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8

Kaum hatte Overbury einen Blick in den Brief geworfen, erzitterte er bis ins Mark der Knochen. Wenn er das vorlas, war nicht nur er verloren! ... Um die Zukunft der Heimat ging es, um die Zukunft des Prinzen Hal, um das Leben der besten Söhne Englands! ... Ein Verräter oder Spion wußte von den heimlichen Zusammenkünften in Baynard's Castle und wollte dem König die Augen öffnen! ... Nein, er, Thomas Overbury, durfte dem Verräter seine Zunge nicht leihen! – er selbst wäre ja damit zum Verräter geworden! Es war unmöglich, den Brief vorzulesen; – ihn aber nicht vorzulesen war ebenso unmöglich: der König wartete ja darauf ...

»Nun?« fragte James nach einer Weile. Es klang wie ein Befehl.

Overbury zuckte zusammen. Die Zeit des Schweigens war vorbei, die Galgenfrist war abgelaufen. Rettung bringen konnte nur das überaus gewagte Spiel, zu dem er sich im letzten Augenblick entschlossen hatte.

»Ist der Brief an mich gerichtet?« fragte James.

»Ja, mein gnädiger Lord ... Und welch ein Schandbrief! Die Peitsche verdient der freche Patron, der sich das unterstanden hat!«

»Folglich ist es ein Hanswurst, ein Gevatter von Archie Armstrong. Denn wen peitscht man, wenn nicht Hofnarren? ... Übrigens liebe ich Narrenspäße. Er sagt wohl seinem König gründlich die Wahrheit?«

»Abgründlich, mein Lord. Ich schäme mich, das vorzulesen!«

»Wir wollen uns der nuda veritas nicht schämen, Thomas! Sie ist nun einmal kein schicklich gekleidetes Hofdämchen ... Also laß hören!«

»Ich wage nicht, mein gnädigster Lord. Meine Zunge sträubt sich.«

»Gib deiner Zunge die Sporen und springe mit ihr über das Hindernis, Thomas!«

»Ich fürchte, mir das Genick zu brechen ...«

»Den Hals soll es dich nicht kosten, Thomas!«

»Da mein gnädiger Lord es wünscht ... – aber ich wasche meine Hände in Unschuld ... Also – hier steht geschrieben: ›Lieber Master Eglamour, wir bitten dich, sei unser Fürsprecher beim König. Du sitzest Tag für Tag auf seiner Hand und bist daher seinen Ohren näher als wir –‹«

»Meinem Herzen auch, Thomas! ... Doch lies weiter!«

»Sage dem König, lieber Master Eglamour, wir bäten ihn, recht bald nach London zurückzukehren–«

James kreischte vor Lachen:

»Hahaha! Kostbar! Seine Majestät soll gefälligst zum Henker gehn!«

»Ich sagte ja, mein Lord, es ist ein frecher Brief!«

»Lies weiter, Thomas!«

»Denn sieh mal, lieber Eglamour, durch sein ewiges Umherreisen von Ort zu Ort verarmt das Land. Wo der gute König den Fuß hinsetzt, wächst kein Korn mehr. Er und seine Ritter und Jäger und Pferde dürfen nicht hungern; – aber ach, je voller ihre Bäuche werden, um so leerer werden unsere Scheunen. Der gute König schlägt Ritter mit dem Schwert und schlägt die Heimaterde mit Mißwachs. Zwar schwängern seine Ritter unsere Töchter, und so wächst etwas wenigstens noch im Lande ...«

»Halt! Mach eine Pause, Thomas! Ich ersticke vor Lachen! Hahaha! Wie war das? Je leerer die Scheunen, um so voller die Bäuche ... Lies mir den letzten Satz noch einmal!«

»Zwar schwängern seine Ritter unsere Töchter, und so wächst etwas wenigstens noch im Lande; dafür aber zertrampeln die königlichen Pferde das reifende Korn auf den Feldern, und die königlichen Falken – (nicht du, lieber Eglamour, sondern deine herzlosen Brüder) – fangen uns die Gänse, Enten, Hühner und Tauben weg. Ziegenmilch und Kuhmilch haben wir nicht mehr, – nur noch Menschenmilch. Und die hätten wir auch ohne seine Ritter und Jäger. Wir können sie also gern missen, die hohen Gäste! ... Sage das dem guten König, lieber Master Eglamour, und grüße ihn von deinem Freunde Agricola.«

James lachte aus vollem Halse.

»Ein himmlischer Galgenstrick, dieser Agricola! Das von meinen Rittern und den Bauerntöchtern und der Menschenmilch fand ich ausgezeichnet! Es erinnert mich an die Söhne Elohims, die zu den Menschentöchtern hinabstiegen und mit ihnen Giganten erzeugten. Aber gleich darauf begann die Sintflut, und die armen Giganten ertranken ... Ob es wohl jemals wieder eine Sintflut geben wird? ...«

Ehe Overbury antworten konnte, flog ein von Treibern aufgescheuchter Reiher über die Reitenden hinweg. Eglamour, von der Haube befreit, sauste hinter ihm drein; – und James hatte nur noch Augen und Sinn für die Beize.


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