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Montags, um drei Uhr [23. Mai 1774].
Ich habe Ihnen nicht eigenhändig geantwortet. Wenn Sie mich liebten, müßte Sie das beunruhigt haben. Ich hätte es nicht über mich gebracht, Sie in eine Besorgnis zu versetzen, die vermeidlich gewesen wäre. Aber ich befand mich in einem Zustand von Beklemmung, als ob ich dem Tode nahe sei. Vorher hatte ich einen Weinkrampf, der vier Stunden gedauert hat. Noch nie, noch niemals habe ich mich in einer ähnlichen Verzweiflung befunden. Eine Art von Grauen und Angst nimmt mir die Sinne.
Ich warte auf die Mittwochspost und es kommt mir vor, als könne selbst der Tod kein vollkommenes Heilmittel für den mir drohenden Verlust sein. Ich weiß, am Mute zu sterben fehlt es mir nicht. Leben zu müssen, ist viel schrecklicher. Es geht über meine Kraft, mir vorzustellen, daß der, den ich liebe, den ich geliebt habe, mich nicht mehr hören, mich nie mehr trösten wird. Mit Grausen wird er dem Tod entgegensehen, weil ihn der Gedanke an mich nicht losläßt. Am 10. [Mai] hat er mir geschrieben: »Etwas in mir möchte, daß Sie alles vergessen könnten, was ich Ihnen an Leid angetan habe!« Am selben Tage hat ihn der verhängnisvolle Anfall betroffen.
Ach mein Gott, Sie, der Sie die Leidenschaft kennen gelernt haben. Sie, dessen Herz auch einmal von der Verzweiflung heimgesucht worden ist, Sie werden mein ganzes Unglück fassen. Bedauern, nein, beklagen Sie mich, so lange ich noch lebe! Ich bin das unglücklichste Geschöpf. Acht Tage hindurch habe ich in einem unbeschreiblichen Zustande voll Schmerzen verbracht. Leben Sie wohl! Wenn ich am Leben bleiben muß, wenn mein Urteil noch nicht gesprochen ist, so werde ich noch etwas Wonne, Glück und Trost in Ihrer Freundschaft finden. Wollen Sie sie mir erhalten?