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Montags, sieben Uhr. [1775.]
Lieber Freund, gestern um dieselbe Stunde wartete ich aus Sie und litt, und heute ist meine Seele traurig und niedergeschlagen, weil ihr die tröstende Hoffnung fehlt, Sie zu sehen. Ein paar Verse kommen mir in den Sinn:
Ach dürft' ich seiner noch harren
Und fragen: Kommt er nicht doch?
Lieber Freund, Sie tun mir leid, daß Sie mir diese Stimmung nicht nachfühlen können. Sie würden noch einmal glückselig sein, so glückselig, daß Sie eine Vorahnung vom Himmel bekämen und den Mut, ihn mit den Qualen der Hölle zu erkaufen!
Ach, ich hab's erfahren: Meine Seele ist nur für große Gefühle geschaffen. Nur ein klein wenig lieben, das ist mir unmöglich! Aber, wenn Ihr Herz nicht gleich stark antwortet, wenn meine Seele die Ihrige mit emporzureißen nicht imstande ist, wenn Sie wollen, daß im Grunde jedes für sich lebt, wenn es Ihnen genügt, immer aufgeregt und niemals glücklich zu sein, – dann habe ich auch genug Kraft, ganz auf Sie zu verzichten und Sie völlig dem zu überlassen, das Ihnen bisher genug war.
Mein lieber Freund, Sie wissen doch, wenn man den Mut und den Wunsch hat, zu sterben, so kann man das Höchste fordern und verlangen. Man nimmt sich dann nicht die Zeit, langsam und mit gemächlichen Mitteln um das zu werben und zu dienen, was man auf der Stelle besitzen will. Ich werfe für Ihre Liebe zu mir in die Wagschale nicht mein Glück, sondern mein Leben. Und deshalb wäre es schändlich von Ihnen, mich zu betrügen, – und andererseits edelmütig, mir keine eitle Hoffnung zu lassen.
Von all dem wollte ich Ihnen kein Wort schreiben, als ich die Feder zur Hand nahm. Sehen Sie, so offen ist man, wenn die Seele in Aufruhr ist. Ich wollte Sie benachrichtigen, daß Sie morgen nicht vor Mittags kommen möchten, da mir eingefallen ist, daß ich einen Coiffeur da habe, und es mir gräßlich ist, in so unbequemer Situation Sie bei mir zu sehen. Ich bin ihn spätestens halb ein Uhr los.
Ärgern Sie sich, wenn Sie wollen: ich hätte Ihnen nicht beschreiben können, wie glücklich ich war, als Sie heute früh gegangen waren. Zehn Minuten später stand es sehr schlimm um mich. Herr von Magallon ist zurück und hat mir einen Besuch gemacht. Nach seinem Weggang bekam ich heftige Krämpfe. Mein Körper kann keine seelischen Erregungen mehr vertragen. Ich bin nicht erschrocken darüber, auch nicht beunruhigt. Ich fürchte weder die Schmerzen noch ihr letztes Ende. Es ist mir nur unerklärlich, was mir inmitten von so maßlosem Elend immer wieder Kraft verleiht. Macht die Verzweiflung die Seele stark und groß? Dann muß ich mein Schicksal tragen, ohne zu klagen.
Man unterhält sich in meinem Zimmer. Ich nehme nicht selbst teil am Gespräche, aber es stört mich. Adieu, mein lieber Freund!
Sie haben heute abend keine Sehnsucht nach mir gehabt, und ich den ganzen Tag nach Ihnen. Wie Sie sich auch vergnügt haben mögen, ich beneide Sie kein bißchen. Ich war in besserer Gesellschaft. Ich habe mich der »Lobschrift auf Catinat« [von Guibert] gewidmet. Ein Stück davon habe ich zweimal gelesen. Ich bin entzückt davon, so befriedigt, daß ich es Ihnen gar nicht sagen kann. Sicherlich, der Verfasser hat eine große Zukunft. Es genügt nicht, zu sagen, er habe Talent, Seele, Geist, Genie. Er besitzt, was selbst den Besten fast immer fehlt, jene warme Beredsamkeit, die mehr zum Herzen als zum Verstande spricht. Und gerade deshalb darf ich ihm Lob und Beifall zollen, ohne mir Geist und Geschmack anzumaßen. Ich verstehe von Erörterung und Kritik nichts, aber das Schöne trägt meine Seele empor, und dann irre ich mich nicht. Sie mögen dagegen sagen, was Sie wollen.
Adieu! Adieu denn!