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Overbury ließ sich die Leiche seines Schwagers ausliefern und erwarb eine Grabstelle auf dem Kirchhof der St. Paul's Kathedrale. Das verletzte Rückgrat Oriana's machte es ihr unmöglich, dem Bruder die letzte Ehre zu erweisen. Damit er nicht ohne Abschied von ihr gehe, ließ Overbury – eine Stunde vor der Beerdigung – den eingesargten Toten an Oriana's Bett tragen.
Die jungen Mädchen und Frauen, die Oriana wie eine Heilige verehrten, die täglich sie besuchten, täglich sie mit Blumen erfreuten, hatten jetzt ihr zum Augentrost und Seelentrost das Krankenzimmer in ein Blumenparadies verwandelt – lauter schneeige Blüten überboten einander an strahlender Weiße: Narzissen, Lilien, weiße Astern und weiße Rosen. Und grausam hinein in diese schneeige Pracht traten schwarzgekleidete Träger, stellten den schwarzen Schrein nieder, nahmen den Sargdeckel ab und entfernten sich schweigend. Im Sarg aber schimmerte es blank und wächsern wie das Blütenfleisch weißer Kamelien oder Seerosen ...
Oriana schluchzte. Overbury setzte sich auf den Bettrand zu ihr. Sie waren allein. Im angrenzenden Gemach sangen die jungen Mädchen ein makabres Lied:
Allzu früh entrückt dem Ruhme,
Stiegst du aus der Lebensfreude
In des Todes Staubgebäude,
Doch dein Bild, im Heiligtume
Unserer Herzen, bleibt hienieden
Schön und jung, nicht abgeschieden,
Eine nimmerwelke Blume!
Den toten Bruder liebkosen konnte Oriana nur mit ihren verhärmten Augen. Sich aufzurichten war ihr versagt. Sie legte den Kopf seitwärts aufs Kissen, so daß ihre Tränen in ihr offenes braunes Haar hineinrollten.
»Ich möchte seine Wunde sehn, Thomas!«
Overbury knüpfte das Totenhemd auf. Winzig war das verharschte Mal neben der Brustwarze.
»Es ist ein Florettstoß, Oriana. Mitten durchs Herz. Serjeant Crew meint zwar – (doch das ist ja Narretei) – eine Hexe habe ihn mit einer Nadel durchstochen –«
»Wie das – mit einer Nadel?«
»Sein Wachsbild natürlich.«
»Hast du ein Bild des Königs? ... Nun, du schweigst?«
»Würdest du's durchstechen, Oriana?«
»Neben den Sarg würde ich es aufstellen, – und die Wunde da würde zu bluten anfangen!«
»Den Verdacht, Oriana, hast du noch nie ausgesprochen ...«
»Wir waren bisher zu zweit, Thomas, – und jetzt sind wir zu dritt. Wer die Augen schloß, kann andern die Augen öffnen ...«
»War es denn bestimmt ein Verbrechen? Wenn es ein Duell war, so war es kein Mord, Oriana!«
»Und wenn Helways es tat, so war nicht er der Mörder!«
»Du meinst ... ein anderer?«
»Wer sonst? Immer wieder verbot er Steffen, sich mit Helways zu schlagen, obgleich der ihm eine Duellforderung nach der andern schickte. Und dem verbannten Helways ließ er durch Northampton mitteilen – du weißt doch, du selbst hast mir's erzählt – – –«
»Ja, –: nur wenn er sich in Steffens Blut reingewaschen, dürfe er sich in Whitehall wieder blicken lassen! ... Wahrlich ein Salomo! Ein Jammerkönig! ... Eine schleimige Molluske! ... Ein tückischer Sudelkoch! ... Pfui Teufel! ... Und jedermann kratzfüßelt! ... – auch ich! ...«
»Soweit ist alles klar, Thomas (– wenn man Schlamm und Schleim klar nennen will!). Aber die vielen anderen Rätsel noch! Warum ist Helways, seitdem Steffen ihm die Hand zerdrückte, – das ist jetzt zweieinhalb Jahre her – spurlos verschwunden? War er der Dieb, wie Steffen behauptete? Hat er etwa noch Böseres auf dem Gewissen? Und wem gehörte der Strohhut? Und das Käuzchen? Hatte Helways sich als Frau verkleidet, um Steffen zu überlisten? ... Ach, Thomas, Thomas, wenn du das alles doch aufdecken könntest! ...«
»Die Zeit wird meine Bundesgenossin sein, Oriana!«
»Ich habe nicht viel Zeit mehr, Thomas! ... Bannen kann man die Zeit, wie einen bösen Dämon in eine Flasche, zusammendrücken kann man die Riesenhafte, sie verkleinern –«
Jählings unterbrach sich Oriana und horchte auf. Der Gesang der Mädchen war verstummt, und schon seit einer Weile wurde lebhaft im Nebenzimmer gesprochen. Anfangs leise – wahrscheinlich aus Rücksicht auf den Sarg im Hause – dann lauter und lauter. Auch Männerstimmen wurden vernehmbar.
