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Kaum war das Knirschen der Wagenräder auf dem Kiesweg verhallt, eilte Arbella zu Lady Moray und bat sie, mit ihr auszureiten. Unter keinen Umständen wollte sie sich vom Sohn des verabscheuten Königs wie ein Meerwunder angaffen lassen. Im Park sich zu verstecken, würde zwecklos sein – Lord David würde sie ja doch holen lassen, wenn der Prinz es verlangte ...
Und Lady Moray ließ sich überreden – von Arbella und vom herrlichen wolkenlosen Maimorgen ließ sie sich überreden. Allerdings war es ein Verstoß gegen die Höflichkeit, wenn sie als Hausfrau jetzt sich entfernte. Doch der hohe Besuch war ja von niemand außer von einer kleinen Lügnerin angemeldet worden.
Hochschwanger war Lady Moray. Im Sattel zu sitzen hatte ihr der Arzt neuerdings verboten. Sie ließ ihr Ponywägelchen anspannen, das sie selbst kutschierte. Arbella ritt im Herrensattel neben ihr her.
Als sie nach dreistündiger Abwesenheit auf dem Heimweg waren, sahn sie plötzlich drei Reiter auf sich zutraben. Es waren Lord Moray, Prinz Hal und Sir Thomas. Ihnen auszuweichen war inmitten von Kornfeldern nicht mehr möglich. Herankommend rief Lord Moray:
»Schau, Anne, wen ich mitbringe. Seine Lordschaft wollte Ambergate Park nicht verlassen, ohne dich und Lady Arbella gesehn zu haben.«
Hal begrüßte sich mit Lady Moray, die er von der Doppelhochzeit her kannte. Dann strahlten seine großen haselbraunen Augen Arbella an. Wie geblendet senkte er den Blick.
»Ist das – – –?« fragte er, sich an Lord Moray wendend.
»Gewiß, mein Lord. Das ist Lady Arbella, Ihre Kusine.«
Errötend ritt Hal an Arbella heran und reichte ihr die Hand hin.
»Ich hoffe, wir werden Freunde werden, Kusine Arbella!«
Sie beugte sich und küßte schnell seine Hand. Das tat sie, weil Lady Moray es getan hatte, und weil ihr bekannt war, daß die Hofsitte, des Thronfolgers Hand zu küssen, vorschrieb. Ihre Wangen glühten nicht weniger als seine.
»Hätte ich das gewußt, hätte ich Ihnen meine Hand nicht hingereicht.«
»Habe ich Sie gekränkt, mein Lord?«
»Ja! Von einer Kusine erwartete ich keinen Kuß auf die Hand.«
Sie blickte ihn steinern an.
»Sondern?« fragte sie spöttisch.
»Sondern einen Kuß auf den Mund!«
»Sie erwarteten zu viel, mein Lord!«
»Ist es so viel? Stehn Mädchenküsse so hoch im Preis?«
»Das wissen Sie wahrscheinlich besser als ich, mein Lord.«
»Und wenn ich mir nehme, was Sie nicht geben wollen? Ist das einem Stuart, der Ihr leiblicher Vetter ist, nicht erlaubt?«
»Aber nicht einer Stuart, sich von einem Knaben küssen zu lassen!«
»Du beleidigst Seine Lordschaft, Arbella! Bitte ihn sofort um Verzeihung!« rief Lady Moray erschrocken und ärgerlich. Overbury und Lord Moray schauten verlegen auf die Mähnen ihrer Pferde.
Hal verfärbte sich. Seine angeborene bestrickende Liebenswürdigkeit verließ ihn und überließ ihn dem wutknirschenden Dämon, der augenblicks von ihm Besitz genommen hatte. Es war, wie wenn ein fremder Mensch aus ihm spräche, anmaßend, überheblich, frivol.
»In Ihren Augen bin ich also ein Knabe, Arbella! Und Sie meinen, auf mich herabsehn zu können! Da muß ich Ihnen doch zeigen, daß ich die Kinderschuhe ausgetreten habe. Ich heirate nächstens die Infanta!«
»Das ist doch nur Spaß, mein gnädiger Lord!« rief sehr beunruhigt Lord Moray.
»Fragen Sie meine Frau Mutter, Sir! Gestern nahm sie mich ins Gebet, schloß sich mit mir ein und hat drei Stunden lang in mich hineingeredet, ich solle die Infanta von Spanien heiraten. Mein Vater will es auch, um Lord Salisbury zu ärgern.«
»Und wen wollen Sie ärgern, mein gütiger Lord?« fragte Overbury nervös lächelnd.
»Vor der Armada hat Gott England geschützt, und er wird England auch vor der Infanta schützen!« regte Lord Moray sich auf.
