Julie de Lespinasse
Die Liebesbriefe der Julie de Lespinasse
Julie de Lespinasse

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158.

Donnerstag, den 9. November 1775.

Ich schreibe Ihnen Tag für Tag. Aber heute rede ich wirklich mit Ihnen. Sie wissen, was ich vor allem will: Ihnen die Wahrheit sagen, auf die Gefahr hin, daß Sie für Unsinn halten, was ich sage.

Ich mißbillige die großen Änderungen, die Sie am »Konnetabel« vorgenommen haben, und zwar aus folgenden Gründen. Ich bezweifle, daß Sie das Stück dadurch in eine Form gebracht haben, die allen künstlerischen Anforderungen, beispielsweise im Sinne Voltaires, voll entspricht. Und dann hat die Rolle der Adelheid ihre Einheit verloren. Wenn ihr Tod motiviert sein soll, müßte sie mehr einer Zulima und nicht einer Römerin Corneilles ähneln. Sie haben genug Geist und Begabung, um einen stolzen und erhabenen Charakter in eine zärtliche und leidenschaftliche Seele umzumodeln. Aber das ist es eigentlich nicht, was mir Bedenken verursacht.

Bedenken Sie einmal, daß Ihr Stück, nachdem Sie es derartig ändern und umkrempeln, von neuem beurteilt wird, und zwar – mit Fug und Recht – strenger als in seiner ersten Fassung. Damals haben Sie einem Wunsche der Königin nachgegeben. Sie hatten von vornherein erklärt, es sei kein Bühnendrama. Das war ein Appell an die Nachsicht. Das klang bescheiden und verriet keine Autoreneitelkeit. Man hat die Schönheiten, die Ihr Stück reichlich aufweist, dankbar anerkannt; man hat Ihr Können gepriesen, und wenn man gewisse Einzelheiten, sei es am Inhalt, sei es an der Technik Ihres Werkes, bemängelt hat, so hat man immer hinzugefügt: Es ist nicht für die Bühne geschrieben.

Nunmehr aber, mein lieber Freund, ist das ganz anders geworden. Jetzt stehen Sie allen möglichen Forderungen gegenüber. Die haben Sie zu erfüllen, denn Sie haben Ihr Stück für die Bühne umgearbeitet. Kein Mensch wird daran zweifeln, daß Sie die Königin um eine Neueinstudierung gebeten haben, um die neue Fassung zu veröffentlichen, von der Sie sich einen großen Erfolg versprechen. Wird Ihnen dieser Erfolg aber sicher sein, selbst vorausgesetzt, daß Sie ihn verdienen? Glauben Sie, die lobende Kritik des Herrn von Saint-Germain und die allergnädigste Anerkennung der Königin hätten Ihnen keine Neider erstehen lassen?

Schon höre ich die Schlangen zischen. Nichts in der ganzen Welt könnte mich bewegen, mich zu dieser zweiten Aufführung einzufinden, die ich in tiefster Seele mißbillige. Wenn sie, wie Sie sagen, unvermeidlich ist, so müßte man unbedingt den Schein wahren, das Stück werde genau so gegeben, wie es die Königin bei der Erstaufführung gesehen hat.

Eine einzige Änderung wäre Ihnen erlaubt. Sie sollten alle Ihre Zeit dazu verwenden, um den Stil in Hinsicht auf Klarheit, Eleganz und Adel zu erhöhen. Alle Welt müßte sich beim Schlusse des Stückes sagen: »Ich hätte nicht gedacht, daß das Stück so gut geschrieben ist. Durchaus tadellose Form. Wundervolle Verse. Schade, daß es eigentlich nicht für die Bühne gemacht ist! Aber sonst ein Meisterwerk. Wie von Voltaire. Guibert hat sehr klug getan, es noch einmal aufführen zu lassen. Die stilistischen Reize sind uns bei der Erstaufführung entgangen.«

Das, mein Lieber, das möchte ich sagen hören! Statt dessen wird es eine häßliche Ablehnung geben. Wie Ihre Umarbeitung auch ausfallen mag, ich stehe Ihnen dafür, daß Sie die wahren Schönheiten Ihres Werkes zerstören. Man wird nicht die Rolle der Adelheid bekritteln, sondern die Kühnheit des Dichters, der das Urteil des Publikums geradezu von neuem herausfordert.

Ich werde todunglücklich sein, wenn es sich herausstellt, daß ich recht gehabt habe. Wenn ich Ihnen etwas sage, so ist das etwas ganz anderes, als wenn Ihnen irgend eine Dame, die nichts versteht als zu schmeicheln, vorschwärmt: »Wundervoll! Das Stück hat durch die Umarbeitung viel gewonnen! Es wird einen riesigen Erfolg haben!« Ich dagegen, ich wiederhole Ihnen hundertmal: »Nein, es wird keinen Erfolg haben, gerade weil Sie es umgeändert haben!«

Genug, ich will schweigen. Ich wette, so etwas hören Sie gar nicht gern. Sie haben sich Mühe gegeben, Sie stehen im Schönheitsrausch Ihres eigenen Werkes. Die alte Fassung erscheint Ihnen abscheulich. Sie wollen das törichte Publikum zwingen, Ihnen gerecht zu werden. Sie glauben, das Talent müsse über den Neid triumphieren.

Gut! Seien Sie ein Tor, wenn es Ihnen Spaß macht!


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