Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die Weymouthsfichte, an deren Ast Patrick bei Sonnenaufgang gehenkt werden sollte und deren Stamm ihm die Nacht über als Kerker diente, befand sich außerhalb des Lagers. Nur noch eine Stunde trennte die Nacht vom Morgen, als Helways den Wachtposten ablösen kam. Der Posten, ein braver, etwas beschränkter Waffenschmied, nahm Helways beiseite.
»Lassen Sie ihn nicht aus den Augen, Sir, – er könnte ihnen davonfliegen!«
»Mitsamt der Fichte?«
»Auch das könnte geschehn. Er ist nicht geheuer. Er hat was im Kopf. Tolles Zeug hat er geredet.«
»Was denn?«
»Ich hab's nicht verstanden. Er sagte: er sei ein Magier, ein Zauberer ... Und dann sagte er: wenn er wollte, könnte er – – –«
»Den Teufel rufen, daß er ihn befreit?«
»Nein, das hat er nicht gesagt. Aber wenn er wollte, könnte er Seiner Majestät in Whitehall ein Herzeleid antun – solch ein furchtbares Herzeleid wie der Gemahl der Blutigen Mary eins hatte ... Verstehen Sie das? Ich nicht!«
»Ich auch nicht! Doch was sollen wir uns die Köpfe über Träume zerbrechen! Gefiebert hat er schon seit Wochen; und daß er jetzt deliriert, ist wahrlich kein Wunder.«
Dem Posten leuchtete das ein. Beruhigt entfernte er sich. Helways trat an die Fichte heran, wo der Gefesselte ununterbrochen sang, lachte, schrie und flüsterte, ohne ihn – mit dem er bisher befreundet gewesen – zu erkennen.
Ein anderer als Helways hätte gelitten an der Grausamkeit seiner Pflicht, des Admirals Landsknecht sein zu müssen während der letzten Lebensstunde des Kameraden. Er aber empfand nur die Qualen der Wißbegier. Wenn er's auch vor dem Waffenschmied geleugnet hatte, verstanden hatte er doch einige der Rätselworte. Der Gemahl Mary der Blutigen war Philipp II. gewesen; – was konnte mit seinem Herzeleid anderes gemeint sein als das Ketzertum seines Sohnes, den er zum Tode verurteilen ließ? ... Wie? Sollte etwa Dr. Forman – (so wie ein Magier vermöge seines Zauberstabes mächtig ist) – irgendein machtwirkendes Geheimnis besitzen? ...
Trotz des grünlichen Dämmerhimmels, blinkte noch die Metallscheibe des Mondes, glitzerte noch ihr blauer Widerschein auf der Hellebarde und auf dem feuchten Panzer einer großen Krabbe, die bis an die Füße des Gefesselten herangekrochen war und ihn mit Stielaugen musterte. Einzelne der nistenden Vögel erwachten bereits, riefen ihren Morgengruß in die schwindende Nacht. Die Menschen im Lager schliefen, die Felsklippen schlummerten, das spiegelglatte Meer atmete langsam und träumte. Unwahrscheinlich wie ein Traum des Meeres stieg die nebelverschleierte Inselwüstenei aus den leisen Wellen empor.
Doch Helways hatte keinen Sinn für schlaftrunkene Stimmungen, alle seine Sinne lauerten gespannt wie die eines Raubtiers. Die Beute, die er erschlich, waren Worte, unzusammenhängende, zerrissene Sätze.
Nach einer Stunde wußte er es: Dr. Forman war Patrick Ruthven, fünfter Earl of Gowrie. Der Galgentod, der unentrinnbare, hinderte ihn, an König James, dem Mörder seiner Brüder, entsetzliche Rache zu nehmen. Er besaß – auf welche Weise blieb unklar – die Macht, das Königshaus zu verderben, dem König sein Fleisch und Blut zu rauben ...
Mehr erfuhr Helways nicht – vor allem nicht, was es mit dem machtverleihenden Geheimnis auf sich hatte. Indes, auch ohne das, hatte er genug erfahren. Sein schnell kombinierender Geist malte sich aus, welche Vorteile ihm dieser Mensch, falls er am Leben blieb, in London bringen konnte. Wer den richtigen Zeitpunkt abzuwarten verstand und den aus dem Tower entwichenen Hochverräter dem König in die Hand spielte, war ein gemachter Mann. Ein Ruthven stellte ein Wertstück dar, gegen das gehalten alle Juwelen der Mistris Rosamund Strahan verblaßten.
Vor dem Admiral einen Fußfall zu tun, beschloß Helways. An seiner Überredungsgabe zweifelte er nicht, auch fehlte es ihm nicht an Argumenten: das Delirium Dr. Forman's bewies ja, daß er die strafbare Tat im Dämmerzustand begangen, folglich nicht verantwortlich war, folglich begnadigt werden mußte.
Es kam nicht dazu. Dem Astronomen Legat war es nach rastlosem Forschen gelungen, den Puritaner, durch dessen Schuß der Admiralshut durchlöchert worden war, ausfindig zu machen und Zeugen aufzutreiben, die Dr. Forman's Schuldlosigkeit beschworen.
Der nächtliche Pranger, – die Fichte, – wurde nicht zum Galgen.