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57

Einen Leuchter in der Hand, führte Mistris Turner Overbury auf den Vorflur und dann die Treppe hinab in die labyrinthischen Kellerräume des einstigen Karmeliterinnenklosters. Er war sich bewußt, eine Unvorsichtigkeit zu begehn, die Warnung Alison's klang ihm noch im Ohr. Doch er hatte seit Oriana's Tod den Friedhof und Amselgesang auf Lebensbäumen lieben gelernt. Kein Quentchen Sorge war ihm sein Leben wert. Von Wert war nur, Hal nützen zu können und den Meistern der Hölle die Rechnung zu verderben. Wollte er das, so durfte er auf halbem Wege nicht stehenbleiben. Wißbegier und Ehrgeiz besiegten die Hemmung. Und was konnte ihm auch Schlimmes geschehn, da ja Helways nicht zu Hause war, – das hatte ihm ja Alison bestätigt ...

Der Lichtschein der blakenden Kerze in Ann Turner's Hand hüpfte, während sie schließlich in einen langen Korridor einbogen, zuckte an den staubgrauen Wänden aufwärts, duckte sich, verschwand, war plötzlich wieder droben und drehte sich mit schreitenden blauen Schatten in einem Wirbeltanz.

Nicht die Tür aus dem Korridor in die Puppenkammer, durch die sie seinerzeit mit Frances gegangen war, sondern eine rechts davon befindliche Tür schloß Mistris Turner auf. Kein Möbelstück schmückte den Raum, den sie betraten. Es war die Kammer, in welcher Robert Car wartend gestanden hatte, bevor er den grünen Vorhang auseinanderteilend vor Lady Essex hingesunken war. Wie damals stand auch jetzt die Tür zwischen den Kammern offen, und nur der grüne Vorhang trennte die beiden Räume. Ohne sich im leeren Gemach aufzuhalten, begaben sich Overbury und die Putzmacherin in die Kammer der Puppen.

Und wie damals Frances, betrachtete jetzt Overbury fasziniert das absonderliche kleine Volk. Auf Borten längs den Wänden standen, lagen und saßen zierliche, in Seide und Brokat gekleidete Pygmäen aus Wachs und blickten den Eintretenden mit wunderlich beseelten, topashaften Augen an. Alle hatten sie etwas Morbides, Gespenstisches, Unheimliches, und ihre Schwermut war voller Charme. Die winzigen Hände, degeneriert und überzart, verstanden den Fächer oder das Blumenbukett oder den kleinen Degen lebensvoll zu halten.

Zwei auf dem Tisch stehende Puppen stellten unverkennbar Northampton und Helways dar. Als Bekleidung trugen sie nicht Pluderhose und Wams, nur mit je einem Hemde war ihre Nacktheit bedeckt; und auf ihren Hemden sah man Wespen, Hornissen, Tausendfüße und Skorpione gemalt.

»Da schauen Sie, Sir Thomas, wie sehr ich die beiden liebe! Diese Hemden sind mit Schwefel getränkt. Wenn ich sie entzünde – – –«

»Was geschieht dann, Mistris?«

»Dann stechen böse Insekten. Oh! dann liegen die beiden wie Sankt Lorenz auf dem Rost! ... Am Ende tu ich es heute ... Verdient hat das Fleisch der beiden, daß es wie Wachs von den Knochen schmilzt.«

»Warum schonen Sie sie dann noch, Mistris Turner? Geben Sie sie mir preis! Erzählen Sie, wie die Untat geschah! Wem – außer Ihren Feinden – nützen Sie, wenn Sie es mir verschweigen! Ich weiß es ja doch nun einmal!«

»Ich sagte Ihnen schon, daß mir die Erinnerung schwand, schwer erkrankt war ich damals ... Doch vielleicht, wenn ich in meine Kristallkugel schaue, werde ich wissen, was ich nicht weiß, hören, was ich nie hörte, und gewahren, was ich nie gewahrte ...«

Vom Bort an der Wand nahm sie ein mit chinesischer Stickerei verziertes gelbseidenes Tuch, das einen schweren Gegenstand umgab. Als sie diesen aus der Hülle herausgeschält hatte, sah Overbury, daß es eine Kugel aus wunderbar reinem Bergkristall von der Größe eines Kinderkopfes war.

