Julie de Lespinasse
Die Liebesbriefe der Julie de Lespinasse
Julie de Lespinasse

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5.

Fontneuve bei Montauban, Sonnabend, den 8. Oktober 1774.

Liebe Freundin!

Herzlich gern will ich alle meine Briefe damit anfangen, Ihnen den Empfang und die Daten Ihrer Briefe anzuzeigen. Es ist Ihr volles Recht, von mir die größte Genauigkeit zu fordern. Ihre lieben gütigen inhaltsreichen Briefe machen mir zweimal in der Woche weniger fühlbar, daß ich so fern von Ihnen lebe. Die Mittwoche und Freitage sind in meinem Dasein dasselbe, was Ihnen die Mittwoche und Sonnabende sind. Die beiden letzten Nachrichten von Ihnen waren vom Freitag Abend und vom Sonnabend nach dem Eintreffen der Post. Sie sind unruhig und besorgt. Es tut mir sehr leid, daß ich der Anlaß dazu bin. Mein Gott, warum habe ich das bißchen Fieber erwähnt! Und doch wäre es nicht gut, wenn ich Sie in Unkenntnis davon gelassen hätte. Dies Fieber war eine Folge meiner seelischen Verfassung. Ihr Schweigen hatte mich erregt, der Gedanke, daß Sie mir grollen könnten. Den Beweis, daß es mit meiner Stimmung zusammenhing, habe ich darin, daß es am Tage nach dem Empfang Ihres Briefes weg war. Liebe Freundin, im Grunde sind Sie selber Schuld an Ihrem Leiden. Ich bedaure Sie, und der Brief am Mittwoch hat mich tief bewegt. Ich habe den Eindruck, den der Brief von Herrn de Fuentes auf Sie gemacht, lebhaft mitempfunden. Sie haben Recht: in keinem Roman könnte etwas Rührenderes und Edleres stehen wie die Bitte dieses ehrwürdigen Vaters. Hoffentlich entspricht ihr d'Alembert.

Aber warum verschlimmern Sie Ihr Leid, indem Sie sich einbilden, Sie hätten Moras Tod beschleunigt? Er trug ihn bereits seit zwei Jahren in sich. In Spanien war er zweimal nahe daran zu sterben; todkrank ist er abgereist. Der Konsul von Bordeaux hat mir gesagt, der Arzt habe ihm versichert, Mora hätte an und für sich unbedingt sterben müssen. Ihr Unglück ist schon groß genug, als daß Sie nach Umständen suchen dürften, es noch zu vergrößern. Weinen Sie, liebe Freundin, aber sagen Sie nicht, Sie hätten nun niemanden mehr, der Sie liebte. Sehen Sie nun nicht im Leben etwas Hassenswertes und im Lieben etwas Gräßliches! Das Dasein bietet Ihnen doch noch Trost, Anregung, Teilnahme. Was schmähen Sie die Liebe? Ich segne sie tausendmal. Die Liebe hat Sie am Leben erhalten! Ihr verdanke ich es, daß ich Sie habe. Nie hat sie mir Kostbareres geschenkt. Sie durchströmt meine Freundschaft und verleiht ihr Leben und Leidenschaft. Hätte ich fieberkrank sein können, wenn es sich um das Stillschweigen und das Wohlergehen eines nichtgeliebten Menschen handelte? Hätte ich Fieber bekommen, wenn mir irgendein gleichgültiges Wesen grollte? Hätte mich irgendwelcher andre Brief sofort geheilt? Bei einer derartigen gegenseitigen Anteilnahme leben wir, lieben wir gewiß in einer höheren Welt als drei Viertel der gesamten Menschheit. Seien wir darum nicht so unzufrieden mit unsern Herzen, und hoffen wir noch auf manche glückselige Stunde! (Nachschrift.) Ich soll Ihre Briefe verbrennen. Ich will gehorchen. Im nächsten Briefe werde ich Ihnen vermelden, daß es geschehen ist, und Sie können es mir wirklich glauben. Aber meinen Sie, daß es mir leicht fällt? Ich werde mich überwinden; ich bitte nur um ein paar Tage Frist. Ich möchte sie noch einmal lesen. Verstehen Sie tatsächlich nicht, wie sehr ich an ihnen hänge? Ihnen geht es mit meinen Briefen nicht so – und Sie lieben mich? Wie bringen Sie dies zuwege? Aber wäre es nicht besser, ich brächte Ihnen die Briefe persönlich? Sie verbrennen sie dann selber. Die, die ich Ihnen schon gebracht, haben gewiß bereits dies Geschick erlitten. Wenn noch nicht, dann bitte ich um Gnade! Wir wollen sie alle vereinen, und sie bleiben in Ihren Händen. Geben Sie mir hierüber Bescheid! Erteilen Sie mir das Recht, sie bis zu meiner Rückkehr aufbewahren zu dürfen. Andernfalls werde ich seufzend gehorchen, aber ich gehorche.

Auf Wiedersehn, liebe Freundin! Ich schreibe Ihnen mit dem nächsten Kurier. Ich liebe Sie von ganzer Seele, und Sie? Sagen Sie mir es, sagen Sie es mir immer wieder: besitze ich die Ihre noch?


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