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37

Hätte James seinen jugendlichen Vetter Sir William Seymour nicht ausdrücklich zum Hochzeitsfest geladen, lieber wäre dieser bei seinen Büchern in Oxford geblieben, wo er im Magdalen College Philosophie studierte. Um Hofintrigen und um Politik hatte er sich nie gekümmert, obgleich in seinen Adern Tudor-Blut floß: seine Großmutter war Mary Tudor, Heinrich des Achten Schwester gewesen, die Gattin des Duke of Suffolk. Sein Vater, der Earl of Hertford, Lord Beauchamp, war Englands Gesandter in Brüssel.

Flachsblond und fast mädchenhaft zart gebaut, glich der Dreiundzwanzigjährige mehr einem bleichen jungen Mönch als einem Kavalier, der in seiner Kindheit als Thronanwärter gegolten hatte. Etwas Mönchisches haftete ihm an: die Wissenschaft war seine einzige Geliebte.

Müde, tanzen zu sehn, ohne selbst zu tanzen, hatte er den Großen Saal verlassen, war hingeschlendert zu den Heliothropen, Levkojen und Hortensien, hatte eine prachtvolle Rose gepflückt und zerpflückte sie, sich auf den Rand eines Marmorbeckens setzend. Hoch über ihm blinzelten die silbrigen Sterne Wega, Deneb und Atair. Kreisten dort Erden um die Weißglühenden? Gab es auch dort Levkojenduft? ... So fragte er hinab in den Wasserspiegel des Beckens, wo einträchtig mit einem verschlafenen regungslosen Goldfisch matte Abbilder der Sterne schimmerten.

Ein Seidenkleid rauschte, eine Mädchengestalt stand hinter ihm. Sie faßte seine Ellenbogen von hinten, bog sich über seine Schulter hinab zu ihm, und als er verwundert den Kopf nach ihr drehte, küßte sie ihn auf den Mund. Mit einer italienischen Halbmaske war ihr Gesicht verlarvt.

»Wer sind Sie ...?«

»Eine, die dich liebt, William, – auch wenn du sie nicht liebst.«

»Wie kann ich lieben, was ich nicht kenne? Nehmen Sie die Maske ab!«

»Einst kanntest du mich. Einst spieltest du mit meinen Puppen, und ich durfte auf deinem Schaukelpferd reiten. Schon damals war ich kühner als du, William ... Damals nanntest du mich deine Braut.«

»Das muß lange her sein.«

»Ja, lange. Deine Spielsachen jetzt sind Bücher, dein Schaukelpferd ist die Gelehrtenbank. Ach, du liebst die Philosophie mehr als jenes Kind, das deine Spielgefährtin war.«

»Mit vielen Kindern habe ich einst gespielt. Ich kann es nicht erraten. Wer sind Sie?«

»Du kannst mich Alkyone anreden.«

»Warum?«

»Vielleicht, weil ich kalt wie ein Eisvogel bin.«

»Ihr Kuß, süße Lady, war nicht kalt! ... Für anderes ist der Name ein Sinnbild!«

»Wie war das griechische Märchen? Ich vergaß es.«

»Ich auch.«

»Ei was, – ein Scholar wie Sie! Besinnen Sie sich doch!«

»Ich will's versuchen ... Alkyones Gatte, ein König, mußte eine Seereise antreten –«

»Ja, richtig! Er mußte! ... Das ist es: man muß! ... – auch wenn man weiß, daß der Wind einen stählernen Besen hat, mit dem er Schiffe und Menschen hinwegfegt ... Der junge König ertrank – war's nicht so?«

»Ja. Seine Leiche wurde an den Strand gespült. Und so herzzereißend war Alkyones Totenklage, daß die Götter beide Liebenden in Eisvögel verwandelten.«

»Ein kurzes Märchen! Ist das alles?«

»Alkyones Treue und Zärtlichkeit wurden sprichwörtlich seitdem.«

»Morgen muß ich eine Seereise antreten. Wir sehn uns nie wieder, William! ... Wäre es nicht ein Abschied für immer, ich hätte die Kühnheit nicht gehabt! ... Du wirst nicht um mich klagen, William! Und fürchte nicht, daß du den klagenden Schrei des Eisvogels je hören wirst!«

Wieder beugte sie sich herab zu ihm und küßte ihn. Und plötzlich war sie, – noch ehe er zur Besinnung gekommen, – wie eine Geistererscheinung im Dunkel des Parkes entschwunden.

Als sie schon längere Zeit fort war, fiel ihm ein, daß Robert Essex eine um fünf Jahre ältere Schwester, Elinor, hatte, und daß beschlossen war, sie solle den Bruder nach Italien begleiten. Sie war verlobt. Ihr Bräutigam, Lord St. John of Blatsho, weilte in Florenz. War es denkbar, daß das stille Mädchen ...? Ein Rosenblatt flatterte auf den Wasserspiegel, und der Goldfisch – bisher so still und regungslos – schoß verstört hierhin und dorthin im Becken umher.


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