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Erhitzt und außer Atem langten sie in Whitehall an. Ob sein Vater schon auf sei? fragte Hal in der Vorhalle, – wo die schottische Wachtmannschaft umherstand, – einen nacktbeinigen, kurzröckigen Offizier; und erhielt den Bescheid: Seine Majestät nehme in der Presence Chamber (dem Audienzsaal) das Frühstück ein.
Die Vielen, die im Großen Saal zu ehrfurchtsvoller Begrüßung herannahen wollten, wehrte der Prinz mit einer Handbewegung ab. Vor der Tür des Audienzsaals bat er Lord Moray, dort auf ihn zu warten, – allein wolle er zu seinem Vater hineingehn. Vergebens trat ihm Sir Lewis Lukenor entgegen, ihm bedeutend, daß Seine Majestät ausdrücklich gewünscht habe, nicht gestört zu werden. Sanft schob Hal den Oberzeremonienmeister beiseite und drang in die Presence Chamber ein.
Zwei, drei Schritte machte er und blieb, wie gegen eine gläserne Wand prallend, stehn. Der Anblick, der ihn betäubte, war allerdings empörend genug. Die Frühstückstafel brach förmlich zusammen unter der Zentnerlast der zu Bergen gehäuften Leckereien und Weinflaschen. Vergnügt schmausten, schlemmten James und Rochester und tranken einander mit verliebtem Blinzeln zu. Hinter dem Stuhl von James aber lagen kniend, weinend und flehend die Gattin Sir Walter Raleigh's, Lady Elisabeth Raleigh, und ihre zwei jüngsten Kinder, ein Knabe und ein Mädchen.
Die kniende Lady sprach ohne Unterlaß. Leidenschaftlich wie ein Sturzbach rauschten die Worte über ihre Lippen. Sie forderte für sich und ihre Kinder Sherborne zurück. Denn sie seien die Besitzer des Gutes, welches Raleigh gleich nach seiner Einkerkerung auf die Namen seiner Frau und seiner Kinder hatte umschreiben lassen. Nichts als der unglückliche Zufall, daß die Abtretungsurkunde einen Abschreibefehler aufwies, hatte es den Gegnern Raleigh's ermöglicht, das Besitzrecht seiner Erben anzufechten und die Einkünfte Sherborne's ihm und den Seinen zu sperren. Und die Lady hielt dem König vor, wie unwürdig es eines Herrschers sei, um einiger falscher Buchstaben willen, sie und ihre Kinder ins Elend zu stoßen. Sie malte die rauhe Armut aus, die sie gelitten, und die noch rauhere, der sie entgegengingen. Und überschwenglich pries sie Raleigh als den größten Sohn des Landes. Seine Geistesgaben pries sie, sein umfassendes Wissen, seine dichterische Grazie. Sie zählte seine Verdienste um die Krone auf, seine Seeschlachten, seine Erfolge im südlichen und nördlichen Amerika, seine Entdeckung, Besitzergreifung und Gründung der Kolonie Virginia.
James legte Rochester gerösteten Schnepfendreck auf den goldenen Teller. Er selbst hielt sich an kandierte Früchte.
Bei seinen Besuchen im Tower hatte Hal Lady Raleigh stets als eine schweigsame, sich selbst auslöschende Frau bewundert. Daß ihre kühle Zurückhaltung Oberflächenschein war, bewies ja ihr Leben. Sie hatte sich, als sie noch Lady Elisabeth Throgmorton hieß und für eine der anmutigsten Hofdamen der Maiden Queen galt, von Raleigh verführen lassen; und erst ein Jahrzehnt später, erst nach seinem Selbstmordversuch hatte er sich mit ihr, der Mutter seiner Kinder, im Tower vermählt. Das hatte Hal von Overbury erfahren; und wohl war ihm bekannt, daß unter einer Schneedecke Anemonen sprießen können ... Dennoch wunderte er sich über die Wärme ihrer ungezügelten Beredsamkeit.
