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Das stündliche Glockengedröhn der St. Paul's Kirche schwoll allemal zu einer unsichtbaren Riesenkugel an, deren senkrechter Radius den Himmelsbogen, deren seitliche Radien, weit jenseits der Peripherie Londons, den Horizont zu berühren schienen. Auch tief in die Erde hinein wölbte sich die dröhnende Kugel. Durch Mauerwerk und Eisentüren glitt sie hindurch, unaufhaltbar, wie Gespenster durch Türen gehn. Sie war die einzige Mittlerin zwischen der Außenwelt und Overbury, der leiderfüllt sich der Nacht- und Tagstunden bewußt wurde, und wohl sich bewußt war, daß ihm nicht lange noch vergönnt sein werde, Glockenschläge zu vernehmen und Stunden zu zählen.
Er kannte Dantes Beschreibung von Ugolino's Hungermartyrium. Er sah klar, was ihm bevorstand. Und zur eigenen Pein gesellte sich die andere, fast noch schmerzvollere: daß ihm, nachdem er das um Hal gesponnene Schurkengespinst aufgedeckt hatte, die Möglichkeit genommen war, den Freund zu warnen, von seinem Haupte den Keulenschlag des Geschickes abzufangen ...
Es war indes Overbury nicht beschieden, den Hungertod zu erleiden. Nachdem er eine Nacht und einen Tag ohne Speise und Trank in schwarzer Finsternis verbracht hatte, wurde er von Alison Loring befreit. Geglückt war ihr, sich heimlich den Schlüssel der Eisentür zu verschaffen. Freudestrahlend ließ sie ihn aus seinem Kerker heraus. Nicht zur Haustür führte sie ihn, sondern öffnete in einem der Puppenkammer benachbarten Kellerraume ein Fenster, durch welches er auf die Gasse hinausschlüpfen konnte. Vergeblich überredete er sie, mit ihm aus dem Verbrecherhaus zu fliehn; beharrlich weigerte sie sich. Als er in sie drang, ihm den Grund zu nennen, sagte sie:
»Entsinnen Sie sich, Sir, wo Sie zuerst mich sahen?«
»Im Tempel der Rosenkreuzer. Sie waren es, der der Meisterbruder die kupferne Schlange reichte. An die Brust legten Sie die Schlange und erzählten ihm und der Gemeinde, wie Sir Steffen im Boot mit Helways focht – – –«
»So ist es, Sir, ich bin eine Rosenkreuzerin. Und mein Glaube macht es mir zur Pflicht, auf dem Posten auszuharren, auf den die Vorsehung mich gestellt hat. Gestern abend wurde der Meisterbruder verwundet.«
»Von wem?«
»«Was erregt Sie so, Sir? ... Ich weiß nicht von wem.«
»Geschah seinem Gegner nichts?«
»Darüber habe ich nichts erfahren. Ich weiß nur, was der Meisterbruder mir heute sagte: ›Hätte ich mich gewehrt‹ – sagte er – ›so wäre nicht mein Blut geflossen!‹«
»Sie werden mir nicht glauben, Alison, – doch aussprechen muß ich es: Ihr Meisterbruder steht mit der Hölle im Bunde – und mit Helways! Gebe Gott, daß seine Wunde ihn gehindert hat, ein anderes Herz mit einem geschliffenen Wort zu durchstechen ... Ist es seinetwegen, daß Sie hierbleiben?«
»Er schwebt in Gefahr, – nicht nur der Wunde wegen. Mag er schlecht sein ... ein Kranker ist weder Tugendheld noch Verbrecher, sondern nichts als ein leidender Mensch ... Und niemand ist da außer mir, den Verletzten zu pflegen und ihm zur Flucht zu verhelfen. Das zu tun schreibt mir das Rosenkreuz vor.«