Um Platz auf dem Tisch zu schaffen, stellte Mistris Turner die zwei mit Hornissen und Skorpionen Gezüchtigten zu den andern Wachspuppen. Dann steckte sie mitten unter dem Tisch ein Räuchergefäß in Brand, so daß die weißen Benzoe-Dünste an den Tischkanten emporsteigend sich, wie Blätter einer Rosenknospe, konkav zueinander hin wölbten. Schließlich legte sie sich bäuchlings auf den Tisch, hielt mit beiden Händen die große Kristallkugel dicht vor die Augen, berauschte sich am betäubenden Benzoe-Qualm und stierte in den quellreinen Stein. Nach einer Weile sprach sie qualvoll:

»Jetzt sehe ich die Duftgebilde! ...«

Overbury zweifelte nicht daran, daß das, was die Frau ihm da vormachte, Hokuspokus sei. Unerfindlich aber war ihm, wozu sie diesen Umweg wählte. Wollte sie ihm die volle Wahrheit offenbaren? Wollte sie frivol ihre Karten aufdecken, etwa weil – die Schlußfolgerung war naheliegend – weil sie ihn nicht fürchtete? Würde das nicht beweisen, daß sie Böses im Schilde führte? ... Wenn das ein Beweis war, – wie ließ der Beweis sich beweisen? Die Gedankenreihen, die sich herandrängten, waren schwer zu ordnen. Schlecht geeignet überhaupt war der Moment, beängstigenden Gedanken nachzuhängen. Jedes Wort, das jetzt von den Lippen der Frau kam – ob wahr, ob gelogen – konnte von Wichtigkeit sein und erforderte die gespannteste Aufmerksamkeit.

Die Frau wiederholte mühsam:

»Jetzt sehe ich ...«

»Was, Mistris?«

»Es ist nicht das, was du hören willst, Thomas Overbury. Habe Mitleid mit dir selbst und frage nicht.«

»Was sehen Sie, Mistris?«

»Den Prinzen Hal. Er hat ein blutiges Kreuz auf der Stirn. Das ist ein böses Vorzeichen!«

»Täuschen Sie sich nicht? Ist er es denn?«

»Kein anderer hat solche Strahlenaugen! Ich sage dir's beim heiligen Blut! Er ist ganz nah von uns in Paternoster Row.«

»Doch nicht hier vor dem Fenster? in der Gasse? ...«

»Seine Pagen ließ er am Tor der Kathedrale. Gott behüte ihm sein Blut und sein Fleisch! ... Jetzt klopft er am Hause drüben. Ihm öffnet ein Schlanker ... Wer ist das? ... Ha! ich erkenne ihn! Das ist Lord Patrick Ruthven.« »Wer? Patrick Ruthven – der aus dem Tower entfloh?«

»Ja. Er nennt sich seitdem Dr. Forman, der Magier ... Er und der Prinz steigen die enge Stiege hinauf vier Stockwerke hoch zum Dach des Hauses – dort hat Helways dem Astronomen Legat eine kleine Sternwarte eingerichtet.«

»Helways? Der hat die Hand im Spiel?!«

»Und ob! Prinz Hal ist ja ein Feind Northampton's. Prinz Hal hat in Lady Essex's Bett gelegen und hat sie weggeworfen wie ein welkes Blumenbukett. Solche Blumen brüten Rache ... Solange Legat am Leben war, hatte Lord Ruthven Mitleid mit dem Prinzen und weigerte sich, zu tun, was er jetzt tut.«

»Was? ... So sagen Sie es doch, Mistris!«

»Wie deutlich das Bild im Kristall wird! Auf zwei Schemeln hocken sie einander gegenüber. Alle Schornsteine Londons stehn um sie herum wie schwarze Schildwachen. Des Prinzen Augen glitzern feucht, er spricht von Legat's Feuertod. Er glaubt das Gespräch sei unbelauscht – Schornsteine haben ja keine Ohren. Aber ich sehe einen Schatten hinter der dünnen Holzwand ...«

»Wer ist der Schatten?«

»Helways.«

»Helways?!!! ... Der verreist ist?«

»Er muß wohl zurückgekehrt sein. Oder ist es sein Geist, den der Kristall mir zeigt? ... Der Prinz sitzt mit dem Rücken zum Fenster. Der Schatten macht Patrick Zeichen, nicht länger zu zögern. Es wird Patrick nicht leicht, den Prinzen zu verderben.«

»Wie kann er ihn verderben?«

»Wundervoll deutlich sehe ich es im Kristall. Patrick ist vom Schemel emporgesprungen. Ha! wie tigerhaft seine Blicke funkeln! Ich höre, was er sagt: Seien Sie nicht so stolz, mein Lord! wenig Ursache haben Sie zu königlichem Stolz! kein Tropfen Stuart-Blut fließt in Ihren Adern! Ihr Vater war ja jener schöne Lord Moray, der Galan Ihrer Frau Mutter, den aus Eifersucht König James durch Huntley ermorden ließ! ...«


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