Overbury und Oriana starrten einander an.
»Was kann dort sein, Oriana?«
Ein schriller Aufschrei ertönte und als Echo hinterdrein ein Schrei aus vielen Kehlen. Overbury riß die Tür weit auf.
Wie eine von Wölfen überfallene Lämmerherde standen zusammengedrängt die Mädchen an der graugrünen Fenstergardine, die Gesichter schreckverzerrt, die Hände an die Schläfen gepreßt, hemmungslos kreischend. Die räuberischen Wölfe waren zwei überaus brutal aussehende Büttel –: sie hatten eines der Mädchen gepackt und waren im Begriff, die Halbbewußtlose, die wie eine Wahnsinnige um sich schlug, hinaus auf die Straße zu zerren. Overbury sah, daß es Janet Williams, die Tochter des reichen Juweliers Master John Williams, war.
So wenig wie um das Geheul der Mädchen kümmerten sich die Büttel um das herrische Halt, das Overbury ihnen zurief. Er hatte am Sarge des Schwagers ohne Degen geweilt. Jetzt holte er aus einem Wandschrank eine Pistole. Damit bewaffnet stürmte er zur Ausgangstür und versperrte den Bütteln den Weg. Das endlich zwang sie, stehenzubleiben.
»Wohin wollt ihr mit ihr?«
»Nicht zum Kirmestanz, Sir! Und wenn es ein Seiltanz ist, wird das Seil nicht wagerecht gespannt werden!«
»Nach Tyburn?! ... Ohne Richtspruch? Warum?«
»Weil sie hier auf dem Zettel steht – mit anderen Luftreiterinnen.«
»Blödsinn! So schaut keine Hexe aus!«
»Sie scheinen Bescheid zu wissen, Sir? ...«
»Wer schrieb den Zettel?«
»Serjeant Crew. Was der schreibt, kann kein Erzengel auslöschen! ... Oh, und der läßt sich keine Nase drehen, Sir!«
»Zeigt den Zettel her! ... Da stehn noch sieben Namen? Lauter junge Frauen! ...«
»Die sind bereits ausgestrichen, Sir, – ausgestrichen aus dem Buch des Lebens. Die hängen bereits am Galgen. Wir arbeiten fix und sauber, Sir. Stellen Sie sich vor: an einem einzigen Galgen alle sieben – hübsch in Reih und Glied wie Soldaten oder wie Sprotten.«
»Seit wann?«
»Seit ich mir den Pfeifenkopf stopfte. Fix, – nicht wahr? Diese wird die achte sein.«
»Das wird sie nicht, Bursche! ... Laßt sie frei! Schert euch zum Teufel!«
»Wenn Eure Lordschaft Serjeant Crew damit meint, der könnte am Ende auch Eure Lordschaft holen! Nicht so ohne ist es, den an die Wand zu malen!«
»Ich werde mit Serjeant Crew sprechen und das Mißverständnis aufklären. Laßt das Fräulein los, – sie mag, bis Serjeant Crew entschieden hat, hier in meinem Hause bleiben.«
»Damit sie zum Schornstein hinausfährt?«
»Ich stehe für das Fräulein ein.«
»Und wer steht für Sie ein, Sir?«
»Ich!« – sagte Lord Pembroke, der eben hinter Overbury in der offenen Tür erschien.
Der Zufall hatte es gefügt, daß gerade jetzt die Freunde des Hauses sich einfanden, das Trauergeleit zu bilden. Wenige Augenblicke später hätte vielleicht Overbury – kaum noch Herr über seine Nerven – mit der Schußwaffe unabsehliches Unheil angerichtet.
Wie ein glühender Ofen von einer heißen Luftschicht umringt ist, so schien den Bütteln der Earl of Pembroke von einer Respekt erzwingenden Aura umgeben. Sie ließen Janet Williams frei und entfernten sich – auf die erneute Zusicherung hin, daß die Juwelierstochter im Hause bleiben und Overbury gleich nach der Beerdigung zu Serjeant Crew kommen und beweisen werde, daß Janet keine Menschendiebin, keine Satansbuhle, keine Nebelhexe sei und auch daß sie nicht, in einen Werwolf verwandelt, Knaben gefressen habe ...