Wurm, gewunden. Qual, Haß, Spott und Verachtung glitzerte in seinen fiebernden Augen. Zusammengesunken kauerte und lauerte er, schnappte verzweifelt, vor Raserei erstickend, nach Luft. Jetzt hob er sich mühsam im Sessel empor und steckte den flatternden Arm und Zeigefinger geradeaus – auf den König zu. Er schrie:
»Man hat mir die Zunge ausgeschnitten, – sonst würde ich – – –«
Weiter kam er nicht. Besinnungslos fiel er in den Sessel zurück und lag da zuckend mit verdrehten Augen ...