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36

In den Großen Saal, wo das Hochzeitsbankett stattgefunden hatte und wo inzwischen die Tische entfernt worden waren, begaben sich jetzt viele, angelockt von Sarabandenklängen. Andere, weniger tanzwütige, lustwandelten auf den Schloßterrassen und im Garten, wo Feuerwerk und Illumination die schwarzen Baumgespenster der Mondnacht zeitweise in smaragdgrünes, rubinrotes oder demantweißes Blendwerk umzauberten.

Während einer Tanzpause begann das junge Volk im Großen Saal ein Spiel, das hieß: »The casting off the bride's left hose«. Bei jedem Hochzeitsfest im lustigen alten England vergnügten sich die ledigen Ladies damit, den linken Strumpf der Braut zu werfen; – ein Orakel war es, um den Zukünftigen zu erraten, von dessen Namen man aus den Windungen des zu Boden gefallenen Strumpfes den Anfangsbuchstaben zu erkennen hoffte. Diesmal gab es zwei Bräute, also ein doppeltes Orakel. Frances zierte sich nicht und streifte sich vor den Lords den Strumpf ab. Die schwerblütigere, streng erzogene Anne Gordon errötete, suchte Ausflüchte und war doch zu gutartig, um auf die Dauer Spielverderberin zu sein. Moray fühlte, daß seine junge Frau sich linkisch und falsch benahm. Eine Nachtigall unter flinken Schwalben, dachte er. Ihr beistehn durfte und konnte er nicht – er hätte sich lächerlich gemacht. Ohne abzuwarten, daß sie nachgab, ging er bedrückt hinaus auf die Terrasse und dann in den Garten. Dort setzte er sich auf eine Bank.

Auf dem Kiesweg knirschten Schritte. An ihm vorbei gingen Arm in Arm Prinz Hal und Robert Essex. Hal, dessen Hand bandagiert war, sagte:

»Ich begreife mich selbst nicht, daß ich Frances küßte ... Weil sie kniete, wollte ich ritterlich sein ... Doch das ist keine Entschuldigung. Es war schlecht von mir, und ich bereue es.«

Die weiteren Worte verhallten mit den verhallenden Schritten. Das unbehagliche Gefühl hatte Moray, vernommen zu haben, was nicht für seine Ohren bestimmt gewesen war; – und doch dankte er dem Zufall, der ihm in des Prinzen Seele einen Blick zu tun ermöglicht hatte. Erfreut war er, daß es Seelen noch gab in einer seelenlosen Welt. Als eine solche dünkte ihn, den rauhen Nordländer, das überfeinerte Whitehall. Unfähig, bei seiner so flüchtigen Kenntnis des Hofes, Spreu vom Weizen zu scheiden, urteilte er ab in Bausch und Bogen. Bisher waren ihm hier – so wähnte er – wandelnde, mit Flittern behängte Kleiderständer begegnet, bestenfalls galante Affen und Äffinnen. Zwei nahm er aus, zwei dünkten ihn, Menschen zu sein: Overbury und Hal.

War es wirklich so – und die aufgefangenen Worte schienen es zu bestätigen, – daß der Prinz, elende Giftluft atmend, dennoch aufrecht, gesund und schön emporwuchs wie eine Lilie in einem Morast? Oder nagte – trotz blendenden Scheines – der Wurm bereits an der Wurzel? Und falls er gefährdet war, – würde es nicht eine Aufgabe sein, Maulwurf zu werden, um an der Wurzel den Wurm zu erdrosseln? ...

Nicht Neugier, – beginnende Liebe bewog ihn, auf der Bank sitzen zu bleiben, als die beiden Knaben nach einer Weile denselben Weg zurückkehrten. Wieder war es Hal, der sprach:

»Das schwöre ich Ihnen, Robert, und mir selbst schwöre ich es –: ich werde nie einen Blick von Frances erwidern, ich werde nie vergessen, daß sie Ihre Frau ist –«

Er verstummte. Aus einem Gebüsch ertönten Gitarrenklänge, und eine Baßstimme sang:

Dich hat ein kleines Ungeheuer,
Ein süßes Teufelchen geholt, –
Nun sind dir Hand und Herz verkohlt,
Denn Feuer löschend fingst du Feuer!

In Essex' Augen blinkten Tränen. Er und Hal sahn sich an. Dann schüttelte Essex den Kopf, wandte sich ab, preßte die Hand an die Augen und schlich aufschluchzend davon.

Moray war auf das Gebüsch zugestürzt, wo sich sofort ein dumpfer Kampf entspann. Schließlich schleifte er den Hofnarren herbei und schleuderte ihn dem Prinzen vor die Füße.

»Soll ich ihn windelweich schlagen, mein Lord?« fragte er noch immer keuchend vor Wut.

»Nein, Sir. Er weiß nicht, was er tat.«

Wie aus Tigerkrallen befreit, kroch Archie Armstrong hinweg. Erregt faßte Hal Moray's Hand und hielt sie lange fest.

»Glauben auch Sie, daß ich schlecht bin?«

»Oh, mein gnädiger Lord! ...«

»Aber Essex glaubt es.«

»Das kann nicht sein, mein Lord!«

»Doch, doch, er ging und wird nicht wiederkommen. Morgen früh reist er nach Florenz – für vier Jahre! ... Einen Freund verlor ich heute ... Jetzt bleibt mir nur noch Overbury und ...«

Er zögerte. Darauf sagte er, als schäme er sich, es auszusprechen:

»Und vielleicht ein neuer Freund!«

Moray, der mit seinen langen Armen und Beinen einer Spinnenkrabbe glich, knickte zusammen, fiel auf beide Knie und küßte des Prinzen Hand.


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