»Habe ich denn viel Auswahl, Sir? Soll ich der Tochter des Kaisers von China einen Liebesbrief schreiben? Oder einer Moskowiterin? Was gibt es denn an protestantischen Prinzessinnen auf dem Heiratsmarkt? Keine schwedische. Vor einer dänischen hat meine Mutter selbst mich gewarnt – und sie muß es ja als Dänin wissen ... Die brandenburgische ist fünf Jahre alt, die nassauische fünfunddreißig und schielt. Von den anderen habe ich mir Bilder zeigen lassen: manches Hippopotamus ist darunter, doch keine Venus. Ich finde, eigentlich hat meine Mutter recht – nur die Infanta kommt in Frage ... Und darum ritt ich her, um Lady Arbella's Ansicht darüber zu hören.«
»Meine Ansicht? Nehmen Sie die chinesische Kaisertochter, mein Lord!«
»Soll ich, Arbella? ... Oder soll ich den Rat eines Freundes befolgen, der meinte, ich müßte mich erst in Frauenhäusern umschaun?«
»Ambergate Park ist kein Frauenhaus, mein Lord!«
»Warum so hitzig, Kusine Arbella? Beleidigt es das Ohr der Lebenden, von den Toten zu hören? ... Ich habe mir sagen lassen, daß zwischen Kurtisanen und anderen Frauen kein so großer Unterschied sei. Ein wenig Kurtisane sei jede Frau.«
»Ich wünsche Ihnen viel Glück bei solchen, mein verehrter Lord! Nur rate ich Ihnen, mit Ihren Orgien nicht vor Ladies zu prahlen!«
Ohne Abschied zu nehmen, riß Arbella ihr Pferd herum und trabte allein nach Ambergate Park. Stumm, wie gelähmt, starrten Overbury und das Ehepaar Moray ihr nach. Sie wagten Hal nicht anzusehn, – aus Furcht, er könnte in ihren Blicken seine Verurteilung lesen.
Doch er verurteilte sich selbst. Als Arbella einige hundert Schritt entfernt war, riß auch er sein Pferd herum und setzte ihr nach. Das Galoppieren hörend, wandte sie den Kopf nach ihm um und merkte, daß er näher und näher kam. Da peitschte sie ihre Stute und spornte sie und sauste mit verhängtem Zügel dahin. Es wurde ein fieberhaftes Wettrennen, toll und halsbrecherisch.
Den Nachblickenden verging der Atem. Welch ein Wahnsinn von Arbella! Noch nicht sattelfest war sie, hatte vor kurzem erst reiten gelernt, – ihr Leben setzte sie aufs Spiel ... Sie und ihr Verfolger verschwanden bald hinter einem Wäldchen, um welches der Feldweg eine scharfe Biegung machte.
Doch unentfliehbar war der Prinz. Sein schwarzer Hengst erwies sich als das bessere Pferd. Schließlich ritten Hal und Arbella nebeneinander, er überholte sie und packte die Trense ihrer Stute. Dem Weinen nahe, gab Arbella den Wettkampf auf. Und jetzt standen beide Pferde still, das nasse Fell am Hals und an den Weichen mit schneeweißem Schaum bedeckt, zitternd und zuckend.
»Ich wußte nicht, daß Sie solch eine Amazone sind, Arbella!«
»Sie wissen vieles noch nicht, mein Lord!«
»Auch Sie, Arbella! Wenn Sie wüßten, wie aschgrau es in mir aussieht! ...«
»Auf Karneval folgt Aschermittwoch ... Lassen Sie mein Pferd los!«
»Nein! Erst müssen Sie mich anhören, Arbella! Ich habe mich vorhin wie ein grüner Junge benommen. Häßlich habe ich geredet, weil ich Ihnen weh tun wollte.«
»Es ist Ihnen gelungen, mein edler Lord!«
»Seien Sie doch nicht so grausam, Arbella! Sie sehn doch, daß ich Sie um Verzeihung bitten will.«
»Bitten Sie sich selbst um Verzeihung, mein Lord! Sie haben sich mehr geschadet als mir.«
Zwei große Tränen liefen über Hal's Wangen.
»Ich habe mir in Ihren Augen geschadet – und ich wollte das gerade Gegenteil. Ich wollte Ihnen gefallen, Arbella.«
»Sie werden mir gefallen, wenn Sie mein Pferd loslassen!«
»Da – ich lasse es los. Da – nehmen Sie den Zügel, Arbella, – reiten Sie wohin Sie wollen, ich hindere Sie nicht! ... Sie bleiben?«
»Leid tun Sie mir, mein Lord ... Sie sind sich selbst kein Freund!«
»Wohl wahr. Ich begreife nicht, welch ein Teufel aus mir sprach. Sie hatten mich einen Knaben genannt – und das ertrug ich nicht.«
»Sie sind kein Knabe, – ich sehe ein, Sie sind ganz etwas anderes: Sie sind nämlich ein Kind.«
»Warum martern Sie mich wieder?«
»Warum? – Weil ... Ein Kind darf ich küssen!«
Blitzschnell schlang sie den Arm um ihn und küßte ihn auf den tränennassen Mund. Dann jagte sie davon.
Die drei Freunde fanden den Prinzen allein im Walde.