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12

Wie ein Schiffswrack aus einer Untiefe, ragte aus dem Häusermeer der westlichen Vorstadt Londons die altersschwarze Zwingfeste Baynard's Castle empor. In normannischer Zeit hatte sie zum Befestigungsgürtel der Stadt gehört (– so wie im Osten der Tower). In Baynard's Castle ließ sich Richard III. zum König ausrufen. Doch nach den Kriegen der Rosen diente die Burg weder als Festung, noch als Königspalast, und auch nicht als Staatsgefängnis. Den steinernen Koloß zu unterhalten war kostspielig, ihn niederzureißen wäre noch kostspieliger gewesen. Und da er zwecklos geworden war, wurde er von Königin Elisabeth an die Pembrokes verschenkt. Für eine Adelsfamilie immerhin ein königlicher und romantischer, wenn auch düsterer Wohnsitz.

Die Romantik der Wälle und hochragenden Mauern inmitten der Stadt verstärkten den Nimbus der nächtlichen Zusammenkünfte. Das Geheimnis blieb nicht lange Geheimnis. Die Eingeweihten weihten andere ein und halfen ihnen, Zutritt zu erlangen. Mehr Verschwörer als wünschenswert tafelten im Bankettsaal und keineswegs alle gehörten zum Freundeskreis Pembroke's oder Southampton's. Für diese beiden stand es schon nach der zweiten Beratung fest, daß mit solchen Mitverschworenen der Plan scheitern und zur Posse ausarten mußte. Für eine oligarchische Republik wandte Lord Oxford seine Redekünste auf. Für die Krönung der Königin Anna begeisterte sich Lord Harbert of Chirbury. Am rabiatesten gar gebärdete sich eine Frau: Lady Middlesex verlangte Blutrache für ihren Bruder Sir Arthur Brett.

»Wir haben«, sagte Southampton zu Pembroke, »Esel, Tiger und Lämmer an unsern Wagen gespannt; – was Wunder, daß Deichsel und Räder verschiedene Wege gehn!«

Am liebsten hätte Pembroke die nächste Zusammenkunft vereitelt. Doch die ließ sich nicht mehr absagen.

Konnte er die geladenen hohen Gäste nicht von der Tür weisen, so konnte er wenigstens ihren Furor dämpfen. Das Feuer der Beredsamkeit ließ sich mit Wein löschen. So sorgte er denn für viel Wein, und auch für heitere Unterhaltung, indem er Nebukadnezar einlud. Pembroke's Bruder, der Earl of Montgomery, erbot sich, mit Hilfe einiger Kumpane die hitzigsten Redner unter den Tisch zu trinken.

Um drei Uhr morgens hatte Overbury das Arbeitszimmer Robert Cecil's verlassen. Eine Viertelstunde hernach betrat er den schwarzgetäfelten, trotz tausend flirrender Kerzen helldunklen Bankettsaal in Baynard's Castle. Was seine Augen erblickten, war ein hochadliges Saufgelage. Zwar warfen immer noch einige Unentwegte – bei Kaviar und Sekt – Throne um; doch ihr trunkenes Gelall wurde überdröhnt von Nebukadnezars Ochsenstimme und dem Beifallsgelächter, das er für seine politischen Weisheiten einheimste.

Overbury bat Pembroke, Southampton, Montgomery und Arundel um eine geheime Unterredung. Die vier Earls und Sir Thomas begaben sich in ein anderes Zimmer, wo sie sich einschlossen und längere Zeit verweilten.

Bleich und erregt kehrten sie zu den Tafelnden zurück. Southampton hielt den Brief des Falken in der Hand. Pembroke teilte mit, was er soeben erfahren: ein Verräter hatte dem König die Verschworenen nennen wollen, und nur der Geistesgegenwart Overbury's war es zu danken, daß Seine Majestät die Namen nicht erfuhr. Freilich blieb die Gefahr bestehn, daß der Verrat, wenn auch diesmal glücklich abgewendet, ein zweites Mal mit mehr Erfolg versucht werden könnte.

Und nun begann Southampton vorzulesen:

»Eigenwillig, ohne Urlaub flog ich, König, dir davon,
Wie ein dunkler Dämon flog ich unheimlich durch Albion – – – –«

Er wurde unterbrochen. Von der Vorhalle her ertönte ein rasselndes Getöse. Schwere Männerschritte und Geklirr eiserner Waffen wurden vernehmbar.

»Das ist Lord Cecil!« flüsterte Overbury Pembroke zu. »Ich gehe ihm entgegen. Wenn Sie tun, was wir verabredet haben, so besteht keine Gefahr!«

Eilends verließ Overbury den Bankettsaal. Gleich darauf wurde die Tür weit aufgerissen. Durch die Tür hindurch sah man einige fünfzig Soldaten in der Vorhalle stehn, regungslos eines Kommandos gewärtig, in dunkel leuchtenden Harnischen, stählerne Helme auf den langhaarigen Köpfen, blinkende, nackte Degen in den Fäusten.

Ganz still war es im Bankettsaal geworden. Der Schrecken warf einen elfenbeinernen Schatten auf die meisten Gesichter. Vergnügt mit Overbury plaudernd kam der kleingewachsene rotäugige Lord Robert Cecil herein, ging auf den Gastgeber zu und schüttelte ihm die Hand.

»Ein fatales Mißverständnis, mein lieber Pembroke! Übereifer meiner Beamten! Die lagen mir in den Ohren, die faselten von einer neuen Pulververschwörung ... Gott sei gelobt, ich stelle fest, daß die Fässer dieses Schlosses nicht mit Pulver, sondern mit Kaviar gefüllt sind! Und überhaupt – schaut denn eine Verschwörung so aus? Da sehe ich an so vielen Männerbeinen blitzende Brillanten des Hosenbandordens, – nun, gottlob! zum Laden von Musketen eignen sich Brillanten nicht! Wo Mandeltorten sterben und Sektflaschen verbluten, fließt nur gelbes Blut! Und ist nicht der König von Babylon ein Gewähr dafür, daß dem Königtum keine Gefahr droht? ... Um ein Haar hätten meine eisernen Trabanten dem Fest ein finsteres Ende bereitet. Welch ein Glück, daß Sir Thomas mich aufgeklärt hat: ihr berietet über das neue Idol, ihr beschloßt, den Narziß zu suchen! ... Brav so! ... Füllt mir ein Glas! – Ich leere es auf das Wohl des neuen Idols! ... Stimmt ein in den Ruf: Seine Majestät lebe hoch! Heil, Heil und nochmals Heil!« Die alten Schloßwände erzitterten. Sogar auf Richard III. waren hier keine so begeisterten Hochrufe ertönt.


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