Über James wunderte er sich nicht. Zu Verwunderung wäre Anlaß gewesen, hätte James Teilnahme gezeigt. Nein, nur zu Scham war Anlaß, zu Ekel, zu Empörung. Hal fühlte seine Galle aufkochen. Wenn schon James grausam war, warum verzehnfachte er seine Herzlosigkeit, indem er schmunzelnd, schlemmend, pokulierend es geschehen ließ, daß die arme Lady sich die Beine wund kniete und sprach und sprach und immer weiter sprach. Sie unwirsch hinauszuweisen wäre weniger abscheulich gewesen. Es sah ja geradezu so aus, als sei für die beiden lachenden Buben da die Qual der Lady eine Würze ihres Mahles! ...
So sehr wurde Hal von der Wut gewürgt, daß er vergaß, was ihn hergeführt hatte.
»Verzeihen Sie, mein Vater, wenn ich den Mut habe, zu stören.«
»Du willst wohl mit uns frühstücken? (Hast du was dagegen, Zissy?) Gut, setz dich, Hal, nimm von der Gänseleber, iß und rede nicht. Du störst die Lady.«
»Ich aber muß reden, mein Vater.«
»Ach, Zissy, das wird ja ein Zwiegesang, ein Duo! Schuf uns darum der Herrgott mit zwei Ohren? (Oh, und der liebe Gott gab mir keine Midasohren, keine Eselsohren – nicht wahr, Zissy?) ... Nein, bester Hal, ich habe meine menschlichen Ohren schon voll genug! ... Hat dich Lukenor hereingelassen?«
»Ich komme ohne Zeremonie, mein Vater, und ohne Beistand eines Türhüters: ich habe mich selbst hereingelassen!«
»Wohl weil du Zissy umarmen willst?«
»Nein, weil ich Lady Raleigh's Bitten unterstützen muß ... Wenn Sie menschliche Ohren haben, wie können Sie so unmenschlich sein, mein Vater, der vor Ihnen knienden Lady keine Antwort zu geben!«
»Das ist ungenau, Hal. Die Lady kniet nicht vor, sondern hinter mir. Hinten habe ich keine Augen ( – leider aber Ohren!) Wie kann ich also wissen, daß sie kniet? ... Die Lady hätte ja mit uns frühstücken können, – eingeladen habe ich sie (– habe ich nicht, Zissy?). Trüffelpastete haben wir ihr angeboten ( – nicht wahr, Zissy?) und auch eine Antwort habe ich ihr gegeben: ›Ich muß Sherborne haben, ich muß Sherborne für Zissy haben!‹ habe ich der Lady gesagt (habe ich nicht, Zissy?)«
»Teuflischer Hanswurst!« knirschte Hal, – jedoch so leise, daß weder der König noch Rochester es hörten. Kichernd hob James sein Glas.
»Stoße mit mir an, Zissy! – aufs Gedeihen deines herrlichen Landsitzes Sherborne!«
Die Gläser erklingen und werden auf einen Zug geleert. Lady Raleigh ist verstummt, ihre Kinder halten im Schluchzen ein. Unheimlich wird die Stille, die nun folgt. Am ganzen Körper bebt Hal. Seine Klugheit, seine Beherrschtheit ist von ihm gewichen. Er schreit:
»Schmach, wenn ein König zum Dieb wird!«
James wirft eine Flasche um, und der rote Wein färbt das damastene Tischtuch wie fließendes Menschenblut. Nicht weniger purpurn wird sein verzerrtes Gesicht. Er hinkt auf Hal zu. Er hebt die geballte Faust, um dem Sohn ins Gesicht zu schlagen. Doch plötzlich läßt er den erhobenen Arm sinken. Vielleicht aus Feigheit. Denn auch Hal hat die Faust geballt; und in seinen Augen blitzt der Wille, erbarmungslos zurückzuschlagen, falls er getroffen würde ...
