Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4

Flagellantisch hatte damit James sich selbst bestraft. Und eine Zeitlang war er unerbittlich gegen sich. Seine herabgezogenen Mundwinkel verrieten, daß er trauerte – nicht aber um wen. Nachdem die Höflinge den Skandal weidlich behechelt und bewitzelt hatten, begannen sie für des Königs Melancholie Teilnahme zu empfinden: einige vermuteten, es sei die Göttin Diana, andere meinten, es sei eine der schönen Nymphen, die das Wettrennen gewinnen werde. Auf Robert Car wurde nicht gewettet, denn der war in Whitehall völlig unbekannt, ein Rennpferd dunkler Herkunft.

Erst viele Wochen später verriet sich James. Das geschah in Wardour Castle, dem Landsitz des Lord Maltravers, Earl of Arundel, wohin dieser, nach seiner Rückkehr aus Italien, die Hofgesellschaft zu einer Besichtigung seiner Kunstschätze und zu einem bal champêtre eingeladen hatte.

Wappengeschmückte Staatskarossen und vergoldete Prachtkutschen, befrachtet mit flitterhaft kostümierten Hirtinnen und Hirten, waren, an den gespenstischen Steinkreisen von Stonehenge und den heidnischen Opferstätten der Ebene von Salisbury vorbei, westwärts ins Land gefahren und donnerten schließlich durch das hallende Einfahrtstor des Schlosses, über dessen äußerem Säulenbogen gemeißelt der Wappenspruch der Arundels prangte: Deo data (–: Gott verdanken wir unsern Reichtum! ...).

Während noch in den Prunksälen des Erdgeschosses den ankommenden Gästen Erfrischungen gereicht wurden, schlenderten schon einzelne Gruppen staunend und bewundernd durch die Zimmer. Jeder Raum war ein Kunsttempel. An den Wänden zwischen schweren dunklen Sammetvorhängen und Gobelins leuchtete die Farbenglut Memling's, der van Eycks, Rogier's van der Weyden. Eine so reichhaltige und auserlesene Sammlung von Holbeins hatte nirgendwo ihresgleichen.

Harpy (– so wurde Arbella, seit James ihr den Kosenamen gegeben, von vielen genannt –) und Hal standen betrachtend vor einer Mater amabilis des Quentin Matsys. Obgleich Hal so ziemlich alles mißbilligte, was sein Vater tat, gefiel ihm der Name Harpy, – vielleicht, weil Arbella nichts von einer Harpyie an sich hatte, vielleicht aber auch, weil sie grausam gegen ihn war und berückend schön war wie eine flatternde Harpyie ...

»Von morgen ab gebe ich all mein Geld für Bilder aus, Harpy!«

»Besser als für Kranichjagden, mein Lord.«

»Wohl wahr. Doch mein Vater denkt anders ... Er hält mich für einen schlechten Jäger, Harpy.«

»Hat er so unrecht? Ein Kranich, der Witterung hat, schnuppert ›ich rieche, rieche Menschenfleisch!‹ und fliegt davon.«

»Seien Sie keine Harpyie, Harpy, fliegen Sie mir nicht davon! ... Was ich sagen wollte – Seine Majestät denkt: geröstete Vögel schmecken lecker, – bemalte Leinewand aber – – –«

»Oh! die schmeckt den Bilderstürmern nicht. Im Grunde ist jeder Protestant ein Bilderstürmer.«

»Ich nicht! ... Ich bin ein Bilderanbeter, Harpy!«

»Ich aber bin kein Bild, mein Lord.«

So ernüchterte und verschüchterte sie ihn jedesmal, wenn seine Augen erglommen.

Tatsächlich hatte James kein Verständnis für Gemälde und war ehrlich genug, Begeisterung nicht zu heucheln. Statt sich vor den Holbeins den Hals zu verrenken, ließ er sich Arundel's ebenfalls berühmte Sammlung von Gemmen und Kameen zeigen. Durch ein Vergrößerungsglas betrachtete er die geschnittenen Steine, zitierte römische Dichter und prahlte mit seinen Kenntnissen. Er war der gelehrteste Narr Europas.

Plötzlich seufzte er vernehmlich. Mit vor Erregung bebenden Händen hielt er eine durchscheinende Chrysolith-Gemme Arundel hin und fragte (wie wenn er es nicht wüßte):

»Warum bückt sich der Jüngling?«

»Selbstbezauberung, mein gnädiger Lord. Er spiegelt sich im Teich. Es ist Narzissus.«

James seufzte noch lauter als vordem und zitierte:

»Tua forma tibi, Narcisse, placebat.«

Darauf wagte Northampton zu bemerken:

»Nicht nur ihm selbst gefiel seine Schönheit, mein edler Lord, – die Nymphe Echo rief sich die Kehle heiser nach ihm ...«

James erwiderte nichts und starrte die Gemme an. Er schien sich von ihr nicht trennen zu können. Zu guter Letzt gab er Arundel den Chrysolith zurück – sichtlich mit großer Überwindung. Da sagte Lady Suffolk:

»Wenn Seine Majestät den Stein so herrlich findet, wird es selbstverständlich für meinen Neffen eine Freude sein, die Gemme Seiner Majestät zu schenken.«

Doch Arundel tat, als habe er nicht gehört, und schloß phlegmatisch den Stein zu den andern Steinen in die Kassette. Nicht umsonst hieß er Maltravers.


 << zurück weiter >>