Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

52

Prinz Hal trat ein. Mistris Turner verneigte sich tief vor ihm, doch er erwiderte ihren Gruß nicht. Stumm schlich sie, an ihm vorbei, zur Tür hinaus.

Er war in schwarzen Samt gekleidet, und das vermehrte den Schimmer seiner geisterhaften Gesichtszüge. Unfreundlich, durch die Zähne sagte er:

»Wenn ich gewußt hätte, daß du mich so empfangen würdest – – –«

»Wie empfange ich dich denn, Liebling?«

»Wie das erstemal, als dein Oheim mir Malvasier vorgesetzt hatte. Doch heute bin ich nüchtern, Frances!«

»Und eiskalt ... Trinke von meinen Lippen, Liebling, – berausche dich, wärme dich!«

»Nein, – das ist vorbei.«

»Du bedauerst ja, daß du zu spät kamst, mich auszuziehen! Gesteh, daß du's bedauerst, Hal!«

»Ich bedauere, daß du nicht begriffen hast, was ich dir neulich sagte: ich will das nicht mehr!«

»Mich ausziehen? Armer Hal, – es war deine größte Freude! Wer hat dich zum Betbruder gemacht, mein Liebling?«

»Du lachst, aber mir ist es Ernst damit: ich will das nicht mehr!«

»Was, mein Liebling?«

»Die Sünde.«

»Bin ich das? ... Du willst mich also nicht mehr?! ... Warum bist du denn dann hergekommen, Hal?«

»Um Abschied zu nehmen. Von dir und der Sünde. Ihr seid ja eins!«

»Hat das die Rothaarige dir befohlen?«

»Wer? Arbella?«

»Freilich! La Belle Dame Sans Merci, – so nanntest du sie doch! ... Ich stand nämlich hinter der Hecke und beobachtete alles, Hal! ... Deine Liebe hat sie mir gestohlen!«

»Meine Liebe? ... Nein! Sie macht sich nichts aus meiner Liebe!«

»Und du machst dir aus meiner Liebe nichts! ... Sind wir nicht beide zu bedauern, du und ich, Hal? Sollten wir nicht Mitleid miteinander haben?«

»Ich habe Mitleid mit dir, Frances, weil du so schlecht bist. Du bist wurmzerfressen, Frances, durch und durch verderbt bist du!«

»Schönen Dank für dein Mitleid! ... Was kann ich dafür, ich Kind meiner Mutter! ... Und bist du nicht wurmzerfressen, junger Puritaner?«

»Gott sei es geklagt, ich bin es! Du hast mich verdorben! – Doch zum Glück nicht ganz: noch hatte ich die Kraft, aus dem Morast zu steigen. Dir kann ich nicht helfen, – auch wenn ich es versuchte, könnte ich dich aus dem Sumpf nicht ziehn. Und weil ich das eingesehn habe, sage ich dir heute Valet. Ich will dein Mitschuldiger nicht mehr sein!«

»Du goldiger Junge, du weißt ja gar nicht, wie sehr du mir gefällst, wenn du so böse sprichst! Ich sage mir das alles ja selbst und begreife, daß wir Abschied nehmen müssen. Doch komm her, mein Liebling. Küsse mich ein letztes Mal, wie du mich sonst immer geküßt hast. Es soll ja nie mehr geschehn! – Aber feiern laß uns den Abschied! Komm her, du Süßer! Was fürchtest du? Ich tu dir doch nichts Schlimmes, wenn ich dich küsse! ...«

Wie eine kindjunge Frau Potiphars faßte und zerrte sie ihn am Mantel, um ihn zu sich ins Bett zu ziehn. Er riß sich los und stieß sie in die Kissen zurück.

Da heulte sie laut auf. Ohne es zu beachten, ging er zur Tür. Dort wandte er sich um und sagte:

»Ich bemitleide dich, Frances! Du bist ein armes Ding, – ich weiß leider keine Medizin für dich ... Lebewohl!«

»Geh noch nicht, ägyptischer Prinz! Schau her: wenn du die Medizin für mich nicht hast, – ich habe sie!«

Triumphierend zeigte sie ihm das Giftfläschchen. Und sie öffnete es und führte es an den Mund, das Gift zu trinken.