Giftig, leise, durch die Zähne, zischt James:
»Jetzt weiß ich, wer mein ärgster Feind in den drei Königreichen ist. Ich werde in Zukunft mich vorsehn, daß es mir nicht ergeht, wie dem alten König David, der vor Absalom fliehen mußte. Laß deine Locken nicht zu lang wachsen, Hal! ... Zum Glück gab mir der Herr der Heerscharen die Macht, dich sofort zu strafen, Hal! Von Serjeant Crew erfahre ich, daß du den Ketzer Legat kennst? ...«
»Ich kenne ihn. Er ist kein Ketzer.«
»So? Ein Schüler des Giordano Bruno, ein Freund des Professors Vorstius in Holland, der die Gnadenwahl bestreitet, – und kein Ketzer? kein Atheist?«'
»Auch kein Atheist.«
»Oho! er hat sich selbst so bezeichnet.«
»Mag sein. Dennoch ist er ein frommer Narr Gottes, – selbst wenn er Gott einen andern Namen gibt als wir.«
»Welchen?«
»Weltgeist, Weltseele ... Namen sind Menschenwerk.«
»Spricht so mein Sohn, der meinen Thron erben will?«
»Wer das Göttliche anbetet wie Legat, ist kein Gottesleugner.«
»Seit wann gingst du unter die Theologen, Hal? Was Ketzerei ist, können Wir doch wohl besser beurteilen; – und verurteilen! Uns liegt es ob, die gefährdete Kirche zu stützen, die officinae Satanae auszurotten. Legat wird verbrannt! Mag's dir lieb sein oder leid, – er wird verbrannt! Morgen schon! Und du, Hal, wirst als mein Stellvertreter bei seiner Hinrichtung zugegen sein und wirst eigenhändig den Scheiterhaufen anzünden! Das ist mein Wille und Befehl!«
Kreidebleich ist Hal geworden, doch er erwidert nichts. Da geschieht etwas phantastisch Wildes. Lady Raleigh, die mit ihren Kindern bis dahin gekniet hatte, erhebt sich und reißt die Tür in den Großen Saal so jählings auf, daß das Gemurmel der Höflinge im Nu verstummt, und alle zusammenströmen, um zu schauen und zu vernehmen, was nun erfolgen werde. Verwandelt ist die sanfte, schüchterne Frau, einer Rachegöttin gleicht sie, wie sie auf der Schwelle zwischen beiden Sälen dasteht, je eine Hand auf die Schulter eines ihrer beiden Kinder gestützt. Mit grellem Pathos ruft sie:
»Hört an, Ihr Ritter, Lords und Earls und Peers von England, was ich Eurem König sage! Im Namen Gottes des Vaters, Gottes des Sohnes und Gottes des Heiligen Geistes verfluche ich dich, James Stuart! Ich verfluche deine Regierung und alle deine Taten! Was du auch unternimmst, es soll dir zum Unheil ausschlagen! Qualvoll sollen deine Tage werden und qualvoller die Alpträume deiner Nächte! Ich verfluche dich und das ganze Geschlecht der Stuarts! Und ich flehe zum dreieinigen Gott, daß er meinen Fluch über dir schweben lasse wie einen bösen Vogel, der dir Speise und Trank besudelt, bis du vor Ekel hungern lernst, und der – wenn die Zeit sich erfüllt hat – herabstoßen wird, Englands Thron von den Stuarts zu säubern und sich an deinem Fleisch und Bein zu ersättigen!«
Leichenstill ist es in beiden Sälen. Ungehindert verläßt Lady Raleigh mit ihren Kindern den Palast.
Hal zuckt zusammen. Ihn durchschauert es. Er sieht den bösen Vogel über sich und Arbella schweben. Auch sie ist ja eine Stuart ...
Ziemlich bläßlich schenkt James sich und Zissy Kanariensekt ein. Zur Stärkung.
Ohne Gruß eilt Hal hinaus.