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58

Die Erregtheit Overbury's ist auf den Siedepunkt gestiegen. Schon mehrmals, während Mistris Turner die in der Steinkugel erschauten Bilder beschrieb, hatte er davonstürzen wollen. Aus dem Kloster hinaus auf die Sternwarte hatte er stürmen wollen, um sich schützend zwischen das Schicksal und den Prinzen zu stellen. Doch immer Neues war von der Magierin im Kristall entdeckt worden und immer wieder hatte die Gier, dem Geheimnis bis auf den Grund zu sehn, ihn an den Platz gebannt. Jetzt hält es ihn nicht länger. Er ruft:

»Leuchten Sie mir, führen Sie mich sofort zur Haustür zurück, Mistris!«

Doch sie rührt sich nicht und starrt in den Stein. Er packt sie an der Schulter, schüttelt sie. Wie eine Schlafende liegt sie da und wacht nicht auf.

Da nimmt er den Leuchter und läuft zur Korridortür. Die aber ist verschlossen. Offen ist nur die andere Tür, durch die er mit der Frau vorhin gekommen war. Geschwind teilt er den grünen Vorhang auseinander und eilt in die leere Kammer. Doch wie er die in den Gang führende Tür öffnen will, findet er auch die verschlossen. Rätselhaft ist es, – er entsinnt sich nicht, daß Mistris Turner vorhin den Schlüssel umgedreht und abgezogen hat. Vielleicht indes war es seiner Aufmerksamkeit entgangen, sie hatte es wohl doch getan. Er muß also zurück zu ihr, sie um den Schlüssel bitten. Da – noch ehe er sich umgewandt hat, donnert hinter ihm ein rasselndes Getöse. Und wie er hinblickt, sieht er, daß nun auch die Tür vor dem grünen Vorhang verschlossen worden ist. Er ruft nach Mistris Turner und erhält ein fernfernes Frauenlachen zur Antwort. Wie ein Wahnsinniger rüttelt er an dieser, dann an jener Tür und reißt sich die Finger blutig. Vergebens. Er ist ein Gefangener. Beide Türen sind aus Eisen.

Ein Fenster nach der Gasse hinaus hat sein Kerker nicht, nur eine Luke oberhalb der Korridortür. Nicht größer als ein runder Handspiegel ist die Luke und so hoch angebracht, daß selbst ein geübter Springer sie nicht erreichen könnte.

Kein Stuhl, kein Bett in der Kammer, kein Stroh auf der Diele. Beinahe ganz heruntergebrannt ist im Leuchter die Kerze. Wie lange noch? – und schwarze Finsternis muß in die Kammer hereinfluten wie Wasser in eine Zisterne.

Overbury gibt das Toben auf. Er horcht. Wurde nicht eine Leiter im Gang draußen aufgestellt? ... Und bald darauf blickt das Madonnenantlitz Ann Turner's sanft lächelnd durch die Luke.

»Es ist mir leid um Sie, Sir Thomas. Das Tageslicht werden Sie nie mehr schauen und auch das Sternenlicht der Nächte nie mehr. Deshalb durfte ich getrost Ihnen alles sagen und brauchte auch das vom Nagel nicht abzuleugnen. Die Toten sind ja verschwiegen, armer Sir Thomas. Grollen Sie Ihrer Freundin Ann Turner nicht, wenn bald der Hungerwurm an Ihren Gedärmen nagt. Ich mußte den guten Schutzgeist des Prinzen weglocken und unschädlich machen. Sein anderer Schutzengel, Lord Moray, hat sich ja selber unschädlich gemacht, als er Legat das Messer ins Herz stieß. Eine edle Narrentat! – sie hat Lord Ruthven nicht abgehalten, das Todesgift in die Seele des Prinzen zu träufeln! ...«

Schrill auflachend verschwindet das Madonnengesicht, und die Kerze erlischt.


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