Blitzschnell stürzte er zum Bett hin und packte ihre Hand. Sie wehrte sich verzweifelt. Er entriß ihr das Fläschchen und steckte es in die Tasche.

Frances begann unbändig und wild zu lachen.

»Ich wollte ja gar nicht trinken! Ich tat ja nur so!«

»Mag sein. Doch dir traue ich das Tollste zu, Frances!«

»Bitte reiche mir Seife, Wasser und ein Handtuch, Hal!«

»Mir ist nicht zum Lachen, Frances!«

»Mir aber. Ich muß mir nämlich die Hände in Unschuld waschen ... Das Fläschchen gab ich dir nicht, du selbst nahmst es ...«

»Was willst du damit sagen?«

»Daß ich beinahe Mitleid mit dir habe, Mäuschen!«

Er verstand sie nicht und ging achselzuckend hinaus.

53

Kaum hatte er sich entfernt, zog sie geschwind sich an. Und schon fertig gekleidet und gekämmt war sie, als Mistris Turner bestürzt ins Zimmer kam. Beide blieben eine Weile stumm. Frances lachte nicht mehr, sie lächelte versonnen.

»Sage doch, Ann, – was ich dich längst fragen wollte, – du hast mir oft von der Kammer der bösen Puppen erzählt, doch gezeigt hast du sie mir noch nie, deine bösen Puppen ...«

»Du willst ihn zurückrufen?«

»Ja, er ging ... Du wunderst dich wohl, mich nicht als weiße Leiche im rosa Bett zu finden?«

»Rede doch nicht so, Kindchen!«

»Ein Kind bin ich freilich und möchte mit Puppen spielen – mit bösen Puppen ... Aber eins sage ich dir: an deine Zaubersprüche glaube ich nicht.«

»Weil du's nicht kennst, Frances. Mit einem Zauberspruch kann man den Mond vom Himmel herabziehn, so daß er in die Stube tritt wie ein Kavalier.«

»Was soll ich mit dem Mond, – ich hätte ja Angst vor ihm! ... Aber, nicht wahr, mit einem Wachsbild kann man einen Mann martern oder ihn zwingen, sich selbst ein Feind zu sein?«

»Du willst doch nicht etwa ...?«

»Das Mäuschen hat das Mäusegift jetzt!«

»Prinz Hal? ... Du gabst es ihm?«

»Nein! Ich schwöre dir, ich wollte es ihm nicht geben! Bei Gott, ich wollte nicht! Mit keinem Gedanken hatte ich daran gedacht! ... Doch er entriß es mir, er nahm es ... Zuerst war ich wütend darüber. Wenn ich es mir aber recht überlege –«

»Ums Himmels willen! Du willst ihn dazu bringen, daß er – – –«

»Ja, daß er genäschig wird. An mir nascht er nicht mehr.«

»Das ist ungeheuerlich! ... Bedenke doch – der Thronfolger, den alle vergöttern!«

»Alle, nur Lady Essex vergöttert ihn nicht ... Nein, predige nicht wie ein Kanzelredner, du kannst es ja doch nicht. Und jetzt zeige mir deine Puppen!«

Dem herrischen Ton fügte sich Mistris Turner und führte die Freundin hinunter in die Kellerräume. Der Lichtschein der blakenden Kerze in ihrer Hand hüpfte an den staubgrauen Wänden aufwärts, duckte sich, verschwand, war plötzlich wieder droben und drehte sich mit schreitenden blauen Schatten in einem Wirbeltanz. Vor einer verschlossenen Kammer blieb Mistris Turner stehn, steckte den Schlüssel ins Schlüsselloch und reichte Frances den Leuchter.

