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Als Prinz Hal und Overbury im Jagdschloß bei Newmarket anlangten, fanden sie James in einem bedauernswerten Zustand. Er vergoß heiße Tränen. Noch nie hatte man ihn um einen Menschen – es sei denn um James Stuart – weinen sehn. Der Beweinte allerdings (so versicherte James) war beinah ein Mensch, war sogar scharfsichtiger und schneller von Entschluß als ein Mensch. Eglamour, sein berühmter isländischer Edelfalke, hatte, einer Taube nachjagend, sich verflogen und blieb unauffindlich. Mit den Bewohnern von zehn Dörfern und sämtlichen königlichen Falknern suchte Roger Aston, Seiner Majestät alter Falkenmeister, vierundzwanzig Stunden lang in Wald und Feld vergebens nach dem Vogel.
Und kein Unglück kommt allein. Am Morgen dieses Tages hatte James ein Buch aus Holland zugesandt erhalten, eine theologische Schrift des Conrad Vorstius. Aus einem Begleitschreiben ersah er, daß die Generalstaaten den Vorstius, einen Schüler des Jakob Arminus, aus Deutschland an die Universität Leyden berufen und ihn zum Professor der Theologie ernannt hatten.
Sofort vertiefte sich James in die Lektüre, obgleich oder gerade weil er bald bemerkte, daß die Ideen seines theologischen Rivalen ihn in Raserei versetzten: die Raserei verdrängte die Trauer um seinen Falken; – und ihm war es lieb, den Teufel mit Beelzebub vertreiben zu können.
Stundenlang fesselte ihn das Buch. Erst am Nachmittag brach er zur Falkenbeize auf. Die Trauer war tatsächlich dem Ärger gewichen. Ketzerei griff ihm doch noch mehr an die Nieren als der Verlust des Vogels. Ihm standen ja auch andere Jagdfalken zur Verfügung. Mochte Eglamour unvergleichlich sein, – unersetzlich war er nicht.
Als Falkenier in grüngegerbtes Leder gekleidet und mit einem flandrischen Sperber auf dem Handschuh trabte James zwischen dem Prinzen und Overbury. Seinem Gedächtnis entfallen war das Epitaph für Sir Arthur Brett, obgleich er es halbfertig in der Tasche trug. Vergessen waren die guten Lehren, die er vorgehabt hatte, seinem Sohn zu erteilen, dessen weidmännische Ausbildung bisher etwas vernachlässigt worden war. Auf dem ganzen Weg sprach James nur von Vorstius. Da sähe man, wetterte er, wohin es führe, wenn ein Volk sich selbst zu regieren unterfängt. Die Niederlande seien ein Krankheitsherd, eine Pesthöhle! Die Seuche der republikanischen Gesinnung gefährde alle Nachbarn! Einzig und allein des Glaubensbekenntnisses wegen seien protestantische Könige in die Zwangslage geraten, Frieden und Freundschaft mit Republikanern zu halten! Holland, das sich nicht entblöde, einen Hohlkopf wie Vorstius zum Professor der Theologie zu ernennen! – einen Kerl, der die Erbsünde leugne! – der an der Prädestination zweifle! – einen Ketzer, der wie kein anderer es verdiene, lebendig auf dem Holzstoß zu brennen – – –
Die kampflustige Predigt brach jählings ab. Der einige dreißig Schritt hinter dem König reitende Oberfalkenmeister Roger Aston stieß einen Freudenschrei aus und rief als erster: »Eglamour! ...« Und augenblicklich erschollen Trommeln und Trompeten, andere Jäger wiederholten den Ruf »Eglamour«, reckten die Hälse und zeigten mit den Zeigefingern hinauf in die Wolken.
Dort kreiste der Isländer. Nun erkannte ihn auch James. Und jener gleichfalls mußte wohl auch seinen Herrn erspäht haben, denn er schoß abwärts und auf ihn zu. Laut klingelte die Schelle am Falkenhals. Kaum daß James die Zeit blieb, sich des andern, des flandrischen Sperbers, zu entledigen, indem er ihn dem Prinzen zuwarf. Als er den Arm ausstreckte und den Lockruf »Hillo« ertönen ließ, flatterte ihm auch schon der kaffeebraune Vogel auf den Handschuh. Überglücklich streichelte ihn James, atzte ihn mit Luder, das er einem Ledertäschchen entnahm, und zog ihm die Haube über die Augen.
»Schade,« bemerkte Hal zu Overbury, »daß er uns nicht erzählen kann, was er erlebt hat.«
»Was er erlebt hat, mein Lord? – Die Freiheit! – Ein großes Erlebnis für einen armen Sklaven!«
»Sklaven?! ... Unsinn, Thomas! Ein Falke ist adliger als ein Earl!«
»Gewiß, mein Lord. Aber sind wir Adligen nicht Sklaven unserer Vornehmheit? Ein Bauer darf sich gehn lassen, – unsereins nicht! ... Eglamour erschrak vor der Freiheit und kehrte zu seinem König zurück, weil ihm die Freiheit unerträglich war.«
Jetzt nahm auch James am Gespräch teil und rief:
»Das sollte sich die Republik Holland zum Muster nehmen, Thomas!«
Verwundert aber zeigte plötzlich Hal auf den Fuß des Falken:
»Was hat er da an der Kralle? Das sieht ja wie ein Brief aus ...«
Nicht gleich beachtete es James. Denn Master Roger Aston und die andern Falkner waren eben herbeigeeilt und umringten glückwünschend Seine Majestät. Sie stellten vielerlei Fragen: ob der Isländer heil und unversehrt sei? ob er vom Luder gefressen habe? Ob Seine Majestät finde, daß er ermüdet oder erschreckt aussehe? ... Erst als ihre Neugier befriedigt war, und sie wieder zurückblieben, um in angemessenem Abstand zu folgen, – erst jetzt untersuchte James die blauen Füße und Krallen des Vogels. Tatsächlich – da war mit einem Seidenfaden am rechten Fuß ein Brief, eine kleine Papierrolle, befestigt. Den Faden zerreißend, wickelte James die Rolle auseinander und versuchte zu lesen. Winzig war die Schrift, die Buchstaben tanzten ihm vor den Augen. Unwillig schüttelte er den Kopf und reichte Overbury den Brief hin:
»Lies mir das vor, Thomas. Ich bin weitsichtig, – weitsichtiger als mancher glaubt. Doch ich pflege meine Brille zu Hause zu lassen, wenn ich Reiher jage.«