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15

Der Morgen bleichte die Flocken hinter den Scheiben – denn immer noch schneite es –, als Mistris Jessop den Bericht beendet hatte und das Zimmer des jungen Lords verließ. Drei Stunden später traf er sie in der Halle. Sie hatte Feuer im Kamin angemacht und stellte eben für ihn das Frühstück auf den Tisch. Während er den Imbiß einnahm, plauderte sie mit ihm und goß aus einer zinnernen Kanne Wasser auf das Pomeranzenbäumchen und die Tulpen Murdac's.

Dann setzte sich Seymour an ein Lesepult in der Bibliothek. Mistris Jessop aber begab sich ins Erdgeschoß, das Mittagessen zu rüsten.

Die Tür des Bibliothekzimmers war offen geblieben, so daß Seymour vom Lesepult aus die Halle und auch die Treppe überblicken konnte. Eine Weile schrieb er an einem Verzeichnis der Bücher, damit Murdac, falls er plötzlich zurückkehren sollte, ihn bei der Arbeit finde. Dann versank er in Träumereien, die jedoch mit Träumen keine Ähnlichkeit hatten, weil nicht Schlaf, sondern Überwachheit sie hervorrief. Geschärft waren seine übernächtigen Sinne und gaben sich genießerisch der Umwelt hin. Wie eigenartig roch die Luft des Schlosses. Schon bei seiner Ankunft tags zuvor war ihm das aufgefallen, wenn er auch jetzt erst darüber nachsann. Von Narden und Aloe in den Haarflechten einstiger Königsbuhlen, von feenhaften Festen, von vergessenen Lieblichkeiten und Grausamkeiten war ein Hauch verblieben in diesem Welkblättergeruch ... Wie herrlich wogte hinter den Fenstergittern das aus Schneeflocken gewobene Laken und tauchte alle Gegenstände in ein Silberlicht.

Und in Silberlicht getaucht zeigte sich seinen hungrigen Augen plötzlich Lady Arbella oben auf der Treppe. Sie schaute wie forschend über das Geländer in die Halle hinab, sie schien sich vergewissern zu wollen, daß sie unbeobachtet sei. Und da sie ihn, den das Pult verdeckte, nicht sehn konnte und niemand sonst in der Halle war, kam sie die Treppe herab.

Aus Furcht, sie zu verscheuchen, rührte er sich nicht. Eine knabenschlanke, kindliche Diana, dachte er und lächelte. Hunde zerrissen Aktäon ... Was wird mir geschehn?

Erst als Arbella über die Fliesen der Halle schritt, gewahrte Seymour, daß sie ein Messer in der Hand hielt. Rasch ging sie auf das Pomeranzenbäumchen zu, und blitzhaft stach sie auf das Bäumchen ein, wie wenn es ein warmblütiges Wesen wäre. Sie zerfetzte mit Messerstichen die Blätter, Zweige und Früchte, und als das Bäumchen kahl geworden war, durchschnitt sie den Stamm und die Wurzeln.

Seymour eilte auf sie zu.

»Lady! ... Sie machen sich unglücklich!«

»Nicht unglücklicher als ich schon bin ... Er wird über sein Bäumchen weinen! – und darauf freue ich mich!«

»Er wird Sie töten, Lady!«

»Um so besser! Dann hat es ein Ende! ... So weh wird es mir nicht tun, wie ihm der Tod der Blumen!«

Sie erhob das Messer, um Tulpen zu zerfetzen.

Ehe sie es tun konnte, faßte er sie am Handgelenk. So flachsblond und zart er aussah, war sein Griff doch eisern. Obgleich sie sich wehrte, entriß er ihr das Messer.

»Geben Sie mir das Messer wieder, Sir!«

»Sie sind ja toll, Lady! Sie wissen nicht, was Sie tun!«

»Und ob ich das weiß! Ich will sterben, Sir! ... Begreifen Sie das nicht?«

»Ich werde es nicht dulden!«

»Was geht Sie's an? ... Welch ein Recht haben Sie –?«

»Ich habe ein Recht! – das Recht des Blutsfeindes, der ein Blutsfreund ist!«

»Wohl weil Sie Murdac's Freund sind, Sir?«

»Weil ich Ihr Freund bin, junge Lady! Als Sie zur Welt kamen, waren Sie meine Erzfeindin; später, als Sie Ihr erstes Kleidchen trugen, söhnten wir uns aus ... Sie kennen mich nicht, – nicht mehr –; ich aber kenne Sie ...«

»Kein Wunder, – ich war ein berühmtes Mädchen. Mich kannten viele einst!«

»Doch nicht so wie ich, Lady! ... Hören Sie mich an, ich will Ihnen eine Geschichte erzählen – die kein Lügenmärchen ist. Ein Jahrzehnt mag es her sein, da spielte ein Kind im Garten von Stirling Castle. So rosig war das kleine Geschöpf, daß eine Hornisse es für eine Rose hielt und sich ihm auf den Arm setzte. Unweit stand ein Knabe – (doppelt so alt wie das Kind war er damals) –, der sah es und packte mit seinen Fingern die Hornisse. Statt des kleinen Mädchens wurde er gestochen und war lange Zeit krank danach.«

Eine große Veränderung ging in den Zügen Arbella's vor. Wie wenn sich in einem Medusenantlitz die haßerfüllte Starrheit zu erweichen begänne. Auf ihrem wundervoll geschweiften trauerumschatteten Mund huschten nacheinander Zweifel, kindliche Ratlosigkeit, Hoffnung, Angst vor Enttäuschung, Glückseligkeit. Ihre großen grauen Strahlenaugen, die bisher kalt und hochmütig Seymour angeblitzt hatten, wurden feucht.

»William! ... Wie ist das möglich! ...«

»Ja, dein Vetter William, Arbella! Du entsinnst dich der Hornisse?«

Er streckte ihr die Hand entgegen. Da warf sie sich ihm mit einem gellenden Aufschrei an die Brust, schlang die Arme um seinen Nacken, küßte ihn und schluchzte, schluchzte. Er ließ sich auf einen Sessel nieder und setzte die Fassungslose auf seinen Schoß. Ihr aufgelöstes Goldhaar rieselte über sein Gesicht. Er atmete ihren Atem. Er streichelte ihre milchweißen Wangen. Gebrochen war der Damm ihres allzulange aufgestauten Schmerzes, hemmungslos strömten die befreiten Tränen.


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