»Ich will erst allein in die dunkle Kammer, Frances, die Fensterläden zumachen.«

»Fürchtest du Serjeant Crew, den Hexenfinder? Der schläft doch jetzt!«

»Ich hoffe, er schläft und wünsche ihm, gut zu ruhn ... Aber die da drüben schlafen keine Nacht und könnten beobachten, was wir treiben.«

»Wer wohnt denn da drüben?«

»Zwei indianische Menschenfresser, ein junger und ein alter ... Helways hält sie im Raubtierkäfig gefangen.«

»Raubtierkäfig?«

»Ja, doch ohne Eisengitter, Kindchen. Ich meine das Haus drüben. Sir Gervaise hat es gekauft, – er ist ja reich jetzt. Und dort hält er die beiden Menschenfresser und füttert sie, – bis er sie mal braucht.«

»Und mich speist du ab mit solchen Ammenmärchen! ... Nein, Ann, schließe die Tür noch nicht auf! Erst erkläre mir's ... Da ist doch ein Geheimnis.«

»Vor dir habe ich keine Geheimnisse, Kindchen. Du sollst alles erfahren, alles, alles, alles, – nur nicht jetzt. Ein andermal, – wenn du willst gleich morgen, – erzähle ich es dir haarklein. Es ist eine lange Geschichte und eine tolle ... Und sollte der Liebeszauber unwirksam bleiben, sollte Prinz Hal zu dir nicht zurückkehren, – so verzweifle nicht: uns bleibt dann immer noch die Möglichkeit, den Raubtierkäfig drüben zu öffnen ... Der ausbrechende Oger würde den armen Prinzen mit Haut und Haaren fressen ...«

Sie ging in die dunkle Kammer, schloß die Fensterläden, zog Vorhänge zu und rief dann Frances herein.

Keine Möbel enthielt der kahle Raum außer einem Tisch, auf welchem Wachsklumpen, Farbentiegel und Pinsel umherlagen. Ein Schmelzherd in der linken Ecke war mit Spinngewebe überzogen, schien lange nicht gebrannt zu haben. Auf Borten, längs den Wänden, standen, lagen und saßen zierliche, in Seide und Brokat gekleidete Pygmäen aus Wachs und blickten die Eintretende mit wunderlich beseelten, topashaften Augen an. Der Eintretenden gegenüber hingen dunkelgrüne Vorhänge vor den Fenstern, und ein ebensolcher Vorhang unterbrach die Borte an der Wand rechts und verdeckte eine dahinter befindliche Tür.

Fasziniert betrachtete Frances das absonderliche Volk der Puppen. Die Scheußlichkeit mancher von ihnen entzückte sie ebensosehr wie die Anmut anderer. Traumhaft, als wäre sie in einen Zauberhügel geraten, sah sie sich umringt von grotesken froschmäuligen Kobolden, aber auch von liebreizenden Elfen und trauernden Wassergeistern. Alle – mochten sie ihrer Kleidung nach Oxfordstudent, Puritaner, Amazone, Hofnarr, Seiltänzerin, Neger oder Königsohn sein – alle hatten etwas Morbides, Gespenstisches, Unheimliches; und ihre Schwermut war voller Charme. Die winzigen Hände, degeneriert und überzart, verstanden den Fächer oder das Blumenbukett oder den kleinen Degen lebensvoll zu halten.

»Daß du solch eine Künstlerin bist, Ann! Wer hat dich das gelehrt?«

»Ich mich selbst ... Und nun will ich dich den Liebeszauber lehren, Frances! Wähle die schönste der Puppen, nenne sie Hal und halte vorsichtig die Kerze an das Puppenherz, – doch so, daß das Wachs nicht schmilzt und nur das Herz glühheiß wird.«

Sogleich zeigte Frances auf eine Puppe.

»Der grüblerische Hamlet da – das ist Hal! Gesteh, Ann, daß das sein Ebenbild ist und daß du ihn darstellen wolltest.«

»Ja, ich dachte an ihn, als ich daran arbeitete. Ist mir's geglückt?«

»Es ist die schönste deiner Puppen!«

Noch einmal ließ Frances ihre Blicke über alle Wachsbilder schweifen. Und plötzlich entdeckte sie eins, das abseits von den andern auf dem untersten Bord stand. Es war ein sich spiegelnder Narziß.

