Julie de Lespinasse
Die Liebesbriefe der Julie de Lespinasse
Julie de Lespinasse

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13.

Sonntag, den 9. August 1773.

Sehen Sie, wie närrisch ich bin! Ich spüre Ihnen nach und lasse Sie sogar in Breslau nicht in Ruhe! Sie sind dort vollauf beschäftigt. Der König, die Manöver, Ihr Erfolg, der »Konnetabel«! Nichts wird Sie auf den Einfall bringen, nach Paris zurückzudenken. Und selbst wenn: Paris ist groß, und ich werde Ihnen in der Menge entgehen. Glauben Sie mir aber, es gibt wenige, ganz, ganz wenige, ja, wenn ich nicht fürchtete, Sie zu betrüben, so möchte ich sagen, es gibt niemanden, der Sie aufrichtiger vermißt als ich. Die ganze Welt geht ihren Pflichten oder ihren Zerstreuungen nach. Ich allein bringe es nicht fertig, von meinem Leid und meiner Sehnsucht zu lassen. Ich weiß nicht, wie man es anfängt, sich an Entbehrungen zu gewöhnen. Was man einem aus der tiefsten Seele nimmt, das kann nichts in der Welt ersetzen.

Ich begreife nicht, daß es erst drei Monate her sein soll, daß Sie fort sind, und noch weniger, daß ich Sie erst Ende November wiedersehen soll. Ihre Gegenwart allein könnte mich trösten, und ich sehne mich nach ihr wie nach der einzigen Lust meines Lebens!

Gott! So ist denn die Freundschaft, dieses herrlichste Labsal der Menschen, für mich nur die Quelle von neuen Leiden. Alles, was meine Seele berührt, wird ihr zu Gift.

Sie waren mir eine so liebenswürdige Bekanntschaft. Ihr Wesen, Ihr Benehmen, Ihr Geist, alles hat mich entzückt. Die Steigerung dieses Gefühls hat alles verdorben! Ich habe mich in Sie verloren. Ach, warum haben Sie mir das angetan? Warum sind Sie mir in meine Seele eingedrungen? Warum haben Sie mir die Ihre aufgeschlossen? Wozu gehen zwei Menschen, die alles voneinander trennt, einen Herzensbund ein? Sind Sie oder bin ich schuld an meinem Leid? Bisweilen kämpfe ich meine Sehnsucht nach Ihrer Heimkunft nieder, aus Angst, meine Freundschaft könne Sie quälen. Doch Sie werden nicht viel danach verlangen. Sie werden so sehr in Anspruch genommen sein, so beschäftigt und abgelenkt, daß Sie mir in Paris vielleicht ferner sind als jetzt in Breslau. Bedenken Sie doch, wie hochinteressant Sie für die Leute sein werden, die Sie lieben, aus Eitelkeit oder aus Langerweile. Sie kehren aus weiter Ferne zurück; man wird alles wissen wollen, was Sie gesehen haben, man wird so entzückt sein, Sie erzählen zu hören, daß es ganz und gar unmöglich sein wird, Sie diesen Liebenswürdigkeiten zu entziehen. In Gottes Namen! Ich werde Sie nicht viel zu sehen bekommen, aber oft erwarten. Das ist auch etwas. Wenn man ritterlich und feinfühlig ist, kommt man doch wieder zu denen, die einen immer erwarten.

Ach, ich wollte, es wäre schon so weit! Haben Sie denn wenigstens den guten Willen, Ihre Reise eher abzukürzen als zu verlängern? Was werden Sie denn noch Schöneres, noch Interessanteres sehen als das, was Ihnen Schlesien bietet? Und dann, wenn Sie in Schweden sind, schreiben Sie ja zuerst! Wenn Sie warten wollten, erst Briefe zu empfangen, das sehen Sie doch ein: so können drei Monate vergehen, ehe ich etwas von Ihnen höre. Dann wären Sie nicht mehr bloß abwesend: das wäre so gut wie der Tod. Wenn Sie auch zu den gleichen Entbehrungen verdammt sind, so leiden Sie doch nicht so sehr darunter. Und übrigens sind Sie ja selber schuld daran. Sie haben sie ja heraufbeschworen, indem Sie Ihre Reise antraten. Ihre Freunde waren damit durchaus nicht einverstanden. Kurz und gut, sei es gerecht oder großmütig, ich möchte Nachrichten von Ihnen. Es gibt wirklich keinen Grund, keine stichhaltige Ausrede für Sie, mich jemals wieder so lange ohne einen Brief zu lassen, wie während Ihrer Reise von Prag nach Wien.

Überlegen Sie sich doch, daß mein Zustand viel Rücksicht erheischt. Ich bin unglücklich und krank. Sollte das Ihre Ritterlichkeit nicht anstacheln? Was Sie mir gewähren, das soll mit grenzenloser Dankbarkeit bezahlt werden. Mein Gott, finden Sie nicht: ein armseliges Motiv, und klägliche Gefühlskrämerei?

In all den jüngst vergangenen Tagen habe ich Fieber gehabt. Als ich Ihnen das letztemal schrieb, hatte ich am Schluß einen Schüttelfrost. Es gibt einen gewissen Boten, vor dem mein Herz seit einem Jahre in Fieber gerät. Das hat mich körperlich ruiniert, und ich bin immer so unglücklich gewesen, daß eine innere Stimme mir zuflüstert: Im Augenblicke, wo dein Unglück zu Ende sein könnte, wirst du sterben!

Kommen Sie zurück! Dann sterbe ich wenigstens im festen Glauben, einen süßen Seelentrost gekostet zu haben. Ich mache mir den Vorwurf, ungerecht gegen Sie gewesen zu sein. Mein Gott, habe ich Ihnen Leids getan, dann müssen Sie mir verzeihen. Es gibt Zustände, die der größten Nachsicht bedürfen.

Ich habe das sehnlich erwartete Buch von Helvétius [Del´homme] gelesen. Ich war vor seiner Dickleibigkeit ganz erschrocken: zwei Bände, jeder sechshundert Seiten stark! Sie Bücherverschlinger freilich würden in zwei Tagen damit fertig, aber ich kann nur lesen, wenn ich wirklich bei der Sache bin. Mein Gemütszustand nimmt meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Ich lese immer, was ich fühle, nicht, was dasteht. Ach, mein Gott, wenn man liebt, kriecht der Verstand in den Winkel! Das Herz verliert ja nichts dabei, aber was fängt man mit so einem Herzen an?

Ach, wenn Sie wüßten, woran hier in Paris das dumme Publikum seinen Spaß und sein Vergnügen hat! Zwei Stücke von Dorat. Ein Trauerspiel, ohne Geist und Können, und eine Komödie, ein Meisterwerk von Geschmacklosigkeit und Unvornehmheit. Unverständliches Geschwätz. Der Beifall, den man diesem Zeug zollt, hat mich noch den ganzen Tag trübsinnig gemacht. Dergleichen muß wahre Talente völlig entmutigen.


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