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51

Die Tür der Turnerschen Wohnung wurde leise aufgeklinkt, Sir Gervaise Helways blickte neugierig in den Flur. Alsbald Lady Essex – trotz ihrer Verkleidung – erkennend, verbeugte er sich und ging auf sie zu, sie unterwürfig zu begrüßen, in seinem Benehmen und seiner Kleidung ein tadelloser Kavalier.

Nein, zu Bett sei seine Frau zum Glück noch nicht. (Er nannte seit seiner Rückkehr von den Bermudasinseln Mistris Turner seine Frau, obgleich er auch jetzt sie nicht geehelicht hatte.) Sofort werde er sie rufen. Oh, wie werde Ann sich freuen!

Und schon eilte er weg. Kaum hatte die Tür sich hinter ihm geschlossen, sammelte Franklin in aller Hast die Goldstücke vom Boden auf und hielt sie Frances hin. Stumm schüttelte sie den Kopf und strich ihm mit der Hand über sein Rabenhaar. Da steckte er das Geld in die Tasche und schlich wie ein geprügelter Hund in die Apotheke. Gleichzeitig kam, hold, lieblich und fromm wie ein Madonnenbild, Ann Turner in den Flur und umarmte Frances.

Nicht in ihre Räume führte sie die Freundin. Sie ging mit ihr die Treppe hinauf ins erste Stockwerk und dann an vielen einstigen Klosterzellen vorbei in das letzte Zimmer eines langen Korridors. Das Zimmer war ein mit fürstlichem Luxus ausgestattetes Schlafgemach. Nachdem sie die Wandleuchter angezündet hatte, half sie Frances, sich ihrer Kleider zu entledigen und ein kostbares, mit Spitzen besetztes Nachthemd anzuziehen. Und dann deckte sie Frances, die sich in das aus Rosenholz geschnitzte Bett gelegt hatte, mit einer blauseidenen Daunendecke zu.

»Du bist so blaß, Frances, – jetzt erst sehe ich es ... Du bist so anders heute.«

»Weißt du noch, Ann, wie du mir das Mäusegift brachtest? Kurz vor meiner Hochzeit war es ... Du sagtest: Franklin sei weiß wie ein Laken gewesen, als er es dir gab.«

»Ja, ich entsinne mich ... Nun und?«

»Da schau: hier ist das Mäusegift, hier im Fläschchen ... Heute nacht werde ich das genäschige Mäuschen sein.«

»Ums Himmels willen, Frances! ...«

»Das heißt – vielleicht auch werde ich nicht naschen ... Rege dich doch nicht so auf! ... Vielleicht werde ich es mir überlegen – das hängt davon ab ...«

»Wovon?«

»Ob Hal kommt.«

»Hat er dich herbestellt?«

»Er – mich? Was du denkst! So ist Hal nicht ... Nein, ich habe ihn herbestellt. Längst müßte er hier sein ... Ich verstehe gar nicht ...«

»Was fürchtest du, Kindchen? Er ist doch sonst immer gekommen!«

»Sonst war es anders ... Er liebt mich nicht mehr, Ann!«

»Das ist doch undenkbar! Dich nicht lieben! – dich, seine kleine Frau! ... Unsinn! das redest du dir ein, Kindchen!«

»Er liebt seine Kusine, die Rothaarige ... Ich wußte es schon lange. Heute habe ich die beiden im Garten belauscht.«

»Was hast du belauscht?«

»Er las ihr ein Gedicht von Chaucer vor: La Belle Dame Sans Merci. Und ich hörte, wie er ihr sagte: sie sei La Belle Dame Sans Merci.«

»Nun also! Sie will nichts von ihm wissen?«

»Nein, – sie gähnte und meinte, das Gedicht sei zu lang ... Und er kämpfte mit Tränen – ich sah es! ... Oh, diese Lady Arbella ist klug! – wie einen Knaben behandelt sie ihn ... So hätte ich es machen sollen – dann wäre das Fischlein noch im Netz!« »Weiß er, daß du ihn belauscht hast?«

»Noch nicht. Ich hatte keine Gelegenheit, ihn zur Rede zu stellen. Ich konnte ihm bloß zuflüstern, daß er heute abend herkommen müsse, damit wir uns aussprechen.«

»Nicht nur aussprechen werdet ihr euch, Frances! Und dann darfst du das Fischlein nicht wieder aus dem Netz lassen!«

»Und wenn er nicht will? ... Er kommt ja nicht!«

»Wie traurig du das sagst, mein Kindchen, ›er kommt ja nicht‹ – und draußen auf dem Gang höre ich seine Schritte schon!«


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