»Der ist noch herrlicher als Hal! Wen stellt das dar?«

»Einen gewissen Robert Car, einen verkommenen Menschen, der Page und Stallknecht und Schauspieler war und zuletzt mit einer Bande von Totentänzern im Lande umherzog. Seiner Schönheit wegen hat Sir Gervaise ihn aus dem Elend gezogen und ihn ins Haus genommen.«

»An Sir Gervaise's Mildtätigkeit glaube ich nicht.«

»Dein Oheim Northampton, Kindchen, gab ihm den Auftrag, einen außerordentlich schönen Menschen zu suchen.«

»Wozu braucht mein Oheim – – –?«

»Die spanische Partei sucht einen Nachfolger für Arbella.«

»Einen Nachfolger?! ... Die steht ja mehr in Gunst denn je!«

»Sie hat ausgespielt! Ich weiß es! Ich weiß, was noch niemand bei Hofe ahnt: Sir Gervaise, den dein Oheim heimlich nach Whitehall brachte, übergab Seiner Majestät das Horoskop Arbella's. Die Wirkung auf den König war niederschmetternd: er zittert jetzt vor Arbella.«

»Liebe gute Ann, schenke mir die Puppe! Bitte, bitte! Ich hab mich verliebt in die Puppe!«

»Ich kann sie dir nicht schenken, Frances. Dein Oheim erbat sie sich von mir ...«

»Wozu?«

»Um sie Seiner Majestät in die Hände zu spielen.«

»Aha! damit es dem hohen Herrn ebenso ergeht wie der armen Frances, die ihr Herz an ein Wachsbild verlor? Und wenn – – –?«

»Und wenn? Ja dann wird dein Oheim eine zufällige Begegnung des lebenden Narziß mit Seiner Majestät herbeiführen ... Und dann – dann wird kein Mann in den drei Königreichen so mächtig sein wie Robert Car!«

»Auch Prinz Hal nicht?«

»Wer den König beherrscht, hat keinen Rivalen!«

»Ist der Körper des kleinen Mannes so bezaubernd wie sein Gesicht?«

»Du bist ja ganz vernarrt, Frances!«

Mistris Turner entkleidete den sinnenden Narziß. Während sie damit beschäftigt war, ergriff Frances die Kerze und hielt rasch die Flamme an die Brust der Puppe. Nicht mehr hindern konnte es Mistris Turner.

»Was tust du, Frances! Du machst dich ja unglücklich! ...«

Doch schon war es geschehn. Der grüne Vorhang an der Wand rechts wölbte und blähte sich, die dahinter befindliche Tür ging auf. Mit halboffenen Lidern wie ein Mondsüchtiger kam Robert Car herein. Gazellenhaft war der Gang und jede Bewegung seiner überschlanken Gestalt. Lange kastanienbraune Locken umrahmten seine mädchenzarten Wangen. Die verschleierten Augen glommen als wären sie schwarzer Bergkristall. Wie eine kupferrote Nelke glutete sein wunderbar gemeißelter Mund.

Und Frances fühlte Schauer über ihren Rücken rieseln. War das ein ätherischer Dämon oder ein Jüngling von Fleisch und Blut, ein irdischer Halbgott?

Der Schlafwandler flüsterte, kaum verständlich, leise:

»Habe doch Erbarmen! Mir verbrennt Liebe das Herz! ...«

Voll teuflischen Mitleids hielt Frances noch einmal das Licht an die Brust der Puppe.

Da stöhnte Car auf und sank vor ihren Füßen hin.

Frances aber glaubte, er sei tot, ein Opfer ihres Liebeszaubers. Sie warf sich über ihn und küßte ihn weinend.

Mit Gewalt mußte Mistris Turner sie von ihm wegziehen.

»Er schläft ja nur, Frances! Er könnte erwachen ... Komm schnell weg, Frances, – er darf nicht wissen, daß Lady Essex ihn geküßt hat!«

Fluchtartig verließen die beiden Zauberinnen die Kammer der bösen Puppen.


 << zurück weiter >>